The Thaumaturge (PS5)

+ tolle Charaktere und Handlung
+ sehr atmosphärisch
+ stimmige Synchronisation
+ Entscheidungen scheinen teils wirklich Auswirkungen zu haben


- Kämpfe etwas langwierig, aber ansonsten gut durchdacht
- deutlich zu kleine Texte


Manchmal nehme ich hier Spiele auf, die keine Ost-RPGs sind, diesen aber in gewissen Aspekten ähneln; so hatte ich z.B. einmal Bastion als Teil meiner Challenge. The Thaumaturge ist kein Ost-RPG (und stammt aus Polen), eins dieser typischen West-RPGs mit Obendrauf-Ansicht und laaaangsamem Kampfsystem aber auch nicht – es hat ein rundenbasiertes KS, das beinahe aussieht wie in einem Ost-RPG. Was ich natürlich überhaupt nicht interessant fand…

Dieses Spiel habe ich letztes Jahr zufällig entdeckt und fand, dass es stilistisch interessant aussah; dazu kam eben erwähntes KS. Letztens hatte ich dann gesehen, dass es jetzt veröffentlich wurde, also habe ich zugeschlagen, ohne aber genau zu wissen, was mich erwartet.

Ich muss sagen: Bereut habe ich es definitiv nicht. Mein erster Eindruck war ganz ok – ich dachte, da ein West-RPG mit Obendrauf-Ansicht vor mir zu haben inkl. Längerer Texte, die man trotz lt. Beschreibung größerem Font bei entsprechendem Abstand nicht bequem genig lesen kann (ich sitze einige Meter von meinem Fernseher entfernt und plane auch nicht, das zu ändern). Spätestens als ich Warschau erreichte, wo der Großteil des Spiels spielt, fand ich aber zunehmend Gefallen an diesem Titel: Die Charaktere sind relativ verlabert (zu viel Text gibt es aber definitiv nicht, wie irgendwelche Ami-Kritiker mal wieder schreiben) und Wiktor dazu auch noch ein wirklich gelungener Protagonist, der glaubwürdig und mit seinen Ecken und Kanten authentisch rüberkommt. Aber auch viele Nebencharaktere werden toll präsentiert und man hat vor allem nicht den Eindruck, dass es einen bestimmten Antagonisten gibt. Die Welt hier ist eher grau, als in Schwarz und Weiß unterteilt.
Der typische Spielablauf sieht so aus, dass man sich in einem der Viertel Warschaus herumtreibt, Hinweise einsammelt, viel redet und zwischendurch mal kämpft. Wobei ich diese Gewichtung, nämlich, dass Dialoge definitiv im Mittelpunkt stehen, gelungen fand, da das KS so keine Chance hat, zu zäh zu werden. Das Spielprinzip ist nicht unbedingt komplex, was ich aber passend fand; ich mag generell keine Spiele mit überkomplexen Mechaniken, gerade nicht im RPG-Bereich.

Das Kampfsystem ist rundenbasiert und funktioniert so, dass sich die Charaktere gegenüberstehen und man Angriffe auswählt; Herumgelaufe gibt es nicht. Außer Wiktor gibt es jedoch nur seine bis zu 8 Dämonen (“Salutor” heißen die), von denen man einen zusätzlich angreifen lassen kann, was dazu führt, dass man seine Angriffe sinnvoll auswählen muss, um gegen mehrere Gegner gleichzeitig anzukommen. Ich dachte erst, dass das KS zäh sei und es spielt sich definitiv nicht so zügig wie in manchem Ost-RPG, aber je mehr Fähigkeiten man bekommt, umso besser wird es, vor allem dann, wenn man wirklich etwas mitdenken muss, damit der Kampf etwas wird. Neben normalen Angriffen kann man Gegnern Punkte auf einer Konzentrationsleiste abziehen und per Zustandsveränderungen nach und nach HP abziehen, was man definitiv nicht außen vor lassen sollte, da all dies sehr nützlich ist. Gegenstände gibt es nicht, aber durch manche Angriffe kann man zusätzlich HP heilen. Insgesamt fand ich das KS durchaus ganz gut durchdacht und bei dieser gar nicht mal so hohen Anzahl an Kämpfen hatte es eigentlich keine Chance, langweilig zu werden. Hochdynamisch ist es aber nicht, sondern gehört eher zur langsamen Kategorie.
EXP, die zu Punkten führen, die man dann wiederum in Salutor-Fähigkeiten investiert, gibt es nämlich nicht nur durch Kämpfe, sondern auch durch das Abschließen von Missionen und Finden von Hinweisen. Zum Spielende hin bekommt man aber nur noch sehr wenige Erfahrungspunkte.

Die Nebenmissionen wurden gut gemacht und bieten zusätzlich zur Handlung einige spannende Szenen, also so, wie Nebenmissionen sein sollten.

Die Handlung selbst wird gut präsentiert, bietet Unterhaltungen mit gelungenen Charakteren und ich fand sie durchgehend interessant. Action gibt es definitiv nicht an jeder Ecke, aber das hätte auch nicht gepasst. Es sind vielmehr die Interaktionen zwischen den Charakteren, die all das hier spannend machen. Entscheidungen haben wohl Auswirkungen, was ich erst nach einem weiteren Durchgang bestätigen könnte. Es gibt aber zumindest eine Szene, an der ich mir sicher bin, dass eine weiter zurückliegende Entscheidung meinerseits zu ihrem Ausgang geführt hat (ich habe mich verhalten, wie man es typischerweise in Spielen tut und auf eine bestimmte Sache nicht verzichtet; alles andere wäre ein Spoiler). Ich glaube nicht, dass sich der letztendliche Ausgang der Handlung zu sehr ändern wird, aber spannend zu sehen wäre das schon.

The Thaumaturge sieht übrigens auch gut aus, ohne komplett poliert zu sein, gute, etwas unaufdringliche, Musik und hat eine tolle englische Synchronisation, bei der ich den Eindruck hatte, dass die Sprecher sich wirklich Mühe geben, die polnischen Namen vernünftig auszusprechen. Apropos Polen: Das Warschau des Spiels ist dreckig, sehr atmosphärisch, manchmal irgendwie urig und als Kulisse dadurch sehr gelungen. Trotz der Fantasy-Anteile ist das hier eine tolle Hommage an polnische Geschichte.

Diese Entwickler arbeiten übrigens gerade an der Neuauflage des ersten Witchers, habe ich gelesen. Das klingt auch nicht schlecht, wobei die, wenn die schon dabei sind, gerne hieraus eine Reihe machen dürfen.

Spielzeit: 19,5 Std.
Insgesamt: 8/10