Kaia hat mir wie geplant ein Spiel aufgetragen. Und ich habe auch schon lange vorher geahnt, welches das sein wird.

Disco Elysium

Story?

Ein Mann wacht, geplagt von seltsamen Visionen, in einer heruntergekommenen Unterkunft auf. Den Preis für eben diese Unterkunft kann er kaum zahlen. Genau so wenig wie die Schäden, für die er im betrunkenen Zustand wohl gesorgt haben muss. Er erfährt, dass er ein Cop ist, doch seinen Namen erfährt er vorläufig nicht. Nur, dass es in Martinaise einen Mord gab, den er aufklären soll. Immerhin bekommt er dafür einen zuverlässigen Assistenten an die Seite gestellt.

Doch Martinaise, Revachol und die ganze Welt plagen mehr als ein Mord. Streiker werden von Streikbrechern belagert. Die Union, die Coalition, Wild Pines, die Moralists und noch mehr Fraktionen stehen im ideologischen Konflikt miteinander. Und eventuell wirken auch übernatürliche Kräfte auf die geplagte Bevölkerung ein…

Das Spiel

Disco Elysium ist ein isometrisches Point&Click-Adv-ääh-rollenspiel. Oder so. Der Grafikstil erinnert an Aquarell und die Stimmung ist zumeist düster. Politik spielt eine große Rolle und wird von den Bewohner:innen der Welt reichlich und mit satirischem Auge verhandelt.

Herausragend im Genre – welchem auch immer – ist das Skillsystem des Spiels.Alle 24 Skills repräsentieren Attribute des Protagonisten. Soweit nicht ungewöhnlich. Diese Attribute werden allerdings sehr ernst genommen und nicht immer sind die Erkenntnisse hilfreich, die aus ihnen produziert werden. Ein hoher Electrochemistry-Wert, der in Dialogen dementsprechend häufig triggert, macht einen zum Beispiel in den verschiedensten Situationen auf die unterschiedlichsten Möglichkeiten aufmerksam, die Drogensucht des Protagonisten zu befriedigen. Und gerne streiten sich die unterschiedlichen Aspekte auch miteinander.



Apropos Dialoge: Davon gibt es eine Menge. Martinaise ist nicht riesig, doch mit genug Personen ausgestattet, die stundenlang von ihren Ansichten erzählen, mit einem darüber debattieren oder mit gewaltigen Lore-Bruchstücken dem löchrigen Gehirn des Protagonisten auf die Sprünge helfen. Der kann sich in jede erdenkliche Art von Cop entwickeln. Er kann Standard-Cop werden, Communist Cop, Art Cop, Sorry Cop oder eine Mischung aus all dem. Es kann viel klappen oder alles schief gehen.
Wie war es denn nun?

Nicht umsonst musste mir Disco Elysium in dieser Challenge – und darüber hinaus – von Kaia auf das Frühstrücksbrot geschmiert werden. Ich hätte es vermutlich nie gespielt.

Ich bin kein großer Fan von Crime-Stories, kann dem Point&Click-Genre wenig abgewinnen. Würfelprobenbasierte Videospiele frustrieren mich eher als dass ich das Potenzial zufälligen Scheiterns spannend finde. Das Setting und die Optik haben mich nicht gereizt. Alles in allem habe ich zwar von überall gehört, dass Disco Elysium ein wahnsinnig tolles Spiel sein soll. Aber ich habe nichts Konkretes gehört, was mir das Spiel verkauft hätte.

Und mit der Erfüllung dieser Erwartung finde ich auch an. Eher Fleiß statt Freude hat mich dazu gebracht, das Spiel anzuschmeißen und die ersten paar Stunden darin zu verbringen. Als Kaia mich das erste mal fragte, wie ich es finde, antwortete ich mit einem unentschlossenen „Joa.“ Ich habe schon früh den Appeal verstanden, ihn aber nicht so schnell gefühlt. Ein eher anstrengender Humor, NPCs, die mir überschwänglich von der Welt erzählen, weil ich – conveniently enough für die Worldbuilder – ja mein Gedächtnis verloren habe. Das Spiel hat in mir zunächst eine entkoppelte Faszination ausgelöst. Ein objektiver Blick auf eine Welt, die irgendwie absurd ist und sich ein bisschen zu sehr ihrer eigenen Absurdität bewusst ist, um mich zu jucken.

Das „Aber“ ist nach diesem Start wahrscheinlich schon offensichtlich. Und es existiert.

Denn inmitten von Disco Elysium und inmitten von Martinaise finden sich kleine und große tragische Schicksale. Anders als ich aufgrund der Präsentation und der satirischen Ausrichtung des Spiels befürchtet hatte, wird sich nicht nihilistisch über alles und jeden lustig gemacht. Nur an der Fassade. Denn darunter ist durchaus Herz. Und – wie bei meinem Charakter – auch eine Menge Empathie.
Zwei aggressive Gören, die alles daran setzen, als fürchterlich wahrgenommen zu werden und anfangs trotz schrecklichem Vater von mir nur ein genervtes Seufzen bekommen wachsen mir doch zunehmend ans Herz. Und das ist nur eins von vielen Beispielen.

Mit der Ausnahme einer Szene/Phase im Spiel (das Tribunal), die für mich zu plötzlich kam, mich frustriert und deren Zäsur mich auch unangenehm irritiert hat, war es ab einem gewissen Punkt einfach anders. Es hat sich ein Sog entwickelt. Ich musste das machen und das machen und wusste gar nicht, wann ein guter Zeitpunkt ist, um eine Pause einzulegen. Ich wollte den Fall lösen. Halb um ihn zu lösen und halb um Kim stolz zu machen. Ich wollte auch den Kommunismus revitalisieren. Ich wollte den Menschen vor Ort (den meisten zumindest) eine kleine Freude machen und eine größere Auswirkung auf Martinaise haben.

Insbesondere das bzw. mein Ende hat mich dann auch wieder sehr reingeholt. Das allmähliche Einholen eines Geständnisses, die Bekanntschaft mit einem ganz besonderen Wesen und das Gefühl, vor meinen Kolleg:innen von Kim gelobt zu werden. Disco Elysium kann sich stundenlang in politischen oder existenzialphilsophischen Makrokosmen bewegen, um dann pointiert zu einem kleinen, bedeutenden Hier und Jetzt zurückzukommen. Genau das ist, was ich dem Spiel vorher nicht zugetraut hätte und was mich gekriegt hat. Und ja, natürlich ist die Atmosphäre, das Voice Acting, die Musik und alles weitere auch ganz toll. Das muss ich aber nicht lang und breit erwähnen. Kim ist allerdings wunderbar!

Disco Elysium bekommt 8 von 10 unangebrachte Kommentare des lymbischen Systems.

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Und endlich ist es mal wieder Achievement-Zeit!