Chained Echoes


Endlich bin ich mal dazu gekommen, diesen Pflichttitel unter den Indie-JRPGs nachzuholen – entwickelt von Matthias Linda (hier im Forum früher als mlistcool unterwegs). Es folgen ein paar ungeordnete Gedanken.

1) Es ist extrem beeindruckend, dass Chained Echoes quasi ein Ein-Mann-Projekt (abgesehen von der Musik und einzelnen Illustrationen/Hintergründen) ist, denn das Spiel ist riesig, storylastig und voller Gameplay-Systeme. Es ist zugleich auch überaus hübsch, recht aufwändig animiert, voller optionalem Zeugs und vor allem in allen Belangen auch ziemlich poliert. Ich komme echt nicht so recht darauf klar, dass Matthias Linda das alles im Alleingang in ein paar Jahren auf die Beine gestellt hat.

2) Die Dialoge sind sprachlich durchwachsen und das leider auf Englisch (Originalsprache) und Deutsch (Übersetzung). Meistens sind sie in Ordnung, aber man liest das Deutsche im Englischen des Öfteren heraus – und ironischerweise auch das Englische im Deutschen. Es ist nie so wirklich schlimm, aber es fehlt einfach eine gewisse Eloquenz, und das ist schade, denn in vielen Szenen hätte sie dem Spiel gutgetan. Es hat mir auch viel von der Immersion genommen, ständig zu denken: „So ganz gut klingt das aber nicht.“ Vielleicht auch eine Berufskrankheit, keine Ahnung. Aber für mich die größte Schwäche des Spiels.

3) Die Progression ist nur so semi-motivierend. Oder eher: Erkundung bringt mehr Progression, Kämpfe fast gar nicht. Es gibt keine EXP und Kämpfe bringen im Endeffekt nur Drops und winzige Mengen von SP, von denen man große Mengen braucht, um Skills aufzuleveln.

Zugleich bringen diese Upgrades aber gar nicht mal so viel. Hier mal +10% mehr Schaden, da mal etwas Giftresistenz. Man merkt den Unterschied nicht so riesig – da machen die aktiven Skills oder Accessoires ein bisschen mehr aus.

Das ist schade, denn das Kampfsystem selbst ist ganz cool, strategisch durchdacht und mit vielen coolen Kniffen.



4) Normale Gegner sind relativ zäh. Die Animationen selbst sind flott, Gegner halten recht viel aus und teilen auch ordentlich aus. Da man nach dem Kampf geheilt wird, ist jeder Kampf quasi ein All-Out Battle. Diese Designentscheidung respektiere ich, aber auf Dauer wurde mir das zu viel, zumal es ja kaum eine Belohnung für die Kämpfe gibt. Deshalb habe ich auf „Einfach“ umgestellt.

5) Die Handlung ist extrem ambitioniert, wendungsreich und hat ein ziemlich schnelle Pacing. Das sorgt häufig jedoch auch mal dafür, dass eine schockierende Enthüllung oder dramatische Wendung relativ schnell abgefrühstückt wird. Manchmal hinkt die Präsentation einfach hinter dem Inhalt zurück – was ich in Anbetracht des massiven (!) Scopes des Spiel total verstehen kann. Es hat aber unterm Strich doch dafür gesorgt, dass ich selten so richtig emotional investiert war.



6) Umso höher rechne ich es dem Spiel an, dass es mich in einigen Momenten doch gut abholen konnte. Das schaffen wenige Spiele, die bei mir den richtigen Nerv überwiegend nicht treffen. Vor allem die Enthüllung, dass (SPOILER) Glenns früheres Ich nicht Lennes Geliebter, sondern ihr Mörder war, hat mich echt kalt erwischt. Richtig gut!

7) Ich bin beeindruckt, wie sehr es das Spiel noch geschafft hat, allen Charakteren einen ordentlichen Backdrop zu verpassen. Amalia mochte ich anfangs zum Beispiel nicht besonders gern, aber ihre Vergangenheit und ihr „Fluch“ und seine Kosten haben mich dann doch ziemlich mitgenommen.

8) Die Welt ist riesig – hui, das hätte ich bei einem Ein-Mann-Projekt definitiv nicht erwartet. Und die Erkundung hat auch viel zu bieten, auch in Kombination mit dem Questboard. Hat mich trotzdem nicht so motivierend, weil halt Progession im RPG-Sinne trotzdem überschaubar ist. Auch beim Crafting hatte ich nicht das Gefühl, Quantensprünge zu machen. Diese +10% hier und da fühlen sich halt nicht nach merklichem Wachstum an.

9) Die Inspirationen des Spiels sind offensichtlich, was nicht schlimm ist, aber stellenweise liest man Xenogears – gerade bei der Handlung – doch extrem stark heraus. Da wenige andere RPGs aber so tief in diese Richtung gehen (Stichwort Reinkarnation), hat es sich aber trotzdem frisch genug angefühlt.



tl;dr: Wirklich, wirklich beeindruckendes Spiel für ein Ein-Mann-Projekt. Ich hab die ambitionierte Handlung nicht immer so ganz gefühlt und hier und da gibt’s Abzüge in der B-Note. Unterm Strich aber auch handwerklich extrem poliert. Nur mit der RPG-Progression wurde ich so gar nicht warm – das hat mir dann auch den Anreiz genommen, später noch viel zu erkunden, obwohl die Welt durchaus was hergibt.

Spielzeit: 20:30
Wertung: 7,5/10

Challenge-Achievements:
Beende 12 RPGs (2/12)
Beende 6 Indie-RPGs (2/6)
Beende 6 angefangene Spiele aus 2024 oder früher (3/6)