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Ehrengarde
Sie nahm lächelnd seine Hand und führte ihn in sein Schlafgemach. Er widersetzte sich ihr nicht. Schweigend blieb er vor dem Bett stehen. Unwillkürlich fiel ihm auf, dass er ungewollt sein Schlafzimmer sehr... romantisch eingerichtet hatte. Nur die flackernden Kerzen erhellten den Raum, in dem sich außer dem Bett nur wenige Möbel befanden. Die vorherrschende Farbe war ein dunkles Rot; Hynes Lieblingsfarbe. Vandell zuckte zusammen, als Hyne ihn berührte. Sein Herz raste, und beinahe hätte er sie einfach auf das Bett geworfen, sie in die weichen Kissen gedrückt, und sie wieder und wieder geküsst...
Hyne strich mit einer Hand über sein glänzendes, dunkles Haar und begann mit der anderen, sein Hemd aufzuknöpfen. Ihre Hand glitt über die Narbe, von seiner Stirn bis dicht über seinem Herzen.
„Woher kommt diese Narbe?“, fragte sie leise. Vandell sah an ihr vorbei und errötete leicht. Er zog ihre Hand weg. „Einer meiner... Nachfolger... hat dich vor langer Zeit beleidigt.“, flüsterte er mit rauer Stimme. Hyne sah ihn erstaunt an.
„Du hast gegen ihn gekämpft?“, vermutete sie.
„Ich habe ihn getötet!“, verbesserte er sie. Schockiert trat Hyne einen Schritt zurück. Sie legte eine Hand auf ihren Mund.
„Du hast einen deiner Söhne getötet? Meinetwegen?“, flüsterte sie ungläubig. Vandell sah ihr in die Augen. „Ich wusste nicht, was ich tat. Ich war damals wahnsinnig vor Schmerz, weil ich dich verloren hatte. Ich...“ Er verstummte. Offenbar sprach er nicht gerne davon.
Hyne umarmte ihn wieder. „Schon gut! Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst.“ Sie küsste ihn sanft. Dann presste sie ihre Lippen auf seine Stirn, auf die Stelle, wo die Narbe begann. Ihre weichen Lippen wanderten nach unten, immer der Narbe entlang. Vandell stöhnte leise. Als sie mit der Hand noch einmal die Narbe berührte, verschwand sie urplötzlich.
Zu ihrer Überraschung schob er sie jedoch wieder weg. „Bitte... ich... ich kann das nicht...“, stammelte er unsicher. Hyne ließ sich aber nicht abschütteln. „Etwas sagt mir, dass du es doch kannst!“, meinte sie lächelnd, als sie ihn wieder umarmte. Vandell wollte sie wieder wegschieben, aber seine Hände gehorchten ihm nicht. Er zitterte am ganzen Leib, als sie sich, noch immer lächelnd, an ihn schmiegte.
Hyne küsste ihn wieder, und glücklich registrierte sie, dass er ihren Kuss jetzt ohne Scheu erwiderte.
Er legte seine Arme um ihren Körper und drückte sie so fest an sich, als wolle er sie nie wieder loslassen. Seine Hände liebkosten ihren Körper, seine sanften und doch so starken Berührungen machten sie beinahe wahnsinnig. Hyne stöhnte leise, als er den Verschluss ihres Kleides öffnete und es über ihre Schultern zu Boden gleiten ließ. Sie schmiegte sich noch enger an ihn und riss ihm beinahe die Kleider vom Leib. Als er sie wieder küsste, beugte er sie leicht zurück. Hyne klammerte sich an ihm fest, als würde sie sterben, wenn sie ihn losließ. So lange... sie hatte so lange auf ihn gewartet! Sie hatte ihr Verlangen nach ihm nie befriedigen können, trotz ihrer hunderten Liebhaber. Immer, wenn sie ihn gesehen hatte, war ihre Sehnsucht noch größer geworden.
Und jetzt war er hier bei ihr, hielt sie in seinen starken Armen und küsste sie, so zärtlich und doch leidenschaftlich... Hyne gab einen erstickten Schrei von sich, als seine Hand tiefer glitt und sie an noch fester an sich drückte. Sie spürte seine Erregung deutlich, als er die weiche Haut an ihrem Hals küsste und sie auf das Bett legte.
„Ich liebe dich!“, flüsterte sie atemlos. Vandell fuhr fort, jeden Zoll ihrer zarten Haut zu küssen. „Ich liebe dich auch. Ich liebe dich, seit ich dich zum ersten Mal sah.“, gab er ebenso leise zurück. Er küsste sie wieder. Und wieder...
Rinoa brach hastig die Verbindung zu Hyne ab, die diese vor ihrem Verschwinden zu Rinoa aufgebaut hatte. Rinoa hatte alles beobachtet, was vorgefallen war, und es Squall erzählt, der sich bei ihr aufhielt. Aber was die beiden jetzt vorhatte, ging nun wirklich nur sie etwas an!
Die Bilder verschwammen rasch vor ihren Augen. Sie sah Squall an, der ihr gegenüber saß, und wurde rot, als sie daran dachte, was die beiden gerade machten.
„Was ist los?“, drang Squalls Stimme in ihre Gedanken. Sie schüttelte den Kopf. „Nichts!“, behauptete sie. Squalls helle Augen zeigten deutlich, dass er ihr nicht glaubte. Aber dann stand er achselzuckend auf. „Du willst es nicht wissen!“, versicherte Rinoa ihm. Er grinste. „Will ich nicht?“, fragte er. Rinoa schüttelte den Kopf. Squall nickte und sah zum Meer hinunter.
Das war auch einer der vielen Gründe, warum sie ihn liebte. Er wusste genau, wann er nicht weiter fragen durfte.
„Ich finde es schön, dass sie endlich zueinander gefunden haben.“, meinte sie lächelnd. Squall lächelte zurück. Rinoa liebte dieses Lächeln.
„Na ja, sie haben sich auch lange nicht gesehen.“, sagte er. Rinoa legte ihre Arme um seinen Hals. „Ich weiß gar nicht, ob ich es ohne dich so lange aushalten könnte. Die letzten beiden Monate waren schon schlimm genug!“, sagte sie leise. Squall küsste sie sanft. „Jetzt bin ich ja hier!“, erwiderte er.
Rinoa legte ihren Kopf an seine Schulter. „Ja. Gott sei dank!“ Sie sah in die Ferne, zum Meer, und dachte an Hyne und Vandell.
So standen sie einige Zeit, ehe sich Cifer zu ihnen gesellte.
„Nein, ist das nicht süß?“, grinste er. Squall ließ Rinoa nicht los, als er sich zu Cifer umdrehte. „Was willst du?“, fragte er. Seine Stimme klang diesmal nicht ganz so eisig wie sonst, wenn er mit Cifer sprach. Cifers Grinsen erlosch. Der großgewachsene, blonde Krieger funkelte ihn an. „Eine Erklärung!“, erwiderte er scharf. „Die anderen mögen sich ja damit abfinden, dass du sie hinhältst, aber ich will wissen, was es mit dieser rotäugigen Hexe und diesem Typ, der aussieht wie du, auf sich hat!“ Seine Stimme zitterte unmerklich. Er sprach nicht gerne mit Squall, wenn es nicht unbedingt sein musste, seit... nun, seit er ihn das letzte Mal besiegt hatte. Normalerweise beruhte das auf Gegenseitigkeit.
Aber seit Squall diese Armee von Hexenrittern gesehen hatte, fühlte er sich mit Cifer irgendwie verbunden. Immerhin war er Artemisias Hexenritter gewesen.
Cifer wartete immer noch auf seine Antwort. Langsam wurde er sichtlich nervös. Geduld war noch nie seine Stärke gewesen. Squall seufzte und ließ Rinoa los.
„Du kennst doch die Legende vom Schöpfer Hyne?“, fragte er. Cifer nickte langsam. Seine Augen sagten deutlich: Und was hat das mit meiner Frage zu tun?
„Nun, diese ‚rotäugige Hexe’ war Hyne.“, fuhr Squall fort.
Cifers Kinnlade klappte nach unten. „Wie?“
Squall lachte kurz. „Außerdem ist sie so etwas wie Rinoas Mutter. Sie war die erste Hexe überhaupt. Und was diesen ‚komischen Typen’ angeht; sein Name ist Vandell, und er ist ihr Hexenritter.“
„Also quasi unser Papi, wie?“, grinste Cifer. Er lachte laut auf. „Und du erwartest, dass ich das glaube?“, fragte er bissig. „Diese wandelnde Leiche soll...“
Weiter kam er nicht. Squalls Schlag kam so schnell, dass Cifer keine Chance hatte, ihm zu entgehen. Als er sich wieder aufrichtete, lief Blut aus seiner Nase, und sein Auge fühlte sich etwas geschwollen an. Squall stand mit blitzenden Augen und geballten Fäusten vor ihm, als wollte er noch einmal zuschlagen.
„Es ist mir egal, wenn du mich auslachst. Aber wenn du noch einmal Hyne beleidigst, werde ich dich eigenhändig umbringen!“, zischte er mühsam beherrscht.
Cifer trat schaudernd einen Schritt zurück. Solche Gefühlsausbrüche war er von seinem Gegenüber nicht gewöhnt. Normalerweise war Squall die Ruhe in Person und ignorierte solche Bemerkungen nach Kräften! Noch vor einem Jahr war er den anderen Schülern im Garden völlig emotionslos erschienen, und jetzt verteidigte er eine Frau, die er noch nicht einmal einen Tag lang kannte, wie ein wildes Tier!
Cifer wich noch einen Schritt zurück, als er in Squalls Augen sah. Eigentlich hatte Cifer vor nichts Angst, aber etwas in Squalls Blick sagte ihm, dass dieser seine Drohung wahr machen würde.
Eine Weile blieb die Situation noch angespannt, bis Rinoa Squall beruhigend eine Hand auf die Schulter legte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Squall entspannte sich allmählich und nahm widerstrebend die Hände herunter.
Cifer zog es vor, schnell zu verschwinden.
Als sie wieder allein waren, wandte sich Rinoa wieder Squall zu.
„Was soll das?“, fragte sie ihn leise. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“, gab er zu, „Aber als er Hyne beleidigt hat, da...“ Rinoa legte ihre Hand auf seine Wange. „Schon gut.“, sagte sie leise. Sie blickte in die Richtung, in die Cifer verschwunden war. „Ich kann ihn sowieso nicht leiden.“, fügte sie grinsend hinzu.
Einige Kerzen brannten noch, als Hyne wieder erwachte. Sie fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr. Sie nahm ihre ganze Umwelt intensiver wahr als vorher. Sie spürte deutlich das kühle Laken auf ihrem Körper, die Wärme, die von der schlafenden Gestalt neben ihr ausging... Vandell...
Vandell schlief noch immer. Seine Hände hatte er locker um Hynes Körper gelegt und sie im Schlaf näher an sich gezogen. Hyne richtete sich ein wenig auf und betrachtete ihn. Sein Gesicht war ruhig und entspannt, auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln. Hyne konnte sich nicht erinnern, wann er je so schön ausgesehen hatte. Er war einfach in jeder Hinsicht perfekt: Er sah gut aus, war ein hervorragender Krieger, ein strenger, aber gerechter Mann... und ein wundervoller Liebhaber, wenn auch etwas schüchtern.
Sie küsste ihn sanft und legte seinen Kopf an ihre Brust. Sie streichelte sein dunkles Haar. Es bildete einen hübschen Kontrast zu ihrer hellen Haut. Im Schlaf murmelte er ihren Namen.
Hyne schauderte, als er sich, noch immer schlafend, eng an sie kuschelte. Plötzlich spürte sie, wie er sich verspannte. Sie lächelte, als sie merkte, dass er aufgewacht war und nicht wusste, wie er sich verhalten sollte.
Hyne nahm ihm diese Entscheidung ab, indem sie seinen Kopf ein bisschen fester an ihre Schulter drückte. Sie spürte, wie sich sein Atem um eine Winzigkeit beschleunigte.
„Ich liebe dich!“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Statt zu antworten, nahm er ihre Hand und küsste sie sanft. Hyne sah ihn liebevoll an. Sie konnte in dem dämmrigen Licht nicht viel erkennen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er errötete, als sie ihm die Frage stellte, die ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge lag:
„Vandell... war es etwa dein erstes Mal?“ Zuerst antwortete er nicht. Als er es schließlich tat, zitterte seine Stimme leicht.
„Wieso... willst du das wissen? War ich... nicht gut?“ Hyne lächelte. Sie selbst hatte diese Frage auch gestellt, als ein Junge aus ihrer Heimat ihr die Unschuld genommen hatte. Er hatte ihr damals mit ausgesuchter Grausamkeit erklärt, was sie alles falsch gemacht hatte.
Später war sie sogar darin unterrichtet worden, mit einem Mann zu schlafen! Ihr Vater war der Ansicht gewesen, dass sie keine anständige Ehefrau abgeben würde, wenn sie nicht einmal wusste, wie man einem Mann Freude bereitete.
Hastig verdrängte sie diese Gedanken. Vandell wartete noch immer auf ihre Antwort. Sie schüttelte den Kopf.
„Nein! Es war wunderschön...“ Sie küsste sein weiches Haar. Er zitterte in ihren Armen. Seine Hand rutschte etwas tiefer und drückte sie fester an ihn.
„Vandell... Liebster... war es für dich auch schön?“, flüsterte Hyne. Vandell sah ihr in die Augen.
„Milady... ich bin über 9 000 Menschenjahre alt. Aber ich habe erst heute Nacht begonnen, wirklich zu leben!“, antwortete er ernst.
Hyne küsste ihn. „Es ist gut. Schlafe, mein Geliebter!“, flüsterte sie. Vandell fielen wie auf einen Befehl die Augen zu.
Erst als Hyne sicher war, dass ihr Zauber wirkte, ließ sie Vandell los und stand auf. Sie kleidete sich an und beugte sich noch einmal über den schlafenden Mann. Tränen brannten in ihren Augen. Sie drückte ihre Lippen auf seine Stirn und berührte sanft seine Wange.
„Leb wohl! Es tut mir leid.“, sagte sie, ehe sie weinend zum Ausgang rannte.
Selphie war die erste, die Vandell bemerkte, als er in den Garden stürmte. Er war noch bleicher als einige Stunden zuvor, seine Kleidung war unordentlich, in seinem Blick rang Schmerz mit schierer Verzweiflung. Und die Narbe in seinem Gesicht war verschwunden. Er rannte Selphie beinahe über den Haufen. Als sie ihn erstaunt anstarrte, packte er sie unsanft an der Schulter.
„Wo ist der Hexenritter?“, fuhr er sie an. Seine Stimme klang etwas schrill. Offenbar war er der Verzweiflung nahe.
Selphie wollte sich aus seinem Griff befreien, aber sie erreichte mit ihren Bemühungen nur, dass er sie auch mit der zweiten Hand packte. „Das tut weh!“, schrie sie.
„Antworte mir!“, brüllte er. Selphie schrie noch einmal auf, als er fester zudrückte.
Plötzlich riss jemand Vandell herum und verpasste ihm einen Hieb ins Gesicht, der ihn völlig überraschend traf und zu Boden gehen ließ. Xell zog Selphie von ihm weg und starrte den am Boden kauernden Ritter böse an. Von der Bücherei kamen Irvine und Quistis auf sie zugerannt. Irvine bemerkte sofort die roten Stellen, wo Vandell Selphie gepackt hatte. Beruhigend nahm er sie in die Arme, während sich Quistis neben Xell aufbaute.
Vandell richtete sich mit einiger Mühe wieder auf. Er strich geistesabwesend mit der Hand über das Gesicht. Von Xells Hieb war nicht einmal eine Schwellung zu sehen.
„Was soll das?“, fuhr ihn Irvine an, der die noch immer zitternde Selphie im Arm hielt. Vandell schien erst jetzt zu bemerken, was er gemacht hatte. Er starrte Selphie einige Sekunden an, dann schüttelte er den Kopf und sagte unsicher: „Ich... es tut mir leid! Ich muss den Hexenritter sprechen!“ Seine Erscheinung hatte nichts mehr mit seinem selbstbeherrschten Auftritt einige Stunden zuvor gemein. Offenbar stand er kurz vor einem völligen Zusammenbruch.
Irgendwie tat er den anderen leid.
„Was ist hier passiert?“, ertönte plötzlich Squalls Stimme über die Menge hinweg, die sich um Vandell und die anderen geschart hatte. Er stand beim Lift, aus dem er gerade getreten war. Rinoa war nirgends zu sehen.
Vandell rannte sofort auf ihn zu. Die schaulustigen Kadetten machten ihm hastig Platz.
Als er Squall erreicht hatte, fiel er vor ihm auf die Knie.
„Bitte, hilf mir!“, schluchzte Vandell. „Du bist meine letzte Hoffnung!“ Squall starrte ihn erschüttert an. Hier vor ihm kniete Vandell LaDiganè, der Ritter der Schöpferin Hyne, und weinte? Etwas wirklich Schlimmes musste passiert sein!
Squall zwang Vandell aufzustehen und führte ihn zum Lift. Im ersten Stock brachte er ihn in Squalls eigenes Büro, wo Vandell sich auf ein bequemes Sofa sinken ließ. Hier waren sie wenigstens vor den neugierigen Blicken der Kadetten geschützt.
Squall lehnte sich gegen den Schreibtisch und sah Vandell auffordernd an.
„Was ist los?“, fragte er leise.
Vandell strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und atmete tief durch. Als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, hob er den Blick und sah Squall direkt in die Augen.
„Hyne ist weg!“, sagte er tonlos. Es kostete Squall einige Überwindung, dem Blick des Ritters standzuhalten. Aber er schaffte es. Vandell sah als erster weg. Er wischte sich mit der Hand einmal über die Augen und fragte leise: „Weißt du, wo sie sein könnte?“
Squall schüttelte den Kopf. „Nein. Woher auch?“ Vandell schloss die Augen. „Du hast als letzter Mensch mit ihr gesprochen, darum dachte ich...“ Er verstummte und schwieg eine Weile. Dann sah er Squall wieder an. Diesmal lag Verbitterung in seinem Blick.
„Diese Kleidung... hast du sie von Hyne bekommen?“, fragte er. Verwirrt sah Squall an sich herunter. Er trug noch immer Vandells Sachen.
„Ja, aber...“, begann er, aber Vandell brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Schweigen. „Bevor oder nachdem sie sich dir... hingegeben hat?“, fragte er kühl. Squall ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten.
„Ich habe nicht mit ihr geschlafen!“, zischte er wütend. Er wusste nicht, wieso, aber es machte ihn wütend, wenn jemand Hyne beleidigte. Beinahe hätte er sich auf Vandell gestürzt, obwohl dieser die Hand bereits auf den Griff seines Schwertes gelegt hatte. Squall atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. „Wie kommt Ihr auf diese Idee?“, fragte er ruhig.
Vandell stand auf. Er drehte sich um und wollte gehen, aber Squall hielt ihn zurück. Vandell wirbelte herum und schlug wütend Squalls Hand weg. Seine Augen funkelten.
„Diese •••••••• hat mich nur benutzt! Sie hat ihren Spaß gehabt und ist abgehauen!“, schrie er. Aber selbst Squall konnte hören, dass er seine Worte nicht ernst meinte.
Unsäglicher Schmerz lag in seiner Stimme.
„Das ist nicht wahr! Und Ihr wisst das genauso gut wie ich.“, widersprach er Vandell. „Sie hat nur von Euch gesprochen, als ich sie getroffen habe. Und sie war verzweifelt, weil sie Euch nicht in den Tod folgen konnte.“
„Er hat recht!“, hörte Squall Rinoa hinter Vandell sagen. Sie trat neben ihn und sah Vandell mitfühlend an. „Ich bin mir sicher, dass sie Euch nicht verletzen wollte.“
Vandell starrte sie stumm an. Sie erinnerte ihn wohl an Hyne. „Aber wieso ist sie gegangen?“, fragte er schließlich heiser. Rinoa antwortete nicht.
Vandell drehte sich um und wollte gehen.
Plötzlich erinnerte sich Squall an sein Gespräch mit Hyne.
Es war mir verboten, einen Bann aus meiner Heimat auszusprechen. Beim ersten Mal würde ich einfach sterben. Beim zweiten Mal...
„Vandell!“, rief er aufgeregt. Der Ritter drehte sich um und starrte ihn hoffnungsvoll an. „Wo wurde Hyne damals von ihrem Volk ausgesetzt?“, fragte Squall etwas leiser.
Die Sonne ging auf. Hyne hatte so lange keinen Sonnenaufgang beobachten können. Dieser würde ihr letzter sein.
Die noch schwachen Sonnenstrahlen färbten die Wolken rot, der Himmel schimmerte golden. Die Sterne verblassten am Firnament. In dem riesigen Wald unterhalb des Plateaus, auf dem Hyne sich befand, begannen sich kleine und große Tiere zu regen. Vereinzelt hörte man einen Vogel zwitschern. Der Wind ließ die Blätter des Waldes rascheln. Die Luft schmeckte rein und unberührt. Das goldene Licht der Sonne ließ den Grandidieri- Wald in einem inneren Leuchten erstrahlen.
Aber Hyne konnte diesen Anblick nicht genießen. Jeden Moment würde ihr Vater sie holen. Sie zurückbringen zu ihrem Volk, um sie zu bestrafen, weil sie sein Verbot zweimal missachtet hatte. Die Bestrafung war Hyne egal.
Das einzige, was sie schmerzte, war, dass sie Vandell nie wieder sehen würde.
Sie betete zu ihren Göttern, dass er ihr vergeben würde. Sie selbst schaffte es nicht, ihr zu verzeihen, was sie ihm angetan hatte. Sie wusste, dass es falsch gewesen war, aber sie hatte es nicht verhindern können. Sie hatte so lange auf diesen Augenblick gewartet, und er war so zärtlich gewesen...
Hyne spürte, dass die Sonne ihre Tränen trocknete. Sie erhob sich. Der Wind zerrte an ihren Kleidern und an ihrem Haar. Hyne spürte ihn nicht. Sie spürte nur die immer stärker werdende Aura, die sich hinter ihr bildete. Sie hatte die Aura bereits gespürt, als sie mit dem frey’gen, einem Raumschiff, auf dem Planeten gelandet waren.
Ihr Vater war nicht allein gekommen. Hyne spürte die Anwesenheit ihrer Mutter, die anderen Frauen aus Vaters Harem, einige Diener und...
Sie erstarrte. Auch Trevor war gekommen. Der Adoptivsohn ihres Vaters und alleinige Erbe seines Reiches.
Der Mann, dem sie zur Frau versprochen war.
Sie drehte sich nicht um. Ihr Vater trat auf sie zu. „Du närrisches kleines Kind!“, lachte er leise. Erst jetzt drehte Hyne sich zu ihrem Vater um. Sie starrte ihm so lange in seine golden glühenden Augen, bis er sie schlug. Sie presste die Hand auf ihre brennende Wange. Sie hörte Trevors Lachen.
„Du sehnst dich wohl nach deiner Heimat?“ Es war keine Frage. Hyne antwortete auch nicht. Ihr Vater packte ihren Arm und zwang sie, ihn anzusehen.
Er war ein großer, gutaussehender Mann, mit goldenem Haar und goldenen Augen. Sein Gesicht war so elfenhaft wie das von Hyne, seine Haut war ebenso weiß. Etwas in seinen Augen sagte den Menschen, die mit ihm sprachen, dass er Spaß an den Schmerzen und am Leid Anderer hatte.
Trevor trat hinter ihn. Trevor war das Ebenbild ihres Vaters, obwohl er nur adoptiert war, nur sein Haar war silbrig grau und seine Augen von einem scheußlichen grün. Hyne schauderte, als sie ihn sah.
Ihre Mutter hielt sich im Hintergrund. Hyne hatte ihr Aussehen von ihrer Mutter geerbt. Selbst ihre Augen waren dieselben. Das Haar ihrer Mutter war jedoch eisblau gefärbt. Hynes Mutter trug ein äußerst knappes Kleid, das ihre... körperlichen Vorzüge betonte. Hyne fand, sie sah damit aus wie eine ••••, nicht wie eine Königin. Sie wirkte irgendwie abwesend, als ginge es hier nicht um ihre Tochter.
Ihr Vater lachte. „Du bist so still, Tochter. Hast du deinem Herrn nichts zu sagen?“ Er lächelte grausam. „Oder deinem Verlobten?“ Er schleuderte sie in Trevors Arme. Dieser lächelte ebenfalls. Seine Augen musterten sie gierig. Aber als er versuchte, sie zu küssen, rammte sie ihm das Knie mit aller Kraft zwischen die Beine. Trevor ließ sie mit einem erstickten Keuchen los und krümmte sich vor Schmerz. Als er eine Hand nach ihr ausstreckte, wich Hyne zurück. Sie konnte das unterdrückte Kichern einiger Frauen und Diener hören.
„Du kleine...“ Weiter kam Trevor nicht. Er schnappte nach Luft und versuchte, sich wieder aufzurichten. Hynes Vater lachte laut. „Ich sehe schon, diese Welt hat dir nicht gut getan. Wir werden dich wohl wieder anständig erziehen müssen!“ Er musterte sie mit dem gleichen Blick wie Trevor vor einigen Augenblicken. „Ich werde das selbst übernehmen!“, fügte er heiser hinzu.
Hyne spuckte vor ihm auf den Boden. „Eher werde ich sterben!“, schrie sie. Das Grinsen ihres Vaters wurde noch breiter. „Oh, daran werde ich dich hindern! Das wäre viel zu einfach.“
Hyne wurde übel, als sie sich vorstellte, wie diese Bestrafung aussehen mochte: Sie selbst in einem Kleid wie ihre Mutter, im Bett ihres eigenen Vaters...
Sie glaubte nicht, dass sie nach dieser einen Nacht mit Vandell noch die Berührung eines anderen Mannes ertragen konnte. Erst recht nicht die des Mannes, den sie am meisten verachtete.
„Wer ist Vandell?“, drang plötzlich Trevors Stimme in ihre Gedanken. Hyne zuckte zusammen. Ihr wurde klar, dass er ihre Gedanken gelesen hatte. Sie antwortete nicht. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie ihre Mutter hinter ihren Vater trat. Auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Schadenfreude, wie auf dem ihres Vaters. Eher... Mitleid!
War es möglich, dass ihre Mutter Gefühle für sie empfand?
Sie hörte, wie Trevor seine Frage wiederholte und verschloss ihre Gedanken vor ihm. Ihr Vater grinste sie noch immer an. „Gib dir keine Mühe, Kleiner! Sie wird nicht antworten.“
Trevor packte sie plötzlich an der Schulter und drehte sie zu sich um. Er verdoppelte seine Anstrengungen, ihre Gedanken zu lesen. Hyne verschloss sich noch mehr. Trevor grinste.
„Er ist wohl dein chat’laà?“, fragte er amüsiert. Sie verpasste ihm eine schallende Ohrfeige und riss sich wieder von ihm los. Trevors Grinsen wurde breiter. „Plötzlich so gewalttätig? Das gefällt mir!“
Hyne funkelte ihn an. „Er ist mein del’catá!“, zischte sie. Trevor lachte laut auf.
„Dein Ritter, wie?“, kicherte er. „Ein einfacher Mensch?“ Auch ihr Vater lachte. Einige der Diener kicherten ebenfalls. Aber die meisten der Sklaven blieben ruhig. Hynes Mutter starrte ihren Mann hasserfüllt an. Das überraschte Hyne nun wirklich!
Sie sagte nichts. „Wie auch immer!“, lachte ihr Vater. „Du wirst ihn ohnehin nicht mehr sehen.“ Er überlegte kurz und lächelte dann grausam. „Obwohl, ich könnte ihn mitnehmen und vor deinen Augen foltern! Würde dich das etwas gefügiger machen?“
Hyne erschrak. Ihr Vater würde diese Drohung wahrmachen, wenn sie nicht gehorchte, daran zweifelte sie nicht. Sie sagte nichts mehr, als Trevor sie in die Arme nahm und sie küsste.
Plötzlich sackte Trevor zusammen und ließ sie los. Hyne fiel auf die Knie und starrte ebenso wie er ungläubig auf den immer größer werdenden Blutfleck auf seinem schneeweißen Gewand. Aus seiner Brust ragte die Spitze eines schwarzen Schwertes.
„Nein... doch nicht so!“, krächzte er.
Vandell zog Soulkiller aus Trevors Körper. Die Leiche fiel vor ihm zu Boden.
Vandell kochte innerlich, als er diese Ratte von einem Mann niederstreckte, der es gewagt hatte, Hyne zu küssen. Er hatte genau gehört, was diese Männer zu Hyne gesagt hatten, und er hatte auch gehört, dass der Jüngere ihn selbst als chat’laà beschimpft hatte. Die ungefähre Übersetzung dieses Wortes war ‚Sklave’.
Im Sinne von ‚Liebesdiener’.
Aber am meisten hatte ihn der ältere Mann, der wahrscheinlich Hynes Vater war, erzürnt, als er von einer Bestrafung gesprochen hatte. Für die Blicke, die er dabei Hyne zugeworfen hatte, würde Vandell ihn töten.
Als die Leiche des jüngeren Mannes vor ihm im Gras lag, beruhigte sich Vandell soweit, dass er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Er rammte das Schwert in den Boden und kniete sich vor Hyne nieder, um sie zu umarmen. Sie klammerte sich schluchzend an ihn.
„Was machst du hier?“, flüsterte sie. „Sie werden dich töten!“ Vandell drückte sie fester an sich.
„Das sollen sie mal versuchen!“, beruhigte er sie. Er spürte, dass ihr Zittern tatsächlich etwas nachließ. Sie sah ihn an und küsste ihn innig. Sie legte ihre Arme um seinen Nacken und schmiegte sich eng an ihn. Vandell erwiderte ihren Kuss ebenso stürmisch, wobei ihm das Herz bis zum Hals klopfte. Am Rande bemerkte er, dass die beiden Ritter, die ihn begleiteten, sich zwischen ihn und Hyne und ihren Vater stellten.
Cifer, der blonde Junge, sprühte nur so vor Vorfreude auf den Kampf. Der andere, Squall, war nur wenig beherrschter. Beide zogen ihre Waffen.
Vandell ließ Hyne los. „Das ist Wahnsinn!“, versuchte sie es abermals. „Du kannst sie nicht besiegen!“ Vandell küsste sie sanft auf die Stirn, packte seine Waffe und trat zu den beiden anderen Rittern. Er wusste, dass er von Hyne keine Hilfe erwarten durfte. Sie konnte ihre Magie nicht gegen ihr eigenes Blut einsetzen.
Ihr Vater starrte ihn an. Seine Augen funkelten. Und das nicht nur sprichwörtlich.
„Packt sie!“, brüllte er seinen Dienern zu. Sie gehorchten ihm sofort. Einige von ihnen kämpften ohne Waffen, einige hielten plötzlich gefährlich aussehende Fernwaffen in den Händen, aber die meisten kämpften mit Schwertern oder ähnlichen Waffen, wie ihre Gegner.
Vandell schätzte ihre Zahl auf ungefähr 90 bis 100. Sie würden für drei Hexenritter kein Problem sein.
Cifer war der Erste, der einen der weißgesichtigen Diener tötete. Seine Gunblade durchbohrte seinen Gegner und verwundete sogar noch einen schwer, der hinter dem Ersten stand. Squall schwang seine Waffe ebenso präzise. Er durchtrennte einem die Kehle, schlug einem zweiten die Hand ab, wirbelte herum und sprach einen ‚Ultima’ – Zauber auf die Fernkämpfer aus und wich im letzten Moment einem Schuss derselbigen aus.
Am schlimmsten aber wütete Vandell unter seinen Feinden. Er schlug dem ersten gleich den Kopf ab, sprang einen zweiten an und brach ihm mit einem Fausthieb das Genick, und als ein dritter vor ihm fliehen wollte, schleuderte er einen kleinen, aber wirksamen Wurfstern nach ihm, der den Feigling schwer verletzte. Er wirbelte auf der Stelle herum, trat aus der Drehung nach einem weiteren Diener und verfehlte ihn knapp. Hastig schlug er einen Salto, der ihn aus der Reichweite der Waffe seines Gegenübers brachte. Er riss Soulkiller nach oben, um einen Hieb eines weiteren Feindes abzuwehren, brachte seinen Gegner aus dem Gleichgewicht und spießte ihn regelrecht auf. Einer der Schützen traf Vandell. Der Schuss streifte ihn zwar nur, aber Vandell musste trotzdem die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien. Dankbar nahm er wahr, dass Rinoa, die sich in den Büschen am Rand des Waldes versteckt hielt, ihn sofort heilte.
Er bemerkte, dass Squall von einem Gegner angegriffen wurde, ihn aber nicht wahrzunehmen schien. Vandell war mit einem Satz bei ihm, und ein wuchtiger Schwerthieb spaltete den Diener beinahe bis zur Hüfte. Squall schien auch das nicht zu bemerken. Ein konzentrierter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Vandell schützte ihn, so gut er konnte und berührte ihn an der Schulter.
Squall erwachte so plötzlich aus seiner Erstarrung, wie er in sie verfallen war. „Eden! Mach sie fertig!“, brüllte er. Ein riesiger Schatten legte sich über die Kämpfenden. Gleichzeitig verschwanden alle Diener. Verblüfft sah sich Vandell um. Dann ging ihm ein Licht auf: Squall musste eine dieser G. F. eingesetzt haben, von denen er ihm erzählt hatte. Vandell hatte sich geweigert, diese Geister zu koppeln. Inzwischen überlegte er, ob das eine gute Idee gewesen war.
Als die weißgesichtigen Diener wieder sichtbar wurden, blieben die meisten von ihnen regungslos liegen. Einige hatten vom Angriff der G. F. schwere Verbrennungen davongetragen. Sie waren kaum noch fähig, ihre Waffen zu halten.
Ein knappes Dutzend scharte sich um ihren Anführer, Hynes Vater, der die drei Ritter mit seinen Blicken regelrecht aufspießte.
„Es ist noch nicht vorbei!“, fauchte er wütend. Er hob beide Hände und war plötzlich verschwunden. Ebenso seine Diener und Frauen.
Und mit ihnen auch Hyne.
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