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Ehrengarde
Kapitel 1: Der Auftrag
„Schulsprecher Squall, bitte sofort im Direktorat melden!“
Squall verdrehte genervt die Augen und stellte sein Glas Wasser mit einem Knall auf dem Tisch ab. Einige Köpfe in der Mensa drehten sich nach ihm um. Er kümmerte sich nicht darum. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass ihn überall im Garden die Schüler bewundernd beobachteten. Und er hatte sich daran gewöhnt, dreimal die Stunde von Direktor Cid ins Direktorat bestellt zu werden. Er hatte sich daran gewöhnt, aber es nervte ihn trotzdem.
Seufzend stand er auf und bemerkte beiläufig, dass sich die bewundernden Blicke nun auf die Waffe an seinem Gürtel richteten. Seine Gunblade ‚Löwenherz’ leuchtete in einem sanften Hellblau an seiner Seite. Er konnte schon beinahe die Gedanken der Kadetten hören: „Seht ihn euch an! Das ist Squall Leonhart. Der hat die Hexe Artemisia getötet! Wow! Cool! Was für ein Held!“ Und von den weiblichen Kadetten kam vereinzelt: „Mein Gott, ist der niedlich!“
Irvine erhob sich ebenfalls und sie gingen gemeinsam in Richtung Ausgang. „Ich verstehe das nicht! Wieso bist du jetzt der große Held? Ich war auch dabei, als du diese Hexe erledigt hast!“, scherzte er. Squall lächelte flüchtig. „Glaub mir, ich würde jederzeit tauschen, wenn ich könnte.“ Irvine grinste. „Nee, danke, ich verzichte. Es wäre mir echt zu stressig, in deiner Haut zu stecken. Aber...“ Er sah über die Schulter zurück. „Du könntest mir ja deinen Fanclub überlassen.“ Squall drehte sich ebenfalls um. Ein paar Mädchen sahen ihm sehnsüchtig nach. Seit er die Hexe besiegt hatte, war er anscheinend der Mädchenschwarm im Garden. Die Bemerkungen der anderen, er wäre das auch schon vorher gewesen, überhörte er jedes Mal gewissenhaft. „Nun, dein Fanclub ist genauso groß wie meiner, würde ich sagen. Außerdem würde ich sie dir ebenfalls gerne abtreten, wenn ich könnte.“
Irvine grinste schräg. „Wenn ich es recht bedenke, wäre das vielleicht doch keine gute Idee. Damit wäre ich wohl überfordert.“ Als Squall ihm einen ungläubigen Blick zuwarf, hob er die Schultern und meinte: „Hey, sogar ein Supertyp wie ich hat Grenzen!“
Beinahe hätte Squall laut aufgelacht. Aber eben nur beinahe.
„Verzeih mir, Großmeister der Gunblade und Schulsprecher dieses großartigen Gardens“, meldete sich Irvine wieder, „Ich muss hier in die andere Richtung.“ Er deutete auf die Quartiere. Als Squall in diese Richtung sah, krampfte sich sein Herz zusammen. Er sah Selphie dort stehen und neben ihr... Rinoa. Er biss sich auf die Lippe und wandte sich abrupt von Irvine ab. „Okay“, sagte er mit einer, wie er hoffte, sicheren Stimme, „wir sehen uns später.“ Bevor Irvine etwas sagen konnte, lief er schon in Richtung Lift. Er blinzelte die Tränen weg, die in seinen Augen brannten.
Vor zwei Monaten hatte es angefangen. Er und Rinoa hatten wegen einer unbedeutenden Kleinigkeit gestritten und seitdem gingen sie sich immer aus dem Weg, soweit es in diesem Gebäude nur möglich war. Nun ja, so unbedeutend war diese Kleinigkeit vielleicht doch nicht.
Squall hatte Rinoa gesehen, als sie einmal mit Cifer gesprochen hatte und hatte sich daran erinnert, dass die Beiden eine gemeinsame Vergangenheit hatten. Daraufhin hatte er Rinoa zur Rede gestellt und, eifersüchtig wie er war, ihr vorgeworfen, dass sie wohl jeden Mann verführen würde, wenn sie die Gelegenheit dazu bekam. Danach hatte sie kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Was er ihr auch wirklich nicht übel nehmen konnte. Seine Freunde hatten versucht, mit ihm darüber zu reden, aber in den ersten Wochen war er einfach zu stolz gewesen, seinen Fehler zuzugeben. Jetzt bereute er das bitter. Er hätte alles gegeben, um seine Worte zurückzunehmen, aber jetzt war es wahrscheinlich schon zu spät, um sich zu entschuldigen. Er traute sich nicht einmal in ihre Nähe. Sie hatte nämlich offensichtlich beschlossen, ihn einfach zu ignorieren. Und das ertrug er noch weniger als alles andere. Wenn sie ihn anschreien würde, damit könnte er fertig werden. Aber nicht mit diesem eisigen Schweigen zwischen ihnen. Und das Schlimmste war: Seit dem Streit hatte sich Squall wieder immer mehr in sein emotionales Schneckenhaus zurückgezogen. Er wusste das, aber er hatte nicht vor, es zu ändern. Auch wenn seine Freunde darunter leiden mussten, langsam wurde er wieder zu dem zurückgezogenen Einzelgänger, der er vor seiner Begegnung mit Rinoa gewesen war.
Er vermisste Rinoa. Ohne sie hatte sein Leben keinen Sinn, so kitschig sich das auch anhören mochte.
Squall wurde aus seinen Grübeleien gerissen, als er im dritten Stock von Shou angesprochen wurde. „Der Direktor wartet schon auf dich. Ich glaube, diesmal ist es aber wirklich wichtig.“ Sie verstummte und sah ihn mitleidig an. „Hast du denn immer noch nicht mit ihr gesprochen?“, fragte sie. Squall bedachte sie mit einem zornigen Blick. „Gibt es in diesem Garden denn noch irgend jemanden, der sich noch nicht zu meinem privaten Therapeuten erklärt hat?“, fauchte er wütend. Ehe Shou etwas erwidern konnte, lief er ins neu gestaltete Direktorat und knallte die Tür hinter sich zu.
„Ah, da sind Sie ja“, sagte Direktor Cid. „Bitte, setzen Sie sich doch.“ Er sah stirnrunzelnd auf. „Und bitte versuchen Sie, Ihre Wut nicht an meinem neuen Büro auszulassen.“ Er bedachte die Tür mit einem resignierten Blick. Als Squall sich umdrehte, bemerkte er, dass die Tür etwas schief in den Angeln hing. „Oh!“, machte er überrascht. Er hätte wohl nicht seine 100 Exemplare des Ultima-Zaubers mit Stärke koppeln sollen. „Tut mir leid.“, murmelte er. Cid winkte ab.
„Ich werde es ihnen einfach vom Sold abziehen.“, meinte er grinsend. „Nicht, dass Sie das Geld brauchen würden. Aber lassen wir das. Wir haben Wichtigeres zu besprechen.“ Er machte eine einladende Geste auf einen der bequemen Stühle vor seinem Schreibtisch. Squall setzte sich wortlos hin und starrte auf einen Punkt hinter der Wand. Er musste sich konzentrieren, als Cid ihn ansprach. „Sehen Sie sich das an.“ Er drückte einen Knopf auf dem Pult vor ihm. Ein Stück der Wandvertäfelung glitt zur Seite und gab den Blick auf einem Monitor frei. Ein älterer Mann war zu sehen. Offenbar hatte er große Angst. Seine Worte waren kaum zu verstehen, sie wurden immer wieder von Interferenzen überlagert. Squall verstand nur einige Wortfetzen: „...hören können... Ausgrabung... Forschungsinsel, im Stillen Ozean... Anderen umgebracht... weiß nicht...“ Der Mann sah nach links und sah plötzlich ganz ruhig aus. Er machte ein paar Schritte zur Seite und war nicht mehr auf dem Monitor zu sehen. Man konnte ihn noch schreien hören, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.
„Nun, was sagen Sie dazu?“, fragte Cid. Squall richtete seinen Blick auf den Direktor. „Er sagte etwas vom Stillen Ozean. War das nicht dieser Professor, der die Ausgrabung dort geleitet hat?“ Er überlegte einen Moment. „... Prof. Tikama?“ Cid lächelte. „Ich sehe schon, Sie vergessen nichts. Ja das ist... war der Professor. Dieser Funkspruch wurde seltsamerweise nur von uns empfangen. Nicht einmal die Techniker in Esthar haben ihn aufgefangen.“
Squall runzelte die Stirn. „Die Techniker von Esthar haben ihn übersehen?“ Cid schüttelte den Kopf. „Ich sagte nicht ‚übersehen’. Sie haben keinerlei Funkkontakt mehr mit dem Team seit ungefähr... acht Tagen.“
„Woher haben Sie diese Information?“, wollte Squall wissen.
„Ich habe mit dem Präsidenten persönlich gesprochen.“
„Oh, gut. Laguna ist vertrauenswürdig.“, meinte Squall lächelnd. Dann wurde er wieder ernst.
„Aber was habe ich damit zu tun?“, fragte er misstrauisch. Cids Lächeln verschwand. „Ich möchte, dass Sie mit der Ragnarok hinfliegen und nach dem Rechten sehen.“ Squall runzelte die Stirn. „Warum ich?“, fragte er. „Nun, da wären einige Gründe!“ Cid sah Squall noch einmal ins Gesicht und entschied sich schnell für eine Zusammenfassung: „Es läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass Sie der Einzige sind, dem ich diese Sache anvertrauen kann. Die Ausgrabung war streng geheim! Außerdem hat Präsident Loire darum gebeten.“ Squalls Stirnrunzeln vertiefte sich. „Okay. Gut! Und wo ist der Haken?“ „Haken?“
Squalls Blick wurde noch düsterer. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihm etwas verschweigen wollte. „Sie wollten doch noch etwas sagen, oder?”
Cid sah ihm in die Augen. „Squall, ich möchte, dass Sie Rinoa mitnehmen.“, sagte er leise. Squall versteifte sich. „Warum, wenn ich fragen darf?“, fragte er heiser. Cid rückte seine Brille zurecht. „Nun, sie ist eine Hexe! Sie könnte Ihnen nützlich sein.“
„Aber...“
„Schluss jetzt! Sie kann sehr gut auf sich selbst aufpassen, wenn Sie das ansprechen wollten. Und ich lasse es nicht gelten, wenn Sie sie aus persönlichen Gründen nicht mitnehmen wollen!“
Squall zuckte zusammen und senkte den Blick. Eine solche Schärfe in der Stimme des Direktors war er gar nicht gewöhnt. „Aber was ist, wenn sie nicht mit mir zusammenarbeiten will?“, fragte er schließlich. Cid schwieg einen Moment. „Das heißt, Sie haben nichts dagegen?“ Squall sah ihn wieder an. „Natürlich nicht! Aber es ist ihr vielleicht unangenehm...“
„Warum haben sie eigentlich gestritten?“, unterbrach ihn Cid.
Im ersten Moment war Squall zu perplex, um zu antworten. Dann stammelte er: „Aber ich dachte... Sie wüssten das...“ „Nein, ich weiß es nicht. Die ganze Schule redet über euch zwei, aber keiner weiß, warum ihr euch aus dem Weg geht!“ Squall murmelte etwas Unverständliches. Es hörte sich verdächtig nach „Verdammte Scheiße!“ an. „Sprechen Sie gefälligst deutlich, wenn ich mit Ihnen rede!“, sagte Cid verärgert. Squall atmete tief durch. Sein Blick huschte verlegen durch den Raum. „Ich war eifersüchtig... auf Cifer.“, gestand er kleinlaut. Cid hob überrascht die Augenbrauen. Dann begann er zu lachen. Squall sah ihn überrascht an. „Was ist denn so komisch?“, wollte er wissen.
Cid kicherte weiter. Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, meinte er grinsend: „Also, das ist mir in 20 Jahren Ehe erst einmal passiert. Und Sie schaffen es schon im ersten halben Jahr. Sie sind wirklich ein Phänomen, mein Junge. Weil Sie auf Cifer eifersüchtig waren, sagen Sie? Und deshalb haben Sie Rinoa zur Rede gestellt, und es artete dann in einen handfesten Streit aus, nicht war?“ Squall wurde rot und nickte.
„Und haben Sie sich schon bei ihr entschuldigt?“ Squall schüttelte den Kopf. „Ich wollte ja, aber sie hört mir nie zu!“, murmelte er. Cid wurde wieder ernst. „Nun, Sie werden aber mit ihr reden müssen, wenn Sie mit ihr zusammen arbeiten wollen.“
„Hä?“, machte Squall verständnislos. Cid grinste. „Vertrauen Sie mir. Sagte ich schon, dass ich mittlerweile 20 Jahre mit Edea verheiratet bin? Glauben Sie mir, sobald Sie sich entschuldigt haben, wird es viel besser werden. Nun, es kann eigentlich nur besser werden, finden Sie nicht auch?“
Squall stand auf. „Sind wir dann fertig?“, fragte er ungeduldig. Cid erhob sich ebenfalls. „Gut. Benachrichtigen Sie die Anderen. Ich werde mich einmal mit Rinoa unterhalten.“ Squall wollte noch etwas erwidern, doch dann wurde die Tür geöffnet und Rinoa trat ein. Er wusste das, ohne sich umzudrehen.
„Sie wollten mich...“, begann sie, doch als sie Squall bemerkte, verstummte sie augenblicklich. Squall sah sie kurz an, dann schlüpfte er an ihr vorbei nach draußen. Als er die Tür geschlossen hatte, blieb er noch einen Moment stehen, ballte die Hände zu Fäusten und atmete tief durch. Er ging langsam zum Lift und fuhr ins Erdgeschoss, wo bereits Irvine und Selphie auf ihn warteten.
„Okaaaay, Cheeeef!“, krähte Selphie fröhlich. „Was ist looos?“ Squall musste unwillkürlich lächeln. Das musste er bei Selphies seltsamer Aussprache immer. Selphie konnte zwar auch ‚normal’ reden, aber wenn sie gut aufgelegt war, bevorzugte sie ihren... etwas eigenen Dialekt.
„Das sag ich euch noch.“, antwortete er. „Holt Xell und Quistis und wartet in einer Stunde im Schulhof. Ich muss noch...“ Er schluckte. „Ich muss mit Rinoa reden.“
„Oh!“, machte Selphie. Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Viiiiiiel Glück!“ Dann drehte sie sich um und lief davon. Irvine seufzte. „Ist sie nicht süß?“, fragte er, dann rannte er ihr nach. Squall sah ihnen nach. Dann sah er wieder zum Lift. Nervös wartete er auf das Ende des Gespräches zwischen Cid und Rinoa. Er sah den Kadetten unten auf dem Rundgang zu, wie sie miteinander plauderten. Ein Pärchen küsste sich sogar, bis sie von einem Ausbilder deswegen gerügt wurden. Für die Schüler war so etwas innerhalb der Schule nämlich verboten. Wegen ihm und Rinoa war dieses Gebot für ausgebildete SEEDs aufgehoben worden. Manche Kadetten sahen auch zu ihm hinauf und tuschelten miteinander. Er lächelte. Früher hatte er die SEEDs genauso bewundernd angestarrt. Das war allerdings schon länger her, 12 Jahre oder so. Jetzt war er 18. Sein letzter Geburtstag vor drei Wochen war der traurigste in seinem Leben gewesen. Und Rinoa hatte sich den ganzen Tag nicht blicken lassen.
Hinter ihm räusperte sich jemand. Er drehte sich um und wollte etwas sagen, aber Rinoa kam ihm zuvor.
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