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Auserwählter
[Durch die geschlossenen Jalousien filtert pinkes, violettes und rotes Licht ins Büro der privaten Detektei von Inspector Kaia. Ein dumpfes Klopfen hallt durch den Raum, begleitet von einem Flügelschlag im Jalousienkasten. Sanfte Klänge von Indie-Pop übertönen das rhythmische Klackern des Schnabels. In der dunklen Ecke des Raumes raschelt ein Schatten mit seinen Flügeln.]
MYSTERIÖSER SCHATTEN
Zeitreisen also, mh?
KAIA
[nippt an ihrem Kakao mit leichter Zimtnote]
Ein Kinderspiel. Leichter als an authentisches Sahlep zu kommen. In dieser Stadt ist alles möglich im Zwielicht der Neonlichter. Nun ja, fast alles. Manchmal bleibt selbst die Beschaffung von zerstoßener Orchideenwurzel ein Rätsel. Und gut geschriebene Teenager-Charaktere – ein Mysterium für sich.
MYSTERIÖSER SCHATTEN
Ich fand Max eigentlich recht charmant, und die Dialoge in Life is Strange haben mich nie gestört. Es gibt definitiv schlechtere Beispiele. Aber DONTNOD hat sich zumindest bemüht, realistische Millennials darzustellen. Das endet halt manchmal im Cringe. Doch die Nebencharaktere sind mir besser im Gedächtnis geblieben als Max und Chloe. Manchmal macht die Dosis das Gift, oder?
KAIA
Chloe ist ein komplizierter Charakter.
MYSTERIÖSER SCHATTEN
Ja, ich könnte mit Chloes Darstellung besser umgehen, wenn ich das Gefühl hätte, es sei Absicht. Man muss nicht jeden Charakter in einem Werk mögen. Charaktere mit deutlich negativen Eigenschaften finde ich sogar oft spannender als Sympathieträger. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Chloes manipulative und toxische Seiten bewusst geschrieben wurden.
LiS und spezifisch das Ende funktionieren nur, wenn man Chloe wirklich lieb gewonnen hat (und selbst dann fände ich eine Entscheidung für sie als moralisch fragwürdig.) Das Spiel hat also ein Interesse daran, genau diese Beziehung zu vermitteln. Es fühlt sich aber in der Praxis hohl an. Unecht. Wie der Nebel, der sich nach dem Osterfeuer über die Stadt legt.
KAIA
Oder wie Sahlep aus Maisstärke.
MYSTERIÖSER SCHATTEN
Es liegt wahrscheinlich auch am Alter. Mit 25 konnte ich diese Aspekte besser ausblenden oder habe sie nicht in der Form wahrgenommen. Und versteh mich nicht falsch: Beim ersten Durchspielen haben mich das mytserium, die Welt, die Schauplätze und charaktere voll abgeholt und mitgenommen. LiS ist sogar eins meiner Lieblingsspiele, schlicht wegen dem, für was es steht. Aber es fühlt sich an, als hätte das Entwicklungsteam beides gewollt: Einen komplexen, realistischen Charakter, die von ihrem Trauma gezeichnet ist und gleichzeitig eine Sympathieträgerin, mit der man Mitleid haben kann. Zweiteres ist nicht gelungen und deswegen fühlt sich Chloe so frustrierend an. Und das Ende ist halt maximal scheisse: Episode 5 generell ist so überstürzt und eine einzige Spielzeitverlängerungsspirale. Beide Enden lassen mich unbefriedigend zurück. Das eine ist offensichtlich schrecklich, und beim anderen ergibt man sich dem schwammigen Schicksal.
KAIA
Ja, dass man am Ende durch ein Labyrinth schleichen muss und nochmal alle "Highlights" der letzten 15 Stunden als Museum bewundern soll, ist so fishy wie eine Packung Tiefkühlgyoza mit Kimchigeschmack, die etwas zu lange im Tiefkühler lag.
MYSTERIÖSER SCHATTEN
[kopfschüttelnd und enttäuscht]
Und warum es vier Minuten nach Release eine Remastered-Edition geben musste, erschließt sich mir ehrlich gesagt bis heute nicht.
KAIA
[zuversichtlich]
Jetzt folgt aber erst einmal die Fortsetzung. Oder das Prequel? Egal. Wie viel schlimmer kann es werden?
MYSTERIÖSER SCHATTEN
[schüttelt den Kopf, von Erinnerungen an Teenagerinnen geplagt, die als schwammiges Mysterium besser funktioniert haben]
Oh, Kaia, wenn du wüsstest...
[Der Schatten verlässt das Büro wie er gekommen ist, über den Jalousienkasten. Kaia starrt auf die Fotos an der Pinnwand, während das Gengar-Plüschtier in der Ecke sein schelmisches Grinsen nur zu verstärken scheint.]
Geändert von Caro (31.03.2024 um 15:31 Uhr)
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