Raging Loop

Story?

Der aus Tokio stammende Haruaki Fusaishi fährt nach der Trennung von seiner Freundin mit seinem Motorrad ins japanische Nirgendwo. Er hat einen Unfall und strandet in einer kleinen, technikfernen Dorfgemeinde. Die dort lebende Bevölkerung reagiert mit Vorbehalten auf ihn und andere Nicht-Einwohner:innen. Doch mindestens genau so beunruhigend: Ein dichter Nebel zieht über die Stadt und in der Nacht kommt es zu mysteriösen Toden. Die Ansässigen sind sich sicher, dass ein Ritual beginnen muss, dass sich "Feast of the Yomi Purge" nennt. Während die von den Göttern auserwählten Wölfe in der Nacht vermeintlich unschuldige Dorfbewohner.innen töten, muss tagsüber darüber verhandelt werden, wer die Wölfe sein könnten, damit man sie hinrichten kann. Nur so kann eine Seite gewinnen und Schaden vom Dorf abgehalten werden. Doch die wahren Ursprünge dieses "Festes" sind längst nicht das einzige Mysterium, das es zu lösen gilt...



Das Spiel

Raging Loop ist - zum Teil - der feuchtgewordene Traum von Werwolf-Fans. Und ich meine nicht Werwölfe im Allgemeinen, sondern natürlich das beliebte Kommunikationsspiel "Werwölfe von Düsterwald" (oder auch "Mafia"). Denn das Feast of the Yomi Purge ist im Wesentlichen genau das. Nur eben mit mehr als den regeltechnischen Archetypen, sondern echten Menschen. Und das ist toll für Leute, die auch das Werwolfsspiel gerne um Rollenspielaspekte erweitern, um mehr Tiefe zu geben. Diesbezüglich macht es total viel Sinn, dass die Veranlassung für das Feast auf Mythologie zurückgeführt wird. Denn die Dorfgemeinde ist (mal mehr, mal weniger) hochgradig gottesfürchtig und hinterfragt das ganze deswegen automatisch weniger als sie könnten. Man (respektive der Protagonist) ist, je nach Route, also mal indirekt und mal direkt in dieses Werwolfsspiel involviert und nimmt unterschiedliche Rollen ein, die sein Verhalten stark beeinflussen - wie das auch bei allen anderen der Fall ist. Dazu kommt, dass schon der erste, recht frühe Tod, der Haruaki ereilt, nicht etwa das Ende bedeutet. Vielmehr wird er in der Zeit zurückgesetzt und erinnert sich in kritischen Momenten an seine zuvor gemachten Erfahrungen. Er loopt. Das gibt ihm - und mit ihm der spielenden Person - die Möglichkeit, Fehlentscheidungen noch mal zu überdenken und eine andere Route einzuschlagen. Das ganze funktioniert - wie in Visual Novels üblich - natürlich über die gute alte Dialogauswahlfunktion.

Wie war es denn nun?

Puh. Es fällt mir unheimlich schwer, ein einheitliches Urteil für Raging Loop zu finden. Zwar habe ich die wichtigen Zäsurpunkte nicht anhand meiner Spielzeit abgecheckt, doch ich habe das Gefühl, dass ca. 2/3 des Spiels mir verdammt gut gefallen haben. Noch dazu weiß ich nicht, wie ich meine Eindrücke gut spoilerfrei schildern kann. Dementsprechend wird dieser Eintrag vermutlich ein verhackstückeltes Schundwerk für alle, die die Spoiler nicht aufdecken. Aber wer das Spiel nicht kennen sollte und es noch spielen will, weiß inzwischen ja eh genug.

Insbesondere die Route, in der Haruaki die Snake - also die Seherin - ist, hat mir hervorragend gefallen. Er muss taktieren und die Ziele seiner Untersuchung logisch auswählen, dabei darauf achten, die Informationen aus seinen vorherigen Loops nicht mit anderen zu teilen, Informationen für andere bereithalten, aber sich nicht zu sehr ins Fadenkreuz bringen. Das Konzept und der diverse Cast machen es möglich, dass dabei ein spannendes, unberechenbares und trotzdem nicht hanebüchenes Hin und Her zwischen erleichtertem Aufatmen und angespanntem Zittern entsteht. Obwohl man falsche Entscheidungen dank der Loop-Mechanik immer wiederholen kann, ist es keineswegs so, als würde die Tension dadurch verloren gehen. Denn man will es ja trotzdem so gut wie möglich überstehen und fragt sich zudem irgendwann, ob es selbst bei perfekten Entscheidungen überhaupt einen zufriedenstellenden Weg heraus aus dem ganzen gibt. Ähnlich stark setzt es sich in der Werwolfsroute fort - nicht was die Legitimation für die Kills angeht, aber das allgemeine Feast-Spiel. Man muss nun gegen logische Argumentationen aber auch treffende Intuitionen seiner smarten Mitstreiter vorgehen. Teilweise hat man das Gefühl: "Woher weiß der DAS denn jetzt? Wo hat Haruaki etwas Falsches gesagt?" Man beginnt, Leute zu fürchten und zu verabscheuen, die ja eigentlich nur smart und zum Wohle der Gemeinschaft (und ihres eigenen Lebens) handeln. Und das ist sehr stark. Doch gleichzeitig hatte diese Route - die auch die letzte der eigentlichen Werwolfsspielrouten ist - auch schon ein erstes Problem, das etwas an mir genagt hat:

Ich hätte mir gewünscht, dass es eine wirklich gute Erklärung dafür gibt, dass die Werwölfe das tun, was sie tun. Das Spiel klärt auf, dass es die Outsider als Wölfe nicht so hart trifft wie die Dorfbewohner:innen, weil die kulturelle und religiöse Tradition bei ihnen einfach tiefer verwurzelt ist. Doch Freunde, Verwandte und Geliebte brutalst töten, weil Regeln das nahelegen erscheint mir krass. Hier hätte ich mir - wie an vielen späteren Stellen - mehr "Show" und weniger "Tell" gewünscht. Ja, ich sehe alles durch Haruakis Augen und der kommt immerhin von außerhalb. Aber ich will ja auch andere Charaktere mögen und verstehen, wie sie an diese Punkte kommen können. Das ist sicher auch ein individuelles Problem von mir. Denn ich spiele ja sehr bewusst ein Death Game, bei dem genau das passiert und muss mich eben darauf einstellen, dass da so etwas passiert. Vielleicht hätte ich das nötige Maß an Suspension of Disbelief aufbringen müssen, um das zu akzeptieren. Tue ich bei Danganronpa und co. ja auch, wo die Motive für Morde auch bei Charakteren, die ich dann womöglich noch mag, nicht immer alles Handeln rechtfertigen. Aber Danganronpa ist over the top, hat verrückte, überzeichnete Charaktrere und ist allein deswegen ganz anders als das anfangs viel bodenständigere Raging Loop. Hier sind die Figuren eben so bodenständig oder auch "echt", dass ich persönlich mehr brauche, um sie nicht abzun.


So schlimm war das aber auch gar nicht. Der ein oder andere Charakter hat dadurch vielleicht an Faszination verloren, aber es gab immer noch viele, an die ich mich besser binden konnte. Doch der - für mich - spaßige Teil des Spiels war nun leider auch vorbei. Vor dem True Ending, dem letzten Pfad im Spiel, springt Haruaki nun noch mal durch ein paar Loops und nutzt die gesammelten Informationen, um weiteres Wissen aus den verschiedensten Charakteren hervor zu holen und das große Rätsel zu lösen. Das ist eigentlich eine coole Idee, hat mich aber mehr und mehr ermüdet, denn es wurde alles zu einem wahren Bombardement aus Exposition. Das hätte mich in jedem Fall überfordert. Noch dazu fand ich aber auch nicht besonders clever oder gelungen, worauf es hinausläuft. Wenn ich überhaupt richtig verstanden habe, was das so ist. Denn ich gebe zu, irgendwann nicht mehr ganz so aufmerksam gewesen zu sein. Ich liste einfach mal ein paar spoilerige Gedanken auf, die ich so hatte:


- Die Auflösung ist, dass das alles eigentlich gar keinen Religiösen, Magischen oder sonstwie Übernatürlichen Hintergrund hat, sondern eine Verschwörung der größeren Gemeinde ist, zu der das Dorf gehört. Der angepriesene Gott ist kein Gott, sondern eine Fabrikation von eben diesen Menschen, um die dort Lebenden zu unterdrücken. Gott ist ohnehin nicht das, was die meisten darunter verstehen. Gott ist ein inneres Prinzip. Das ist, so wie es präsentiert wird, eigentlich schon ziemlich lame, verliert im Gesamtkontext aber noch mal an Kraft. Denn während all das als mundane Verschwörung erklärt wird, gibt es trotzdem krass übernatürliche Elemente. Ein gewaltiges, ganz Japan zerstörendes Monster zum Beispiel. Oder eine alles vergewaltigende Präsenz, die eine Dorfbewohnerin besessen hat, lange bevor die Erzählung beginnt.

- Die erste Person, die man im Spiel trifft - noch außerhalb des Dorfes - ist die Ex-Freundin von Haruaki. Und er weiß das, sofort, auch wenn sie durchaus einige Geheimnisse parat hält. Als Spieler:in erfährt man das aber erst ganz am Ende des Spiels und kann es dann im Special Revelation Mode nachlesen. Warum? Einfach, weil es die spielende Person nicht wissen soll und man hier plötzlich erfährt, dass eben nicht jeder Gedanke mit einem geteilt wird. Nur damit es später mehr zu enthüllen gibt. Das gleiche lässt sich über Haruakis echten Namen sagen. Oder sicher über viele andere Details, die man noch aufdeckt, wenn man den Revelation Mode tatsächlich spielt, was ich nicht getan habe.

- Etwas, was ich dem Spiel eigentlich nicht wirklich vorwerfen kann, meine Spielerfahrung aber trotzdem negativ beeinträchtigt hat: Begriffe und Namen. Das Spiel ist eben japanisch und nicht so polished wie andere Genrevertreter, bei denen man das Gefühl hat, dass Übersetzungen für den weltweiten Markt schon mitgedacht sind. Ich stolperte ständig über Namen und musste auch nach 20 Stunden überlegen: "Moment, wer war das noch gleich!" Das ganze ist nicht anders, wenn es um regionale Geschichte, Folklore oder Mythologie geht. Verschiedene Begriffe stehen teils für das gleiche und umgekehrt. Auch Begriffe, die etwas anderes bezeichnen, klingen oft einfach gleich. Und in all dem Chaos der letztendlichen Enthüllungen steige ich irgendwann einfach nicht mehr durch. Und dann steige ich aus.

- Aus irgendeinem Grund machte Raging Loop am Anfang den Eindruck auf mich, als wäre es in bestimmten Klischeedingen weniger dramatisch als andere Spiele dieser Art (oder VN im Allgemeinen). Haha, wie naiv ich war. Das Frauenbild habe ich als schrecklich wahrgenommen. Teilweise habe ich das Gefühl, dass sich die paar konventionell hübschen weiblichen Figuren eigentlich nur darüber definieren, wie sie sich in Liebesdingen zum Protagonisten verhalten. Und dass sie hübsch sind, ist auch das Erste, das über sie gesagt wird. Die drei eigentlich tollen Haupt-Werwolfsrouten sind gleichzeitig irgendwie auch Romance Game-artige Routen, in denen sich Haruaki jeweils für eine dieser Frauen entscheidet und tiefe Gefühle für sie entwickelt. Naja, bis der Loop zu Ende ist und in der nächsten noch (literally) "some affection" übrig ist, aber er dann eben einer anderen an der Schürze hängt. Bis zur Mitte des Spiels (oder sogar weiter) hatte ich noch die Hoffnung, dass sich das irgendwie einordnet. Dass die seltsamen Gefühlsbeziehungen zwischen den Frauen und ihm auch nur ein Mysterium sind, zu dem es noch eine gute Erklärung gibt. Aber nein, Haruaki ist scheinbar einfach unwiderstehlich.


Das reicht. Ich könnte wahrscheinlich noch mehr sagen, wo die Eindrücke noch frisch sind. Und meine Frustration wird deutlich genug. Aber ich bin eben auch frustriert, weil die Erwartungshaltung zwischendurch so hoch war. Und das nicht, weil ich Mystery-VNs eh mag und das Setting für mich besnderen Reiz hatte. Sondern weil das Spiel selbst so gut war, dass es mich voll in seinen Bann gezogen hat. Doch ein Teil dieses Banns war eben auch das Versprechen auf eine tolle Auflösung. Und während ich zwar immer noch positiv an die coolen Routen zurückdenke, muss ich doch sagen, dass das Ende, welches ich wirklich als fürchterlich empfunden habe, nicht nur für sich genommen schlecht war, sondern auch die besseren Teile runtergezogen hat. Und das macht meine Unentschlossenheit aus.

Um diese Unentschlossenheit nicht nur in Worte, sondern auch in Zahlen zu fassen, vergebe ich 5 von 10 Wörter, die, wenn man sie mit anderen Kanji schreibt, etwas ganz anderes bedeuten können. Mehr kann ich dem Spiel für diese Auflösung nicht geben. Doch weniger wäre auch albern, wo es zwischenzeitlich doch auf einem fantastischen Kurs war und ich die tollen Aspekte auch im Nachhinein nicht missen möchte.

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Immerhin ist Raging Loop aber ein weiteres Häkchen auf meiner Challenge-Liste. Es ist ein Mystery UND Death Game-Visual Novel und beschert mir damit Progress in der Kategorie "999 - The Somnium Ronpa". Yay!