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Ritter
Last Time I Saw You

Schaut euch diese Abomination eines Banners an. Ja, dass dieses Bild die Werbetafel für das Indie-Spiel mit dem wenig eingängigen Namen ist, ist wirklich kein Geniestreich. Dabei sieht es eigentlich gar nicht so unähnlich zur Ingame-Grafik aus, aber dann irgendwie doch. Denn die ist nämlich wunderschön.
Hätten meine besten Freunde mir dieses Spiel nicht empfohlen, hätte ich also wohl einen großen Bogen drum herum gemacht – oder wäre vielleicht gar nicht erst darauf aufmerksam geworden. In Folge wird sich also klären, ob das denn vielleicht besser gewesen wäre oder ob ich dankbar über den Tipp bin.
In Last Time I Saw You spielt man den 12-jährigen Ayumi, der in einer japanischen Kleinstadt lebt. Ein Sturm zieht auf und ein Taifun ist kurz davor, das beschauliche Örtchen zu treffen. Doch als er es dann tut, ist das erst der Anfang. Denn im Spiel geht es auch um die Bewohner:innen. Die der Stadt und die des geheimnisvollen Waldes, in den eigentlich keiner sich hinein traut.

Im Spiel erkundet man die Stadt und den Wald im 2D-Adventure-Stil, kann mit wichtigen Stationen oder Lebewesen interagieren und erfährt in kleinen aber feinen Dialogen mehr über die Lore der Stadt, die eng verzahnt mit historischem Kriegsgeschehen, aber auch mit Mythologie ist. Die Gameplay-Einlagen sind nie wirklich anspruchsvoll, ein Combat-System existiert, ist aber wirklich das Marginalste überhaupt. Das ist keine Kritik, denn mehr würde dem Spiel auch nicht stehen. Die einzige Ausnahme in Sachen Gameplay ist ein Arcade-Game, das man im Hause Ayumis spielen kann und das echt knackig sein kann, wenn man den Endbildschirm sehen und das entsprechende Achievement bekommen möchte.

Last Time I Saw You ist dabei auch ein Coming-of-Age-Spiel. Noch dazu ein cleveres, herziges und gut beobachtendes. Als solches funktioniert es zum einen so gut, weil Ayumi eine echte Empathie-Maschine ist und ein ganz fantastischer Protagonist. Ein glaubhafter 12-Jähriger, dem sein Alter (vom Spiel) nie als Mangel an Reife vorgeworfen wird (was im Genre leider viel zu oft passiert). Er ist gutgläubig, aber nicht notwendigerweise naiv, zusammen mit dem Spiel immer genau so klug wie die spielende Person.
Das Spiel ist nur ein paar Stunden lang – für ein Komplettieren habe ich ca. 7 gebraucht – und es gibt einen ganzen Haufen an NPCs. Und obwohl die in so einer Zeit eben nur begrenzt Screentime besetzen können, sind nahezu alle von ihnen so viel größer als das. Der Grafikstil ist nicht nur hübsch und einzigartig, sondern trotz seiner darstellerischen Schlichtheit viel Preis gebend. Und das gleiche gilt für die Erzählung. Die Texte sind nicht lang, aber pointiert und so erfährt man immer alles Nötige über einen Charakter. Ob von ihnen selbst oder in Gesprächen durch andere. Alle haben eine Geschichte und die ist oft bittersüß, regt zum Nachdenken an, fühlt sich authentisch an und rührt fast immer. Das ganze reicht von solchen Dramen, die von Anfang bis Ende durcherzählt werden bis zu solchen, die nur am Rande dargestellt sind, aber trotzdem etwas mit einem machen. Wie diese Frau, die fast jeden Tag alleine im Cafe sitzt und melancholisch aus dem Fenster schaut.

Ich bin ganz im Ernst vollkommen weggeblasen davon, wie gut Last Time I Saw You ist. Wie spielerisch leicht und gleichzeitig ernst es mit den Problemen seiner Charaktere umgeht, sie nie verballhornt, aber an den passenden Stellen doch Humor findet. Wie es seinen jungen Protagonisten nicht als passives Subjekt in einem von außen bestimmten Vorgang des Älter- und Erwachsenwerdens erzählt, sondern ihn als (bereits) volles, fähiges Individuum begreift. Wie positiv sein Menschenbild ist. Wie es dennoch nicht händeringend nach jedem Happy Ending sucht, sondern authentische Reaktionen auf authentische Gefühlslagen anbietet. Wie es auf seinen verschiedenen Ebenen zusammenspielt, Mythologie, den herannahenden Taifun und das Sammeln von Erfahren unter einen Hut bringt und dabei auch das eine zu einer Parabel auf das andere werden lässt. Wie es sich einer zu eindeutigen Bildsprache trotz seiner eindrucksvollen Wirkweise manchmal auch verweigert und am Ende Regen statt (eitel) Sonnenschein zu einer willkommenen und hochsymbolischen Wettererscheinung macht.
Krass, ist dieses Spiel wundervoll und nahezu perfekt. Es stört nichts daran – das Gameplay ist, wie gesagt, dezent und weiß immer, welche Rolle es spielt. Narrativ ist das Spiel auf allen Ebenen aus einem Guss und ich bin am Ende meiner Worte.
Last Time I Saw You verdient sich 9,5 von 10 japanische Köstlichkeiten, die eine Kappa-Dame sicherlich gerne verschnutzeln würde.
UND es schaltet mir den Buchstaben „L“ frei.
Geändert von MeTa (14.02.2025 um 11:14 Uhr)
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