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  1. #11
    Tales of Berseria

    Warum eigentlich?

    Dieser Teil ist neu in meinen Reviews in diesem Thread, doch ich schätze, dass ich bei der Auswahl des Eintrags aus der Tales-Reihe doch ein paar Worte verlieren muss.

    Bislang habe ich mich mit Tales of Symphonia und Tales of Vesperia vergnügt. Während ich Symphonia bereits vor ein paar Jahren gespielt habe, war letztes Jahr Vesperia dran. Beide spielen haben mir in etwa gleich gut gefallen. Und zwar: Gut. Nicht mehr und nicht weniger. Symphonia hätte zeitweise vermutlich hoher hinaus gekonnt. Ohne mich noch viele Details erinnern zu können weiß ich, dass ich nach 20 Stunden ziemlich angetan war. Und da hätte das Spiel auch ohne Weiteres enden können. Aber… dann kamen noch mal 20 Stunden. Uff! Das hat mich damals sehr genervt und so das Fazit: gut.

    Tales of Vesperia hat mich mit seinen Längen und Worldbuilding-Wendungen nicht mehr überrascht – und das meine ich positiv. Ich war nicht mehr vor den Kopf gestoßen von immer weiteren Storyloops, die wie eine Spielverlängerungsspirale wirken. Begeistern tut genau das keinesfalls, aber zwischendurch gibt es diese Momente, in denen man einen Einblick in die Party-Konstellation bekommt. Das Bantering zwischen den Charakteren. Genau das eben, was ich bei Ni No Kuni (unter anderem) so extrem vermisst habe. Und das machte das Spielerlebnis gut. Nicht mehr, aber gut.

    Ich habe das Gefühl bekommen, dass ich Tales of verstehe. Dass ich weiß, was ich zu erwarten habe, im Positiven wie im Negativen. Deswegen habe ich mich am Anfang des Jahres entschlossen, das entsprechende Achievement in meinen Kanon aufzunehmen: Tales of Mediocrity. Das „gut, aber auch nicht mehr“-Achievement. Und als es nun darum ging, zu entscheiden, welchem Tales of ich dafür meine Aufmerksamkeit schenke, war Berseria nicht weit. Schon Vesperia und Symphonia hatte ich ja basierend auf Bestenlisten der Reihe ausgewählt, weil mir nicht danach ist, innerhalb einer für ihre Mittelmäßigkeit bekannten Reihe die schlechteren Einträge zu picken. Auch Berseria schneidet in diesen eher besser ab. Noch dazu soll es „the darkest game in the series“ sein, was mir vielversprechend erschien. Und aufgrund eines Sales hatte ich es sowieso schon in der Library…

    Story?

    Velvet lebt mit ihrem Bruder Laphicet und ihrem Schwager Arthur in einem kleinen, eigentlich beschaulichen Dorf. Vor einigen Jahren war sie Überlebende eines Dämonenangriffs auf dieses Dorf, bei dem jedoch ihre schwangere Schwester gestorben ist. Das Geschehene nagt noch an ihr. Doch sie hat ihren Bruder und ist gewillt, ihn vor den Übeln der Welt zu beschützen. Umso schlimmer als sie eines Tages, bei einem erneuten Dämonenangriff in einer „Scarlet Night“ dabei zusehen muss, wie ihr Bruder von niemand geringerem als ihrem Schwager rituell geopfert wird, um die Welt zu retten. Es gelingt Velvet nicht, ihn zu retten. Stattdessen wird sie selbst zu einer Dämonin und fristet die kommenden drei Jahre ein einsames Dasein in einer Gefängniszelle. Gelegentlich werden ihr durch die Decke andere Dämonen hinein geworfen, die sie tötet und isst. Als sie nach einer halben Ewigkeit unverhofft aus ihrer Gefangenschaft ausbrechen kann, sinnt sie auf Rache für ihren Bruder.

    Das Spiel

    Getrieben von Rachegedanken und anderen Motiven der Misfit-Bande, die sich rund um Velvet bildet, wird das Holy Midgand Empire bereist. Städte in unterschiedlichsten Klimazonen und mit unterschiedlichsten Bewohner:innen, weite Felder, Schneelandschaften, Strände, Dungeons, Tempel und mehr. Die Städte sind mit viel menschlichem Leben gefühlt, die Dungeons mit viel dämonischem.

    Anders als bei anderen Einträgen der Reihe gibt es in Berseria keine Oberwelt, auf der man sich nach Belieben umherbewegt. Es gibt ein Piratenschiff und eine Seekarte, anhand der man die verschiedenen Häfen anfahren kann. Trifft man außerhalb der Städte auf Monster (oder auf Feinde anderer Natur), startet ein Kampf. Wie üblich für die Reihe handelt es sich dabei um ein Action-Kampfsystem. Und wie üblich für mich spiele ich in narrativen Spielen gerne auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad. Das heißt, dass ich eigentlich nicht viel mehr getan habe als wild Knöpfe zu drücken.
    Man findet im Verlaufe der Reise Equipment, kann dies anlegen, tauschen, bei Händler:innen verbessern, aber auch auseinandernehmen, um daraus Materialien herzustellen, mit denen wiederum anderes Equipment zu verbessern ist. Ich kann insgesamt wenig über dieses System sagen, wie eben auch über die Mechanik und Komplexität der Kämpfe, weil ich es mir einfach genug gemacht habe, um mich damit nicht groß beschäftigen zu müssen. Nur so viel: Alles wirkt daran etwas rougher als ich es von Symphonia und Vespiria gewöhnt bin. Das passt irgendwie zum Charme des Spiels und hat mich nicht weiter gestört. Aber ich bin schon einen Schritt weiter.

    Wie war es denn nun?

    Seit Beginn dieser Challenge schreibe ich mir zu fast jedem Spiel auf einem Schmierzettel nebenbei Dinge auf, die ich während des Spielens so denke oder empfinde. Und kein Zettel ist auch nur ansatzweise so voll wie dieser.

    Ich wiederhole mich: Die Roughheit der Kämpfe stört nicht, aber ist auch kein extrem spaßiger Zeitvertreib. Die Dungeons – und damit meine ich nahezu alles, was keine Stadt ist und wo sich Dämonenmobs herumtreiben – sind unnötig groß, ziehen sich und das Spiel in die Länge und sind zu leer und zu karg, um irgendwie interessant zu sein.

    Aus dem Nichts kommende Storywendungen, die einen neuen Blick auf die Lore des Spiels werfen, sind vorprogrammiert und passieren gerade gegen Ende ständig. Signifikante Feinde der Truppe haben zufällig stets eine besondere Verbindung zu mindestens einem der Partymember und zeigen den Abenteurer:innen beim ersten, zweiten oder dritten Aufeinandertreffen noch ihre Grenzen auf oder fliehen, wenn sie in die Bredouille kommen. Diese und andere Genre- sowie Tales-Klischees sind auch in Berseria zu Hauf zu finden und machen zu jeder Zeit klar, was ich da gerade für ein Spiel spiele.

    Doch zu keiner Zeit des Spielens habe ich Tales of Berseria deswegen signifikant weniger gemocht.

    Mit dem Thema und seiner tatsächlich düsteren Grundstimmung, die vor allem durch die Rache-Motivation der Protagonistin gesetzt wird, war ich früh voll dabei und das war nur mehr der Fall, je deutlicher das Thema wird (und glaubt mir, es IST verdammt deutlich. Der Holzhammer wird ausgepackt): Autonomie, freie Verfügung über sich selbst, freier Wille und die groteske Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz. Auf verschiedenste und doch gemeinsame Weise kämpfen die spielbaren Charaktere der Party dafür, Verwalter:innen über ihr eigenes Schicksal zu sein und sich nicht einer sicheren, idealen, aber fremdbestimmten Welt hinzugeben, wie die Abbey sie möchte.

    Die Charaktere sind Dämon:innen, Hexen, Verräterinnen, Verfluchte, Sklaven. Die Créme de la Créme der Ausgestoßenen, die nicht bloß von der Welt um sich herum zu Bösewichten gemacht werden, sondern über weite Strecken des Spiels rücksichtslos, unmoralisch und egoistisch handeln. Die Siths dieser Welt, die sich von Emotionen verführen lassen und gegen die Herrschaft der Jedi-Abbey aufbegehrt, die das zu verhindern versucht. Manche von ihnen wollen sich gegen diesen Faschismus wehren, weil er falsch ist, doch andere nur, weil sie ihre ganz eigenen Ziele verfolgen. Sie sind nicht gut. Sie sind oft absolut liebenswert, aber nicht gut. Anders als die Tales-Reihe. Höhö.

    Velvet ist eine fantastische Protagonistin. Sie ist die Anführerin der Misfits. Sie ist badass und stark – aber eigentlich ist sie verdammt schwach. Wenn ihre harte Schale nicht gerade aufbricht, schreckt sie vor nichts zurück. Wenn sie es doch tut, merkt man, wie groß der Schmerz in ihr ist und wie sehr sie sich selbst verachtet. Wie sie sich nur noch als Waffe ihrer eigenen Agenda wahrnimmt.

    Rokurou ist ein Dämon und besessen. Besessen davon, seinen Bruder zu bekämpfen. Besessen von der Idee, ein Dämon ohne moralischen Kompass zu sein. Und das ist auch irgendwie wahr. Doch gleichzeitig ist er charmant und positiv, findet Freude an kleinen Dingen.

    Laphicet wird frisch aus der Sklaverei befreit. Er lernt, sich einen eigenen Willen zu bilden und diesen Willen durchzusetzen. Er ist ein kleiner Junge, sanft und manchmal naiv. Doch ihm wohnt eine Stärke und Entschlossenheit inne, die er an sich bloß entdecken muss.

    Eizen ist verflucht, er und seine Nächsten vom Pech verfolgt. Er hat ein großes Wissen über die Welt und ist seltsam mitgerissen von trivialen Dingen. Vor allem verkörpert er aber die Freiheit des Piratentums. Den unbedingten Willen, das Ruder des eigenen Schicksals selbst in der Hand zu halten. Er ist vermutlich die eindeutigste, explizitiste Antwort auf die Abbey und ihre Politik der Gleichschaltung.

    Eleanore ist eine Exorzistin der Abbey. Sie glaubt an das Gute, ist getrieben von Moral und Rechtschaffenheit. Doch sie wird lernen, das trügerische Weltbild der Abbey zu hinterfragen, ihre eigene Wahrheit zu suchen und die Freiheit der Menschen, Unmoralisches zu tun als Bestandteil ihrer eigenen Moral zu akzeptieren.

    All diese Charaktere sind wunderbar. Jeder einzelne von ihnen wäre in den anderen beiden Tales-Spielen, die ich gespielt habe, easy mein Lieblingscharakter geworden. Und auch als Gruppe funktionieren sie hervorragend. Sie streiten sich ganz toll, kitzeln ihre besten und schlechtesten Eigenschaften aus den jeweils anderen heraus und formen authentische Verbindungen, ohne dass sie sich das ganze ständig dramatisch bekunden müssen. Hell, die meiste Zeit leugnen sie sogar, sich überhaupt irgendwie leiden zu können. Und das passt zu ihnen und macht die Gruppendynamik so stark.

    Und dann ist da Magilou. Ich liebe Magilou. Sie ist die meiste Zeit unbeteiligt. Sie ist lustig und klug, kommentiert ständig abfällig die Eigenschaften ihrer Mitstreiter:innen und auch über sie wird kein gutes Wort verloren. Wenn man ihr Glauben schenkt, interessiert sie sich mehr dafür, dass die Zeit mit der Gruppe für sie interessant ist als dafür, mit Freund:innen zu reisen. Sie ist apathisch, narzisstisch, sadistisch und vielleicht sogar wirklich böse. Aber sie nimmt nicht nur eine hervorragende Stellung in der Narrative ein, indem sie in jedem fantastischen Bantering treibende Kraft ist und die anderen triggert, bis sie mehr von sich preisgeben, sondern sie ist auch selbst so unheimlich interessant. Und so unheimlich lustig. Ich bin wirklich erstaunt, wie gut das Comedy-Potenzial von Berseria ist. Und in Verbindung damit auch das (englische) Voice-Acting.



    Struktur ist in diesem Erfahrungsbericht wieder Mangelware, aber ich musste einfach etwas zu den Charakteren schreiben. Und ich sollte so viel zu anderen Dingen schreiben, aber ich will hier auch nicht den Rahmen sprengen. Also wiederhole ich mich, zumindest halb:

    Die Roughheit der Kämpfe stört nicht, ist aber auch kein extrem spaßiger Zeitvertreib. Doch wann immer man gegen menschliche Gegner:innen kämpft, nutzt Velvet diese eine Secret Arte, die so verdammt cool ist und bei der sie schmerz- und hasserfüllt schreit und ich liebe es.

    Die Dungeons sind unnötig groß, ziehen sich und das Spiel in die Länge und sind zu leer und zu karg, um irgendwie interessant zu sein. Doch das macht nichts, denn während man durch die Dungeons rennt, ploppt immerhin ständig mein neuer Lieblingsbuchstabe unten rechts auf. Das gelbe Y des X-Box-Controllers. Und wenn ich den drücke, darf ich mir wieder Banter anhören, der mir eine neue Facette der geliebten Charaktere zeigt oder eine alte vertieft.

    Aus dem Nichts kommende Storywendungen, die einen neuen Blick auf die Lore des Spiels werfen, sind vorprogrammiert und passieren gerade gegen Ende ständig. Doch im Vergleich zu anderen Tales-Spielen sind sie nicht nur ein Punkt auf der To-Do-Liste der Held:innen und bewegen nicht nur was in der Welt, sondern IN den imperfekten Charakteren, in ihrer Weltsicht, Motivation und Identität.

    Signifikante Feinde der Truppe haben zufällig stets eine besondere Verbindung zu mindestens einem der Partymember und zeigen den Abenteurer:innen beim ersten, zweiten oder dritten Aufeinandertreffen noch ihre Grenzen auf oder fliehen, wenn sie in die Bredouille kommen. Aber jedes mal wenn das passiert, zeigt es mir genau, was den Charakter antreibt, welchen Weg er/sie gewählt hat und was die Konsequenzen davon sind.

    Tales of Berseria ist wirklich kein perfektes Spiel. Und ja, viele Dinge könnten mir sauer aufstoßen, wenn es nicht so viel mehr geben würde, das ich ganz toll finde. Es ist so viel mehr als gut.

    Damit verdient Tales of Berseria absolut unerwartete 9 von 10 Vögel, die fliegen, weil sie fliegen wollen.

    ***

    Und weil ich doch noch ein paar Dinge mehr sagen will, packe ich eine gesammelte Liste an Random Thoughts in den folgenden Spoilertag (und das sind auch wirklich Spoiler):


    ____________________________________________________________

    Tales of Berseria beschert mir zu all dem auch noch ein Achievement. Yay!

    Aber… Moment, was ist das?



    Das ist ja gar nicht „Tales of Mediocrity“. Und das hat zwei gute Gründe. Zum einen: Magilou. Zum anderen: Ich würde mich nicht wohl damit fühlen, diesem Spiel diesen Stempel zu geben. Also erfülle ich mir mein vielleicht anspruchvollstes Achievement und lasse dieser Witch eine Ehre zukommen, die sie vielleicht nicht verdient, aber sich erwirkt hat. Und jetzt höre ich auf, zu ramblen. Und muss dieses Jahr wohl noch mal an ein Tales-Spiel ran.
    Geändert von MeTa (24.05.2024 um 07:54 Uhr)

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