Spannend. Ich fand sie hier wirklich gar nicht störend und immer sehr geschmackvoll in den Erzählflow eingewoben. Was auch gar nicht selbstverständlich ist, weil ich normalerweise viel häufiger meine Probleme mit Comic Relief-Elementen habe. Liegt aber vielleicht auch wirklich daran, dass ich hier ganz besonders auf sie angewiesen war und eh so tief mitgefühlt habe und "drin" war, dass mich nichts dergleichen hätte raus holen können. Ich stimme aber zu, dass mich der Rest auch nicht so sehr interessiert hat, inklusive Technobabble. Auch die ganze Geschichte um den Konzern, Neils gestohlene Maschine und was da im Hintergrund noch so läuft. Ich habe ja noch etwas aus der Serie vor mir und werde dieses Statement womöglich zurückziehen müssen, wenn ich da dann lerne, warum das wichtig ist. :x
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Es geht dann aber auch direkt weiter mit dem Thema: Spiele, vor denen ich Angst hatte. Auch wenn die Angst hier wahrlich eine andere ist.
AI: THE SOMNIUM FILES – nirvanA Initiative
Story?
Ryuki und Mizuki werden als Mitglieder von ABIS vor einen neuen Fall gestellt, der Japan schockt. Die sogenannten Half Body Killings, in denen an verschiedenen Orten halbe Leichen auftauchen, die anscheinend auf molekularem Level vertikal in der Mitte durchgeschnitten worden sind. Bizarre Webvideos tauchen auf, die kryptische Nachrichten enthalten. Schnell stellt sich heraus: Die HB Killings scheinen eng mit Naix, einer Geheimorganisation, die an die Simulationsthese glaubt, verwoben zu sein. Über eine Zeitspannen von sechs Jahren hinweg forschen die beiden nach der Wahrheit.
Das Spiel
nirvanA Initiative unterscheidet sich in seiner Art nicht extrem von seiner Vorgängerin. Es ist ein Visual Novel, bricht das Klicken und Lesen aber oft genug auf. An Tatorten, beim Befragen von Zeug:innen oder beim abschweifenden Investigieren kann man per Cursormenü verschiedenste mal zielführende, mal alberne Fragen stellen, Verstecktes aufdecken oder sonstwie Erkenntnisse gewinnen. Das tut man dieses mal an der Seite von mehr als einem Protagonisten. Neben den detektivischen und laberreichen Passagen verfügt das Spiel über einige spezielle Passagen. Dazu gehören:
1. Action-Sequenzen, die sich in ihrer Ausgestaltung schon etwas von denen aus dem ersten Teil unterscheiden. Sie sind zahlreicher und vor allem Quick Time Event-iger, bestehen meistens aus mal mehr und mal weniger absurden Prügeleien und weniger aus (ebenfalls absurden) Shootouts, bei denen ballistische Bedingungen von der im Auge sitzenden AI perfekt berechnet werden.
2. Somniums, in denen man in die „Träume“ verschiedenster Charaktere eindringt, um dort Geheimnisse aufzudecken, die in ihrem (Unter-)Bewusstsein versteckt sind. Die können absurd werden, erfordern die Interaktion mit verschiedensten Objekten im Setting des jeweiligen Somniums und sind hier auch einfacher und mehr straightforward als im ersten Teil.
3. Reenactment-Passagen, die tatsächlich neu sind. Sie sind gameplaytechnisch aber auch nicht extrem speziell. In ihnen rekreiert der jeweilige Charakter mit der jeweiligen AI-Begleiterin das Geschehen an Tatorten oder anderen Plätzen von Bedeutung, um aus den Umgebungsspuren eine Geschichte zu kreieren.
Wie war es denn nun?
Der Grund dafür, dass nirvanA Initiative mir Angst gemacht hat und ich bis vor einiger Zeit sogar überlegt habe, ob ich es überhaupt jemals spielen soll? Ich liebe AI: The Somnium Files. Und wie es eben so ist, mit Spielen die man liebt: Sequels sind immer etwas Schwieriges. Ich bin allgemein jemand, der eine gute Geschichte gerne beendet weiß. Das gilt und galt insbesondere auch hier.
Weil AI: TSF ein sehr spezielles Spiel ist und in seiner Besonderheit auch von seiner Einzigartigkeit lebt. Es ist absurd, grotesk, lustig, regt zum Kopfschütteln an, hat seine weirden, peinlichen Momente und Momente, die so weird und peinlich sind, dass sie überhaupt nicht mehr weird und peinlich sind, sondern stattdessen ganz fantastisch. Es hat den besten Epilog der Videospielgeschichte und Charaktere, die trotz aller Absurdität des Spiels, teils unheimlich liebenswert und auch bodenständig sind.
Dabei hat es nicht geholfen, dass ich von vornherein wusste, dass Mizuki eine zentrale Rolle spielen wird, als eine von mehreren Protagonist:innen. Mizuki ist ein wundervoller Charakter und die Route, die in AI:TSF ihr Verhältnis mit Date erkundet, für mich klar das emotionale Highlight des Spiels. Auch wenn diese Route nicht das True/Canon Ending des ersten Teils ist, gehört es doch irgendwie dazu und auch das True Ending ist ja ziemlich famos. Ich mag den Status Quo, den das Spiel erreicht hat und hätte nicht mehr gebraucht…
Aber die Neugier hat eben doch zugeschlagen. Oder das Vertrauen in Uchikoshi oder, oder, oder. Jedenfalls habe ich nun also nirvanA Initiative gespielt. Und nach gut 5 Stunden Spielzeit war mir klar: Mein Review steht eigentlich schon. Hier mein Fazit nach eben dieser Zeit:
Das ist nicht mehr mein AI. Weil es zum Teil auch zu sehr mein/sein/dein/ihr AI sein will. Halb-alberne Musikstücke mit eigenwilligen Tänzen, mehr als im Vorgänger? Check! Die Obvious-Innuendo-Quote, an der noch mal mehr geschraubt wurde, so dass es wirklich weh tut und schrecklich nervt? Check! Einen Cast an Charakteren, von denen man einen Teil bereits kennt und einen Teil nicht, während es aber natürlich mehr um die Neuen geht, die gleichzeitig nicht so interessant wie die Alten sind? Check! Langweiligere Somniums mit weniger absurden Traumlogik-Mechanismen? Check! Noch dazu wirkt alles ein bisschen billiger. Die Optik, der Sound, das Writing – ich weiß nicht. Auch der neue Protagonist ist seltsam. Weil er einerseits total langweilig ist und andererseits random absurd. Gleichzeitig eine bleiche Erscheinung, andererseits zusammen mit seiner AI der Haupgrund warum alles noch viel pseudosexueller ist. Argh!
Meine Review stand also schon. Und ich war erheblich erleichtert. Meine Angst war besiegt. AI: The Somnium Files – nirvanA Initiative ist tatsächlich schlecht. Nicht so schlecht, dass es eine Qual wäre, es bis zum Ende weiter zu spielen, ABER schlecht genug, dass ich konstatieren kann: Dieses Spiel ist für mich kein Sequel, das existiert. Ich kann es einfach ignorieren.
Ja. Und dann habe ich weiter gespielt. Und mit jeder Stunde, die vergeht, wird es besser. Die Highlight-Passage vor der Häflte des Spiels, d.h. vor dem Charakterwechsel, hat es stimmungsmäßig richtig in sich. Einige Somniums sind richtig cool (Mames Quizshow, Iris' Pokemon-Mockup, Gens Kochduell). Dann flaut es kurz ab und die Angst kehrt zurück, denn jetzt kommt Mizuki und ich will nicht, dass Mizuki versaut wird. Aber… wird sie nicht. Mizuki ist cool. Ein geschundener, nachvollziehbarer, aber auch unheimlich empathischer Badass. Und auch der Fall bleibt spannend und die Schicksale der neuen Charaktere beginnen mich mehr und mehr zu interessieren. Sie rühren mich, belustigen mich und lassen mich dann auch wieder mitwippen, wenn zum x-ten mal eine Reiteration eines Liedes gespielt wird, das irgendwie schlecht, aber irgendwie halt auch so gut ist.
Das ist alles unheimlich faszinierend. Nicht nur, weil ich das Spiel wirklich schon vollkommen abgeschrieben hatte – und aus Erfahrung weiß, dass es unheimlich schwer ist, mich noch zu begeistern, wenn ich das tue -, sondern weil das bei AI: TSF ja AUCH schon der Fall war. AI 1 hat mich nie SO genervt wie es nirvanA Intiative zu Beginn tat und hatte für mich auch höhere Höhen, aber es hat mich eindeutig auch erst mit der Zeit so erobert wie es das getan hat. Mich förmlich weichgeklopft, teils mit Herz, teils mit Repetition. Und das beherrscht wirklich auch die Nachfolgerin, wenn nicht ganz auf dem gleichen Niveau.
An der Stelle möchte ich erwähnen, dass gegen Ende des Spiels ein paar Auflösungen und Twists absurd sind – und das in dem Fall nicht in einem guten Maße. Ich schlucke wirklich viel, aber da hat mich das ein oder andere doch mit dem Kopf schütteln lassen. Anderes funktioniert wieder besser und ohnehin interessiert mich das ja nicht so. Wie in meinen Reviews mit Sicherheit wiederholt erwähnt, geht es mir mehr um die Schicksale der Charaktere und ihre Geschichten. In der Hinsicht ist es gut, dass AIs Twists oft charakterbezogen sind, aber weniger gut, dass sie manchmal nicht wirklich mit den Charakteren zu tun haben, sondern mehr auf der Ebene von „X ist eigentlich verwandt mit Y“ ablaufen. Das überstrapaziert nirvanA Initiative etwas. Aber die Reihe ist vermutlich auch die einzige der Welt, die absurde, seltsame Kopfschüttel-Twists irgendwie trotzdem wieder mit dem Charme voller Überzeugung besprenkeln kann. Und es sei auch gesagt, dass es auch einige ganz hervorragende Offenbarungen gibt. Zu denen zählt auch das Secret Ending und was genau das vermitteln möchte. Und yay, wer ist bitte kein Fan von genretypischer, bedeutungsschwerer Pseudowissenschaft?
AI: THE SOMNIUM FILES – nirvanA Initiative ist reichlich irritierend und ähnlich begeisternd, auf eine wieder mal verquere Art. Ich fühle mich fast ein bisschen outplayed. Als hätte das Spiel meine Erwartungen gekannt, sie erfüllt und mir erst all das gegeben, was ich befürchtet habe, um mich dann doch wieder zu packen. Wild.
Dafür verdient es sich 9 von 10 (ehemals 8,5 von 10) Schmetterlingsträume.