Squall richtete sich auf. „Squall muss wirklich glücklich gewesen sein, wenn er solche Freunde hatte.“, rief er Irvine leise nach. Irvine blieb stehen.
„Ich hoffe, dass er glücklich war.“, gab er ebenso leise zurück, ohne sich umzudrehen.

Am Abend fand eine Trauerfeier zu Squalls Ehren statt. Squall war gerührt, wie viele Menschen gekommen waren, um von ihm Abschied zu nehmen. Menschen, die er noch nicht einmal persönlich kannte. Eigentlich hätte er eine etwas privatere Feier vorgezogen, aber was sollte er machen? Er konnte diese Menschen schlecht nach Hause schicken.
Seine Gedanken wanderten zu Rinoa. Was sie wohl gerade machte? Er musste unbedingt mit ihr reden! Aber er konnte nicht mit ihnen sprechen, solange Vanessa noch in dieser Sphäre war. Verdammt!
Jetzt schien sich etwas zu tun. Eine kleine Gruppe löste sich vom Rest der Menge und ging auf die Bühne zu, die auf dem freien Gelände vor dem Garden errichtet worden war, weil im Schulhof kein Platz für die vielen Leute gewesen wäre.
Squall spürte Tränen in den Augen, als er in der Gruppe seine Freunde erkannte. Selphie, Quistis und Xell trugen ihre SEED- Uniformen, Irvine kam ganz in schwarz: Schwarzer Mantel, schwarze Hose, sogar der Hut war schwarz!
Dann sah Squall Rinoa. Ihm stockte der Atem. Sie trug ein schwarzes Kleid, das die Schultern freiließ und am Hals mit einem dünnen Band befestigt war. Es war hoch geschlitzt, und in dem schwarzen Stoff glitzerten silberfarbene Fäden. Rinoa hatte ihr langes, dunkles Haar hochgesteckt, auch in ihrem Haar glitzerte Silber. Und sie trug die Kette mit den beiden Ringen, wie Squall sehr erfreut feststellte.
Sie sah aus wie eine Göttin!
Als sie auf der Bühne stand, wurde es sofort ruhig. Das war an sich schon ein Wunder, da sich wirklich viele Menschen auf der Alclad-Ebene eingefunden hatten.
Als sie begann zu sprechen, konnte jeder auf der Ebene sie hören, obwohl sie nicht einmal ein Mikrofon benutzte. Squall vermutete einen Hexentrick dahinter.
„Ich möchte mich kurz fassen.“, begann sie. Keine Einleitung, keine Begrüßung. Immer geradeheraus, was sie dachte.
„Ich will hier nicht über meinen verstorbenen Ritter sprechen. Ich weiß, dass er das gehasst hätte.“ Die schonungslose Wahrheit.
„Nein, ich möchte etwas ankündigen. Ich werde hier keinen neuen Hexenritter vorstellen, was viele vermutet haben.“ Squall jubelte innerlich, als er das hörte. Doch der Jubel klang schnell wieder ab, als er ihre nächsten Worte hörte.
„Ich werde noch heute sterben. Von meiner eigenen Hand.“ Wie bitte? Erstauntes Gemurmel wurde laut. Squall fühlte sich, als hätte ihm jemand kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Auch die anderen schienen erstaunt zu sein. Aber sie unternahmen nichts, als Rinoa einen kleinen Dolch aus ihrem Stiefel holte. Sie konnten gar nichts unternehmen, erkannte Squall, weil Rinoa sie irgendwie verzaubert hatte. Das galt auch für all die anderen Menschen, die hier versammelt waren. Nur Squall schien dagegen immun zu sein. Ein Magiestrang bewegte sich zwar auf ihn zu, erlosch aber, sobald er Squalls Hände berührte. Er dankte still Hyne für ihre Hilfe und schlich sich im Schutz der Schatten näher an die Bühne heran. Rinoa bemerkte ihn nicht.
„Ja, ich werde mir hier und jetzt das Leben nehmen. Ich könnte es nicht ertragen, ohne Squall zu leben.“, rief sie gerade in die Nacht hinaus.
Squall zog sich am Rand der Bühne hoch. Er schlich im Schutz der Schatten noch näher. Noch zwei Schritte...
Rinoa bemerkte ihn noch immer nicht. Dafür aber Quistis, die in seiner Nähe festgebannt war. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, dass er sich frei bewegen konnte, aber sie war durch Rinoa unfähig zu sprechen. Squall beachtete sie nicht. Er bewegte sich weiter auf Rinoa zu.
Rinoa hob den Dolch.
Als ihre Hand wieder heruntersauste, packte Squall ihr Handgelenk von hinten und verdrehte es so hart, dass sie überrascht aufschrie. Sie ließ aber den Dolch nicht fallen.
„Rinoa...“, sagte Squall leise. „Rinoa, bitte hör auf damit!“
Sie war im ersten Moment viel zu überrascht, um zu reagieren, aber dann versuchte sie, sich von ihm loszureißen. Er versuchte, sie weiter festzuhalten, aber sie wand sich so lange in seinem Griff, bis er sie loslassen musste. Sie drehte sich zu ihm um und starrte ihn wütend an. Squall wollte keine nähere Bekanntschaft mit dem Dolch in ihrer Hand machen, deshalb blieb er ruhig stehen und hob beschwichtigend die Hände. „Alles in Ordnung.“, sagte er leise. „Bitte leg die Waffe weg.“ Rinoa funkelte ihn an. „Wer bist du?“, fragte sie verärgert. Squall erinnerte sich an Hynes Verbot, mit seinen Freunden zu sprechen und sagte nur: „Ich bin ein Freund. Ich werde dir nichts tun, keine Angst. Leg jetzt den Dolch weg!“ Rinoa dachte nicht daran.
„Wie kannst du es wagen, von mir etwas zu verlangen?“, schrie sie außer sich vor Wut. Squall überlegte sich schon, wie er ihr den Dolch abnehmen könnte, ohne sie zu verletzen, als er eine Veränderung in ihrer Aura bemerkte. Er konnte im letzten Moment einem magischen Angriff ausweichen, den er ohne die Brille gar nicht bemerkt hätte. Er ließ sich zu Boden fallen und rollte sich blitzschnell zur Seite. Er sprang auf und bemerkte eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Plötzlich wurde sein Kopf herum gerissen und er spürte einen scharfen Schmerz an der Wange, wo Rinoas Dolch ihn streifte. Eher aus Überraschung taumelte er zwei Schritte nach hinten. Er stolperte über ein Kabel und fiel ungeschickt auf die Knie. Er hielt sich eine Hand an die Wange und bemerkte entsetzt, dass er die Brille verloren hatte. Schnell sprach er einen Zauber, um den Schnitt an der Wange zu heilen und überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Er sah, dass Rinoa sich für einen weiteren Angriff bereitmachte und traf eine Entscheidung. Als Rinoa wieder angriff, nahm er die Hand vom Gesicht und starrte sie an. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, als sie ihn erkannte, und sie zögerte einen Moment. Das war alles, was Squall brauchte. Er packte ihr Handgelenk und riss sie zu Boden. Blitzschnell war er über ihr, entwand ihr den Dolch und hielt sie fest, bis sie sich nicht mehr wehrte. Sie starrte ihn entsetzt an.
„Squall?“, flüsterte sie mit erstickter Stimme. Ohne zu antworten, küsste er sie sanft. Dann erinnerte er sich an die Tausenden von Menschen, die noch immer von Rinoa festgehalten wurden. „Lass los!“, flüsterte er eindringlich. Er spürte, dass Rinoa beinahe sofort gehorchte.
Das Publikum war zunächst noch still, aber nachdem sich Rinoas Magie verflüchtigte, begannen die Leute vereinzelt, sich wieder zu bewegen. Squall lächelte und half Rinoa wieder auf die Beine. Er küsste sie noch einmal.
Als Squall sich wieder von Rinoa löste und ihr in die Augen sah, brach sie in seinen Armen zusammen. Sie klammerte sich an ihn und weinte. Squall hielt sie fest.
„Squall... Aber ich dachte... ich...“ Rinoas Stimme wurde immer leiser und erstarb schließlich ganz. Squall hielt sie weiter fest.
Langsam kamen Irvine und die Anderen näher, um sich davon zu überzeugen, dass es wirklich Squall war, der vor ihnen stand. Squall wandte sich zu seinen Freunden um, ohne Rinoa loszulassen, die sich noch immer an seiner Schulter ausweinte. Irvine und Quistis starrten ihn einfach an, während Selphie und Xell sich sofort auf ihn stürzten und ihm zur Begrüßung um den Hals fielen. Was nicht so einfach war, da Rinoa sich noch immer an ihm festklammerte. Squall ließ diese lebhafte Begrüßung über sich ergehen, doch als Irvine und Quistis auch noch auf ihn zustürzten, drängte er sie sanft zurück. Seine Freunde strahlten regelrecht, während sie ihn genauer begutachteten.
„Squall! Du lebst noch?“ „Gottseidank! Aber wie...“ „Wie bist du hierher gekommen?“ Die Fragen sprudelten regelrecht aus ihnen heraus. Squall hob abwehrend die Hand.
„Später!“, bat er. „Ich werde es euch später erklären, aber jetzt bitte ich euch, mir zu helfen.“
Irvine runzelte die Stirn. „Was ist los?“, fragte er besorgt. Squall wollte antworten, aber plötzlich ertönte ein schrilles Kichern hinter ihm.
Natürlich Vanessa! Eines musste man ihr lassen; sie war pünktlich.
Squall achtete nicht auf den Aufschrei des Publikums, sondern wirbelte herum und zog mit einer fließenden Bewegung die Löwenherz. Xell zuckte zusammen, als die plötzlich sichtbare Gunblade dicht an seinem Gesicht vorbeizischte. Squall achtete nicht darauf.
„Alle sofort in den Garden! SEEDs mit ungerader Einsatznummer kümmern sich um die Leute und die Kadetten, die anderen bleiben!“, brüllte er so laut, dass trotz der herrschenden Panik überall sein Befehl befolgt wurde. Seine einzige Sorge war, ob die vielen Menschen auch in den Garden passen würden.
Vanessa wartete überraschenderweise, bis die Gäste in Sicherheit waren. Ein spöttisches Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Erst, als die SEEDs hinter Squall versammelt waren, begann sie zu sprechen.
„Squall, Squall!“, meinte sie kopfschüttelnd, „Du bist ein Dummkopf. Du hättest mein Angebot annehmen sollen.“ Sie legte den Kopf schräg und lächelte milde. „Aber ich gebe dir noch eine letzte Chance. Du könntest an meiner Seite über diese schwächlichen Menschen herrschen! Du würdest unsterblich sein! Überlege es dir gut!“
Squall verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Fahr zur Hölle!“, zischte er wütend. Möglichst unauffällig sah er sich nach Hyne um.
‚Wenn Vanessa kommt, werde ich dir helfen!’ , hat sie gesagt. Ha! ,dachte Squall verzweifelt.
Vanessa lachte. „Du weißt nicht, was du tust! Du willst dein Leben wegwerfen, nur um deinen Freunden zu helfen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Närrischer, kleiner Mensch!“
Squall überlegte fieberhaft, wie er sie hinhalten könnte. Dann fiel ihm etwas ein.
„Soweit ich weiß, bin ich aber nicht der Einzige, der dich je zurückgewiesen hat!“ Vanessas Lächeln erstarb abrupt.
„Vandell LaDiganè hat sich wohl auch nicht sonderlich für dich interessiert!“, fuhr Squall ungerührt fort. Er überhörte Rinoas halblaute Frage, wer Vandell sei, und konzentrierte sich weiter auf Vanessa. Die verzog das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse.
„Mag sein.“, gab sie zu. „Doch nur, weil diese Hexe ihn verzaubert hat!“
Squall unterdrückte ein Lächeln, als er sagte: „Hyne hat etwas anderes behauptet. Und, ehrlich gesagt, vertraue ich ihr mehr als dir!“
„Hyne? Ihr? Hä?“, murmelte Irvine hinter ihm verständnislos. Squall beachtete ihn nicht.
„Vielleicht fand er dich einfach nicht attraktiv!“, meinte er an Vanessa gewandt.
„Schweig!“, kreischte Vanessa und richtete eine Hand auf ihn. Aber Squall spürte keine Schmerzen, wie er beinahe erwartet hatte. Stattdessen nahm er endlich Hynes Aura war, die sich hinter Vanessa verdichtete.
Vanessa spürte es offenbar auch. Ihre Augen weiteten sich furchtsam.
Dann explodierte die Welt vor Squall in einem grellen Lichtblitz.
Als Squall die Augen wieder öffnete, sah er Hyne, die hinter Vanessa schwebte. Seltsames Licht umtanzte ihren Körper, ihre roten Augen waren halb geschlossen, ihr Haar bewegte sich, als führe ein Windstoß hindurch. Ein halb durchsichtiges Kleid schmiegte sich an ihre zierliche Gestalt. Kein Laut war zu hören.
Vanessa kauerte auf dem Boden und wagte es nicht, Hyne anzusehen. Ihre Gestalt wurde zunehmend durchsichtiger, bis sie aussah wie Squall, als er tot gewesen war.
Hyne hob den Blick ein wenig. Sie sah Squall direkt in die Augen.
„Du warst tapfer, junger Ritter. Doch nun lass mich mein Werk vollenden.“ Squall nickte und steckte die Gunblade weg. Er riskierte einen kurzen Blick auf Rinoa, die neben ihn getreten war. Sie starrte Hyne bewundernd an. Squall war sich ziemlich sicher, dass die anderen auch so zu Hyne aufsahen. Er konzentrierte sich wieder auf Hyne und Vanessa.
Vanessa hatte sich bereits wieder erhoben. Sie zeichnete seltsame Symbole in die Luft, doch auf eine Handbewegung Hynes verschwanden die Zeichen wieder. Vanessa schrie erschrocken auf und versuchte es noch einmal. Doch diesmal wich Hyne ihrem Angriff schnell aus und ging ihrerseits zum Angriff über. Sie stürzte sich auf Vanessa... und durch sie hindurch!
Irgend etwas veränderte sich. Vanessa schrie noch einmal und sank in die Knie. Hyne richtete sich wieder auf. Das seltsame Licht tanzte wieder über ihre Hände, hinauf zu ihrem Gesicht, und breitete sich schließlich auf ihren ganzen Körper aus.
„Vanessa Ginirae!“, rief sie, ohne sich zu Vanessa umzudrehen. „Lange genug habe ich dich geduldet. Dein Schicksal ist der Tod!“ Sie hob die Hände und begann zu singen. Das Licht wurde heller, während sie in der Sprache ihres Volkes den Bannzauber aussprach. Sie begann, langsam zu einer unhörbaren Melodie zu tanzen. Anfangs waren ihre Bewegungen noch ruhig und fließend, doch dann wurde sie immer schneller und ihre Stimme klang etwas schriller.
Dann, ohne Vorwarnung, wirbelte sie herum und richtete ihre Hände auf die am Boden kauernde Gestalt Vanessas. Einzelne Lichtfunken sprangen auf Vanessa über, bis sie von dem Licht vollständig eingehüllt war. Sie schrie schmerzerfüllt auf und krallte die Hände in ihr langes Haar.
Hyne blickte unbarmherzig auf die leuchtende Gestalt herab. „Stirb, Vanessa Ginirae!“, sagte sie leise. „Du kannst deinem Schicksal nicht entkommen.“ Vanessa richtete sich auf.
„Nein... aber... ich kann... kann... es... erträglicher...machen...“, keuchte sie mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht. Sie versuchte, ihre Hand zu heben, schaffte es aber erst beim dritten Versuch. Hyne wollte sie davon abhalten, aber sie kam zu spät. Vanessa grinste irre und flüsterte ein einziges Wort, das Squall nicht verstand.
Dann löste sie sich in einer Explosion aus grellem Licht auf.

Als Squall wagte, den Kopf wieder zu heben, war Vanessa endgültig verschwunden. Hinter ihm richteten sich die anderen wieder auf und schüttelten benommen ihre Köpfe. Hyne stand noch immer an der Stelle, wo sie Vanessa endgültig besiegt hatte. Sie wirkte etwas verwirrt.
Squall machte einige Schritte auf sie zu und blieb zwei Meter hinter ihr stehen.
„Hyne? Was ist los?“, fragte er vorsichtig. Hyne wandte sich zu ihm um. „Ich weiß es nicht...“, sagte sie langsam.
Squall versuchte es noch einmal. „Was hat sie gesagt?“
Hyne blinzelte. „Rache!“, antwortete sie nach einer Weile. „Aber ich weiß nicht...“ Sie brach erschrocken ab und starrte auf einen Punkt hinter Squall. Als er sich umdrehte, erschrak er heftig. Die ganze Alclad- Ebene war von Monstern aller Art bedeckt!
Rumbrum-Drachen drängten sich neben Morbolen, Quale und Schmelzdrachen duckten sich kampfbereit, Galchimesäras hüpften übermütig auf und ab. Stahlgiganten polierten ihre Schwerter, während Behemoths und Chimära-Hirne ungeduldig mit den Pranken scharrten.
So viele Monster auf einem Haufen hatte Squall zuletzt gesehen, als er die Träne des Mondes aus nächster Nähe bewundern hatte dürfen.
Alle SEEDs schrieen erschrocken auf, als sie diese unvorstellbare Meute von Monstern sahen. Irvine und Quistis holten sofort ihre Waffen hervor, doch sie wussten sehr wohl, dass dies nur eine nutzlose Geste war. Nicht einmal mit mehreren Aura-Spells könnten sie diese Monsterhorde besiegen.
Trotzdem zog auch Squall seine Waffe und gesellte sich zu seinen Freunden. Er konnte von Hyne keine Hilfe erwarten, die ohnehin schon von ihrem Kampf gegen Vanessa geschwächt war. Aber er wusste, dass sie ohne Hilfe verloren waren.
Squall biss sich auf die Lippe und sah sich um. Alle SEEDs standen gefasst in ihren Kampfpositionen da und versuchten, möglichst furchtlos auszusehen. Was ihnen nicht gelang. Nur Cifer und seine Freunde, die sich ebenfalls unter den anwesenden SEEDs befanden, musterten die Monsterhorde eher abschätzend als furchtsam.
Auch Laguna, Kiros und Ward waren geblieben, wofür Squall ihnen dankbar war. Laguna und Kiros waren mit ihren Waffen ernstzunehmende Gegner, und Ward, der seine Harpune natürlich nicht immer mit sich herumschleppte, konnte den Monstern auch mit bloßen Händen gefährlich werden.
Squall wandte sich zu Rinoa um, doch ehe er etwas sagen konnte, bemerkte er eine Bewegung auf einem Gipfel der Bergkette des Gualug-Gebirges.
Überrascht riss er die Augen auf.
Er ließ seine Waffe fallen.

Vandell beobachtete den jungen Ritter aus sicherer Entfernung. Er sah, wie er in einer großen Stadt seine Freunde um Hilfe bat, er sah, wie er sich als Beschützer des dunkelhaarigen Mannes ausgab, dessen Aura mit der des Jungen Ähnlichkeiten aufwies. Er sah auch, wie der Junge seine Hexe daran hinderte, sich selbst zu töten.
Und nun sah er, dass der junge Ritter Hilfe gegen die Monsterhorde brauchte.
Vandell war sich sicher, dass Vanessa die Monster beschworen hatte, bevor sie von einer Hexe vernichtet wurde, die Vandell zuerst für Hyne gehalten hatte. Aber er wusste, dass er sich irren musste. Hyne war in seinen Armen gestorben, und er hatte keine Chance gehabt, sie zu retten. Sie konnte es unmöglich sein!
Vandell schüttelte diesen unerwünschten Gedanken ab und konzentrierte sich. Er zog sein Schwert und trat aus seinem Versteck in den Bergen hervor. Er kletterte geschickt auf den Gipfel des höchsten Berges und beobachtete die Menschen, die gegen die Monster kämpfen wollten. Vor ihm fiel der Fels beinahe senkrecht ab.
Das Schwert Soulkiller in der einen, eine dünne Kette aus Silber mit seinem Abzeichen in der anderen Hand, stand er dort und ließ seinen Geist wandern. Silberfarbenes Licht erstrahlte rund um seine Gestalt, als er die Geister jener rief, die ihm zu Diensten waren. In der Ferne ertönte das Klirren von Schwertern und das Murmeln vieler Männer.
Vandell rief einige Worte in einer Sprache, die er von Hyne gelernt hatte. Er legte sich die Kette wieder um den Hals und packte das Schwert mit beiden Händen, hob es hoch über den Kopf... und rammte es mit aller Kraft in den Boden. Das Licht wurde heller, als er die Hände wieder hob und seinen Ruf wiederholte. Seine Hände bewegten sich ohne sein Zutun; sie schossen nach vorne und nach oben und öffneten ein Portal zu jener Welt, in der die Geister auf seinen Ruf warteten. Vandell packte seine Waffe wieder und hob sie mit einer Hand hoch über den Kopf. Blaue Schemen stürzten aus dem Portal hinter ihm. Sie alle trugen das Zeichen eines Ritters. Sie alle waren herausragende Kämpfer. Und sie alle waren tot.
Die toten Ritter formierten sich und bildeten eine Linie entlang der Kante. Vandell atmete noch einmal durch, trat vor... und sprang mit einem gellenden Kampfschrei in die Tiefe.

Squall zweifelte an seinem Verstand, als er den Mann springen sah. Er fiel etwa zweihundert Meter, ehe er auf einem Felsvorsprung landete. Dem Mann schien es nichts auszumachen; mühelos rollte er sich ab und sprang wieder. Er landete mitten in der Monsterhorde.
Und ebenso die Geister, die er gerufen hatte.
Die beiden Heere prallten mit fürchterlicher Wucht aufeinander. Zuerst schienen die Ritter den Monstern hoffnungslos unterlegen zu sein, doch ein Jeder von ihnen wütete wie ein Berserker unter den Monstern. Und sie hatten den Vorteil, dass sie bereits tot waren; die Monster konnten ihnen nichts anhaben. Die Ritter benutzten ausnahmslos Schwerter als Waffen, sie setzten nicht einmal Magie ein, um den Kampf zu erleichtern.
Plötzlich bemerkte Squall, dass der schwarze Krieger, der das Heer gerufen hatte, von Dutzenden Monstern umzingelt war.
Squall erhaschte einen Blick auf den Mantel des schwarzen Kriegers. Überrascht bemerkte er den Löwenkopf auf dem Gewand des Mannes. Ein weiterer Blick auf die Kleidung der anderen Krieger zeigte, dass fast jeder das Löwenzeichen trug. Es waren ausschließlich Hexenritter, die gegen die Monsterhorde kämpften!
Squall konzentrierte sich wieder auf den schwarzen Ritter. Er kämpfte mit einer wahnsinnigen Geschicklichkeit, die Squall unwillkürlich die Luft anhalten ließ. Er schlug einen Salto nach dem anderen, wich den Angriffen der Monster beinahe spielerisch aus und kämpfte manchmal auch waffenlos. Seine Martial-Arts-Technik ließ sogar Xell alt aussehen: Der Ritter rammte sein Schwert in die Scheide, brach einem Rumbrum-Drachen mit einem wuchtigen Handkantenschlag das Rückgrat, wirbelte herum, verpasste einem Chimära-Hirn einen Tritt in eines seiner vier Gesichter, der das Monster vor Schmerz aufheulen ließ, machte schnell wie ein Blitz einen Handstandüberschlag nach hinten, um dem Angriff eines Behemoths auszuweichen, zog wieder seine Waffe, zerteilte einen Morbol in zwei Hälften...
Aber Squall konnte sehen, dass seine Kräfte nicht ewig reichen würden. Der Ritter wehrte sich noch recht gut, aber gegen diese Übermacht würde er nicht lange wiederstehen können, zumal die Monster ihn unfair von hinten angriffen.
Ohne zu zögern, hob Squall seine Waffe auf und stürzte sich in den Kampf. Seine Gefährten taten es ihm gleich. Squall erreichte den schwarzen Ritter in dem Moment, als ein Stahlgigant gerade seine Waffe auf den Ritter heruntersausen ließ. Squall zerteilte den Stahlgiganten mit einem sauberen Schnitt. Der Ritter konnte der abgelenkten Klinge im letzten Moment ausweichen.
Squall konnte das Gesicht des Mannes unter der Kapuze nicht genau erkennen, aber er glaubte zu wissen, wem er gegenüber stand. Als er die rotglühenden Augen sah, die in den Schatten im Gesicht seines Gegenübers leuchteten, war er sich sicher.
„Ich danke Euch für Eure Hilfe, Vandell!“, rief er dem Anderen über den Lärm der Schlacht zu. Vandell sah ihn schweigend an. „Ich fühlte mich verpflichtet, dir zu helfen, junger Ritter!“, gab er schließlich zurück. Squall nickte ihm zu und erlegte einen Morbol, der zwischen ihnen aufgetaucht war, mit einem Herzensbrecher.
Plötzlich hob Vandell beide Hände über den Kopf. Das silberne Licht breitete sich wieder von seinen Handflächen über seine ganze Gestalt aus. Er murmelte einige seltsam klingende Wörter in einer Squall fremden Sprache. Sämtliche Geister auf dem Schlachtfeld begannen ebenfalls zu leuchten. Sie schwebten plötzlich zwei Meter über den Monstern. Sie hoben alle gleichzeitig die Hände.
Das Licht wurde immer heller, bis Squall geblendet die Augen schließen musste. Er hörte noch, wie Vandell etwas schrie, dann nur noch ein ohrenbetäubendes Brüllen. Er warf sich zu Boden und spürte, wie eine gewaltige Druckwelle über ihn hinwegbrauste. Die Monster brüllten im Chor auf. Dann wurde es wieder still.