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  1. #1
    Zitat Zitat von Sylverthas Beitrag anzeigen
    Ich fand ja, dass, das Spiel schon ne ganze Menge an Lore und Ebenen hat. Alleine, dass man glaube ich, Geschichten von 3 Generationen von anderen Shepherds mitbekommt, die alle auch mit den Seraphen interagiert haben, fand ich tolles Worldbuilding. Und zusätzlich hat man dann ja die Ebene davon, dass man durch Berseria weiß, was es früher mal war - und wie sich die Rollen praktisch über die Zeit invertiert haben. Also noch ne weitere Lore Ebene. Finde, das hat die Welt überraschend tief wirken lassen, was viele Tales of Titel nicht schaffen.
    Den Punkt finde ich auch ganz gut, um anhand davon zu illustrieren, was du schon formuliert hast: Dass Zestiria einige Dinge bereit hält, die es aber nicht gut zu präsentieren weiß. Das war bei der Lore für mich auch ganz besonders der Fall. Zum einen war der Käse da eben schon irgendwie gegessen, weil es mich nicht von Beginn an catchen konnte. Zum anderen fand ich die Lore-Pieces über diese zu suchenden Shards (eigentlichen Namen schon vergessen) aber auch reichlich langweilig in Szene gesetzt. Ich hatte zu all den historischen Figuren keinen Bezug, ihr Schicksal war mir egal. Gleichzeitig hat das Spiel aber irgendwie behauptet, dass das gerade rührend ist und das hat dann insbesondere nicht gefruchtet. Das fasst du ja auch treffend unter dem Wort „unnahbar“ zusammen. Stimmt aber, dass das eigentlich gut zum Archäologie-Thema passt. Wären die beiden Archäologen nur interessanter gewesen, hätten sie mich vielleicht anstecken können.
    Wenn man dafür offen ist, kann ich aber auf jeden Fall sehen, wie man das cool findet. Zestiria öffnet sich der eigenen Welt gegenüber grundsätzlich mehr als das andere Spiele aus der Reihe (von den wenigen, die ich kenne) tun.

    Auch zu der Party habe ich ja doch noch einige positive Worte gefunden. Nur, dass mir das Relevante eben viel zu spät und zu langsam passiert und es an Reibung fehlt. Alishas optionale Questline könnte ich sogar gespielt haben, die hat aber keinen Eindruck hinterlassen, weil ich Alisha dafür auch zu blass fand. Inwiefern sie schlau oder nicht schlau handelt, ist mir egal (so war das „blöd“ in meinem Beitrag jedenfalls nicht gemeint). Ich kann auch dumm, naiv und scheuklappenmäßig handelnden Charakteren etwas abgewinnen, und oft sogar besonders viel. Aber bei ihr hat sich das für mich nicht so angefühlt, als wäre da mehr als naives, blasses Versagen. Und die Charakterentwicklung wurde in der Endsequenz zwar angedeutet, in der sie gemeinsam mit dem einen Rittertypen die beiden Nationen bequatscht. Aber da hört man sie nicht mal reden. Genau in dem Moment also, in dem sie endlich mal Profil kriegen könnte, wird sie stumm geschaltet. Vielleicht habe ich also doch einen Teil ihrer Quest verpasst, wo sie noch mehr bekommt. Aber ob ich ihr wirklich noch eine Chance gegeben hätte, weiß ich auch nicht.

    Was Edna und Eizen angeht, habe ich den Teil auch nicht gespielt. Aber ich habe mich dazu noch eingelesen, weil das eben doch ein Schicksal war, das mich noch mehr interessiert hat. Eizen mochte ich in Berseria ja sowieso und auch Edna zählte für mich zu den stärkeren Charakteren und vor allem denen, bei denen ich am Ende traurig war, dass ich nicht mehr teilgenommen habe.

    Auch was die Themen angeht, stimme ich dir zu. Nur finde ich, dass da eben auch eine Schwäche liegt. Sorey ist ein klassischer Held, der entsprechende Tugenden vertritt und dafür einsteht. Er ist der Protagonist und das Zentrum der Geschichte, auf seiner Seite positioniert sich das Spiel schließlich auch. Dennoch gibt es den Nihilismus in Form von Heldalf und auch dieser Illusionsmagierin, die bis zum Schluss für ihn kämpft. Und die kriegen erstaunlich viel Platz, um darüber zu reden, werden am Ende aber doch irgendwo von Soreys schwachbrüstiger Überzeugung erdrückt. Auch das ist wieder symptomatisch und anhand von diesen Themen verstehe ich bspw. auch gut, warum sich jemand gedacht hat: „Oh, da braucht es Berseria“, wo dieser Konflikt beinahe umgekehrt wird, die nihilistische Leerstelle aber durch eine individualistische Sinnstiftung gefüllt wird und der Konflikt auch viel besser, viel fokussierter und viel charismatischer ausgeführt wird.

    Gerade weil ich – wegen meiner von Beginn an existenten Unlust, Soreys Schnarchnasigkeit und sicher auch dem ungerechten, dem Spiel nicht gut tuenden Vergleich zu Berseria – aber keine wirkliche Freude an Zestiria finden konnte, bin ich umso dankbarer über deine Meinung und fast ein bisschen neidisch, dass ich einige der Dinge nicht so erleben konnte wie du. Ich schaue mir gleich auf jeden Fall noch deinen Post zum Spiel an.

  2. #2
    Von Cipo nahe gelegt bekommen und dann hat Narcissu mir auch noch seine Hard Copy mitgegeben. Da konnte ich ja gar nicht warten.

    13 Sentinels: Aegis Rim

    Story?

    13 junge Menschen müssen sich in gewaltigen Kampfrobotern einer Armee an mechanischen Kaijus stellen, die es auf ihre Heimat abgesehen haben. Sie alle stammen scheinbar aus unterschiedlichen Zeiten und sind kreuz und quer durch eben diese gereist, um zur rechten Zeit an der rechten Zeit zu sein. Aber ist die Zeit überhaupt recht und ist es für den endgültigen Kampf gegen die mysteriösen Feinde nicht sowieso schon viel zu spät? Dieser Frage (und vielen weiteren) gilt es in 13 verschiedenen Storysträngen nachzugehen.

    Das Spiel

    13 Sentinels: Aegis Rim verfügt über drei Modi: Remembrance, Analysis und Destruction.

    In Destruction steuert man jeweils bis zu 6 von 13 Sentinels, die sich in taktischen Kämpfen aus isometrischer Perspektive den Kaiju-Horden erwehren. Die Sentinels stammen aus vier Generationen, sind mal mobiler, mal kräftiger und mal mit anderen Funktionen ausgestattet. Man kann sie mit unterschiedlichsten Waffentypen einrichten, pro Schlacht verschiedenste Einheitenzusammensetzungen auf das Feld schicken und hat taktisch auch sonst verdammt viele Möglichkeiten. Wie sich diese im Spiel äußern, kann ich aber kaum sagen. Ich habe, weil taktische Systeme mir eher weniger Spaß bereiten und es mir hier um die Story ging, auf dem Schwierigkeitsgrad „casual“ gespielt und musste nicht im Geringsten taktisch sein. Ich konnte machen was ich will und habe trotzdem jeden Kampf ohne Weiteres mit Bestnoten abgeschlossen. Hier und da habe ich überlegt, ob ich nicht doch mal umschalten soll, um in den möglichen Genuss des strategischen Handelns zu kommen, aber habe es nicht getan.

    Dass diese Option existiert und sie wirklich so leicht ist, finde ich aber toll. Und es hat mir auch trotzdem irgendwie Spaß gemacht, mit den schweren Maschinen über die simulierte Landschaft zu huschen und mit einem Wide Range Laser unzählige Einheiten auf einmal wegzuannihilieren.

    Der zweite Kern von 13 Sentinels ist der Remembrance-Modus. Hier erlebt man die halb Adventure-, halb Visual Novel-mäßigen Geschichten. Vor aufwändigen und auffällig schönen 2D-Hintergründen begeht man verschiedene vorwiegend urbane Schauplätze, die sich bald heimisch anfühlen werden und spielt nach und nach die Story der unterschiedlichen Charaktere frei. Im Zentrum stehen dabei die dreizehn Sentinel-kompatiblen Protagonist:innen, deren Geschichten man spielt. Doch es kommen auch etwa eine Hand voll weiterer Charaktere vor, die ihre Finger im Spiel der drastisch mit Twists und Überraschungen zugeleimten Geschichte haben.

    Zu guter Letzt finden sich im Analysis-Modus Informationen, die man während des Spiels freischaltet und hier nachlesen kann. Denn es wird komplex und sich an Details zu erinnern, kann hier und da nicht falsch sein.

    Immer wieder kommt man in den verschiedenen Modi an Thresholds. Geht es in der Story eines Charakters nicht weiter, muss man eventuell erst die eines anderen fortsetzen oder eine bestimmte Menge an Battles im Destruction-Modus hinter sich gebracht haben, um hier wieder ansetzen zu können.

    Wie war es denn nun?

    Zum Kampfsystem habe ich ja bereits eine Menge gesagt. Für mich ist es kaum angemessen zu bewerten. Doch es hat mich nie gestört, macht auf die Casual-Art solide Spaß und wird auch von Charakter-Banter begleitet, der das ganze noch etwas spannender gestaltet. Ich fokussiere mich hier also eher auf die Story.

    Und die ist, wie bereits erwähnt, wendungsreich. So sehr, dass ich zwischendurch immer mal wieder unsicher war, ob ich sie am Ende überhaupt verstehen werde. Die Antwort ist: Joa. Das Prinzip, das hinter allem steckt, erklärt sich am Ende doch recht leicht und deutlich, doch es gibt viele kleine Details, mit denen das sicher nicht so einfach ist. Wer zu welcher Zeit an welchem Ort ist, warum und in welcher Form – müsste ich jetzt, einen halben Tag nach dem Durchspielen von 13 Sentinels, eine Zusammenfassung abgeben, was die einzelnen Charaktere so gemacht haben, ich würde wahrscheinlich kläglich scheitern.

    Das zerstört die Spielerfahrung aber nicht. Denn die Figuren sind auch nicht nur Vehikel, um die Story voran zu treiben (okay, manche vielleicht), sondern haben ihre Eigenheiten und können einem damit gehörig ans Herz wachsen. Das ist bei der ein oder anderen Person wirklich sehr gelungen. Gleichzeitig ist es aber auch kein Zufall, dass zu meinen Lieblingscharakteren gerade die gehören, die in Sachen unvorhersehbarer Ereignisse nicht ganz so umtriebig waren. Ich habe es eindeutig leichter gehabt, mich auf Leute einzulassen, deren Remembrance-Episoden nachvollziehbar und kohärent ablaufen.

    Am besten ist das Spiel für mich zu Beginn der letzten 3-4 Stunden (der Story, wohlgemerkt). Dann, wenn die einzelnen Geschichten in ihrem jeweiligen Höhepunkt kulminieren, die Charaktere zu ihren Sentinels finden und durch das durchweg hervorragende Writing auch die Gelegenheit bekommen, noch mal zusammenzufassen, wofür sie stehen, was ihnen wichtig ist und/oder worum es bei ihnen eigentlich ging. In Folge geht es dann noch viel ums Erklären der Zusammenhänge, ums Herausfinden der letzten Twists und Geheimnisse und so verliert 13 Sentinels am Ende doch ein klein wenig Faszination und ernüchtert durch sein Ende geringügig. Das ist aber Meckern auf hohem Niveau.

    Interessiert man sich nämlich für kleinteilig gebastelte Science-Fiction-Plots, findet man das wahrscheinlich ziemlich cool. Und die vielen Stunden, in denen man Zeit mit teils wirklich erstaunlich faszinierenden Charakteren verbracht hat, macht es eh wett. Genau darum geht es mir und genau das habe ich die meiste Zeit über bekommen.



    Für das letzte Bisschen, das 13 Sentinels also auf eine Reihe mit den ganzen Spielen hieven würde, die dieses Jahr von mir eine 9 bekommen haben, reicht es aufgrund des Endes und der Anxiety, womöglich nicht genug zu verstehen, nicht ganz, aber eine 8,5 von 10 sich liebenden Teenager:innen ist doch allemal drin.

    Und weil es bei so einem Cast natürlich sein muss, hier noch meine Tierlist der Charaktere:


  3. #3
    \o/

    (Das ging aber fix!)


  4. #4
    I Was a Teenage Exocolonist

    Story?

    An Bord eines Raumschiffs geboren, erreicht Sol im Alter von 10 Jahren das Ziel: Ein fremder Planet, auf dem ein Haufen an Flüchtenden von der kriegsgeplagten Erde Schutz suchen. Hier entsteht eine neue Kolonie. In den kommenden zehn Jahren werden die Herausforderungen zahlreich sein. Sol muss sich den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens stellen, aber auch den speziellen Bedingungen des neuen Planeten; der unbekannten Flora, Fauna und den politischen Entscheidungen der Älteren.

    Das Spiel

    Im Wesentlichen ist I Was a Teenage Exocolonist eine Lebenssimulation. Nachdem man sich anhand einiger Presets seine:n Sol erstellt, wacht man bald im Medbay des frisch gegründeten Settlements auf. Die Monate vergehen und jeden Monat kann Sol sich einer von mehreren Aufgaben widmen, die den verschiedenen Stationen der Siedlung entsprechen; der Anbau von Nahrung in den Geoponics, dem Lernen von notwendigstem Wissen im Engineering Bay, dem Sport im Garrison oder der Verwaltung im Command Centre.

    Die zwölf Skills, die in die Unterkategorien Social, Intellectual und Strength aufgeteilt sind, steigen entsprechend der gewählten Aufgaben. Das gibt Sol nicht nur bald ein Profil, sondern auch die Möglichkeit(en), in entsprechenden Situationen auf Basis eines weit genug gesteigerten Skills angemessen zu reagieren, aber auch, sich besonders gut mit einer Person aus seiner Freundesgruppe zu verstehen – anderere Kinder, die auf der langen Reise zur neuen Heimat zur Welt kamen und ihre ganz eigenen Bedürfnisse, Werte und Eigenschaften haben. Denn ja; wie es sich für eine gute Life Sim gehört, gibt es natürlich auch Freundschaften, die vertieft und verändert werden und aus denen sich auch Romanzen entwickeln können.

    Man kriegt viel zu lesen, denn jedes Event und jede Entscheidung kommt nicht nur mit harten Zahlen, sondern auch mit einer Menge Fluff. Neben Skills, bringen Sol gemachte Erfahrungen außerdem Karten ein. Denn I Was a Teenage Exocolonist ist außerdem ein Deckbuilding-Game. Die Karten, die man zu bestimmten Events bekommt heißen zu Beginn „Crawling“, „Learning to Walk“ und Co. und spiegeln entsprechende Momente im Leben Sols wieder. Man kann sie mit der Zeit vergessen, um Platz für neue Erfahrungen zu machen und sollte das auch tun. Denn Karten mit hohen Ziffern sind von Vorteil, wenn nicht nur Skills, sondern eben auch Erfolg in den Kartenspielproben über das Gelingen einer Sache entscheidet.



    Nach und nach schalten sich im Spiel mehr Möglichkeiten frei. Mehr Dinge, die es zu tun gäbe. Selbst lehren, den Planeten erkunden, immer mehr über die Charaktere und die Spielwelt erfahren, mit immer mehr unabwendbaren Entwicklungen konfrontiert werden…

    Wie war es denn nun?

    I Was a Teenage Exocolonist funktioniert auf allen Ebenen ziemlich gut. Weil es sehr genau weiß, was es will und weil es das auch toll umsetzt. Die Mischung aus individuell gestaltbarer Coming of Age-Geschichte, süchtigmachendem Lifesim-Loop mit Romance-Options und Deckbuilding-Game geht wirklich auf.

    Man fühlt mit Sol und den anderen Teenagern mit, deren Leben in der Exokolonie kein Einfaches ist. Denn während die Themen des Aufwachsens und der Kolonisierung eines fremden Planeten (mit aller Brutalität, die zum kolonialen Prozess so gehört) zwei ganz eigene sind und sich manchmal vielleicht sogar ein bisschen im Weg stehen, kommen sie in einer Hinsicht doch gut zusammen: Erwachsene kreieren Sphären, die für junge Menschen vermeintlich geeignet und ungeeignet sind. Und mehr und mehr bemerken die jungen Menschen das. Zwischen „die sind zu jung, um x zu tun“ und „irgendwann müssen sie anfangen, y zu machen, wenn sie zu unserer frisch entstanden Gesellschaft mit all ihren Problemen etwas beitragen wollen“ entsteht ein sehr gut auf das Setting adaptiertes Spannungsfeld. Nicht zuletzt ist die Frage nach Loyalität (zu Erwachsenen bzw. der Kolonie als solchen) oder Rebellion im Inneren des Charakteres ein zentrales, auch durch einen entsprechenden Pegel dargestelltes Thema im Spiel.

    Auch funktioniert das alles aber, weil die Charaktere – allen voran die Freunde Sols – wirklich gut geschrieben und sehr divers sind. Ich habe früh meine Wahl getroffen, an wem Sol interessiert ist und bin davon auch nicht abgerückt, doch hatte durchaus häufiger das Bedürfnis, mich auch auf andere einzulassen, weil mir gleich mehrere Figuren auf ihre jeweilige Art sehr gefallen haben. Zum Glück gibt es dafür ja die Möglichkeit eines Replays, für das sich das Konzept natürlich hervorragend anbietet.

    Weil ich ein Nitpicker bin, möchte ich aber auch ein bisschen Kritik üben.

    1. Ich habe zwar gesagt, dass so ziemlich alles gut geschrieben ist und sehr viel zulässt. Das stimmt auch. Gerade wenn ein Spiel so viele Freiheiten lässt, ist es aber besonders spannend, zu sehen, wo genau es das eben nicht tut. In dieser Hinsicht sind mir ein paar Details sauer aufgestoßen. Immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass das Spiel doch eine etwas zu genaue Vorstellung davon haben will, was Teenagersein generell eigentlich sein und bedeuten soll. Vielleicht sehe ich das zu streng und auf irgendeine Art muss sich ein Spiel mit so vielen Texten ja auch beschränken, aber mir kam es eben gelegentlich doch einen kleinen Hauch zu voreingenommen vor. WEITAUS weniger voreingenommen als wohl 98% aller anderen Spiele, aber gerade weil es offensichtlich der Anspruch von IwaTE ist, das nicht zu sein, ist mein Maßstab auch ein anderer.

    2. Ich habe es bereits angeteast. Die Mischung an Genres ist eigentlich superspannend und findet manchmal auch gut zusammen. Manchmal aber auch nicht. Im exokolonialen Setting kommt es früher oder später zu Spannungen, die der Coming of Age-Geschichte etwas ihren eigenen Drive nehmen, sie hier und da überlagern und eigentlich interessanten, gut beobachteten Momenten den Raum nehmen. Es gibt ein Maß an externer Eskalation, das der Introspektive irgendwie entgegensteht. Und oft auch ein bisschen zu sehr mit dem Holz- oder Stahlhammer verkauft werden.

    Dazu kommen Aspekte, die ich selbst gar nicht so gut einschätzen kann, wo ich aber zumindest eine Grundskepsis habe. Die – meiner Einschätzung nach – eigentlich hervorragende Unterbringung von nonbinären Geschlechtsidentitäten wird hier eben auch mit Sci-Fi-Themes vermengt. So gibt es einen Trans-Charakter im Freundeskreis Sols (im Übrigen mein Love Interest), die – durch entsprechend versciencefictionisierte technologische Möglichkeiten - bereits bei Ankunft auf dem Planeten eine vollständige Transition durchgemacht hat und sich im Laufe der Zeit doch erneut unwohl mit ihrem Körper fühlen wird. Nicht, weil ihr das Geschlecht nicht passen würde, sondern weil sie überhaupt nicht gerne auf einen menschlichen Körper reduziert ist. Wie gesagt – ich kann überhaupt nicht einschätzen, ob das irgendwas trifft oder doch weird ist. Es ist mir nur aufgefallen und eher in die zweite Kategorie gefallen, weil ich teils auch aus akademischen Gründen Trans-/Posthumanismus nicht so pralle finde und das hier eindeutig impliziert und eben mit der Körperdysphorie vermengt wurde.

    3. Die Länge des Spiels ist ein kleines Problem. Einerseits gut, sich für all das viel Zeit zu lassen. Immerhin spielen sich zehn Jahre nicht im Rausch weg, vor allem wenn man jung ist. Doch ich habe elf Stunden gebraucht und bin nicht bekannt für meine langsame Les- und Spielweise. Das ist für ein Spiel, dass sehr wohl und sehr deutlich häufig gereplayt werden möchte, reichlich lang und die Längen machen sich hier und da auch bemerkbar. Nicht schlimm, aber doch etwas.

    Damit habe ich aber auch genug gemeckert und mein leichtes Mitteilungsbedürfnis befriedigt. I Was a Teenage Exocolonist ist wirklich ein tolles Spiel, geht an sich auch toll mit Representation um und sieht auch ziemlich schick und cute aus. Ich habe den zweiten Playthrough schon gestartet und bin gespannt, was ich an Sol und allem/n anderen noch Neues entdecken werde.

    Dafür vergebe ich stolze 8 von 10 süße, gnubbelige Tierwesen, die man als Pet halten kann und die man natürlich „Kaia“ nennen muss.


  5. #5
    Freut mich, dass die Sentinels angeschlagen haben!

    Zitat Zitat
    Am besten ist das Spiel für mich zu Beginn der letzten 3-4 Stunden (der Story, wohlgemerkt). Dann, wenn die einzelnen Geschichten in ihrem jeweiligen Höhepunkt kulminieren, die Charaktere zu ihren Sentinels finden und durch das durchweg hervorragende Writing auch die Gelegenheit bekommen, noch mal zusammenzufassen, wofür sie stehen, was ihnen wichtig ist und/oder worum es bei ihnen eigentlich ging.
    Da gebe ich dir total recht! Ich habe auch mehrmals überlegt, ob das Spiel ohne ein Wählen von Charaktersträngen etc. noch besser gewesen wäre, weil man dann punktgenauer auf Pacing und sowas hätte setzen können. … Bin aber letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass nein, wäre es wahrscheinlich nicht. Ich nehme lieber dreimal etwas WILD ambitioniert-komplexes als etwas, das einfach nur funktioniert.

    Über den Exocolonist hatte ich übrigens auch nachgedacht, es dann letztlich aber (prioritätsgeleitet ^^) gelassen. Danke für den Eindruck!

  6. #6
    Heute komme ich mal wieder mit einem Doppelpack um die Ecke.

    Dreamy Planet

    Story?

    Haruka und Shiina sind Kindheitsfreundinnen und treffen sich kurz vor der 30 wieder. Sie wagen einen Trip nach Dreamy Planet, einen inzwischen stillgelegten Vergnügungspark, an dessen aktive Zeiten sie schöne Erinnerungen haben. Doch schon bald wird klar, dass zwischen den beiden unausgesprochene Worte liegen und vor allem Haruka nicht wirklich befreit in das Treffen geht…

    Das Spiel

    Ich fasse mich kurz. Dreamy Planet ist eine Yuri-Kinetic Novel. Sie ist/war für mich deswegen interessant, weil sie wieder mal von der guten ebi-hime geschrieben wurde, meiner Lieblings-VN-Autorin in spé.

    Wie war es denn nun?

    Aufgrund der genannten Autorin waren die Erwartungen zumindest erst mal gesetzt. Und das Writing hat mich auch von Beginn an wieder überzeugt. Ich weiß nicht genau, was es ist. Aber ebi macht das einfach irgendwie auf eine Art, die mich total kriegt.

    Doch da war bald auch viel Skepsis. Denn Haruka und Shiina haben anfangs irgendwie nicht so richtig Chemie, reden aneinander vorbei und nehmen einander teils auch gar nicht voll ernst. Zumindest kann das so wirken. Sie sind jeweils interessant, funktionieren zusammen aber nicht gut. Dass das durchaus in einer Weise beabsichtigt ist und meine Skepsis unangebracht ist, fiel mir erst mit der Zeit auf. Denn Haruka hat Probleme. Mit ihrem Leben und ihrem zukünftigen Mann, vor allem aber mit sich selbst. Zu Beginn dachte ich noch: Wow, das ist aber echt ein bisschen zu viel Introspektion. Doch immer mehr macht das auf Basis von Harukas Selbstbild total Sinn und ich beginne zu verstehen. Auch, wie dieses Selbstbild dann mit der Romanze zu Shiina verbunden wird, ist gut. Nie der ganz große Wurf wie bei Lynne, wo der Selbsthass und der Stress mir viel drastischer und körperlicher deutlich gemacht wurden, aber dennoch gut.



    Mehr als gut ist die NSFW-Szene der beiden. Weil auch die gekonnt, mit einer guten Balance aus besagter Introspektion, Gefühlen und Körperlichkeit geschrieben ist und ebi einfach weiß, was sie tut. Ich bin wirklich froh, dass ich für die Steam-Version in weiser Voraussicht den 18+-Patch geladen habe, weil ich die entsprechenden Szenen in anderen VN für die Erotik zwar nicht brauche, aber gleichzeitig schon öfter darauf gestoßen bin, dass das „Einfach rausschneiden ohne Ersatz“-Prinzip, nach dem bei Steam da vorgegangen wird, doch etwas von der Gesamterfahrung nimmt.

    Dreamy Planet ermöglicht mir, eine Wertung vorzunehmen, die dieses Jahr noch nicht vorkam. Und das, obwohl sie eigentlich eine recht übliche Wertung für gute, aber nicht krasse Spiele bei mir ist: 7 von 10 Tassenkarussells.


    *****


    Das zweite Spiel, das ich mitgebracht habe, ist ein GANZ anderes Kaliber…


    Finding Paradise

    Story?

    Dr. Eva Rosalene und Dr. Neil Watts, ihres Zeichens Angestellte der Sigmund Corp., ziehen wieder aus, um einem sterbenden Mann per Erinnerungsreise und -manipulation seine Regrets zu nehmen. Sie kommen dafür in die Altersresidenz von Colin Reeds, mit dessen konkreten Wünschen es sich aber etwas schwieriger gestaltet als bei ihren früheren Assignments.

    Das Spiel

    Finding Paradise ist der Nachfolger von To the Moon (und A Bird Story) und funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Es handelt sich um ein RPG Maker-Adventure, bei dem man die meiste Zeit mit einer der beiden Protagonist:innen durch die Welt läuft und Point of Interests anklickt, um Memory Links zu finden, mit denen man per sogenannten Mementos – besonders zentralen Fragmenten der Erinnerung des Patienten – in eine andere Erinnerungszeit reisen kann. Beim Aktivieren dieser Mementos gibt es kleine Puzzles zu lösen, die aber nicht überfordern dürften. Und noch dazu hat sich Finding Paradise im Spielverlauf auch ein paar weitere kleine Gameplay-Einwürfe überlegt.

    Wie war es denn nun?

    Warum ist Finding Paradise jetzt ein ganz anderes Kaliber?

    Weil es nichts ist, was ich mal eben so habe spielen können. To the Moon hat mich seiner Zeit in eine kleine Sinnkrise gestürzt und mich gut ein halbes Jahr mental ziemlich beschäftigt. Das lag sicher auch zum Teil daran, dass ich zu dem Zeitpunkt in wirklich keiner besonders guten Verfassung war, ABER auch nicht nur. Das Thema hat es in sich. Der Tod, das Sterben, Reue und Versäumnisse – all das sind Konzepte und Gedanken, mit denen ich mich allgemein schwer tue, aus abstrakten wie auch sehr konkreten Gründen.

    Mir war immer klar, dass ich auch Finding Paradise spielen will. Aber eben auch, dass ich davor doch ziemlich viel Angst habe. Weil ich mental inzwischen zwar viel, viel gesünder bin, aber doch nicht ganz vergessen habe, wie sehr mich der Vorgänger überfahren hat. Zwischendurch habe ich irgendwann auch mal das zumindest für sich stehend nicht so schlimme, weil anders gelagerte A Bird Story gemeistert, doch auch das hat mir nicht den Mut geschenkt, es zu probieren. Und heute war dann einfach der Wille da, mich meinen Ängsten zu stellen und endlich diesen Knopf zu drücken. *cue in beliebigen motivierenden Anime-OST*



    Schon früh im Spiel war dann klar: Ja, auch Finding Paradise trifft mich an meiner Schwachstelle. Nicht mehr auf eine Weise, die ich wie damals befürchten muss, aber doch hart. Es ist toll geschrieben und zieht einen langsam in Colins Dilemma, legt dabei auch einige falsche Fährten, hat aber ein super Pacing und setzt an den richtigen Stellen früh emotionalere Punkte, die dann auch gekonnt mit gutem Comic Relief-Banter abgewechselt werden. Stets genug, um nicht konstant die Tränendrüsen offen zu halten, aber nicht zu viel. Dabei sei auch noch mal das Setup gelobt:

    Dass Finding Paradise einerseits (natürlich) sehr persönlich mit Colin umgeht, die Geschichte aber nicht wirklich aus seiner Perspektive erzählt, sondern durch die Augen von Eva und Neil folgen lässt, ist eine nicht zu unterschätzende Nuance. Eben weil sie gleichermaßen die berufliche Distanz, für die eher Eva steht, als auch die Tendenz der Empathie und Identifizierung eines Neils ermöglichen.

    Für mich war die erwähnte Distanz dabei ein besonders wichtiger Faktor. Denn ich war, wie eine bekannte Pop-Punk-Band meiner Jugend sagen würde, bald „in too deep“. Dabei hat es nicht gerade geholfen, dass das Spiel mich auf eine (falsche) Fährte geführt hat, die mir das aber auch noch mehr ermöglichte. Ich hatte bald das Gefühl, dass Finding Paradise sehr bewusst und gezielt zu gerade mir spricht. Einerseits hatte ich davor große Angst, doch gleichzeitig habe ich mich auch nach der Katharsis gesehnt, die das ganze mir verspricht.

    Als es diesen Umstand dann aber auflöst und als roten Herring entlarvt, habe ich mich erst beraubt gefühlt. Darum, dass da gerade ein Stück weit eine persönliche, weil „meine“, Geschichte erzählt wird und es dann doch in eine andere Richtung geht. Doch Colins Realität hat mich erneut eingeholt. Weil die endgültige Offenbarung seiner Wirklichkeit einerseits gar nicht so weit von dem entfernt ist, was ich als meine Geschichte begriffen habe und andererseits auch auf eine ganz andere Art einen Nerv von mir trifft. Und der dritte, letzte und physischste aller Nerven ist letztlich natürlich getroffen, wenn ich dann auch noch Laura Shigiharas Stimme höre.

    Vor ein paar Jahren hätte ich Finding Paradise ab einem bestimmten Punkt sicher nicht weiter spielen können. Oder zumindest nicht sollen. Heute hat es mir zwar reichlich Heulkopfschmerzen bereitet und mich auch traurig gemacht, aber mir gleichzeitig auch noch mehr gegeben. Es wird mich noch eine ganze Weile begleiten – und ich bin mir sicher, dass es das dieses mal auf eine bessere, gesündere Weise tun wird als sein Vorgänger. Und gerade weil es sich so persönlich anfühlt und nicht nur weil ich in einer besseren Verfassung bin, finde ich Finding Paradise auch NOCH stärker als To the Moon.

    Wie stark ich es insgesamt letztendlich finde, ist eine andere Frage, mit der ich gerade struggle. Eine Frage, an die man natürlich immer wieder stößt, wenn man an Zahlenbewertungssystemen festhalten will. Auch wenn ich mir sicher bin, dass ein starker Eindruck bleiben wird, weiß ich natürlich noch nicht, ob er auch mit verstreichender Zeit so gut bleibt wie er jetzt gerade ist. Aber ich kann in diesem Moment eben auch nur von diesem Momenteindruck Gebrauch machen und der ist ein ganz, ganz, ganz herausragender und persönlicher.

    Finding Paradise verdient sich fürs Erste vorsichtige, aber auch echte 9,5 von 10 dem Wind trotzenden Papierfliegern.

    (Das ärgert mich eigentlich, weil ich schon fest davon ausgegangen bin, dass meine GOTY-Liste richtig spannend wird und ich zwischen den ganzen 9 out of 10-Titeln wählen darf. Aber welp, die Erfahrung war es wert.)
    Geändert von MeTa (26.11.2024 um 22:22 Uhr)

  7. #7
    Danke auf jeden Fall für Deine sehr persönliche Schilderung zu Finding Paradise, das war interessant zu lesen - auch wenn man natürlich, ohne Deine Situation zu kennen, eher nur abstrakt vermuten kann, was von der Geschichte besonders gesessen hat. Ich muss zugeben, dass ich nach dem Durchspielen eher etwas ernüchtet von dem Spiel war. Wobei mir dann beim darüber Nachdenken immer mehr positive Sachen aufgefallen sind und diese Geschichte, dass ein Mensch auf seinen letzten Tagen einfach einen alten Freund wiedersehen will, ist schon unglaublich stark.
    Ich würde sagen, Finding Paradise hat bei mir eher im Nachhinein gezündet, während To the Moon ein direkterer Gutpunch war. Hat sich auch dadurch bemerkt gemacht, dass ich beim Ending eher noch ein wenig zwiegespalten war, was ich davon halten soll, dass er seine imaginäre Freundin noch mal wiedersehen wollte und es nun getan hat. Das ist natürlich eine recht flache Sichtweise und je länger ich drüber nachgedacht habe, umso mehr war klar was das eigentlich aussagen will. Auch das Ending hat mich danach bei erneutem Anschauen doch noch mal heftig getroffen (und ja, da blieben die Augen auch nicht trocken).

    Als Kritikpunkt sehe ich aber hier trotzdem - im Vergleich zu To the Moon - dass die absurden Comic Relief Einlagen es doch etwas zu sehr übertrieben haben. Das sind auch die Elemente, die ich eher ausblenden muss, damit sie keinen Schatten auf Collins Story werfen. Generell bin ich bei der Reihe eher ein Fan von den persönlichen Geschichten und nicht so vom Technobabble, auch wenn man sich da durchaus einige Gedanken gemacht hat.

  8. #8
    Zitat Zitat von Sylverthas Beitrag anzeigen
    Als Kritikpunkt sehe ich aber hier trotzdem - im Vergleich zu To the Moon - dass die absurden Comic Relief Einlagen es doch etwas zu sehr übertrieben haben. Das sind auch die Elemente, die ich eher ausblenden muss, damit sie keinen Schatten auf Collins Story werfen. Generell bin ich bei der Reihe eher ein Fan von den persönlichen Geschichten und nicht so vom Technobabble, auch wenn man sich da durchaus einige Gedanken gemacht hat.
    Spannend. Ich fand sie hier wirklich gar nicht störend und immer sehr geschmackvoll in den Erzählflow eingewoben. Was auch gar nicht selbstverständlich ist, weil ich normalerweise viel häufiger meine Probleme mit Comic Relief-Elementen habe. Liegt aber vielleicht auch wirklich daran, dass ich hier ganz besonders auf sie angewiesen war und eh so tief mitgefühlt habe und "drin" war, dass mich nichts dergleichen hätte raus holen können. Ich stimme aber zu, dass mich der Rest auch nicht so sehr interessiert hat, inklusive Technobabble. Auch die ganze Geschichte um den Konzern, Neils gestohlene Maschine und was da im Hintergrund noch so läuft. Ich habe ja noch etwas aus der Serie vor mir und werde dieses Statement womöglich zurückziehen müssen, wenn ich da dann lerne, warum das wichtig ist. :x

    *****

    Es geht dann aber auch direkt weiter mit dem Thema: Spiele, vor denen ich Angst hatte. Auch wenn die Angst hier wahrlich eine andere ist.

    AI: THE SOMNIUM FILES – nirvanA Initiative

    Story?

    Ryuki und Mizuki werden als Mitglieder von ABIS vor einen neuen Fall gestellt, der Japan schockt. Die sogenannten Half Body Killings, in denen an verschiedenen Orten halbe Leichen auftauchen, die anscheinend auf molekularem Level vertikal in der Mitte durchgeschnitten worden sind. Bizarre Webvideos tauchen auf, die kryptische Nachrichten enthalten. Schnell stellt sich heraus: Die HB Killings scheinen eng mit Naix, einer Geheimorganisation, die an die Simulationsthese glaubt, verwoben zu sein. Über eine Zeitspannen von sechs Jahren hinweg forschen die beiden nach der Wahrheit.

    Das Spiel

    nirvanA Initiative unterscheidet sich in seiner Art nicht extrem von seiner Vorgängerin. Es ist ein Visual Novel, bricht das Klicken und Lesen aber oft genug auf. An Tatorten, beim Befragen von Zeug:innen oder beim abschweifenden Investigieren kann man per Cursormenü verschiedenste mal zielführende, mal alberne Fragen stellen, Verstecktes aufdecken oder sonstwie Erkenntnisse gewinnen. Das tut man dieses mal an der Seite von mehr als einem Protagonisten. Neben den detektivischen und laberreichen Passagen verfügt das Spiel über einige spezielle Passagen. Dazu gehören:

    1. Action-Sequenzen, die sich in ihrer Ausgestaltung schon etwas von denen aus dem ersten Teil unterscheiden. Sie sind zahlreicher und vor allem Quick Time Event-iger, bestehen meistens aus mal mehr und mal weniger absurden Prügeleien und weniger aus (ebenfalls absurden) Shootouts, bei denen ballistische Bedingungen von der im Auge sitzenden AI perfekt berechnet werden.

    2. Somniums, in denen man in die „Träume“ verschiedenster Charaktere eindringt, um dort Geheimnisse aufzudecken, die in ihrem (Unter-)Bewusstsein versteckt sind. Die können absurd werden, erfordern die Interaktion mit verschiedensten Objekten im Setting des jeweiligen Somniums und sind hier auch einfacher und mehr straightforward als im ersten Teil.

    3. Reenactment-Passagen, die tatsächlich neu sind. Sie sind gameplaytechnisch aber auch nicht extrem speziell. In ihnen rekreiert der jeweilige Charakter mit der jeweiligen AI-Begleiterin das Geschehen an Tatorten oder anderen Plätzen von Bedeutung, um aus den Umgebungsspuren eine Geschichte zu kreieren.




    Wie war es denn nun?

    Der Grund dafür, dass nirvanA Initiative mir Angst gemacht hat und ich bis vor einiger Zeit sogar überlegt habe, ob ich es überhaupt jemals spielen soll? Ich liebe AI: The Somnium Files. Und wie es eben so ist, mit Spielen die man liebt: Sequels sind immer etwas Schwieriges. Ich bin allgemein jemand, der eine gute Geschichte gerne beendet weiß. Das gilt und galt insbesondere auch hier.

    Weil AI: TSF ein sehr spezielles Spiel ist und in seiner Besonderheit auch von seiner Einzigartigkeit lebt. Es ist absurd, grotesk, lustig, regt zum Kopfschütteln an, hat seine weirden, peinlichen Momente und Momente, die so weird und peinlich sind, dass sie überhaupt nicht mehr weird und peinlich sind, sondern stattdessen ganz fantastisch. Es hat den besten Epilog der Videospielgeschichte und Charaktere, die trotz aller Absurdität des Spiels, teils unheimlich liebenswert und auch bodenständig sind.

    Dabei hat es nicht geholfen, dass ich von vornherein wusste, dass Mizuki eine zentrale Rolle spielen wird, als eine von mehreren Protagonist:innen. Mizuki ist ein wundervoller Charakter und die Route, die in AI:TSF ihr Verhältnis mit Date erkundet, für mich klar das emotionale Highlight des Spiels. Auch wenn diese Route nicht das True/Canon Ending des ersten Teils ist, gehört es doch irgendwie dazu und auch das True Ending ist ja ziemlich famos. Ich mag den Status Quo, den das Spiel erreicht hat und hätte nicht mehr gebraucht…

    Aber die Neugier hat eben doch zugeschlagen. Oder das Vertrauen in Uchikoshi oder, oder, oder. Jedenfalls habe ich nun also nirvanA Initiative gespielt. Und nach gut 5 Stunden Spielzeit war mir klar: Mein Review steht eigentlich schon. Hier mein Fazit nach eben dieser Zeit:

    Das ist nicht mehr mein AI. Weil es zum Teil auch zu sehr mein/sein/dein/ihr AI sein will. Halb-alberne Musikstücke mit eigenwilligen Tänzen, mehr als im Vorgänger? Check! Die Obvious-Innuendo-Quote, an der noch mal mehr geschraubt wurde, so dass es wirklich weh tut und schrecklich nervt? Check! Einen Cast an Charakteren, von denen man einen Teil bereits kennt und einen Teil nicht, während es aber natürlich mehr um die Neuen geht, die gleichzeitig nicht so interessant wie die Alten sind? Check! Langweiligere Somniums mit weniger absurden Traumlogik-Mechanismen? Check! Noch dazu wirkt alles ein bisschen billiger. Die Optik, der Sound, das Writing – ich weiß nicht. Auch der neue Protagonist ist seltsam. Weil er einerseits total langweilig ist und andererseits random absurd. Gleichzeitig eine bleiche Erscheinung, andererseits zusammen mit seiner AI der Haupgrund warum alles noch viel pseudosexueller ist. Argh!

    Meine Review stand also schon. Und ich war erheblich erleichtert. Meine Angst war besiegt. AI: The Somnium Files – nirvanA Initiative ist tatsächlich schlecht. Nicht so schlecht, dass es eine Qual wäre, es bis zum Ende weiter zu spielen, ABER schlecht genug, dass ich konstatieren kann: Dieses Spiel ist für mich kein Sequel, das existiert. Ich kann es einfach ignorieren.

    Ja. Und dann habe ich weiter gespielt. Und mit jeder Stunde, die vergeht, wird es besser. Die Highlight-Passage vor der Häflte des Spiels, d.h. vor dem Charakterwechsel, hat es stimmungsmäßig richtig in sich. Einige Somniums sind richtig cool (Mames Quizshow, Iris' Pokemon-Mockup, Gens Kochduell). Dann flaut es kurz ab und die Angst kehrt zurück, denn jetzt kommt Mizuki und ich will nicht, dass Mizuki versaut wird. Aber… wird sie nicht. Mizuki ist cool. Ein geschundener, nachvollziehbarer, aber auch unheimlich empathischer Badass. Und auch der Fall bleibt spannend und die Schicksale der neuen Charaktere beginnen mich mehr und mehr zu interessieren. Sie rühren mich, belustigen mich und lassen mich dann auch wieder mitwippen, wenn zum x-ten mal eine Reiteration eines Liedes gespielt wird, das irgendwie schlecht, aber irgendwie halt auch so gut ist.

    Das ist alles unheimlich faszinierend. Nicht nur, weil ich das Spiel wirklich schon vollkommen abgeschrieben hatte – und aus Erfahrung weiß, dass es unheimlich schwer ist, mich noch zu begeistern, wenn ich das tue -, sondern weil das bei AI: TSF ja AUCH schon der Fall war. AI 1 hat mich nie SO genervt wie es nirvanA Intiative zu Beginn tat und hatte für mich auch höhere Höhen, aber es hat mich eindeutig auch erst mit der Zeit so erobert wie es das getan hat. Mich förmlich weichgeklopft, teils mit Herz, teils mit Repetition. Und das beherrscht wirklich auch die Nachfolgerin, wenn nicht ganz auf dem gleichen Niveau.

    An der Stelle möchte ich erwähnen, dass gegen Ende des Spiels ein paar Auflösungen und Twists absurd sind – und das in dem Fall nicht in einem guten Maße. Ich schlucke wirklich viel, aber da hat mich das ein oder andere doch mit dem Kopf schütteln lassen. Anderes funktioniert wieder besser und ohnehin interessiert mich das ja nicht so. Wie in meinen Reviews mit Sicherheit wiederholt erwähnt, geht es mir mehr um die Schicksale der Charaktere und ihre Geschichten. In der Hinsicht ist es gut, dass AIs Twists oft charakterbezogen sind, aber weniger gut, dass sie manchmal nicht wirklich mit den Charakteren zu tun haben, sondern mehr auf der Ebene von „X ist eigentlich verwandt mit Y“ ablaufen. Das überstrapaziert nirvanA Initiative etwas. Aber die Reihe ist vermutlich auch die einzige der Welt, die absurde, seltsame Kopfschüttel-Twists irgendwie trotzdem wieder mit dem Charme voller Überzeugung besprenkeln kann. Und es sei auch gesagt, dass es auch einige ganz hervorragende Offenbarungen gibt. Zu denen zählt auch das Secret Ending und was genau das vermitteln möchte. Und yay, wer ist bitte kein Fan von genretypischer, bedeutungsschwerer Pseudowissenschaft?

    AI: THE SOMNIUM FILES – nirvanA Initiative ist reichlich irritierend und ähnlich begeisternd, auf eine wieder mal verquere Art. Ich fühle mich fast ein bisschen outplayed. Als hätte das Spiel meine Erwartungen gekannt, sie erfüllt und mir erst all das gegeben, was ich befürchtet habe, um mich dann doch wieder zu packen. Wild.

    Dafür verdient es sich 9 von 10 (ehemals 8,5 von 10) Schmetterlingsträume.
    Geändert von MeTa (19.12.2024 um 19:38 Uhr)

  9. #9
    Zitat Zitat
    AI: THE SOMNIUM FILES – nirvanA Initiative ist reichlich irritierend und ähnlich begeisternd, auf eine wieder mal verquere Art. Ich fühle mich fast ein bisschen outplayed. Als hätte das Spiel meine Erwartungen gekannt, sie erfüllt und mir erst all das gegeben, was ich befürchtet habe, um mich dann doch wieder zu packen. Wild.
    Lustigerweise hat dein Post einen ähnlichen Effekt! Ich habe nur das Fazit gelesen, weil das erste Spiel für mich SEHR davon profitiert hat, möglichst wenig zu wissen ... und durch das Wissen, dass dieses hier auch wieder irgendwo unerwartete Dinge tu dürfte, habe ich abermals mehr Bock drauf!


    Ein klassisches Rollenspiel, reduziert auf den Zauber des alten Genres: Wortgewaltige Sprache. Fordernde Kämpfe. Drei, die einen Drachen töten – und was sie dazu führen mag ...
    Jetzt für 2€ auf Steam, werft mal einen Blick drauf! =D

  10. #10
    Affogato

    Story?

    Die titelgebende Affogato ist eine Witch – eine menschliche Person, die durch einen Pakt mit einem Dämon übernatürliche Kräfte erlangt hat. Die rotmagentahaarige Hexe zieht nun in die belebte Columbia Street, um dort an der Seite ihrer Dämonenfreundin Mephista einen Coffeeshop aufzumachen und den von dämonischer Besessenheit geplagten Bewohner:innen der Stadt zu helfen.

    Das Spiel

    Durch Affogato (den Charakter) lernt man im Verlaufe der kleinen Geschichte verschiedene Schicksale kennen, die im Visual Novel-Stil erkundet werden. Nebenbei lässt sich die Columbia Street zu verschiedenen Tageszeiten erkunden. Man kann hier Läden besuchen, um Werte zu steigern (die den Zugang zu Nebenquests ermöglichen), wichtige NPCs ansprechen oder mit der Witch Vision auf Dämonensuche gehen, um die geplagten Seelen in Reverse-Tower Defense-Minigames von ihrer Besessenheit zu heilen.



    Auch in der Hauptstory und den Nebenquests ist dieses Spiel der Weg zum Erfolg. Darin setzt man per Tarotkarten Einheiten mit verschiedenen Werten und Eigenschaften auf eine Bahn und kann an Kreuzungen die Richtung bestimmen, die die Figuren gehen. Auch die Feinde haben verschiedene Eigenschaften. Dazu gibt es bestimmte Regeln, Stretch Goals und auch weitere Mechaniken, die nach und nach eingeführt werden.

    Als Abwechslung zu diesem konzentrationsfordernden Gameplay dienen die Quatsch-Episoden des Spiels, in denen man für die Charaktere als Barista gerne auch mal eine Kaffee-Kreation zaubern darf. Das funktioniert ähnlich wie in vielen Cozy-Games, in dem man (hier ohne Zeitdruck) eine bestimmte Handlungsabfolge an den verschiedenen Gerätschaften vornimmt.

    Wie war es denn nun?

    Affogato ist ein wirklich sehr schönes und sympathisches Spiel. Die Hauptstory ist nichts Besonderes, aber sowohl Affogato selbst als auch viele der NPCs sind durchaus likeable. Man wird in den Dialogen oft Zeuge von einem angenehmen Humor und der Spielflow klappt durch die kürzere Spieldauer und die Abwechslung aus Kaffeezubereitung, Quatschen, Erkunden und Tower Attacken hervorragend.

    Sehr gefallen hat mir auch die Themen, die so untergebracht wurden. Die NPCs, denen Affogato sich im Verlauf der Story so hat widmen müssen, haben allesamt irgendwelche Probleme, die dazu führen, dass sie sich überhaupt an einen Dämon gewendet haben, um diese zu lösen. Während das Ausnutzen der Notsituation durch dämonische Mächte also ein Teil des ganzen ist, sind die zu Grunde liegenden Probleme ein anderer. Und die haben fast immer irgendwas mit ökonomischen Zwängen zu tun, die nicht von irgendwelchen Personen kommen, sondern einfach da sind. Angesichts dessen, dass Kapitalismuskritik in den meisten populären Medien – und auch Games – oft nicht strukturell angegangen wird, ist das wirklich erfrischend. Auch wenn das Spiel sich nicht ganz offen und explizit positioniert: Das ganze schwingt eher im Subtext mit. Und so ist das auch gut.

    Das Design des Spiels ist ebenfalls ziemlich hübsch. Die Columbia Street und andere Locations, die sich aufsuchen lassen, sind allesamt schick designt, auch das Innere des Coffee Shops sieht – je nachdem welches Layout man aussucht – sehr schick aus und die Charaktere existieren jeweils in niedlichen Chibi-Varianten und am Rande der Dialogfenster in ebenfalls ansehnlichen und kreativen Zeichnungen.



    Ganz frei von Kritik soll dieses Review aber auch nicht sein. Zwei Punkte gäbe es, die ich anmerken würde.

    Erstens bin ich, das habe ich bestimmt auch schon mal irgendwo geschrieben, wirklich kein Taktiker. Nicht dass ich es nicht könnte, aber in aller Regel will ich nicht. Ich will mich nicht lange mit den Mechaniken auseinandersetzen, mir keine ausführlichen Gedanken über Stärken und Schwächen der Einheiten machen und mehr. Ein erweitertes Grundverständnis bringe ich mit und das muss dann auch reichen. So spiele ich einfach und nur wenige Spiele haben es geschafft, mich diese Comfort Zone verlassen zu… lassen. Affogato ist keines davon und das kann ich dem Spiel auch nicht vorwerfen. Dafür, dass es aber verschiedene Schwierigkeitsgrade anbietet und ich den niedrigsten gewählt habe, fande ich es an ein paar wenigen Stellen aber dann doch schon ziemlich knackig und auch dementsprechend frustrierend. Ich kritisiere konkret nicht, dass Affogato schwer ist – das ist eine legitime Entscheidung -, sondern dass der Schwierigkeitsgrad „Easy“ mir wie ein leichter Etikettenschwindel vorkam. Oder ich war wirklich schwer von Begriff. Anyway, das ist nur ein sehr kleiner Punkt.

    Zweitens: Affogato hat ja durchaus einen Mix an verschiedenen Dingen, die es einen machen lässt und das funktioniert soweit auch alles. Es ist auch nicht zu kurz, sondern hat eine angenehme Länge (und mich wird man wohl eh kaum schreiben lesen, dass ein Spiel zu kurz wäre), ABER es wirkt doch in der ein oder anderen Hinsicht irgendwie unfertig. Als wären da Ideen drin, die eher der Start von etwas sind als das eigentliche Spiel. Als würde man in bestimmten Mechaniken nie über das Intro hinauskommen.

    Einige Beispiele:

    Das Level-System ist so minimal-existent, wie es nur sein kann. Es gibt drei Werte und eigentlich keinen Grund, sie nicht nur durch das Hot Pot-Essen zu steigern. Das steigert nämlich alle drei auf einmal und spart damit eine Menge Zeit, die eine wichtige Ressource ist. Geld ist auch eine Ressource, aber eine, die im Überfluss vorhanden ist, wenn man sich nicht dagegen sträubt.

    Das Kaffee-Craften ist cool, aber kommt auch echt wenig vor. Mehr hiervon wäre schon irgendwie interessanter. Man tut das eigentlich nur, wenn Charaktere in Quests etwas trinken wollen. Sobald man als Zeitvertreib den Coffeeshop-Betrieb wählt (was man eigentlich selten tut, weil andere Sachen mehr Benefits haben), wird der Zeitslot einfach übersprungen und es passiert rein gar nichts. Warum an der Stelle kein Cozy Coffee-Minigame stattfindet, ist mir ein Rätsel.

    Das Haupt-Gameplay-Ding, die Reverse Tower-Defense-Kämpfe gegen Dämonen, funktioniert super. Allerdings spielen sich die meisten Kämpfe auch gleich. Es kommen nach und nach zusätzliche Mechaniken hinzu, die aber auch nicht so viel mit dem Prinzip anstellen. Es ist nicht so, dass da was fehlt, weil das Spiel ja auch wirklich nicht lang ist, aber auch hier wäre zumindest viel mehr möglich.

    Das alles tut dem Spielspaß und der Faszination aber keinen Abbruch.

    Also bestelle ich 7,5 von 10 Americanos.

  11. #11
    Ich finds total spannend, wie bei Affogato die Meinungen auseinander gehen, gerade was das "Kampfsystem" angeht. Es ist halt schon etwas spezieller und ja, ich kann mir auch ein paar Szenarien vorstellen, die auch auf Easy nicht absolut trivial sind.

    Als ichs damals gespielt habe war ich ja schon geflashed, wie *viel* Gameplay das Spiel tatsächlich hat. Bin da mit der Einstellung rangegangen, dass das halt ne Visual Novel ist, und das Gameplay eher zweitranging. Witzigerweise kam Klunky genau von der anderen Perspektive an das Spiel ran, und fand, dass das Gameplay nicht ausgefuchst genug ist. Da merkt man auch einfach, wie sehr die Erwartungshaltung den Eindruck beeinflusst!

    Die Reverse Tower Defense Schlachten sind schon ein Kernelement, was viel genutzt wird. Dass es nicht so viel mit dem Prinzip anstellt, da weiß ich nicht, ob da der Schwierigkeitsgrad nicht schon was beeinflusst. Ich fand schon, dass gerade die Wasserlevel sich schon sehr anders gespielt haben. Die Bombenlevel hingegen, da kann ich irgendwie zustimmen - die waren doch recht ähnlich und in den meisten Fällen musste man nur nen Weg finden, die Bombe so spät wie möglich aufzusammeln. Fand aber die letzten Level dann ganz cool, wenn man nicht alle zur Verfügung hatte.
    Und ja, ich denke auch, dass es schön wäre, wenn das Team noch einen Teil davon machen würde - weil das Gameplay definitiv noch nicht ausgekostet ist, da geht sicher mehr. Ähnlich siehts auch bei den anderen Sachen aus, die Du ebenfalls ansprichst, wie Kaffee zubereiten (ist halt ein netter Change of Pace, mehr nicht) oder das Zeit Management.

    Letztendlich mochte ich Affogato, Mephista und alle die anderen Charaktere einfach supergerne und hab gerne Zeit hier verbracht. Zeigt auch sehr gut, dass ein Spiel nicht in allen Kategorien spitze sein muss, um trotzdem nen Eindruck zu hinterlassen und erinnerungswürdig zu sein.

  12. #12
    Zitat Zitat von Sylverthas Beitrag anzeigen
    Letztendlich mochte ich Affogato, Mephista und alle die anderen Charaktere einfach supergerne und hab gerne Zeit hier verbracht. Zeigt auch sehr gut, dass ein Spiel nicht in allen Kategorien spitze sein muss, um trotzdem nen Eindruck zu hinterlassen und erinnerungswürdig zu sein.
    Absolut. Und wieder ein Beispiel dafür, dass kreative Spiele, die irgendwie einen eigenen kreativen Geist atmen und dafür nicht perfekt ausbalanciert sind, doch oft einen besseren Eindruck hinterlassen als rundere Spiele, die sich aber zu konventionell anfühlen.

    *****

    Neo Cab

    Story?

    Lina erreicht in der Nacht das große Los Ojos, um ihre beste Freundin Savy wieder zu sehen. Nebenbei sammelt sie als Neo Cab-Driverin Kund:innen auf, um sich finanziell über Wasser zu halten. Doch nicht bloß läuft das Wiedersehen mit Savy anders als geplant, auch Capra – der Großkonzern, der große Teile der Infrastruktur Los Ojos‘ fest im Griff hält – stellt eine konstante Bedrohung da. Für Linas Freiheit, Linas Sicherheit, Linas Job. Es gilt, das Mysterium um Savy zu lüften. Doch es gilt auch, Capra mit allen Mitteln Einhalt zu gebieten.

    Das Spiel

    Neo Cab ist ein Visual Novel mit etwas anderer Oberfläche.



    Die meiste Zeit sitzt man hinter dem Steuer von Linas Neo Cab, sieht sie, aber auch die Fahrgäste und kann den Dialogen folgen, die geführt werden – und sie durch zahlreiche Auswahloptionen beeinflussen.

    Darüber hinaus spielt man in Neo Cab eben auch eine Uber-Fahrerin im futuristischen Setting. Man kann sich mehrmals pro Nacht auf einer digitalen Map potenzielle Fahrgäste auswählen, um diese von A nach B zu bringen und spannende Gespräche zu führen. Einerseits lernt man dabei mehr über die verschiedensten, teils kuriosen Individuen von Los Ojos. Einen Fotografen, der versehentlich in die Rebellion gegen Capra stolpert. Eine Statistikerin, die aus Leidenschaft in alternative Realitäten abdriftet. Eine Teenagerin, die die meiste Zeit ihrer bisherigen Jugend in einem Keuschheitsanzug aus Metall verbracht hat, weil ihre Mutter das so wollte. Andererseits kämpft man um das eigene ökonomische Wohl und sein neo Cab-Rating, muss diesen Leuten also auch gefallen, um nicht aus dem Business auszuscheiden.

    Dabei folgt das Spiel einem Emotionssystem. Ein Spektrum, auf dem farblich codiert zu jeder Zeit angezeigt wird, wie es Lina geht, verändert sich wenn sie eine bestimmte Emotion durchlebt und bestimmt auch darüber, welche Antwortmöglichkeiten überhaupt anwählbar sind. Ist Lina wütend, kann sie in speziellen Situationen nicht beruhigend oder einfühlsam reagieren. Ist sie deprimiert, fehlt ihr die Energie, um mit Leidenschaft und Feuer auf etwas zu reagieren.

    Wie war es denn nun?

    Neo Cab hat eine kleine Weile gebraucht, um mich in seinen Bann zu ziehen. Dann jedoch kann es wirklich faszinierend sein. Das Worldbuilding funktioniert unglaublich gut. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – man das Neo Cab eigentlich nie verlässt, Lina neu in Los Ojos ist und nur über ihre Fahrgäste – „Pax“ genannt – von der Stadt und ihren Hintergründen erfährt. Das ist spannend – auch weil sich die Informationsdichte durchaus davon abhängig macht, wen man mitnimmt und wie man mit den Personen interagiert.

    Will man etwas mehr erfahren, muss man vielleicht auch bestimmte Knöpfe bei den Passagieren drücken. Doch das wiederum könnte das Rating negativ beeinflussen und zukünftige Fahrten schwer zugänglich machen. Ich habe es selten über mich gebracht, nicht nett zu den Leuten zu sein (es sei denn, sie haben es verdient) und hatte dementsprechend meistens ein fabelhaftes Rating, vielleicht aber auch nicht so viele Informationen, wie ich am Ende hätte benötigen können.

    An sich ist das cool und der Uber-Simulator, mit all den kuriosen Figuren, die man mitnimmt und die so eine cyberpunkige Großstadt zu bieten hat, funktioniert. Einiges daran hat für mich aber auch gar nicht funktioniert.

    Konsequenzen: An jeder Ecke und jedem Ende erwarten Konsequenzen des eigenen Handelns. Ich verstehe, dass das aus Spielsicht Sinn macht und spannend ist. Es kann aber auch reichlich frustrierend sein, wenn aus den kleinsten Dingen – und das bei ALLEM – noch ein Strick gefertigt wird. Und nicht nur das. Das eigentliche Problem ist nicht mal der Frust. Viel mehr stört mich daran die schicksalsökonomische Weltsicht. Alles muss einen Vor- und einen Nachteil haben, für etwas Gutes bezahlt man immer mit etwas Schlechtem. Das ist ein tief sitzendes Narrativ und – wie gesagt – vor dem Hintergrund von Fictional Game Design auch nachvollziehbar, aber weder sonderlich kreativ, geschickt, noch meine ideologische Tasse Tee.

    Ähnliches gilt auch für das Emotionssystem, gerade in der Verbindung mit den Konsequenzen. Es lässt sich sehr schwer beeinflussen, wie die Emotionen sich entwickeln. Weil vieles von außen auf Lina einprasselt und sie dann eine bestimmte Stimmung einnehmen lässt – bis diese sich durch etwas anderes eben wieder ändert. Das Spiel schickt den Disclaimer voraus, dass keine Option wirklich schlecht ist. Aber so fühlt es sich dann doch nicht an. Ständig sind Optionen nicht anwählbar und es heißt sowas wie „I was too angry to reason with them!“ oder so. Das ist, abermals, frustrierend und gefällt mir auch weltanschaulich nicht. Hinter diesem Gameplay-Einfall steckt ein Affektdeterminismus, den ich problematisch finde. „Du bist deinen Emotionen vollends ausgeliefert und kannst sie nicht überwinden.“

    In ungefähr diesem Zeichen steht auch das Finale des Spiels – zumindest war es im meinen Durchlauf das Finale. Und während ich bis dahin eigentlich recht positiv gestimmt war, hat es mich dann doch auch etwas verloren. Die hitzige Diskussion mit Savy ist so seltsam formularisch und erzeugt einen ganz komischen Loop. Noch dazu ist Savy eine ganz, ganz schlimme, toxische Person. Das SOLL sie auch sein, aber genau deswegen verstehe ich nicht, warum mir an ihr und dem Klären MIT ihr irgendetwas liegen soll. Vielleicht ist das für Leute, die sich und ihnen bekannte Mechanismen in toxischen Beziehungen darin irgendwie wiedererkennen. Aber für mich ist es nichts. Ich finde es auch undurchsichtig, was am Ende zu dem Ergebnis geführt hat, das daraus resultierte. Und das hat meine Faszination gen Ende schon deutlich gedämmt.

    Nichtsdestotrotz werde ich Neo Cab wohl noch mal einen zweiten Anlauf gönnen, um in den möglichen Genuss eines weiteren, vielleicht ja glücklicheren Spielverlaufs zu kommen. Bis dahin drückt sich die finale Ernüchterung aber auch in meiner Bewertung aus.

    Ich vergebe 6,5 von 10 Fahrerinnen, die vielleicht Roboter sind.

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