„Was ist mit Vandell?“, fragte Squall mit zitternder Stimme. Er spürte, wie Cifer neben ihn trat. „Du musst ihm helfen, Odin!“, meinte er ebenfalls. Von Vandells Leiche konnte man Hynes unterdrücktes Schluchzen hören. „Wieso? Wieso sollte ich das tun?“, fragte Odin verwundert. „Aber... er ist doch...“, stotterte Squall fassungslos. Cifer trat einen Schritt vor und hob drohend die Faust. „Du wirst ihm sein Leben zurückgeben, klar?“, fauchte er Odin an. Der wirkte etwas verwirrt. „Wie soll ich ihm das Leben schenken? Er ist doch noch am Leben!“, meinte er. Squall und Cifer fuhren überrascht zusammen. „Aber wieso wacht er nicht auf?“, fragte Squall leise. Odin hob die Schultern. „Der Ritter und Griever haben eine enge geistige Bindung. Wird der eine verletzt, verspürt auch der andere den Schmerz.“ Squall blinzelte. „Aber... Griever ist doch tot... und du sagst, Vandell ist noch am Leben?“ Er schüttelte den Kopf. „Sorry, ich steige aus.“
Odin legte den Kopf schief und sah ihn streng an. „Hast du schon vergessen, wie überrascht du warst, mich am Leben vorzufinden? Ich sagte dir doch, dass niemand eine G. F. töten kann.“ Er bedachte den goldenen Drachenkadaver, der sich langsam auflöste, mit einem finsteren Blick. „Niemand außer mir.“, fügte er hinzu.
„Aber er wird sterben, wenn du ihm nicht hilfst!“, schrie plötzlich Hyne. „Hast du denn schon vergessen, was er für dich getan hat, undankbare Kreatur?“ Squall und Cifer sahen sich verwirrt an. Squall beschloss, Hyne später zu fragen, was sie damit gemeint hatte. Odin schien zu überlegen. Dann nickte er. „Der Ritter der Schöpferin wird leben.“, versprach er. Dann war er verschwunden.
Plötzlich hörte Squall einen leisen Schrei. Als er herumwirbelte, sah er einen riesigen Vogel, dessen Gefieder in allen Regenbogenfarben glänzte. „Phönix!“, entfuhr es ihm.
Hyne sah zu dem riesigen Vogel auf. Ihre Stimme zitterte, als sie fragte: „Bitte... kannst du ihm helfen?“ Phönix antwortete nicht. Er breitete stattdessen seine Schwingen aus und erhob sich mit lautem Gekrächze in die Lüfte. Der Boden um Vandell und Hyne schien zu explodieren. Plötzlich schrie Vandell auf. Hyne drückte ihn fester an sich. Orange Flammen züngelten aus dem Boden und legten sich um Vandell und Hyne. Dann war es plötzlich wieder vorbei.
Vandell erhob sich langsam. Hyne fiel ihm mit einem Aufschrei um den Hals. Erschöpft, aber glücklich drückte er sie an sich.
Das Raumschiff wurde wieder sichtbar. Squall und Cifer traten neben Hyne und Vandell, die sich noch immer umarmten. Niemand achtete auf Gareth.
Der erhob sich wieder und brüllte: „Dafür werdet ihr bezahlen!“ Offenbar war seine Bindung zu dem Drachen nicht so stark gewesen, denn trotz Ashkrads Tod war er noch immer imstande, sie alle zu vernichten.
Hyne hielt Vandell zurück, der sich trotz seiner Erschöpfung auf ihren Vater stürzen wollte, und trat ihm allein gegenüber. „Du hasst mich, weil ich lieben kann? Weil ich Mitleid für diese armen Teufel empfinde, die dir dienen? Nur deshalb?“
„Nein!“, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme aus einem der angrenzenden Gänge. „Das ist nicht der einzige Grund.“ Hynes Mutter trat aus den Schatten. Glyna trug einen ähnlichen Anzug wie Hyne. Ihr eisblaues Haar war zu einem langen Zopf geflochten. In einer Hand hielt sie eine Art Waffe.
„Er hasst dich, weil du alles darstellst, woran auch ich einmal geglaubt habe. Alles, woran die Rebellen glauben.“ Sie sah ihre Tochter liebevoll an. „Auch ich habe einst gegen ihn gekämpft. Doch anders als du habe ich mich von ihm kaufen lassen. Ich wollte Macht, und er hat sie mir gegeben. Aber als du geboren wurdest und begannst, dich gegen ihn aufzulehnen, begann ich wieder zu hoffen. Ich hoffte, dass nicht alles umsonst war.“ Sie richtete ihren Blick auf ihren Ehemann. „Als er dich hierher verbannte, trat ich einer der Widerstandsgruppen bei, die sich nach deinem Vorbild gebildet hatten. Seitdem habe ich auf eine Möglichkeit gewartet, ihn zu töten!“ Sie hob die Waffe. Hynes Vater kreischte schrill und versuchte, einen Schutzschild um sich aufzubauen, aber er hatte nicht mehr genug Kraft. Ein verheerender Energiestrahl traf ihn mit voller Wucht und schleuderte ihn gegen die Wand. Röchelnd versuchte er, sich wieder aufzurichten, aber er schaffte es nicht. Er streckte eine grauenvoll verstümmelte Hand nach Glyna aus, als wollte er sie um Verzeihung bitten. Die Hand fiel schlaff herab. Aber er lebte noch immer!
Hyne und Glyna traten Seite an Seite neben ihn. Sie sahen stumm auf das verkohlte Etwas hinunter, das einmal ein mächtiger Zauberer und König gewesen war. Aber keine der Beiden schien gewillt zu sein, ihn von seinen Leiden zu erlösen.
Schließlich trat Vandell neben den König, der schon mehr tot als lebendig war. Er hob Soulkiller hoch über den Kopf und stieß es tief in das kalte Herz des Tyrannen. Mit einem erlösten Seufzer hauchte er seine rabenschwarze Seele aus.
Hyne schrie auf und packte ihn an der Schulter. „Was hast du getan?“, schrie sie. Vandell hielt ihrem zornigen Blick stand. Schließlich sah sie weg.
„Ich habe ihn von seinen Leiden erlöst.“, antwortete er ruhig. Hyne sah trotzig wieder auf. „Er hätte länger leiden sollen!“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Er hat Jahrhunderte, nein, Jahrtausende lang seine Familie und seine Untergebenen gequält! Er hat keinen schnellen Tod verdient!“
Vandell starrte sie schockiert an. Er schüttelte den Kopf. „Und das von dir? Du warst es, die immer gepredigt hat, wie wichtig eine Familie ist! Und dass man dem Menschen verzeihen soll, der einem am meisten geschadet hat!“ Hyne zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen.
„Du weißt doch gar nicht...“, zischte sie, aber Vandell ließ sie nicht ausreden. „Nein, vielleicht weiß ich nicht, was er dir angetan hat! Aber selbst du musst doch um deinen Vater trauern!“, brüllte er. „Ich habe keine Eltern! Diese beiden ebenso wenig!“ Er deutete auf Cifer und Squall. „Aber ich habe lange gebraucht, um über den Tod meiner Zieheltern hinweg zu kommen. Sie haben mich als einen der Ihren aufgezogen, obwohl sie wussten, dass ich nie zu ihnen gehören würde. Dass ich auf ewig ein Ausgestoßener sein würde. Und sie haben in Kauf genommen, von ihren Freunden geächtet zu werden, weil sie mich, einen Mischling, als einen der ihren aufgenommen haben!“ Hyne traten Tränen in die Augen. „Ich werde nie vergessen, wie meine Stiefbrüder mich verteidigten, wenn die anderen Kinder mich verspottet haben! Und ich werde niemals, hörst du, niemals die Tränen meiner Ziehmutter vergessen, als sie mich zu dir gehen lassen musste!“ Vandell stockte kurz, als er Hynes Tränen sah. Etwas leiser fuhr er fort:
„Damals wollte ich dich töten, weißt du das?“ Hyne starrte ihn entsetzt an. „Ich wollte dich töten“, fuhr er fort, „weil du mich einfach so erschaffen hattest, ohne nachzudenken, wie es für mich sein würde. Ich bin sehr einsam aufgewachsen. Ich hatte niemals Freunde. Auch keine Freundin. Und selbst meine Stiefbrüder haben sich im Grunde vor mir gefürchtet.“ Er machte wieder eine Pause. „Als meine Zieheltern mich zu dir schickten, wollte ich dich auf der Stelle töten. Aber dann habe ich dich gesehen.“ Er strich sanft eine Strähne ihres langen Haares aus ihrem Gesicht. „Ich habe gesehen, wie einsam und verloren du auf dem Thron gesessen bist. Du warst nicht viel mehr als ein Kind, das man in einen goldenen Käfig gesperrt hatte. Und alle hatten Angst vor dir. Du warst ganz allein. Wie ich.“ Er legte eine Hand an ihre Wange. „Damals habe ich gedacht, dass wir vielleicht gemeinsam einsam sein könnten.“, flüsterte er. Er nahm Hyne in die Arme. Sie schmiegte sich sofort an ihn und weinte.
Vandell war aber noch nicht fertig. „Squall kennt seinen leiblichen Vater erst seit einem halben Jahr. Aber er würde sterben, um ihn zu verteidigen! Und Cifer würde niemals zulassen, dass dem Ehepaar Kramer etwas zustößt, weil sie ihn aufgezogen haben! Ich kann mir nicht vorstellen, dass du überhaupt keine Gefühle für deinen Vater hattest.“
Hyne blinzelte ihre Tränen weg und sah noch einmal die Leiche ihres Vaters an. Ihre Mutter wirkte erschüttert. „Wie kannst du dir das nur gefallen lassen?“, fragte sie fassungslos. „Er ist nur ein Mensch! Er darf so nicht mit dir reden!“ Hyne sah wieder auf. Sie dachte lange über Vandells Worte nach.
„Aber er hat doch recht, Mutter!“, sagte sie leise. „Ich habe Vater irgendwie geliebt. Er wollte immer nur das Beste für mich. Dass seine und meine Ansichten verschieden waren, war doch nicht seine Schuld!“ Sie nahm Vandells Hand. „Und er darf mit mir reden, wie es ihm gefällt. Er ist mein del’catá!“ Glyna sog scharf die Luft ein. „Also ist es wahr? Du hast diesen Bastard erwählt?“ Hynes Hand schnellte vor und legte sich um Glynas Kehle.
„Wage es nie wieder, ihn zu beleidigen! Er war immer für mich da! Immer! Was ich von dir nicht behaupten kann.“, zischte sie wütend. Glyna riss sich wieder los. Zu Hynes Überraschung lächelte sie. „Eine andere Antwort hatte ich nicht erwartet. Ich habe gehofft, dass du hier glücklich wirst.“, sagte sie leise. Sie zog ihre völlig überrumpelte Tochter näher zu sich und küsste sie auf die Stirn. „Du hast meinen Segen, meine Tochter.“, flüsterte sie. Sie ging langsam auf Vandell zu, der ihrem Blick furchtlos begegnete. „Pass gut auf sie auf.“, sagte sie. Vandell nickte. Glyna nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und sah ihm lange in die Augen. Was sie dort sah, schien sie zufrieden zu stellen. „Ja.“, flüsterte sie. „Sie hat eine gute Wahl getroffen.“
Glyna drehte sich um und musterte Squall und Cifer, die still die ganze Szene beobachtet hatten. Sie nickte ihnen zu.
Dann wandte sie sich um und verschwand in einem der Korridore. „Leb wohl, mein Schatz!“, flüsterte sie, bevor die Schatten sie verschluckten. „Werde hier glücklicher, als du es bei mir sein konntest.“
„Ich liebe dich!“, erwiderte Hyne ebenso leise. „Du wirst mir fehlen.“
Verstohlen wischte sich Squall eine Träne von der Wange. Aber plötzlich hörte er, wie jemand hinter ihm die Rampe hinauf rannte. Als er sich umdrehte, bemerkte er überrascht Salina, die keuchend nach Atem rang. Cifer bemerkte sie auch. „Was machst du hier? Ich sagte doch, du sollst von hier verschwinden!“, herrschte er sie an. Sie beachtete ihn nicht und lief auf Squall zu.
„Draußen liegt ein Mädchen! Sie ruft immer wieder nach dir!“, keuchte sie. „Ich glaube...“ Bevor sie den Satz beenden konnte, stieß Squall sie unsanft zur Seite und rannte so schnell er konnte nach draußen. Er hielt sich nicht damit auf, die kurze Leiter am Ende der Lampe hinunter zu laufen, sondern sprang einfach über die Kante. Mit einer eleganten Rolle kam er wieder auf die Beine. So schnell er konnte, rannte er weiter. Die Palmen der Oase schienen so unendlich weit entfernt zu sein! Er rief immer wieder Rinoas Namen, aber sie antwortete ihm nicht. Panik machte sich in seinen Gedanken breit. Was ist, wenn sie tot ist, oder wenn... , dachte er, aber er zwang sich, diesen Gedanken abzubrechen.
Endlich konnte er Rinoa sehen! Sie lag näher an der Quelle, als er es in Erinnerung hatte. Ein feuchtes Stück Stoff lag auf ihrer Stirn. Offenbar hatte sich Salina um sie gekümmert. Sie war fürchterlich blass. Und sie bewegte sich nicht.
Squall fiel neben ihr auf die Knie und nahm sie sanft in die Arme.
„Rinoa! Bitte, tu mir das nicht an!“, flüsterte er. Sie bewegte sich nicht. Er drückte sie etwas fester an sich. „Bitte, sag irgend etwas! Rede mit mir! Rinoa...“ Er krallte eine Hand in ihr schweißnasses Haar und küsste ihre kalte Stirn. „Rinoa! Wach auf! Bitte...“ Tränen traten in seine Augen. „Du darfst mir hier nicht wegsterben!“, schrie er verzweifelt. Am Rande nahm er wahr, dass die Anderen sich der Oase näherten. Es war ihm völlig egal. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem ohnmächtigen Mädchen in seinen Armen.
Sachte strich er eine Strähne ihres pechschwarzen Haares aus dem bleichen Gesicht. „Rinoa! Bleib bei mir, bitte...“
Sie hörte auf zu atmen. „Nein!“, kreischte Squall entsetzt. „RINOA!“ Hastig fühlte er ihren Puls. Er spürte überhaupt nichts. „Nein!“, wimmerte er. „Oh Gott, bitte nicht!“ Er legte sie wieder in den warmen Sand und legte seine Hände vor das Gesicht. Tränen liefen über seine Wangen. Er vergaß alles um sich herum und weinte hemmungslos. Immer wieder flüsterte er ihren Namen, als könnte er sie dadurch wieder lebendig machen. Aber sie wachte nicht auf. Sie lag vor ihm, so bleich und still...
Squall ließ die Hände erst sinken, als jemand ihn an der Schulter berührte. Durch den Tränenschleier konnte er Hyne erkennen. Ihre Ähnlichkeit mit Rinoa sprang ihm jetzt besonders ins Auge. Er senkte den Blick wieder und schloss die Augen. Er ließ es zu, dass sie ihn in die Arme nahm und ihm beruhigend über das Haar strich.
„Sie ist tot!“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme. Hyne sagte nichts. Er öffnete die Augen wieder und sah Hyne ins Gesicht. „Das ist deine Schuld!“, schrie er. „Du hast gewusst, dass es gefährlich ist!“ Hyne wischte sanft eine Träne von seiner Wange. „Ja.“, sagte sie leise.
Squall sprang auf und taumelte einige Schritte zurück, bis er gegen eine Palme prallte. „Ja? Ist das alles? Kein ‚Es tut mir leid!’? Sie ist tot!“, kreischte er.
Hyne stand auf. „Das ist sie nicht.“, sagte sie ruhig.
Squall brauchte einige Zeit, bis er den Sinn dieser Worte erfasste. „Du... du meinst sie lebt...“, krächzte er. Hyne nickte. „Und ich werde sie wieder aufwecken.“, bestätigte sie.
Unsicher machte Squall wieder einige Schritte auf sie zu und wäre beinahe hingefallen, wenn Cifer ihn nicht schnell gestützt hätte. Er schüttelte unwirsch Cifers Hand ab und lief weiter auf Hyne zu. Er sank vor ihr auf die Knie und packte ihre Hand. „Bitte! Bitte, bring sie zurück! Bring sie wieder zurück zu mir!“, flehte er. Hyne zwang ihn aufzustehen. Sie lächelte ihn an. „Das werde ich, keine Sorge. Das bin ich dir schuldig.“
Sie kniete neben Rinoa nieder und atmete ruhig durch. Sie faltete ihre Hände vor der Brust. Mit ihrer angenehmen Stimme begann sie, ein leises, ruhiges Lied zu singen. Sie wiegte sich im Takt der Musik. Der Stein auf ihrer Stirn begann zu leuchten und breitete sein Licht über ihren ganzen Körper aus. Als Hyne die Augen wieder öffnete, wechselten sie die Farbe, zuerst rot, dann blau und schließlich ein so reines Weiß, dass es beinahe blendete. Hyne hob ihre Hände über den Kopf und sang etwas lauter. Zwischen ihren Händen bildete sich eine leuchtende Kugel, die heller strahlte als die Sonne, ohne zu blenden. Die Kugel schwebte langsam auf Rinoa zu. Hyne legte ihre Hände auf Rinoas Körper, die Handflächen nach oben. Die leuchtende Kugel legte sich auf ihre Hände und löste sich auf. Glitzernde Lichtteilchen breiteten sich über Rinoas Körper aus.
Plötzlich schrie Rinoa laut auf. Ihre Stimme war schrill, als verspüre sie unvorstellbare Schmerzen. Schaudernd erinnerte sich Squall daran, wie Hyne ihn selbst wieder auferweckt hatte. Rinoa lebte zwar noch, aber es schien genauso schmerzhaft zu sein. Er kniete sich neben Rinoa hin und nahm sanft ihre Hand. Ihre Augen waren weit geöffnet, aber sie schien Squall nicht zu sehen. Ihre Hand schloss sich so fest um seine, dass er beinahe aufschrie. Er umarmte sie und wiegte sie sanft. Sie hatte aufgehört zu schreien, aber ihre Fingernägel gruben sich äußerst schmerzhaft in seine Hand. Ihr Atem ging schnell und flach.
„Es tut so weh...“, flüsterte sie. Squall konnte sie beinahe nicht verstehen. „Squall? Wo bist du...“, rief sie plötzlich. Squall drückte sie etwas fester an sich. „Ich bin hier!“, sagte er leise. „Keine Angst, es ist gleich vorbei! Ich bin hier..“ Rinoa schien noch etwas sagen zu wollen, aber plötzlich bäumte sie sich auf, krallte ihre Hände in ihr Haar und schrie wieder auf. „Es tut so weh!“, kreischte sie wieder. Sie presste plötzlich ihre Hände gegen den Bauch und krümmte sich. Ihr Gesicht war vor Schmerzen verzerrt. Squall wurde unruhig. Bei ihm hatte es nicht so lange gedauert! Und er war tot gewesen, verdammt noch mal!
Hyne packte ihn plötzlich und zog ihn von Rinoa weg. Sie strich mit einer Hand über Rinoas Körper. Über ihrem Bauch verharrte sie. Ihre Augen weiteten sich erschrocken. Hastig winkte sie Vandell zu sich.
„Halt sie fest!“, befahl sie ihm. Keine einfache Aufgabe. Vandell hielt Rinoa so ruhig er konnte, aber sie wand sich noch immer vor Schmerz in seinem Griff.
Plötzlich wuchsen Hyne wie aus dem Nichts zwei weiße Schwingen aus den Schultern. Ein Ausdruck höchster Konzentration lag auf ihrem Gesicht. So sah Rinoa auch aus, wenn sie ihre Hexenmagie entfesselte.
Hyne legte eine Hand auf Rinoas Stirn, die andere auf ihren Bauch. Sie murmelte einige dunkel klingende Worte in ihrer Muttersprache. Dann schrie sie Vandell etwas zu, das Squall nicht verstand. Er starrte ängstlich in Rinoas schmerzverzerrtes Gesicht. Sie schlug wie wild um sich, als Vandell plötzlich losließ. Dann stieß sie einen markerschütternden Schrei aus und bäumte sich wieder auf. Sie krallte ihre Hände in den Sand. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten blicklos ins Leere.
Dann, von einer Sekunde auf die andere, war es vorbei. Rinoa fiel schlaff in den Sand und blieb still liegen. Erst nach einigen Sekunden wagte Squall, sie zu berühren. Ihre Haut war kalt, aber sie atmete! Squall küsste sie sanft und drückte sie fest an sich. Er spürte, dass sie wach war, als sie ihre Arme um ihn legte. Er verbarg sein Gesicht in ihrem weichen Haar und weinte leise. Rinoa presste ihre zitternden Lippen kurz gegen seine Wange und lächelte erschöpft.
„Fast... hätte ich dich verloren!“, flüsterte Squall kaum verständlich. Rinoa war nicht fähig, irgend etwas zu erwidern. Ihr Körper schmerzte noch immer. Aber sie war glücklich.
„Ich glaube, du wirst ein längeres Gespräch mit deinem del’catá führen müssen!“, sagte plötzlich Hyne. Sie klang müde. Als Rinoa erschöpft aufsah, bemerkte sie, dass Hyne damit sie gemeint hatte. Wusste sie etwa, dass...?
Rinoa nickte langsam. Sie schloss wieder die Augen und legte ihren Kopf an Squalls Schulter, der inzwischen aufgehört hatte zu weinen. Er küsste sie zärtlich und sah ihr tief in die Augen. Rinoa lächelte schwach und hob eine Hand. Squall nahm sie und berührte sie sanft mit seinen Lippen. Er strich liebevoll eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und küsste sie noch einmal. Rinoa versuchte, etwas zu sagen, aber ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Sie versuchte es wieder, und diesmal gelang es ihr, „Ich liebe dich!“ zu flüstern. Squall lächelte und erwiderte leise: „Ich liebe dich auch!“
Hyne legte Squall eine Hand auf die Schulter und schob ihn sanft zur Seite. Rinoa sah sie an und hoffte, dass Hyne ihr Geheimnis nicht verraten würde. Hyne nahm Rinoas Gesicht zwischen ihre Hände und küsste ihre Stirn. Rinoa fühlte, wie neue Kraft in sie strömte. Sie wusste, dass dieses Geschenk der Schöpferin bald aufgebraucht sein würde, aber im Moment war sie kräftig genug, um aufzustehen. Squall stützte sie schnell, als sie schwankte. Dankbar lehnte sie sich gegen ihn. Als er sie hochhob und zu einem der Pferde trug, widersetzte sie sich ihm nicht. Er hob sie auf das Pferd und schwang sich hinter ihr in den Sattel. Rinoa spürte, wie er einen Arm um sie legte. Sie schloss die Augen und schmiegte sich eng an ihn.
Auch Hyne und Vandell ritten gemeinsam auf dem schwarzen Hengst. Salina schwang sich in den Sattel des Pferdes, das Rinoa geritten hatte, und Cifer saß schon auf seinem Rotfuchs. Vandell ritt voraus, in Richtung Esthar. Dort würden sie medizinische Hilfe für Rinoa und Hyne bekommen, erklärte er Squall, der sein Pferd neben ihn lenkte. Der nickte und ritt etwas schneller, als die Residenz sichtbar wurde. Er erkannte in der Menschenmenge vor dem Gebäude deutlich Ward, und neben ihm Kiros und Laguna. Offenbar waren sie gleich nach seinem Aufbruch nach Esthar zurückgekehrt. Squall stellte sich vor, wie es wohl auf die Männer wirken musste, die Pferde gute zehn Meter über dem Boden auf die Präsidentenresidenz zugaloppieren zu sehen. Er schrie Cifer, der hinter ihm ritt, zu: „Sag ihnen, sie sollen Professor Odyne holen. Wir warten in Lagunas Büro.“ Cifer nickte und lenkte sein Reittier auf den Platz, auf dem sich Laguna und die anderen aufhielten. Squall deutete auf das Dach der Residenz. Vandell nickte. Sicher setzten die Pferde auf dem Dach auf. Squall und Vandell schwangen sich beinahe gleichzeitig aus dem Sattel und hoben ihre Hexen herunter. Rinoa war noch immer wach, aber Hyne war in Ohnmacht gefallen. Die Rettung von Rinoa hatte sie offenbar ausgelaugt.
Salina blieb unschlüssig stehen. Sie wusste offenbar nicht, wohin sie gehen sollte. Squall nickte in Richtung des Liftes, der ins Innere der Residenz führte. „Na los, komm schon!“, sagte er. Salina schüttelte den Kopf. „Ich kann doch nicht... Das ist die Residenz des Präsidenten von Esthar!“, sagte sie erschrocken. Squall lächelte. „Ja, klar! Keine Angst, mein Vater wird dir schon nicht den Kopf abreißen. Besonders nicht, nachdem du uns geholfen hast.“ Salina starrte ihn mit großen Augen an. Offenbar erkannte sie ihn erst jetzt. „Du... du bist der Squall? Der Sohn des Präsidenten? Du hast die... Hexe Artemisia besiegt?“, ächzte sie. Squall nickte und legte den Kopf schief. Also gab es doch noch Menschen, die ihn nicht kannten. Salina schlug eine Hand vor den Mund. „Und Cifer...“ „... war ihr Hexenritter, ja. Und jetzt komm schon! Wir haben nicht ewig Zeit!“, unterbrach Squall sie. Vandell war mit Hyne schon ins Gebäude verschwunden, und Rinoa wurde zunehmend schwächer.
„Du... du bist also... der Sohn von Raine? Aus Winhill?“, fragte Salina schüchtern. Squall sah sie überrascht an. „Woher weißt du das?“, fragte er. Salina senkte den Kopf. „Ich... stamme aus Winhill. Meine Mutter hat mir immer davon erzählt, wie Raine gestorben ist, nachdem sie... nachdem sie den Sohn des Präsidenten zur Welt gebracht hat. Äh, nachdem sie dich zur Welt gebracht hat!“, verbesserte sie sich hastig. Squall spürte Tränen in den Augen brennen. Er hatte seine Mutter nie kennen gelernt. Er war von klein auf in Edeas Waisenhaus aufgewachsen, weil Laguna erst später von ihm erfahren hatte. Aber manchmal vermisste er seine Mutter trotzdem.
Salina wurde rot. „Meine Mutter... hat gesagt, dass sie bei deiner Geburt dabei war. Sie war Raines beste Freundin, und sie hat dich auch in das Waisenhaus gebracht. Sie... sie wollte nicht, dass du bei deinem Vater aufwächst.“ Squall drehte sich abrupt um. Rinoa hatte das Bewusstsein verloren, während er Salina zugehört hatte. Er lief zum Lift und rief Salina über die Schulter zu: „Komm schon! Wir reden später weiter.“ Salina setzte sich gehorsam neben ihm auf den Lift. Sie schwieg, bis sie Rinoa ins Lagunas Büro gebracht hatten.
Laguna rannte Squall sofort entgegen. Vandell stand neben einer Couch, auf der Hyne lag und von Prof. Odyne untersucht wurde. Der schien sich unter Vandells kritischer Beobachtung nicht wohl zu fühlen.
Laguna nahm Squall seine süße Last ab und legte sie ebenfalls auf eine bequeme Couch. Squall ließ sich neben ihr auf die Couch sinken und nahm ihre Hand. Er sah zu Odyne, der gerade Vandell mit Fragen löcherte, die dieser geduldig beantwortete.
„Dies sei ein ungewöhnlicher Fall, oder? Diese Frau sei kein Mensch, oder?“
„Nein. Sie ist die Schöpferin Hyne, falls Ihnen dieser Name etwas sagt.“
„Hm! Ich habe von dieser Legende gehört, oder? Hyne de Carracas sei ihr Name, oder?“
„Ja.“
„Und wie sei Euer Name?“
„Vandell LaDiganè.“
„Ah, der Ritter, oder? Ich habe gehört von einer Inschrift in Centra...“
„Hm. Nun, davon gab es einige. Wurde ich etwa auch erwähnt?“
„Oh, ja! Viele Male! Eure Augen seien sehr interessant, oder?“
Es erstaunte Squall, wie geduldig Vandell die Fragen des Professors beantworten konnte. Das bedeutete, dass Hyne und Rinoa nicht in Gefahr waren. Wenn es anders wäre, wäre Vandell niemals so ruhig geblieben.
„Hören Sie mal, meine Augen gehen Sie überhaupt nichts an!“, meinte Vandell gereizt. Offenbar war Odyne nicht der Erste, der ihn darauf ansprach. Odyne ließ sich aber nicht einschüchtern.
„Ich denke...“ „Und ich denke, dass du dich endlich um die beiden Ladies kümmern solltest!“, unterbrach ihn Laguna scharf. Vandell warf ihm einen dankbaren Blick zu.
Squall stand auf. Salina stand noch immer bei der Tür und starrte abwechselnd ihn und Laguna an. Squall ging zu ihr und machte eine einladende Geste nach draußen. Sie nickte und verschwand sofort. Als sich die Tür wieder geschlossen hatte, fragte er: „Möchtest du nicht nach Hause?“ Sie schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. „Sie haben meine Mutter... umgebracht, als sie... mich verschleppt haben... vor zwei Monaten.“ Squall runzelte die Stirn.
„Und dein Vater?“, fragte er vorsichtig.
„Ist nach meiner Geburt abgehauen.“
„Oh! Tut mir leid.“
Salina lachte leise. „Du müsstest dieses Gefühl doch kennen.“, meinte sie bitter.
Squall schüttelte den Kopf. „Laguna konnte nichts dafür. Er wollte Ell retten, als ich geboren wurde. Deshalb war er nicht bei Raine.“ Salina nickte. „Ich konnte ohnehin nie glauben, dass er sie einfach so zurückgelassen hat.“, sagte sie. „Sie muss eine sehr nette Frau gewesen sein. Meine Mutter hat oft von ihr gesprochen.“ Sie musterte Squall eindringlich. Der sah zu Boden. „Du scheinst sehr viel von ihr zu wissen.“, meinte er leise. Salina lächelte. „Klar. Meine Mutter hat sich immer über diesen verantwortungslosen Kerl aufgeregt, der sie geschwängert hat.“
„Herzlichen Dank!“, meldete sich Laguna hinter ihnen. Salina wurde blass. „Verzeihung... ich... ich wollte nicht...“ Laguna winkte ab. „Schon gut. Ich weiß, dass die Leute in Winhill mich nicht besonders mochten.“ Er schwieg eine Weile. „Es tut mir leid, dass deine Mutter tot ist. Wenn ich dir irgendwie helfen kann...“ Er lächelte schwach. „Aber jetzt müsst ihr mich entschuldigen. Ich muss einen Staat regieren.“ Obwohl er lächelte, wirkte er irgendwie traurig.
Salina sah ihm betroffen nach. „Ich wollte ihn nicht beleidigen. Es tut mir leid.“, flüsterte sie. Squall sah ihr in die Augen und lächelte. „Das weiß er, keine Sorge. Du kannst ohnehin nichts dafür. Du warst noch nicht einmal auf der Welt, als er Winhill verlassen hat.“ Er spürte Trauer in sich aufsteigen und er musste wieder an seine Mutter denken.
„Weißt du, wie meine Mutter war? Was für ein Mensch sie war?“, fragte er leise. Salina fühlte sich sichtlich unwohl. „Nur aus den Erzählungen meiner Mutter. Das ist nicht viel.“ Squall lächelte traurig. „Das ist mehr, als ich weiß.“, meinte er bitter.
Salina schwieg eine Weile. „Sie war... ein ruhiger Mensch.“, begann sie. „Sie war auch sehr gutherzig und hilfsbereit. Sie... sie war aber manchmal auch ziemlich naiv. Als Laguna um ihre Hand angehalten hat, sagte sie sofort ja, ohne nachzudenken.“ Sie schwieg wieder. „Außerdem soll sie sehr hübsch gewesen sein.“ Squall lächelte. „Kiros sagt immer, ich wäre wie sie. Er ist offenbar sehr froh darüber.“ Salina fühlte sich offenbar nicht wohl. Sie schwieg und sah zu Boden.
Squall wechselte das Thema. „Wohin willst du jetzt gehen?“, fragte er. Salina antwortete nicht. Squall bemerkte Cifer, der auf sie zukam. Plötzlich hatte er eine Idee.
„Sag mal, magst du Kinder?“, fragte er. Salina nickte überrascht. „Ich liebe Kinder! Ich habe immer auf die Kleinen im Dorf aufgepasst.“
Squall lächelte. „Hast du schon einmal von Edeas Waisenhaus gehört? Edea sucht immer noch nach einer Helferin...“