Serpent
Durchspielbedingung: Alle 5 Enden des Spiels, durch einen Sieg und perfekte Siege in Level 1-4 freischalten (beliebiger Spielmodus)
Endlich mal wieder ein originelles Spiel, speziell für den Game Boy entwickelt. Eines, was nicht eine Arcade Umsetzung, Port eines Spiels von einer anderen Plattform ist oder irgendein uraltes Spielprinzip schnell und ohne Mühe aufwärmt.
"Wie bitte!? Das ist einfach fucking Snake!"
Das habe ich auch zunächst erwartet, bzw. nicht ganz. Als „Snake“ ist die Singleplayer-Variante von 1979 bekannt, veröffentlicht auf längst vergessener Hardware, doch da man hier klar 2 Schlangen sehen kann, greift die Inspiration noch tiefer.
Auf das Arcade-Spiel „Blockade“ von 1976, also ein NOCH älteres Spielprinzip als Space Invaders, was wir noch vor kurzem hatten. Blockade ist das, was heutzutage durch den Tron-Film besser als „Light Cycles“ bekannt ist. 2 Kontrahenten spielen eine länger werdende, nicht anhaltende Spur. Ziel ist es, länger als der Gegenüber zu überleben. Dafür kann man sich bewusst dazu entscheiden, seinen Bewegungsspielraum abzuschneiden, oder man sieht zu, wie sich der tollpatschige Rivale selbst im Weg steht. Nicht selten kommt es vor, dass man sich in eine Sackgasse manövriert, sich einschließt oder schlichtweg nicht schnell genug vor der eintreffenden Wand reagiert.
Unschwer zu erkennen greift Serpent dieses Spielprinzip auf, aber statt es stumpf abzukupfern, erweitert und modifiziert es die Prämisse, was das Endprodukt nicht mehr wirklich zu „Snake“ oder eben „Blockade“ macht und nicht mehr viel mit den unzähligen Klonen gemein hat, die ich während meiner Kindheit und Jugend kennenlernen durfte.
![]()
![]()
![]()
Wie auch? Denn entgegen dem, was der Name suggeriert, spielen wir gar keine Schlange. Nein, wir spielen eine „Mech-Schlange“!
Gleich zu Beginn sehen wir einen Menschen in ein Cockpit unseres schlängeligen Gefährts steigen.
In der Zukunft werden sportliche Wettkämpfe damit ausgetragen, und das ist auch schon alles, was wir wissen müssen.
So ein Sport, in dem der Gegenüber voller Karacho auf eine chromverstärkte Metalllegierung zusteuert und dann explodiert, wäre ziemlich martialisch. Daher hat man in Serpent nicht direkt verloren, wenn man irgendwo dagegenstößt. Nein, nein. Der Aufprall ist ganz weich.
Es geht nicht direkt darum, Kollisionen zu vermeiden, sondern vielmehr darum, zu verhindern, sich einzuschließen bzw. eingeschlossen zu werden.
Wann immer sich das eigene Gefährt nicht mehr bewegen kann, zählt eine Sirene einmal pro Sekunde.
Erst wenn 5 Sekunden vergangen sind … dann … explodiert man. Okay, vielleicht ist der Sport doch martialisch.
Das führt zu einigen interessanten neuen Möglichkeiten.
Den Gegner einzuschließen, führt auch immer zu einem eigenen Risiko. Im ausgeglichensten Fall steuern beide Schlangen entlang einer parallelen Linie, doch auch wenn eine die Überhand hat, kann diese es sich immer noch verbauen, weil man auch um seinen eigenen Korpus herumnavigieren muss.
Es passiert häufig genug, dass sich beide Spieler einschließen. Dann beginnt ein Überlebenskampf, in dem man jegliche noch verbleibende freie Stelle ausnutzt und die Sirene bis 4 zählen lässt, bevor man versucht, möglichst effizient vor die nächste Wand des eigenen oder des Korpus des Gegenübers zu steuern. Wenn beide Körper verwoben sind, kann es sein, dass die eigene Schlinge rechtzeitig wieder frei wird, weil der Gegenüber sich genug bewegt hat, dass sich auch seine Segmente weiter bewegen und eine Lücke zum entkommen bilden.
Das ist auch ein ausschlaggebender Punkt. Jede Schlange startet mit 4 Segmenten aufgewickelt, den Gegenüber anstarrend. Im Laufe des Duells ist es möglich, die Zahl seiner Segmente durch auftretende Pick-ups auf bis zu 110 zu erweitern. Logischerweise ist eine lange Schlange viel besser in der Lage, den Gegner einzuwickeln.
Das Besondere ist aber, wie diese Pick-ups spawnen, das passiert nämlich nicht einfach zufällig.
Wann immer eine Schlange eine geschlossene Fläche bildet, spawnen besagte Pick-ups im Inneren dieser Fläche: Je größer die Fläche, desto mehr Pick-ups. Hier kann es etwas unfair werden, denn die Art der Pick-ups selbst ist sehr wohl zufällig und neben Upgrades für die Länge gibt es ebenso Downgrades. Erkennbar an der Farbe (ob schwarz oder weiß) erscheinen unterschiedliche Zahlen von 2–6, welche die eigenen Segmente in der [Höhe der Zahl] × 10 addieren oder subtrahieren.
Aber das sind nicht die einzigen Pick-ups, es gibt ebenfalls noch Projektile, die man auf den Gegner feuern kann. „Woah, Snake mit Waffen!“ Doch die Projektile richten keinen Schaden an, sondern verlangsamen oder beschleunigen den getroffenen Feind, je nach Schlange.
Was zu einer der eigenartigsten Waffen führt, die mir je in einem Videospiel untergekommen sind. Ein Projektil, das man am liebsten nicht abfeuert, weil es den eigenen Untergang besiegelt. Sobald man es wagt, die CPU (oder auch ’nen menschlichen Widersacher, ist ja logisch) damit zu treffen, wird diese blitzschnell aggressivst ihren Geschwindigkeits-Vorteil ausspielen.
Es gibt tatsächlich einen Edge Case, wo es nützlich sein KANN, aber darauf würde ich nicht wetten. Das Interessante an den Projektilen ist nämlich, dass es auch die Zeit beschleunigt oder verlangsamt, wie lange eine Schlange eingeschlossen sein darf.
Das hat gegen die einfacheren CPU-Level nicht wirklich Relevanz, weswegen ich auf den Inhalt des Spiels zu sprechen kommen muss.
![]()
![]()
[IMG]
[/IMG]
In Serpent hat man bei Spielstart die Wahl zwischen 2 Spielmodi. Wobei sich der zweite nur darin unterscheidet, dass zusätzlich Sperma auf der Karte spawnt, was sich exklusiv nur an der eigenen Schlange heftet und dann explodiert.
In diesen 2 Spielmodi hat man dann die Wahl des Levels des CPU-Gegners von einer Stärke von 1–4.
Die CPU wird allerdings nach meinen Beobachtungen nicht wirklich schlauer und ein Blick in die Anleitung bestätigt das:
„Reverse“ bedarf wohl einer Erklärung. Im Multiplayer ist es normalerweise möglich, dass beide Kontrahenten den Kopf und die Schwanzspitze der Schlange austauschen können, sobald sie in der Klemme stecken. Im Singleplayer ist diese Funktion für den eigenen Spieler deaktiviert. Für die CPU auch, aber wie man erkennen kann, nur für die ersten beiden Stufen.
Ich vermute, gerade weil die Taktik des CPU-Kontrahenten nicht unbedingt die durchgängig erfolgreichste ist, hat man darauf zurückgegriffen, durch ungleiche Konditionen mehr Würze und damit auch mehr Herausforderung in die Duelle zu bringen. Plötzlich reicht es nicht mehr, nur den Gegner normal einzuschließen, man muss rechtzeitig bei der Schwanzspitze ebenfalls eine Blockade in Form des eigenen Körpers bereithalten.
Ohne selbst länger als der Gegner zu sein, ist das fast unmöglich und lässt es anfangs zu einer unfairen und frustrierenden Angelegenheit werden, weswegen man die Stufen 3 und 4 besser ignoriert.
Zumindest war das mein Eindruck, bis ich herausgefunden habe, dass es noch eine zweite Gewinnbedingung gibt. Und das hat im Prinzip alles noch mal auf den Kopf gestellt.
Schafft man es, den Gegner komplett einzukreisen, explodiert dieser daraufhin sofort und man hat das Match gewonnen. Bis ich darauf kam, wirkte es immer so, als würden ich und der Gegner einfach so zufällig von selbst explodieren. Alleine die Geschwindigkeit hat einen gewissen komödiantischen Effekt.
Ich kann gut verstehen, dass so mancher Spieler es nicht als spaßig empfindet, weniger bemittelt als der Widersacher zu sein.
Man kann jedoch, wenn man es gut anstellt, sehr schnell gewinnen und den Gegner auch auf eine etwas indirektere Art stellen, was dann auch so meine Haupt-Herangehensweise für die Stufen 3-4 war. Ab dieser Erkenntnis haben die Stufen dann auch deutlich mehr Spaß gemacht, weil der Gegner allmählich anfing, zu leicht zu werden, und ich mich immer besser an die Steuerung gewöhnt habe.
![]()
![]()
![]()
![]()
Das sollte nicht unerwähnt bleiben, denn anders als man es erwarten würde, steuert man die Richtung der Schlange nicht alleine mit dem Steuerkreuz. Statt von oben in Himmelsrichtungen zu lenken, rotiert man die Schlange relativ zu ihrer Kopfposition, was erst einiges an Eingewöhnung erfordert. Zunächst wusste ich nicht mal, wie man das Spiel spielt, was vermutlich keine gute Idee ist für etwas, was für (dumme) Kinder gedacht ist. Nicht mal die Anleitung ist hierbei hilfreich:
Wie der A-Knopf ist der „A“-Knopf!? Boah, da wäre ich ja gar nicht von selbst draufgekommen! Mehr verliert die Anleitung nicht über die Steuerung.
Um nach links zu lenken, drückt man das linke Steuerkreuz, das rechte Steuerkreuz macht jedoch gar nichts. Nein, um nach rechts zu lenken, muss man die „A“-Taste drücken, was halt eine super konfuse Entscheidung ist. Vielleicht wollte man das Skill-Ceiling erhöhen, da die Links- und Rechtsrotation umgekehrt ist, wenn die Richtung der Schlange umgekehrt ist. Ich habe jedoch schon vor Augen, wie ich als Kind zu blöd gewesen wäre, das zu registrieren.
Naja, da man sonst nicht viel im Spiel hat, wird man zwangsläufig früher oder später selbst den Dreh raus haben.
Euch wird sicherlich die komplizierte Gewinnbedingung aufgefallen sein. Ein komplettes Spiel geht maximal 13 Runden (bzw. länger bei Unentschieden, wenn beide gleichzeitig explodieren).
Wer zuerst 7 Siege einfängt, gewinnt. „Warum 7?“ Naja, die Zahl sieht ein bisschen wie ’ne Schlange aus, nicht wahr? Ich kann mir förmlich vorstellen, dass das der Gedanke war.
Das ist alles soweit recht unzeremoniell, kurze Bildschirme sagen einem, ob man gewonnen hat oder nicht, und dann ist man wieder am Anfang und kann wieder die Schwierigkeit einstellen.
Soweit unkompliziert. Einmal gegen die KI gewinnen, egal welches Level, passt. Ist ja immer der gleiche Gewinnbildschirm. Ich war vorgestern schon drauf und dran, meinen Bericht zu schreiben …
Pah, von wegen!
7 mal in Folge gewinnen! Bedenkt man, wie viel zwischenzeitlich schiefgehen kann, ist das mal wieder ein Ausdauertest und damit auch eine gewisse psychische Belastung, wenn ich mehrmals bei 6:0 choken musste und mich selbst verbarrikadiert habe.
Aaaaaber, und das sehe ich als Zeichen für die Qualität und den Tiefgang dieses Spiels. Ich konnte nicht aufhören.
Man kann so schnell wieder einsteigen, Runden lassen sich instant starten, ja, sogar das Intro lässt sich vor jeder Runde mit Start skippen.
![]()
![]()
![]()
Als ich das mit dem Spawnen der Items erfahren habe, haben sich noch mal ganz neue Taktiken ergeben.
Auf den Körper des Gegners zurasen, während er gerade einen Zirkel bildet, um dann schneller als er die (möglicherweise positiven) Pick-ups zu erhalten, da seine Segmente mit jeder weiteren Bewegung zurückgehen. Oder eben möglichst schnell Pick-ups spawnen, Segmente zu gewinnen, um dann quasi mit einer Blitzkrieg-Strategie den Gegner komplett zu umschließen.
Eine Strategie, die im zweiten Spielmodus fast schon essentiell ist. Denn das plötzlich aufkeimende Sperma ist so verdammt schnell, dass besonders Level 3 zu einer Tortur wird, wo man selbst noch langsamer ist. Ab da sind so viele Umstände gegen einen, dass es schon mittlerweile mehr zu einem Glücksspiel wird. Schafft man es, den Gegner schnell zu umkreisen, bevor die Arena zugejizzt ist, ist alles in Ordnung, aber mit jeder weiteren Sekunde steigt die Wahrscheinlichkeit eines unglücklichen Spawns, dem man aufgrund der aktuellen Situation nicht mehr ausweichen kann.
Das Höchste, was ich erreicht habe auf Level 4 in Spielmodus 2, war 5:0. Bis ich mich dann gefragt habe, ob ich mich wirklich durch diesen Modus quälen möchte. Immerhin spricht die Anleitung von 5 Endings, nicht 9. Und das ist quaaasi wahr, es gibt nur einen winzigen Unterschied.
Endings für einen perfekten Sieg in Level 1 (Spielmodus 1/ Spielmodus 2):
![]()
COME ON!
Mit genug Sitzfleisch habe ich gewiss irgendwann genug Glück, aber ein Sperma mehr oder weniger sollte doch jetzt nicht als neues Ending gelten? Nun, die Anleitung würde mir da zustimmen, daher ist die Gewinnbedingung so, wie sie ist. Und was soll ich sagen?
Es hat einfach riesengroßen Spaß gemacht. Ja, selbst im Spielmodus 2 startet man immer wieder neu, dieses „letzter Versuch“ oder „noch eine Runde“-Gefühl scheint hier immer wieder durch. Und es gibt genug Varianz, dass keine Runde immer gleich ist. Nicht gegen die CPU und vor allem nicht gegen andere Spieler, wo beide reversen können.
Jetzt hat Serpent wahrlich nicht viel Inhalt, der einen lange beschäftigt bzw. mit neuen Impressionen bei der Schlange halten könnte. (verzeiht den Wortwitz)
Aber wie auch schon bei Tennis oder Heiyanko Alien ist der Umfang relativ, wenn diese Spiele einen 2-Spieler-Modus besitzen. Wenn das Spielprinzip so viel Tiefgang besitzt, kann man, wenn man das Glück hat, einen gleichstarken menschlichen Partner gefunden zu haben, praktisch auf unbestimmte Zeit Spaß haben, auch wenn meine Beobachtung ist, dass nicht viele Kinder ein Link-Kabel besessen haben noch groß mit dem Game Boy im Multiplayer gespielt haben, zumindest vor Pokémon.
Fazit: Komplexere Variante von Lightcycle/Blockade, die wohldurchdacht ist, schnelles Pacing besitzt und einfach ziemlich innovativ ist. Man könnte meinen, das wäre der Stoff, den heutzutage ein Indie-Spiel rekontextualisieren und neu vermarkten könnte. Es hätte noch mehr Spielmodi geben können, neue Stages usw. Das, was da ist, ist wenig, aber es funktioniert erstaunlich gut und ich kann mir auch beim Abschließen dieser Zeilen vorstellen, eine weitere Runde einfach so einzulegen, für die „Pick-up-and-play“-Erfahrung, die es ist. Aber natürlich habe ich noch einiges zu tun.
Wertung: B+
Schwierigkeitsgrad: 70%
![]()
![]()
![]()
![]()
-----------
NEXT UP:![]()