Clair Obscur: Expedition 33

So, endlich durch!
War geil!

Ich habe ein paar größere Gedanken, die durchaus aus Kritikpunkte durchgehen, und mindestens einen eher objektiven Kritikpunkt (nämlich die fucking Menüs und ihre winzige Schrift!), aber ich finde, man muss unbedingt an erster Stelle sagen, WIE sehr die Einzelteile dieses Spiels ein großes, umwerfendes Ganzes ergeben. Zahlenwertungen können hier eigentlich nur versagen, und selbst die ganzen kleineren und größeren Kritikpunkte werden am Ende wahrscheinlich verblassen. Die entscheidenden Fragen sind viel eher: Funktioniert die künstlerische und speziell die emotionale Wirkung für einen persönlich? Und kann man sich auf diese Wirkung in einem solchen Spiel einlassen? Dann ist Clair Obscur ein absoluter Meilenstein des Videospielmediums, jeglicher Hype komplett gerechtfertigt und obendrauf kriegen wir einen ziemlich guten, komplexen Genre-Vertreter des klassischen JRPGs.

Ich werde mich ob der vielen Worte, die bereits zum Spiel gefallen sind, nicht zu sehr über seine Qualitäten auslassen, aber um den Hauptpunkt oben noch einmal zu unterstreichen: Es ist wirklich beeindruckend, wie die technischen Seiten des Mediums eine eigene, lebendige Welt in einer augenblicklich (!) greifbaren Atmosphäre aufbauen, und wie all das mit den Inhalten und Spielsystemen zusammenkommt. Selbst, wenn man keinen einzigen Gedanken an die Themen von Clair Obscur verschwendet, werden sie sich im Hinterkopf einnisten und einen emotional kaum mehr loslassen, bis das Ganze überstanden ist.

Insofern gehen meine kritischeren (oder sagen wir: weniger einseitig positiven! ) Gedanken auch allesamt an die Momente, die jene Gesamtwirkung beizeiten ein wenig erschüttern.

1.
Clair Obscur will Geheimnisse und Twists, aber allem voran will es Emotion. Und ja, für mich persönlich hat die emotionale Bindung zu den Figuren durchaus darunter gelitten, dass man mindestens die erste Hälfte des Spiels über KEINEN Schimmer hat, was da abgeht. Ich hätte die großen Erklärungen zum Setting gerne schon viel eher gehabt. Weil, wir wissen eigentlich von Anfang an sehr deutlich, dass wir nichts wissen! Aber warum wir all das wirklich tun und wie unsere Gruppe dazu steht, erfahren wir halt erst, nachdem wir wortwörtlich dutzende Stunden mit Charakteren interagiert haben, die es uns hätten sagen – oder zumindest mehr Brotkrumen hätten überlassen können. Tatsächlich hat mich das Spiel emotional durch seine massiv angestrengten Mystery Boxes für ~30 Stunden in eine gewisse "Anti-Haltung" getrieben (sicherlich ein eher persönliches Problem!), die sich dann erst in der hinteren Hälfte komplett aufgelöst hat. Irgendwie schade?

2.
Clair Obscur ist wirklich ... KONSTANT emotional, selbst in seinen lockeren Momentan noch melancholisch und zumeist offen heraus düster. Die Leute fühlen SO verdammt viel, dass sie praktisch ALLE UNUNTERBROCHEN so bedeutungsschwer emotionalisiert wie Life-is-Strange-Hauptfiguren sprechen!? Und das passt nicht immer zum Gameplay, oder leicht plakativ: Es passt vielleicht nicht mal immer zum Genre? Zumindest nicht in dieser komplexen Form. In der ersten Hälfte (also bis wir wissen, was hier abgeht!) ist das noch etwas anders, denn die Expedition, das Erkunden fühlt sich im JRPG durchaus heimisch an. Selbst die Zeit, die man im Menü verbringt, um die quantitativ komplett übertriebenen Charakterelemente herumzuschieben, lässt sich als "Survival Management im Rahmen einer gefährlichen Erkundung" verbuchen ... aber in den emotionaleren Story-Momenten, und vor allem, wenn die Handlung endlich anzieht? Dann will ich eigentlich – rein narrativ, emotional! – keine Dungeons mehr, kein Charaktermanagement und kein Grinden. Ich will stattdessen wissen, wie es weitergeht, mit diesen Figuren. Insofern hätte ich das Spiel gerne weniger komplex gehabt, mit maximal 2/3 an Skills, 2/3 an Pictos und vielleicht sogar mit 2/3 der Spielzeit und kleineren Dungeons. Und vielleicht hätte es die Hälfte auch getan.

Das Schöne ist: Beide Punkte werden hervorragend davon abgefangen, dass Clair Obscur einfach ein ziemlich gut gemachtes klassisches JRPG ist.
Aber am Ende, wie schon erwähnt, verblasst all das sowieso. Was bleibt, ist ein überraschend persönliches, zutiefst emotionales und natürlich kompromisslos französisches Meisterwerk über all die großen Menschheitsthemen. Und wenn einen das nicht abstößt? Pflichtspiel!