Zitat Zitat von mir Anfang Februar
Ich habe im Januar nicht nur meinen Resteteller leergeräumt (Bienchen!), sondern mich auch noch an Honkai Star Rail versucht. Wird bestimmt ein gutes Spielejahr! =]
Und jetzt, ziemlich genau drei Monate später, habe ich immerhin Baldur's Gate 3 durchgespielt .... Ich meine, das Real Life hat hier auch eine Rolle gespielt, aber Mannomann! xD'
Na ja, größter Batzen auf der Liste erledigt?!





Baldur's Gate 3

Zuerst mein Run, für die Eingeweihten: Ich habe mit einem selbst gebauten Warlock ohne Dark Urge ~200 Stunden im Tactician-Schwierigkeitsgrad plus Honor Mode gespielt (also mit nur einem Spielstand ohne Lademöglichkeiten), und dabei alles erkundet und erledigt, was ich gefunden habe. Den "Honor-Zustand" habe ich schließlich verloren, weil ich im Bosskampf der Creche gewiped bin ... und LEIDER hat das Spiel in einer seiner häufigen Bug-Tiraden auch die Abfrage übersprungen, wie ich weiterspielen will. Eigentlich kann man an dieser Stelle nämlich die Speicherregel ausstellen und danach "normal" auf Tactician weiterspielen, wenn man denn möchte ... aber stattdessen musste ich jetzt praktisch die ganze Zeit im Honor Mode spielen, ohne dass es als solcher gezählt hat. Geil. Später habe ich dann auch hin und wieder das Spiel gecrasht, um neu zu laden. Das GEHT nämlich prinzipiell, aber verlassen kann man sich darauf nicht, weil es manchmal auch einfach noch schnell speichert -- gerne natürlich in den allerschlimmsten Situationen. Und das Laden hat auf meinem PC sowieso vieeeeel zu lang gedauert, als dass ständig laden spaßig gewesen wäre.

Und jetzt eine Einschätzung dieser Schwierigkeit, für alle: Ich habe öfter gehört, dass man nicht gleich als ersten ersten Run Tactician + Honor spielen sollte. Bei Tactician sehe ich das aber etwas anders, zumindest WENN man D&D5.5 (also die aktuelle Version!) oder wenigstens D&D5 (also die Version aus 2014) sowieso schon gut kennt. Die ganze System Mastery aus dem Pen & Paper lässt sich nämlich fast 1:1 übernehmen, und die Entscheidungen führen vorrangig zu narrativen Konsequenzen; Man kann sich nur schwer in eine Sackgasse reden. Beim Honor Mode dagegen sind die ganzen Warnungen gerechtfertigt! Das Spiel generell ist ganz eindeutig für Save Scumming konzipiert, um den "eigenen" Weg zu finden, wie die ganzen klassischen West-RPGs eben, und der Honor Mode dementsprechend eher geeignet, wenn man die Entscheidungsmatrix sowieso schon in- und auswendig kennt. Mehr dazu unten. D&D5-Cracks empfehle ich für den ersten Run also den Tactician-Schwierigkeitsgrad OHNE Honor Mode. ^^

So, zum Spiel selbst fange ich nicht wirklich bei Null an, sondern ergänze allem voran meine eigene Perspektive.
Also: Was für ein RPG ist das hier eigentlich, und wie ist das bei mir angekommen?


Antwort #1: Kämpfe

BG3 ist in den Kämpfen zu 100% ein gut gemachtes Taktik-RPG; man KANN es gar nicht mehr in Echtzeit spielen! Das ist direkt ein ziemlich entscheidender Unterschied zu den Vorgängern und den meisten anderen West-RPGs, die direkt oder indirekt von ihnen abstammen. Jeder Kampf ist rundenbasiert, und wahrscheinlich nehmen diese Kämpfe den größten Teil der Spielzeit ein. Als jemand, der BG1+2 zum größten Teil in Echtzeit gespielt hat, mit gelegentlicher Leertaste zum Taktieren, und diese Kämpfe ehrlich gesagt schon immer als den uninteressantesten Teil des Genre-Mixes wahrgenommen hat, war das schon ein wenig anstrengend. Beizeiten musste ich sogar an Gloomhaven denken ... ^^ Mein Tiefpunkt war aber tatsächlich der Flucht-Mechanismus, der mich meistens im Alleingang davon abgehalten hat, zu flüchten.
Andererseits, wie gesagt, es IST gut gemacht, imho die bisher beste Umsetzung von größtenteils originalgetreuen D&D-Regeln! Da versteht man auch, dass es nur bis Level 12 geht, denn meine Fresse, diese ganzen Mechanismen ... Und dann kommt noch oben drauf, dass all diese Kämpfe ganz stark mit dem restlichen Gameplay-System zusammenhängen! Es ist einfach alles so positiv komplex, dass es keinesfalls mit einem "trockenen" Schach-esquen Taktikspiel zu verwechseln ist. Es gibt eine UNmenge an coolem Shit, den man machen kann. Alles hier ist exploitable und cheesable, wenn man die richtigen Ideen hat! Aber all das oben drauf auf einem komplett stabilen Grundsystem.


Antwort #2: Struktur

BG3 ist strukturell allem voran eine Aneinanderreihung komplexer D&D-Sandboxen, mit sehr vielen Freiheiten in einem stabilen narrativen Rahmen. Damit fühlt es sich lustigerweise sehr viel mehr wie BG1 und BG2 an als die meisten neueren Spiele, und in einem gewissen Sinne sogar wie eine Mischung aus BG1 und BG2, mit noch mehr Optionen in Richtung "Immersive Sim"! Mission Statement erfüllt, I guess?
Um das ein wenig zu unterstreichen: Man wird mehrmals in eine relativ offene Umgebung geworfen, die DICHT mit gut gemachtem Content vollgestopft wurde. Man läuft wortwörtlich keine 50 Meter, ohne in eine weitere Quest zu treten, und tatsächlich werden die meisten Rollenspieler die Umgebungen wohl auch genau so "abgrasen", Meter für Meter, ohne sich groß auf richtungsweisende Quest-Geber und ähnliches zu verlassen. All das ist zudem maximal erkundbar, mit Lore-Tidbits, endlos vielen Behältern zum Öffnen (Wenn ich in meinem Leben noch einmal "Burlap Sack" lese ...!) und natürlich hunderten Büchern zum Lesen. Die Reihenfolge, die Herangehensweisen und vor allem die Motivationslage sind dabei aber fast schon lächerlich offen. Es gibt wahrscheinlich mindestens 3 "geplante" Wege, um jedes einzelne Hindernis zu überwinden, und noch zweimal so viele, die nicht geplant waren. Eine Quest führt an einen Ort, aber zwei andere auch. ALLES ist mit ALLEM verbunden. Oft habe ich irgendeinen Handlungsstrang aufgelöst, ohne zu verstehen, warum, und ohne zu wissen, dass es überhaupt ein Handlungsstrang ist. Und das alles ist massiv beeindruckend. Was daraus aber auch erwächst, ist eine gewisse ... "Konsequenzlosigkeit" im Gameplay. Schlösser knacken? Joah, kann man machen, aber wenn nicht, springt man halt über die Mauer oder sucht den Schlüssel. Dialogzeile 1 oder 2? Ist eigentlich auch egal, denn wenn mich der Charakter nicht mag, kontrolliere ich halt seine Gedanken oder verprügele ihn. Man hat fast NIE das Gefühl, irgendwas zu verpassen, und das gibt dem Ganzen so ein beliebiges Gesamtgefühl. Nothing really matters.
Oh, und natürlich BUGS GALORE, aber das erwartet man in den Genre ja auch. Wahrscheinlich ist BG3 sogar einer der besseren Vertreter, weil oft nicht mal 100% klar ist, ob etwas ein Bug ist oder aus den Limitationen der Komplexität erwächst.


Antwort #3: Spielwelt

Diese extreme Offenheit führt zusammen mit der Content-Dichte auch zu einem irgendwo "künstlichen" Feeling, was das Setting angeht. BG3 bietet allem voran eine funktionale Spielwelt, keine Open World mit Immersionsanspruch. Tatsächlich spürt man das Design bei jedem Schritt auf dem Weg, und lustigerweise sogar im Lore des Settings: Zwar erfahren wir viel über die Forgotten Realms, aber man merkt schnell, wie sich 2/3 der Lore Dumps um genau die Aspekte drehen, die auch im Spiel noch relevant werden.
That being said, das Spiel ist SCHÖN, und es LIEBT seine Kampagnenwelt offensichtlich, was eine Menge ausmacht! Dadurch kommt dann auch die Immersion zurück, aller Funktionalität zum Trotz. Und oben drauf gibt es überraschend viel Shit für Fans, auch für Fans von Baldur's Gate, richtig gut gemachten Fan Service, ohne dass die aktuelle Story darunter leidet!
BG3 übernimmt zudem mehr oder minder sämtliche inhaltliche Veränderungen, die D&D und die Forgotten Realms in den letzten 40 Jahren erfahren haben, also bspw. durch Anspielungen auf irgendwelche weirden Setting-Großereignisse, ein buntes Völkergemisch, eine größere Präsenz von Magie und vor allem das Entfernen der klassischen Gesinnungen als "Realität" in der Welt. Kann man mögen oder nicht, mir ist es ziemlich gleich.
Allerdings möchte ich ein Wort über das Thema Moral verlieren, denn Baldur's Gate 3 ist ein weirdly ... "moralfreies" Spiel? Das kommt wieder durch die Freiheit des Spielstils, die Konsequenzlosigkeit des Gameplays (Massenmord an Unschuldigen begangen? Wahrscheinlich egal, man soll ja später alle Optionen offen haben!), andererseits aber auch durch die Darstellung der Forgotten Realms: Einmal ist dieser Ort natürlich düster as FUCK, mit Folterkellern, mordenden Schurken und sadistisch-beiläufigen Menschenopfern überall, andererseits reagiert kaum jemand ... wirklich angemessen darauf? Auch das Spiel selbst wechselt oft zwischen Ernsthaftigkeit und so einem lockeren, beizeiten zynischen Tonfall, was bei mir immer mal zu weirden Whiplashs geführt hat. Und letztlich gilt das sogar für die Charaktere; nicht nur für den Hauptcharakter, sondern auch für die Begleiter! Na klar, "moralisch grau" und offen heraus böse ist ja nun nix Neues in diesen Spielen, aber die hier legen es regelrecht darauf an, a) etwas abgrundtief Fragwürdiges in sich zu tragen und b) trotzdem auch die Möglichkeit, sie relativ zwanglos zu "rehabilitieren", und tatsächlich drängt sich das fast schon auf. Aber hey, wenn nicht? Dann ist es halt so.
Also ja, "moralfrei" ist mein Wort. Nicht "unmoralisch", sondern eher frei von moralischen Urteilen ... was halt WILD ist, in diesem Setting, mit dieser Story und diesen Menschen ...


Antwort #4: Storytelling

Baldur's Gate erzählt eine echte BG-Geschichte! Vielleicht war das nicht für alle so überraschend wie für mich, aber nach dem eher weirden Start war ich dann doch davon eingenommen, wie gut sich all das am Ende in eine Reihe mit den anderen Spielen stellt! Cool. Und in dem Moment, in dem die Hauptantagonisten klar ins Licht treten, wird diese Geschichte auch noch RICHTIG cool erzählt -- und mit Baldur's Tor verbunden! Nice. Außerdem GROSSARTIGE Höhepunkte, gerade in Akt III!
Allerdings braucht sie ein Stück, um dahinzukommen. Ich verstehe, warum der erste Akt ein wenig bummelig ist, so als Einführung, aber warum die Antagonisten erst am Ende des ZWEITEN Aktes wirklich auftauchen (also nach der Hälfte der Spielzeit!), ist mir ein komplettes Rätsel -- und diesen absolut übertriebenen Start voller Illithiden, Höllenebenen, Gith, roten Drachen etc. finde ich ernsthaft ärgerlich! Ich meine, klar, so hat man eine Menge Exposition direkt hinter sich, und die Truppe beisammen, aber WENN man einen bodenständigen ersten Akt will, kann man auch dazu stehen, vor allem in einem 200-Stunden-Spiel.
Dann wiederum muss ich zugeben, BG3 trägt für meinen Geschmack auch generell einen Tacken zu dick auf, gerade mit dem ganzen Illithiden-Shit. Ich sehe, dass sie wieder so ein Ding wie die Bhaalspawn-Visionen in den ersten Teilen haben wollten (plus cool powerz!), aber Illithiden ... not for me.
BG3 baut also in vielerlei Hinsicht auf Altbekanntem auf und lässt es sogar eskalieren ... aber ironischerweise (in der Geschichte des Genres) hat es auch eine regelrecht panische Angst vor zu langen Texten? Ich meine, klar, textlastige Bücher und Briefe sind allgegenwärtig, aber natürlich auch optional, und wenn einem erst einmal aufgefallen ist, wie konstant die eigentlichen Dialoge in Kleinstportionen aufteilt werden, wirkt es fast schon KRANKHAFT. ^^
Manchmal ist das schade, denn um ehrlich zu sein, empfinde ich BG3 als Spiel, dem es an echter Tiefe mangelt. Zwar ist es regelrecht vollgestopft mit potenziellen Themen (Freiheit und Abhängigkeit! Macht und Machtmissbrauch! Religion und persönliche Moral!), aber einerseits übergeht es diese Themen immer dann, wenn sie drohen, irgendwie interessant zu werden, und anderseits schert es sich überhaupt nicht darum, irgendwelche Antworten zu finden; passend zur oben genannten Moralfreiheit, Konsequenzlosigkeit. Wer sich schert, muss selbst da drin ruminterpretieren, was vielleicht ganz gut zu Rollenspielen passt ...? Aber es gibt aber halt auch Vertreter, die diese Dinge effektiv verbinden.
Trotzdem ist diese Art von Storytelling auch effektiv! Denn BG3 ist definitiv gut geschrieben, poetisch und auf den Punkt, beizeiten sogar richtig zitierwürdig. Letztlich muss man es als das verstehen, was es sein will: Eine klassische Abenteuer- und Heldengeschichte, die tiefergehende Themen mehr so im Hintergrund andeutet als sich wirklich darauf einzulassen.
Der Höhepunkt in all dem sind natürlich die Begleiter. Die leiden auch nur bedingt unter der Textaversion, weil man über die massive Spielzeit natürlich eine MENGE mit ihnen redet, und so kommt durchaus ein gewisses Maß an psychologischer Tiefe ins Spiel. Die Stories von Lae'zel und Astarion bspw. fand ich echt menschlich und gut umgesetzt, aber selbst (mir) unsympathische Figuren wie Gale sind richtig gut geschrieben. Kein Wunder, dass dieser Trupp das Spiel hat viral gehen lassen!


Antwort #5: Kamera

Baldur's Gate 3 ist ein Spiel mit einer schrecklichen Kamera, die auch nach 200h noch komplett schrecklich ist. Und wenn ich zurück an Neverwinter Nights 2 denke, habe ich meine Zweifel, ob es in diesem 3D-Subgenre und mit dieser Komplexität überhaupt besser geht, zumindest wenn man komplexe Umgebungen abbilden will; was Spiele wie die Dragon-Age-Reihe meistens vermeiden ... Vielleicht wäre das besser so? Untergehen lassen wollte ich diesen Punkt jedenfalls nicht. Weiter im Text!


Fazit

Baldur's Gate 3 weiß genau, was es will, nämlich eine klassische Heldengeschichte in den High-Fantasy-Realms. Es ist eine gelungene Fortsetzung der Reihe, mit einem guten Plot trotz weirdem Pacing, und Charakteren, die es auch inhaltlich aus der Menge hervorstechen lassen. Aber allem voran ist es eine unglaublich komplexe D&D-Sandbox für Rollenspiel mit kreativen Taktik-Kämpfen. Es ist übertrieben, verschwenderisch, und in diesem Genre von West-RPG (das all das sowieso schon liebt!) vielleicht sogar das extremste Beispiel. Man muss nur damit leben können, dass bei all dieser Freiheit auch so einiges oberflächlich bleibt oder verlorengeht, mit dem fokussiertere Spiele beizeiten glänzen.