„So weißt du es doch?“ Hyne sah ihn interessiert an.
Squall dachte angestrengt nach. Centra war seine Prüfungsfrage in Geschichte gewesen. Aber seine SEED- Prüfung war schon so lange her! Er versuchte, sich an die Frage zu erinnern. „3000 Jahre.“, sagte er schließlich. „Ich glaube, Centra entstand vor ungefähr 3000 Jahren.“
„Du weißt es nicht? Stammst du nicht aus Centra?“
„Nein. Centra wurde vor 100 Jahren von der Träne des Mondes zerstört.“
Hyne schwieg einen Moment. „Gab es viele Tote?“, fragte sie traurig. Squall hob die Schultern. „Keine Ahnung. Schätze schon. Ich war nicht dabei. Jedenfalls haben die Überlebenden angeblich den Staat Esthar gegründet und die Menschen von Esthar kolonialisierten den Rest der Welt. Mann, und ich dachte, Geschichte wäre zu nichts nütze!“
Hyne lächelte schwach. „Esthar... das bedeutet ‚Neuanfang’ in der Sprache meiner Ahnen.“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Squall.
Dann wurde sie wieder ernst. „Dass du hier bist, bedeutet, Vanessa ist wieder frei.“
„Wer ist...“, begann Squall, doch dann ging ihm ein Licht auf. „Oh. Die Herrscherin. Ja, die streunt irgendwo dort draußen herum und wartet darauf, dass ich hier raus komme. Könnt Ihr mir helfen?“
Doch Hyne drehte sich um und verschwand einfach hinter der Wand. Squall beeilte sich, ihr nachzulaufen. Er fand sich in einem leeren Raum wieder, in dessen Mitte Hyne stand und die Hände anklagend erhoben hatte. „Warum sind die Menschen hierher zurückgekehrt? Warum konnten sie mich nicht in Ruhe schlafen lassen? Wer war derjenige, der den Wächter besiegte? Wer?“, schrie sie schmerzerfüllt. Squall zuckte bei den letzten Worten zusammen. „Ich fürchte, das war ich.“, gestand er kleinlaut.
Hyne fuhr herum. Die Wut in ihrem Gesicht machte Resignation Platz.
„Natürlich.“, sagte sie müde. „Wer, außer einem Hexenritter, könnte solch eine schreckliche Bestie bezwingen?“
Squall wagte es nicht, etwas zu sagen. Er sah sie nur stumm an. Hyne schien ihm jedoch nicht böse zu sein. Sie lächelte ihn an. „Nun, vielleicht ist dies meine Möglichkeit, zu meinem Geliebten zurückzukehren.“ Sie schloss ihre unheimlichen, roten Augen und seufzte. „Vandell... ich vermisse dich so sehr...“, flüsterte sie.
Squall nahm all seinen Mut zusammen und fragte: „Ist Vandell Euer Hexenritter?“
Hyne lächelte. „Er war mein Ritter, ja. Doch ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass er noch leben könnte.“ Sie schien Squall nicht mehr wahrzunehmen. Ihr Blick war auf einen Punkt hinter der Wand gerichtet. „Er war mein Ritter, und noch so vieles mehr. Er war mein Freund, mein Bruder,... er wäre sicher auch mein Geliebter geworden, wenn uns mehr Zeit geblieben wäre. Er war mein Ein und Alles. Und doch habe ich bis zuletzt nie erfahren, ob er das Gleiche für mich empfand.
Aber wenn ich Vanessa endgültig von dieser Welt verbanne, kann ich aus diesem Dasein scheiden und ihm folgen.“ Ihr Blick kehrte in die Halle zurück. Sie sah so traurig aus, dass Squall sie am liebsten in die Arme genommen und getröstet hätte. Hyne legte den Kopf schief und sah ihn an.
„Dein Mitleid ist an mir verschwendet. Denke lieber an deine Liebste, die um deinetwillen weint. An deine Freunde, die um dich trauern. Nicht an eine 23 800 Jahre alte Frau, die dir ihre Probleme aufhalsen will. Anderen zuzuhören ist ohnehin nicht deine Stärke, nicht wahr?“
Squall starrte sie an. Für ihr Alter hat sie sich gut gehalten. , war sein erster Gedanke. Dann fiel ihm ein, dass sie eigentlich gar nichts über ihn wissen konnte. Er fühlte sich immer noch unwohl, wenn andere ihm ihre Probleme anvertrauten. Er wusste nie, was er dazu sagen sollte. „Aber woher...“ Er brach ab, als ihm einfiel, dass sie wahrscheinlich seine Gedanken lesen konnte. Immerhin war sie eine Göttin...
Einfach um etwas zu sagen, meinte er: „Ihr habt recht, ich bin kein guter Zuhörer. Aber ich möchte wissen, was passiert ist, und warum Ihr noch hier seid. Wenn das heißt, dass Ihr mir Eure ganze Geschichte erzählen müsst, dann werde ich sie mir eben anhören.“
Hyne lächelte. „Du bist ihm ähnlicher, als du glaubst. Nun gut, ich werde es dir zeigen. Gib mir deine Hand.“ Zögernd kam Squall ihrer Aufforderung nach. Plötzlich tauchten Bilder vor seinen Augen auf. Er erkannte, dass er durch Hynes Augen die Vergangenheit sah.
Kapitel 3: Hyne

Hyne schlug die Augen auf. Sie sah eine leere Landschaft. Vereinzelt nahm sie Leben auf diesem Planeten wahr, intelligentes Leben, Menschen, die in kleinen Gruppen über das Land zogen. Menschen, die kein Ziel hatten, außer dem zu überleben.
Sie fühlte sich einsam. Die Menschen fürchteten sie, weil sie anders war. Weil sie Dinge wusste, die sie auf ewig von ihnen unterscheiden würde. Die Menschen verehrten sie als Göttin. Aber keiner wollte zu ihr sprechen.
Nach einigen Jahren entschloss sie sich, einen Gefährten zu erschaffen. Er sollte ihr selbst ähnlich und unsterblich sein wie sie, sich aber von den Menschen nicht so sehr unterscheiden wie sie selbst. Er würde ihr Beschützer sein vor allen, die ihr schaden mochten. Zu dieser Zeit ahnte sie noch nicht, dass sie sich in den zurückhaltenden, schüchternen und doch so starken Mann verlieben würde. Das Gefühl, das die Menschen ‚Liebe’ nannten, war ihr völlig fremd.
Durch Magie schuf sie ihren Ritter, einen starken, schönen, ewig jungen Mann, dem sie den Namen ‚Vandell’ gab, was in der Sprache ihrer Ahnen soviel hieß wie ‚Beschützer der Göttin’.
Vandell gewann das Vertrauen der Menschen und zeigte ihnen, dass sie keine Angst vor Hyne haben mussten. Er zeigte ihnen auch, dass sie einsam war und sich nach der Fröhlichkeit und der Zuneigung der Menschen sehnte.
Von da an wagten es die Menschen, Hyne um Rat zu fragen und mit ihr zu sprechen. Sie verehrten sie aber noch immer als Göttin, deren Befehlen sie gehorchen mussten.
An ein Ereignis erinnerte sich Hyne besonders genau: Eines Tages befiel sie ein seltsames Fieber, das keines ihrer Heilkräuter bezwingen konnte. Sie war in Höhlen unter der Oberfläche geboren worden und aufgewachsen, bis sie mit fast 14 000 Jahren der Menschen auf diesem Planeten ausgesetzt worden war, weil sie sich geweigert hatte, die oft grausamen Sitten ihrer Ahnen anzunehmen. Sie hatte vor ihrer Aussetzung nie die Sonne gesehen. Und nun war sie dem ewigen Lichtschein der unbarmherzigen Sonne für fast tausend Jahre schon ausgesetzt gewesen.
Ihre Kräfte schwanden dahin, bis Vandell aus Angst um seine Herrin den Menschen befahl, eine Stadt unter dem Meer zu bauen. Nach weiteren tausend Jahren war mit Hynes Hilfe eine Stadt unter dem Meer entstanden, welche die Menschen ‚Shirkii tanea’ nannten, die ‚Stadt der alten Rasse’.
Hyne empfand Dankbarkeit für Vandell, der stets für sie gesorgt hatte und ihretwegen die Menschen dazu gebracht hatte, ihre vertraute Umgebung zu verlassen. Und sie empfand noch etwas anderes, das sie damals noch nicht definieren konnte; nun wusste sie, dass sie damals angefangen hatte, ihn zu lieben.
Nun lebten alle Menschen dieser Welt friedlich in Shirkii tanea. Bis Vanessa auftauchte.

Vanessa war eine wunderschöne junge Frau, die es genoss, von Männern bewundert zu werden. Sie war davon besessen, alle Männer und Frauen der Stadt zu ihren persönlichen Sklaven zu machen. Nach und nach scharte sie eine Menge Anhänger um sich, Männer, die ihr verfallen waren, und Frauen, die sein wollten wie sie. Aber Vanessa war damit nicht zufrieden. Sie wollte alle Menschen unter ihre Kontrolle bringen, deshalb ließ sie sich zur Königin der Stadt krönen und versuchte, Hynes Einfluss in der Bevölkerung zu unterbinden. Doch die Menschen vertrauten noch immer auf die Stimme ihrer Schöpferin Hyne und des Ritters Vandell.
War Vanessa früher nur machtbesessen, so wurde sie nun verrückt. Sie konnte es nicht ertragen, dass manche ihrer Untertanen den Befehlen der Schöpferin gehorchten und nicht ihren eigenen. Und sie konnte es nicht ertragen, dass der Ritter Vandell sie zurückwies. Ihre Verführungskünste schienen nicht an ihm zu wirken.
Vanessa begann, die schwarze Magie zu erlernen, um Hyne zu vernichten und Vandell zu ihrem Eigentum zu machen. Doch wie groß war ihr Entsetzten, als sie erkannte, dass Hyne nie sterben konnte, sofern sie es nicht selbst wünschte oder sie einen Zauberspruch ihrer Heimat aussprach, was ihr verboten war. Aber Vanessa gab nicht auf. Sie verlängerte ihr Leben durch unheilige, schwarze Magie und suchte weiter nach einer Möglichkeit, Hyne zu vernichten. Bis sie eines Tages durch Verrat an ein Buch Hynes gelangte, in dem ein Ritual beschrieben wurde, durch das Hyne von dieser Dimension in eine andere Welt ohne Magie verbannt würde.
Eines Tages marschierten Tausende ihrer Anhänger zu dem Palast der Schöpferin. In ihrer Mitte auch Vanessa, die sich von sechs Sklaven in einer Sänfte tragen ließ. Sie war begierig darauf, die verhasste Rivalin endlich zu verbannen...