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Ehrengarde
Kapitel 6: Das Ende
Hyne wehrte sich nach Kräften, als zwei der übrig gebliebenen Diener sie äußerst unsanft in eine Kammer an Bord des frey’gen stießen. Sie war nicht in der Lage, die Diener anzugreifen und zu fliehen, denn ihr Vater hatte sie aller aggressiven Zauber beraubt.
Nur einige wenige Kräfte waren ihr geblieben. Drittes Auge, etwas Telekinese, Telepathie,...
Telepathie!
Sie konnte versuchen, mit jemandem Kontakt aufzunehmen und ihn hierher zu bringen.
Aber alle Menschen, die sie kannte, waren für Telepathie völlig unbegabt, einschließlich Vandell.
Halt! Die kleine Hexe, Rinoa, könnte sie hören. Zu ihr hatte Hyne schon einmal eine Verbindung aufgebaut. Es konnte klappen, wenn Hyne sich konzentrierte...
Sie kniete sich auf den kalten Boden und schloss die Augen. Ihr Atem wurde ruhig, ihre Hände lagen leicht auf ihren Oberschenkeln.
Hyne nahm Kontakt zu Rinoa auf.
Rinoa schrie erschrocken auf, als sie Hynes Stimme in ihren Gedanken hörte.
Hilf mir...
„Hyne... ich kann Euch hören! Wo seid ihr?“, rief sie laut. Sie bemerkte am Rande, dass die drei Hexenritter zusammenzuckten.
Vandell packte sie an der Schulter, als sie Hynes Namen aussprach, wurde aber seinerseits wieder von Squall weggerissen. Rinoa konzentrierte sich mit aller Kraft auf die leise Stimme in ihrem Kopf.
Ich weiß es nicht... folge meinen Gedanken, sie werden dich führen...
Rinoa schloss die Augen und versuchte, die Richtung zu bestimmen. Sie deutete nach Süden.
„Sie ist irgendwo in dieser Richtung. Ich kann ihre Stimme hören!“ Squall und Cifer wollten schon zur Ragnarok laufen, die am anderen Ende des Plateaus auf sie wartete, aber Vandell hielt sie rasch zurück.
„Dafür ist keine Zeit! Sie kann das nicht sehr lange durchhalten.“, drängte er. Rinoa fühlte sich tatsächlich schon erschöpft. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn.
Vandell holte seine Kette aus dem Ausschnitt seines Hemdes. Squall war nicht überrascht, als er den Griever- Anhänger sah. Vandell hielt die Kette hoch und murmelte viermal ein seltsam klingendes Wort. Vier Pferde tauchten aus dem Nichts vor ihm auf. Der schwarze Hengst trottete gehorsam auf seinen Herrn zu. Die anderen Pferde waren ebenfalls prächtige Tiere, ein Schimmel und zwei Rotfüchse. Vandell schwang sich schnell in den Sattel.
Die anderen waren noch nie in ihrem Leben geritten, aber Squall und Cifer hatten keine Probleme aufzusteigen. Rinoa wollte ebenfalls aufsitzen, aber ihre Erschöpfung wurde immer deutlicher. Vandell dirigierte sein Pferd mit leichtem Schenkeldruck zu ihr und hob sie kurzerhand in den Sattel. Als er sie fragte, ob sie eine längere Strecke reiten könne, nickte sie tapfer. Sie klammerte sich an der dichten Mähne des Pferdes fest. Sie schloss kurz die Augen und versuchte, diese unnatürliche Erschöpfung mit ihren Hexenkräften zu beseitigen.
Als sie sich bereit fühlte, ließ sie ihr Pferd in die ungefähre Richtung galoppieren, in der sie Hyne vermutete. Die drei Ritter folgten ihr. Rinoa staunte, als sie den Boden zwei Meter unter den Hufen des Pferdes sah. Sie klammerte sich am Hals des Rosses fest und machte die Augen zu, um sich zu konzentrieren.
Da... war etwas! Etwas weiter südöstlich. In der Kashukbaar-Wüste?
Die Pferde galoppierten so schnell dahin, dass das leise Säuseln des Windes zu einem ohrenbetäubenden Brüllen anschwoll. Rinoa konnte bereits die Türme von Esthar- Stadt sehen.
Sie musste schreien, um Squall, der neben ihr ritt, das Wort „Kashukbaar!“ zuzurufen. Er schien sie zuerst nicht zu verstehen, aber als sie es ein zweites Mal brüllte, nickte er und deutete in die Richtung.
Plötzlich überholte Vandell Rinoa, die bisher an der Spitze der kleinen Gruppe geritten war, und übernahm die Führung. Er war eine wirklich beeidruckende Erscheinung; seine Augen leuchteten rot, der lange, schwarze Umhang flatterte im Wind, die störrischen Haarsträhnen, die ihm immerzu ins Gesicht fielen, wurden aus seinem Gesicht geweht. Sein Gesichtsausdruck verhieß seinen Gegnern nichts Gutes. Er beugte sich tief über den Hals seines Hengstes, das schwarze Schwert in der Hand. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und starrte in die Richtung, in die Rinoa gedeutet hatte. Squall und Cifer zogen ebenfalls ihre Gunblades.
Rinoa hörte auf, Vandell anzustarren und konzentrierte sich wieder darauf, die Erschöpfung zu bekämpfen, die ihr noch immer zu schaffen machte. Sie atmete auf, als sie wieder Land sah. Doch fast gleichzeitig erschrak sie heftig, als sie das riesige, unförmige Gebilde sah, das im Sand der Wüste lag. Es war wirklich groß; Zehnmal so groß wie der Garden, wenn nicht größer! Es schien die ganze Wüste auszufüllen.
Dicht vor dem Raumschiff zügelte Vandell sein Reittier. Die anderen taten es ihm nach. Vandell ließ seinen Blick über das riesige Gebilde schweifen, dann stieg er ab. Squall und Cifer schwangen sich ebenfalls aus dem Sattel, einzig Rinoa blieb zusammengesunken auf ihrem Pferd sitzen. Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie hatte nicht genug Kraft, um sich länger im Sattel zu halten. Undeutlich nahm sie wahr, dass Squall sie schnell auffing, als sie vom Pferd rutschte. Er legte sie auf den warmen Sand, beugte sich über sie und tätschelte leicht ihre Wange. Rinoa konnte hören, dass er etwas sagte, aber sie verstand die Worte nicht. Nur langsam lichteten sich die Nebel vor ihren Augen.
„Rinoa! Was hast du? Was ist los?“, wiederholte Squall gerade. Rinoa schüttelte den Kopf. „Mir geht es gut.“, krächzte sie. „Ich bin nur... etwas erschöpft...“ Ihre Augen fielen wieder zu. Squall schrie erschrocken auf und packte ihre Hand. Sie zwang sich, die Augen wieder zu öffnen.
„Mach... dir keine Sorgen... um... mich! Ihr... müsst... Hyne retten!“, flüsterte sie schwach. Squall schüttelte den Kopf. „Nein! Ich bleibe bei dir.“, sagte er fest. Rinoa lächelte ihn an. Sie verdrängte die Erschöpfung wieder mit ihrer Magie und richtete sich ein wenig auf. Squall stützte sie sanft. Rinoa legte eine Hand an seine Wange.
„Mir geht es gut! Das war nur ein Schwächeanfall. Ist gleich wieder vorbei!“ Ihre Stimme hörte sich noch immer ein wenig rau an. Sie räusperte sich und redete einfach weiter, bevor er widersprechen konnte. „Du musst ihr helfen! Ich komme schon zurecht.“
Squall sah sie unglücklich an. „Aber die zwei...“, versuchte er es noch einmal, aber Rinoa unterbrach ihn sofort. „Willst du, dass ich dir befehle mitzugehen?“, fragte sie leise. Er schüttelte langsam den Kopf. Rinoa küsste ihn kurz.
„Na also! Dann geh!“, flüsterte sie. Squall nickte widerstrebend, hob sie hoch und trug sie in den Schatten einer kleinen Oase, die sich in der Nähe befand. Er legte sie unter einen Baum und sah ihr tief in die Augen. Dankbar nahm er den Umhang, den ihm Vandell hinhielt, und bettete ihren Kopf darauf.
„Ich bin bald wieder hier.“, versprach er ihr. Rinoa nickte. Er drückte seine Lippen kurz an ihre Stirn und stand auf. Rinoa sah ihm nach, bis er mit den anderen zwei Rittern im Inneren des Raumschiffes verschwunden war. Dann verlor sie endgültig das Bewusstsein.
„Was ist denn mit ihr los?“, fragte Cifer, als sie im Raumschiff waren. Squall hob ahnungslos die Schultern. „Keine Ahnung!“, sagte er leise. Er machte sich wirklich Sorgen um Rinoa, die jetzt ganz allein bei der Oase lag. Am liebsten wäre er zurück gerannt. Aber er wusste, dass sie recht hatte. Die anderen brauchten seine Hilfe.
Außerdem war er Hyne etwas schuldig.
„Es ist anstrengend, die Gedanken eines Menschen zu lokalisieren.“, meldete sich plötzlich Vandell. „Ich hab’s nie geschafft.“
Squall starrte ihn an. „Ihr habt das nie geschafft?“ Vandell nickte ungerührt. „Ich habe kein Talent für Telepathie. Meine Stärken liegen woanders.“, meinte er. Demonstrativ zog er seine Waffe. Er sah Squall an. „Und hör auf, mich mit ‚Ihr’ und ‚Euer’ anzureden. Ich bin nur ein Ritter, wie du auch! Wenn du so seltsam mit mir redest, komme ich mir uralt vor.“
Cifer lachte leise. Squall blinzelte überrascht. „Okay... Vandell.“, sagte er schließlich. Nach kurzem Überlegen fügte er hinzu: „Und du bist uralt!“
Vandell lächelte. „Stimmt. Ich vergesse es immer wieder.“, sagte er. Er drehte sich um und huschte zum nächsten Durchgang. Cifer und Squall folgten ihm so leise wie möglich. Als Squall um die Ecke spähte, bemerkte er, dass sich ein langer Korridor vor ihm erstreckte. Es war kein Mensch zu sehen. Aber ein leises Geräusch konnte er hören. Ein leises, ersticktes Wimmern drang aus einer der Türen, die an den Korridor anschlossen. Auch das etwas lautere Stöhnen eines Mannes war zu hören. Ekelhaft!
Plötzlich huschte Cifer zu der Tür. Vandell und Squall folgten ihm ebenso leise. Die Tür war nur angelehnt. Cifer stieß sie leise auf.
Ein junges Mädchen lag auf einem Bett in dem Schlafzimmer. Sie starrte an die Decke und versuchte, nicht auf den Mann zu achten, der auf ihr lag und sie an allen möglichen Stellen berührte und küsste. Squall erstarrte, als er ihre Augen sah. Sie waren nicht wie die Augen von Vandell oder Hyne, nein, sie waren ganz normal!
Das Mädchen war ein normaler Mensch!
Ehe die Anderen ihn zurückhalten konnten, trat Cifer in den Raum. Squall unterdrückte einen Fluch und folgte ihm. Vandell schlich ebenfalls hinterher und schloss die Tür hinter sich.
Cifer blieb neben dem Bett stehen. Scheinbar interessiert beugte er sich über die Beiden. Das Mädchen schrie leise auf. Der Mann fuhr hoch und sah Cifer entgeistert an. Der grinste ihm ins Gesicht und schlug ihn nieder. Bewusstlos blieb der Mann liegen. Das Mädchen raffte hastig seine Kleider zusammen und starrte Cifer ängstlich an.
„Mann! Böses Foul!“, meinte Squall und verzog das Gesicht, als er das blutverschmierte Gesicht des Mannes betrachtete.
„Da werden Erinnerungen wach, wie?“, grinste Cifer. Vandell räusperte sich.
„Könnten wir dann wieder gehen? Wir müssen Hyne retten, schon vergessen?“ Seine Stimme klang etwas verärgert. Cifer drehte sich um und sah ihm frei ins Gesicht. „Gerne!“, meinte er gelassen. „Weißt du, wo sie ist?“ Vandell verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen und fixierte Cifer mit seinem durchdringenden Blick. „Nein!“, sagte er leise. Er klang ein bisschen verlegen. Er verschwand in einem Nebenraum, um ihn zu untersuchen.
Cifer wandte sich wieder dem Mädchen zu. „Hallo!“, sagte er. Er lächelte sie aufmunternd an. „Wie ist dein Name?“ Das Mädchen wich erschrocken etwas zurück.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde dir nichts tun.“, fuhr Cifer noch immer lächelnd fort. „Ich heiße Cifer. Der Kleine dort drüben ist Squall, und der Typ in Schwarz heißt Vandell. Er ist kein Verbrecher, auch wenn er so aussieht.“ Squall winkte kurz. Vandell kam aus dem Nebenzimmer zurück. „Das hab ich gehört!“, brummte er böse. Squall begann, das Zimmer nach einem Plan oder etwas Ähnlichem abzusuchen. Mit einem Ohr verfolgte er die Unterhaltung von Cifer und der Kleinen.
„Und wie heißt du?“, fragte Cifer wieder. Das Mädchen wurde rot.
„Salina, Herr!“, flüsterte sie kaum hörbar.
„Salina.“, wiederholte Cifer. Squall begutachtete Salina etwas genauer. Sie war bestimmt keinen Tag älter als sechzehn. Sie war ausgesprochen hübsch, mit ihrem schulterlangen, blonden Haar und den smaragdgrünen Augen. Aber sie schien noch immer sehr ängstlich zu sein.
„Okay, Salina, erstens: Nenn mich nicht Herr! Und zweitens: Was machst du hier?“ Die Röte auf Salinas Gesicht wurde noch etwas intensiver. „Was ich hier mache? Ich... ich bin eine chat’laà Herr... Cifer!“ Cifer warf Vandell einen hilfesuchenden Blick zu.
„Eine ••••.“, erklärte dieser. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen. Salina sah ihn mit großen Augen an, das heißt, sie starrte seine Augen an.
Cifer grinste, als ihm einfiel, das Trevor Vandell auch einen chat’laà genannt hatte.
„Ach, der Grauhaarige von vorhin hielt dich für Hynes Betthäschen?“, kicherte er. Squall verkniff sich ein Lachen und tat, als würde er weiter eine der Schubladen untersuchen.
Vandell zuckte die Achseln und starrte an Cifer vorbei. Noch vor einigen Stunden hätte er Cifer für diese Bemerkung enthauptet. Aber langsam gewöhnte er sich daran.
„Und was hieß das andere? Das, was Hyne gesagt hat?“, bohrte Cifer weiter. „Del’catá?“, half Squall nach. Vandell hob wieder die Schultern. „Weiß ich nicht!“, antwortete er kurz angebunden.
Plötzlich meldete sich Salina. „Del’catá... das bedeutet ‚Ritter’... oder ‚Geliebter’ oder... äh... Ehemann...“, erklärte sie schüchtern. Vandell wurde rot. „Herzlichen Dank!“, murmelte er, während die beiden jüngeren versuchten, nicht laut zu lachen.
Cifer straffte die Schultern und wandte sich wieder Salina zu. „Gut, ich hätte da eine Frage...“, meinte er so ernst wie möglich. „Weißt du etwas von einer Gefangenen, die hierher gebracht wurde?“ Salina nickte langsam.
„Ja, der... der König hat seine... Tochter hergebracht. Die Prinzessin Hyne.“
„Prinzessin?“, fragte Squall verwundert mit einem Seitenblick zu Vandell. Der hob abwehrend die Hände. „He, sie hat mir nie etwas davon erzählt!“, protestierte er.
„Weißt du, wo sie jetzt ist?“, bohrte Cifer weiter. Salina nickte wieder. „Ich kann Euch hinführen, wenn... wenn Ihr wollt!“, sagte sie eifrig. Cifer lächelte sie an. „Danke. Ich weiß das Angebot zu schätzen.“ Salina wurde wieder rot. „Ich... äh... würde es Euch etwas ausmachen, wenn... wenn ich mir etwas... anderes anziehe?“
Verlegen wich Cifer etwas zurück. „Klar. Wir warten solange draußen.“ Er warf Vandell und Squall einen beschwörenden Blick zu. Squall verschwand sofort nach draußen, während Vandell den Mann packte, der gerade im Begriff war aufzuwachen, und ihn sich über die Schulter warf. Als er ihn nach draußen bringen wollte, krachte der Kopf des Mannes mit voller Wucht gegen den Türrahmen.
„Ups!“, machte Vandell und grinste. Squall grinste zurück. Cifer huschte als letzter aus dem Zimmer und schloss leise die Tür.
„Wir sollten den hier irgendwo verstecken.“, meldete sich Vandell zu Wort. Er deutete auf den leblosen Körper, der schlaff über seiner Schulter lag. Squall sah sich um und bemerkte einen Schacht, den er nach kurzem Herumwerkeln öffnete. Vandell ließ den bewusstlosen Mann einfach hineinfallen.
Kurz darauf schlüpfte Salina aus dem Zimmer. Statt den ••••ngewändern trug sie jetzt Jeans und eine weiße Bluse. Doch selbst in dieser abgetragenen Kleidung sah sie hübsch aus.
Sie winkte den drei Rittern und bedeutete ihnen, ihr zu folgen. Während sie die Drei durch die endlosen Korridore führte, schien sie etwas sagen zu wollen, ließ es dann aber doch bleiben. Als sie zu einem größeren, gut bewachten Tor kamen, deutete sie auf eine kleine Kammer, in die sie verschwand. Die anderen folgten ihr.
„Ich weiß nicht, wie ihr dort hinein kommen wollt, aber sie ist dort drinnen. Wo genau, weiß ich nicht.“ Sie starrte wieder Vandell an. Dann räusperte sie sich und fragte mit zittriger Stimme: „Ist es wahr, dass Ihr der del’catá der Prinzessin seid?“
Vandell schürzte die Lippen. „Ihr Ehemann bin ich nicht, und ihr Geliebter bin ich erst seit heute, aber der Rest dürfte stimmen.“, antwortete er. „Warum?“
Salina starrte ihn weiter an. „Nun, weil die anderen chat’laà haben von Euch erzählt... Aber sie haben gesagt, Ihr wärt ein... hässlicher Mischling, und dass Hyne ihr Blut... verunreinigt hätte, als sie mit Euch... ja... äh... Ihr wisst schon... und... lauter solche Sachen.“
„Ach was?“, fragte Vandell nachdenklich. „Man spricht hier von mir?“ Salina nickte mit hochrotem Kopf.
„Und? Bist du enttäuscht?“, wollte Vandell wissen. Sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Ich... finde nicht, dass Ihr ein... hässlicher... Mischling seid. Ihr seid... wunderschön!“, antwortete sie stockend.
„Herzlichen Dank!“, lachte Vandell. Er küsste charmant ihre Hand. „Es baut mein Selbstwertgefühl auf, das von einem so hübschen Mädchen zu hören.“
Salina traten Tränen in die Augen. „Hört auf! Ich weiß, dass ich nicht hübsch bin!“, weinte sie. Sie zog ihre Hand weg, als wäre Vandells Hand glühend heiß. Überrascht sah Squall sie an. „Quatsch!“, sagte er. „Du bist wirklich ein hübsches Mädchen.“ Salina hob den Blick ein wenig. „Nein, das bin ich nicht! Sonst hätte der König mich schon einmal zu sich gerufen.“
Squall winkte ab. „Du willst doch nicht wirklich mit ihm ins Bett, oder?“ Sie sah ihn verwundert an.
„Aber... ich kann doch... nirgendwo sonst mehr hin...“, stotterte sie.
Dann straffte sie sich und wischte sich die Tränen ab. „Ihr müsst gehen. Der König will Hyne heute noch zu sich rufen!“
Vandell nickte. Er nahm noch einmal ihre Hand und küsste sie sanft. Diesmal zog sie ihre nicht weg. „Ich danke dir, Salina. Ich stehe in deiner Schuld. Und Hyne ebenso.“ Er verließ die Kammer schnell. Squall sah zu Cifer hinüber, der die ganze Zeit sehr still gewesen war. Dann folgte er Vandell nach draußen.
Ehe Cifer ihm folgen konnte, wurde er von Salina zurückgehalten. „Cifer... ich möchte dir danken... weil du mir geholfen hast... vorhin.“, sagte sie leise.
„Keine Ursache!“, gab er zurück. Salina ließ ihn noch immer nicht los. „Ich... hätte noch eine Bitte...“ Cifer hob fragend eine Augenbraue. „Was denn?“
Salina sah ihm nicht in die Augen, als sie antwortete. „Ich habe noch nie... einen Mann... aus freien Stücken geküsst.“, flüsterte sie. Sie sah ihn erwartungsvoll an. Cifer lächelte schwach.
„Und warum erzählst du das ausgerechnet mir?“, fragte er. Salina sah wieder weg. „Ist... auch nicht wichtig. Vergiss es!“ Cifer sah, dass eine Träne über ihre Wange lief. Er wischt sie sacht weg. Salina zuckte zusammen, als er sie berührte.
„Es ist wichtig! Und ich werde es auf keinen Fall vergessen.“, sagte er leise. Er küsste sie sanft. Sie klammerte sich an ihn und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und weinte. Beruhigend streichelte er ihr Haar.
„Ich... ich glaube, ich... habe mich in dich verliebt!“, flüsterte sie. Er ließ sie schnell los.
„Nein, das hast du nicht!“, widersprach er. Er drehte ihr den Rücken zu. „Du bist mir nur dankbar, weil ich dir geholfen habe, nichts weiter.“
„Aber...“, versuchte sie ihm zu widersprechen, aber er schnitt ihr mit einer herrischen Geste das Wort ab. „Du kennst mich erst seit knappen fünfzehn Minuten. Du weißt nicht, was ich in der Vergangenheit getan habe. Wenn du es wüsstest, würdest du mich hassen, wie alle anderen auch.“, sagte er verbittert. Er drehte sich noch einmal zu ihr um. „Du solltest von hier verschwinden. Wenn dieser goldäugige Typ bemerkt, dass du uns geholfen hast, kriegst du Probleme.“ Ehe sie etwas sagen konnte, schlüpfte er aus der Kammer und schloss die Tür hinter sich.
Hyne lächelte, als sie den entfernten Lärm von klirrenden Schwertern wahrnahm. Sie machte eine Handbewegung und trug statt des Kleides plötzlich wieder den hautengen Lederanzug. Ein silberner Kettengürtel war um ihre Hüfte geschlungen. In ihrem Haar glitzerten silberne Bänder. Das Diadem mit dem Königsstein erschien auf ihrer Stirn.
Sie versuchte, Vandell zu lokalisieren, aber ihre Kräfte kamen nicht gegen den Zauber ihres Vaters an. Aber wenn sie erst aus dieser Zelle draußen war...
Sie hörte Vandell nach ihr rufen. „Vandell! Ich bin hier!“, schrie sie so laut wie möglich. Kurz darauf trat er die Tür ihres Gefängnisses ein. Hyne fiel ihm sofort um den Hals und brachte ihn damit beinahe zu Fall. Vandell ließ Soulkiller auf den kalten Boden fallen und drückte Hyne fest an sich. „Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein!“, flüsterte er. Hyne ließ ihn wieder los. Vandell betrachtete sie etwas genauer und grinste dann beinahe unverschämt. „Ich liebe es, wenn du diese Sachen trägst!“, meinte er. Hyne lächelte lasziv zurück. Sie legte eine Hand an die Hüfte und strich mit der anderen über ihren wohlgeformten Körper. „Was hältst du davon, wenn ich mir noch eine Peitsche besorge?“, gurrte sie. Vandell verzog das Gesicht. „Nein, danke. Es ist auch so schon anstrengend genug!“ Hyne legte ihre Arme um ihn. „Ach? Was du nicht sagst! Ich fasse das als Kompliment auf.“, kicherte sie. Vandell küsste sie zärtlich.
„Wie habt ihr mich so schnell gefunden?“, fragte sie etwas ernster. Vandell grinste wie ein kleiner Schuljunge. „Ich könnte jetzt sagen, meine Liebe hat mich zu dir geführt.“, meinte er. „Aber tatsächlich hat uns eine chat’laà deines Vaters geholfen.“
Hyne war überrascht, wie schnell er sich an das Verhalten der anderen Menschen angepasst hatte. Er wirkte beinahe schon so... äh... ‚normal’ wie Squall.
„Eine chat’laà?“, fragte sie nach. Vandell nickte. Er küsste sie kurz und wurde wieder ernst.
„Aber Squalls Hexe ist sehr erschöpft. Sie liegt draußen bei einer kleinen Oase. Du musst ihr schnell helfen!“ Hyne nickte. Sie nahm seine Hand. „Gehen wir!“, sagte sie. Vandell hob schnell sein Schwert auf und führte sie nach draußen. Hyne wich erschrocken einem Wächter aus, der an ihr vorbeitaumelte. Sein rechter Arm fehlte völlig; vermutlich war Cifer dafür zuständig, der ihm schnell nachsetzte und ihn ebenso schnell tötete. Er nickte Vandell zu, deutete eine Verbeugung vor Hyne an und durchbohrte einen weiteren Wächter. Über den Kampfeslärm hörte Hyne, wie Squall sich mit Cifer unterhielt. „...und dann wollte Quistis doch tatsächlich, dass ich die praktische Kampfausbildung für die achte Klasse übernehme!“, plauderte Squall gerade, ohne auf den Wächter zu achten, der versuchte, sich an ihn heranzuschleichen. Im letzten Moment wirbelte er herum und spießte ihn förmlich auf. Cifer grinste und wehrte den Schwerthieb eines Gegners ab, ohne hinzusehen. „Ich hoffe, du hast abgelehnt! Als Ausbilder wärst du eine Niete!“, sagte er fröhlich.
Es steigerte nicht unbedingt das Selbstvertrauen der Wächter, dass ihre Gegner sich nur am Rand mit ihnen beschäftigten.
Vandell bedeutete Hyne, sich nicht von der Stelle zu rühren und ließ sein Schwert auf einen der armen Teufel niedersausen. Hyne bemerkte, dass die Wächter jetzt offenbar eine andere Taktik anwandten; sie kreisten die Hexenritter ein und richteten ihre Pistolen auf die drei.
Squall hatte dafür nicht mehr als ein müdes Lächeln übrig. Blaue Blitze sprangen vom Boden auf ihn über. Wie vor einigen Stunden, als er Vanessa getötet hatte.
„Schicksalszirkel!“, brüllte er. Er sprang hoch und drehte sich einmal um die eigene Achse. Von seiner Waffe ging ein Feuerring aus, der die Wächter traf und sie vor Schmerz aufschreien ließ. Gleich darauf explodierte der Boden unter ihren Füßen. Squall setzte sicher wieder auf dem Boden auf, während die meisten der Wächter bewusstlos oder tot umfielen.
Er nickte Cifer zu. „Ich habe abgelehnt. Aber nur, weil ich als Schulsprecher schon ausgelastet bin.“, erklärte er im Plauderton.
Ein knappes Dutzend der Wächter waren aber noch immer auf den Beinen und richteten abermals ihre Waffen auf die Ritter. Hyne hob schnell eine der Pistolen eines toten Wächters auf und zielte auf einen, der Cifer gerade attackierte. Cifer stolperte beinahe, als der tote Wächter von hinten gegen ihn prallte. Er starrte zuerst Hyne, dann den Wächter an, und schüttelte den Kopf. Hyne erschoss einen weiteren Wächter und wich der Attacke des nächsten geschickt aus. Sie trat nach seinem Kopf und verfehlte ihn knapp. Schnell schlug sie ein Rad und fegte ihm blitzschnell die Füße unter den Beinen weg. Sie packte seinen Kopf und verdrehte ihn so ruckartig, dass sein Genick mit einem trockenen Schnappen brach.
Im Kampf ohne Waffen stand sie Vandell um nichts nach.
Vandell erledigte noch einen Wächter und war mit einem Satz bei ihr. „Wo hast du das gelernt?“, keuchte er atemlos. Offenbar strengte so ein Schwertkampf auf Dauer doch ziemlich an. Sie küsste ihn schnell und grinste ihn an. „Als Mitglied der Königsfamilie muss man auf einiges gefasst sein!“, antwortete sie geheimnisvoll. Vandell hob das Schwert schnell über den Kopf und wehrte damit die Attacke eines Wächters ab, der ihn nun mit dem Schwert attackieren wollte. Schnell drehte er sich um und zerteilte dabei den Wächter in zwei Hälften. Sonst war kein Wächter mehr zu sehen. Nun, zumindest kein lebendiger Wächter. Squall und Cifer untersuchten die Leichen nach etwas Nützlichem. Vandell drehte sich wieder zu Hyne um und schob Soulkiller in die Scheide. Hyne sah sich um und verzog das Gesicht. „Musste das denn sein?“, fragte sie angewidert. Vandell umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Nase. „Sie wollten mich nicht zu dir lassen! Das haben sie davon.“, erwiderte er ernst.
Hyne ließ ihn wieder los und ging zu Cifer und Squall. Vandell folgte ihr.
Squall richtete sich schnell auf, als er Hyne bemerkte. „Hyne, wir müssen schnell hier raus!“, bat er. Ein flehender Unterton lag in seiner Stimme. „Rinoa ist...“ Hyne nickte.
„Ich weiß!“, sagte sie leise. Sie zerzauste sein schweißnasses Haar. „Keine Angst, ich werde ihr helfen.“ Squall trat einen Schritt zurück. Er hasste es, wenn er wie ein kleines Kind behandelt wurde, auch wenn Hyne etwas älter als er war und sicher mütterliche Gefühle für ihn entwickeln durfte. Cifer kicherte.
Hyne hob fragend eine Augenbraue und lächelte. „Ich vergaß. Du willst ja nicht von einer anderen Frau als deiner Hexe berührt werden.“
Squall wurde rot. „Können wir endlich gehen?“, schnappte er. Vandell legte den Kopf schief. „Er erinnert mich immer mehr an jemanden, den ich recht gut kenne.“, sagte er an Hyne gewandt. Die nickte. „Oh ja, ich kenne ihn auch. Du meinst diesen schüchternen Typen, der sich über 6 000 Jahre bei mir gelebt hat und nie gewagt hat, allein mit mir zu sprechen? Der nachts immer in mein Zimmer geschlichen ist, und mich beim Schlafen beobachtet hat?“, fragte sie unschuldig. Vandell wurde rot und hielt die Klappe. Squall und Cifer hielten sich schon die Bäuche vor lachen. Vandell warf ihnen einen giftigen Blick zu. „Du ruinierst mir mein Image!“, grummelte er. Hyne sah ihn treuherzig an. „Kannst du mir noch einmal verzeihen?“, flötete sie.
„Du hast ja keine Ahnung, wie lange es gedauert hat, die Menschen davon zu überzeugen, dass ich ein kaltherziger, unfehlbarer Mann bin.“, brummte er beleidigt. „Kaltherzig? Vielleicht. Aber unfehlbar? Keine Chance!“, meinte Hyne grinsend. Vandell sah schmollend weg.
Hyne klimperte mit ihren langen Wimpern. Sie hakte sich bei ihm unter und sah ihn mit einem unwiderstehlichen Dackelblick an. „Ich bin zuhause auch gaanz brav! Versprochen!“, sagte sie mit einer seltsam kindlichen Stimme. Ihre Hand wanderte von seiner Brust über seinen Bauch weiter nach unten, bis er sie packte und etwas wegschob.
„Okay. Ich werde daran denken.“, kicherte er.
Squall und Cifer waren urplötzlich damit beschäftigt, die Innenausstattung des Raumschiffes zu begutachten. Squall stieß Cifer an und deutete auf den Ausgang aus dem Gefängnistrakt. Cifer nickte so würdevoll wie möglich, aber seine Mundwinkel zuckten verräterisch. Erst, als sie sicher waren, dass Hyne und Vandell sie nicht mehr hören konnten, prusteten sie wieder los. Cifer stützte sich an der Wand ab, während Squall sich auf eine Kiste setzte, die im Korridor herumstand.
„Sind die zwei immer so?“, fragte Cifer lachend. Squall schüttelte kichernd den Kopf. „Nein. Hyne war vor ein paar Stunden noch ein verbitterter Geist, und Vandell war bis vor kurzem ungefähr so wie ich früher. Nur schlimmer!“
Cifer wurde urplötzlich ernst. „Squall... ich möchte dich etwas fragen.“ Squall sah ihn fragend an. „Wie denkst du von mir?“, fragte Cifer leise. „Glaubst du auch, dass ich ein Versager bin?“
Squall starrte ihn überrascht an. „Warum sollte ich?“, fragte er verwundert. Cifer sah zu Boden. „Nun, weil... weil ich damals... Artemisia geholfen habe. Alle reden über mich. ‚Da ist der Verräter!’ ‚Das ist dieser Loser, der der Hexe geholfen hat!’ ‚Der Hexenritter ohne Hexe!’ Und lauter solche Dinge sagen sie über mich.“, sagte er leise und verbittert. Squall stand auf.
„Wer behauptet das?“, fragte er ruhig. Cifer sah ihn an. „Einfach alle! Die Kadetten im Garden. Die Leute in Deling City. Die SEEDs. Alle!“
Squall legte den Kopf schief. „Diese Leute haben auch geglaubt, dass ich ein gefühlloser Roboter wäre. Du darfst nicht darauf hören, was die Leute über dich sagen! Du bist ein guter Kämpfer! Und du stehst dazu, was du getan hast.“
Cifer sah wieder weg. „Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was denkst du?“ Squall überlegte kurz. „Ich hasse dich nicht, wenn du das meinst. Ich fand es früher ganz nützlich, dass du mich manchmal im Training geschlagen hast. Sonst wäre ich wohl noch eingebildeter gewesen, als ich es ohnehin schon war. Und nur, weil du deine Hexe beschützen wolltest, bist du kein schlechter Mensch.“ Er stockte kurz. „Ich hätte wahrscheinlich dasselbe für Rinoa gemacht.“, fügte er hinzu. Cifer lachte kurz und bitter.
„Nein, hättest du nicht.“ Er setzte sich hin. „Aber ich trage es dir nicht nach, dass du meine Hexe getötet hast. Du hast nur deinen Job gemacht.“ Er tat Squall irgendwie leid. Squall dachte daran, wie sehr Cifer sich verändert hatte, seit dieser Sache mit Artemisia. Cifer war ein charismatischer Anführer; das heißt, er wäre es gewesen, wenn er nicht immer so egoistisch gewesen wäre. Aber ein Mensch konnte sich ändern. Das wusste Squall am besten. „Cifer, wir müssen keine Feinde sein.“, sagte er leise. Cifer schüttelte den Kopf. „Hör schon auf! Deine Freunde würden es doch nicht verstehen. Besonders der Hasenfuß nicht. Er hasst mich!“
Squall verzog das Gesicht. „Wundert dich das denn, wenn du ihn immerzu so nennst? Xell ist kein Feigling. Und die anderen möchten dich sicher auch nicht zum Feind haben.“ Cifer starrte an ihm vorbei. „Ich weiß, dass alle mich für einen egoistischen Angeber halten, und ich weiß auch, dass ich daran selbst schuld bin, aber...“ Er sah Squall in die Augen. „...ich kann auch anders sein! Nur Fu-Jin und Rai-Jin wissen das!“ Er lächelte schwach. „Und du jetzt auch. Aber sag’s nicht weiter.“, fügte er hinzu. Squall zögerte nicht lange. Er hielt Cifer die Hand hin. „Ich sage nicht, dass wir Freunde sein können. Aber wir müssen keine Feinde mehr sein.“ Cifer zögerte noch einen Moment. Dann ergriff er Squalls ausgestreckte Hand.
„Gut. Ich bin nur mal gespannt, wie du das den anderen erklären willst.“, sagte er. Als Squall sich wieder umdrehte, hörte er noch, wie Cifer etwas murmelte.
„Danke, Kleiner!“
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