Absolut. Und wieder ein Beispiel dafür, dass kreative Spiele, die irgendwie einen eigenen kreativen Geist atmen und dafür nicht perfekt ausbalanciert sind, doch oft einen besseren Eindruck hinterlassen als rundere Spiele, die sich aber zu konventionell anfühlen.
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Neo Cab
Story?
Lina erreicht in der Nacht das große Los Ojos, um ihre beste Freundin Savy wieder zu sehen. Nebenbei sammelt sie als Neo Cab-Driverin Kund:innen auf, um sich finanziell über Wasser zu halten. Doch nicht bloß läuft das Wiedersehen mit Savy anders als geplant, auch Capra – der Großkonzern, der große Teile der Infrastruktur Los Ojos‘ fest im Griff hält – stellt eine konstante Bedrohung da. Für Linas Freiheit, Linas Sicherheit, Linas Job. Es gilt, das Mysterium um Savy zu lüften. Doch es gilt auch, Capra mit allen Mitteln Einhalt zu gebieten.
Das Spiel
Neo Cab ist ein Visual Novel mit etwas anderer Oberfläche.
Die meiste Zeit sitzt man hinter dem Steuer von Linas Neo Cab, sieht sie, aber auch die Fahrgäste und kann den Dialogen folgen, die geführt werden – und sie durch zahlreiche Auswahloptionen beeinflussen.
Darüber hinaus spielt man in Neo Cab eben auch eine Uber-Fahrerin im futuristischen Setting. Man kann sich mehrmals pro Nacht auf einer digitalen Map potenzielle Fahrgäste auswählen, um diese von A nach B zu bringen und spannende Gespräche zu führen. Einerseits lernt man dabei mehr über die verschiedensten, teils kuriosen Individuen von Los Ojos. Einen Fotografen, der versehentlich in die Rebellion gegen Capra stolpert. Eine Statistikerin, die aus Leidenschaft in alternative Realitäten abdriftet. Eine Teenagerin, die die meiste Zeit ihrer bisherigen Jugend in einem Keuschheitsanzug aus Metall verbracht hat, weil ihre Mutter das so wollte. Andererseits kämpft man um das eigene ökonomische Wohl und sein neo Cab-Rating, muss diesen Leuten also auch gefallen, um nicht aus dem Business auszuscheiden.
Dabei folgt das Spiel einem Emotionssystem. Ein Spektrum, auf dem farblich codiert zu jeder Zeit angezeigt wird, wie es Lina geht, verändert sich wenn sie eine bestimmte Emotion durchlebt und bestimmt auch darüber, welche Antwortmöglichkeiten überhaupt anwählbar sind. Ist Lina wütend, kann sie in speziellen Situationen nicht beruhigend oder einfühlsam reagieren. Ist sie deprimiert, fehlt ihr die Energie, um mit Leidenschaft und Feuer auf etwas zu reagieren.
Wie war es denn nun?
Neo Cab hat eine kleine Weile gebraucht, um mich in seinen Bann zu ziehen. Dann jedoch kann es wirklich faszinierend sein. Das Worldbuilding funktioniert unglaublich gut. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – man das Neo Cab eigentlich nie verlässt, Lina neu in Los Ojos ist und nur über ihre Fahrgäste – „Pax“ genannt – von der Stadt und ihren Hintergründen erfährt. Das ist spannend – auch weil sich die Informationsdichte durchaus davon abhängig macht, wen man mitnimmt und wie man mit den Personen interagiert.
Will man etwas mehr erfahren, muss man vielleicht auch bestimmte Knöpfe bei den Passagieren drücken. Doch das wiederum könnte das Rating negativ beeinflussen und zukünftige Fahrten schwer zugänglich machen. Ich habe es selten über mich gebracht, nicht nett zu den Leuten zu sein (es sei denn, sie haben es verdient) und hatte dementsprechend meistens ein fabelhaftes Rating, vielleicht aber auch nicht so viele Informationen, wie ich am Ende hätte benötigen können.
An sich ist das cool und der Uber-Simulator, mit all den kuriosen Figuren, die man mitnimmt und die so eine cyberpunkige Großstadt zu bieten hat, funktioniert. Einiges daran hat für mich aber auch gar nicht funktioniert.
Konsequenzen: An jeder Ecke und jedem Ende erwarten Konsequenzen des eigenen Handelns. Ich verstehe, dass das aus Spielsicht Sinn macht und spannend ist. Es kann aber auch reichlich frustrierend sein, wenn aus den kleinsten Dingen – und das bei ALLEM – noch ein Strick gefertigt wird. Und nicht nur das. Das eigentliche Problem ist nicht mal der Frust. Viel mehr stört mich daran die schicksalsökonomische Weltsicht. Alles muss einen Vor- und einen Nachteil haben, für etwas Gutes bezahlt man immer mit etwas Schlechtem. Das ist ein tief sitzendes Narrativ und – wie gesagt – vor dem Hintergrund von Fictional Game Design auch nachvollziehbar, aber weder sonderlich kreativ, geschickt, noch meine ideologische Tasse Tee.
Ähnliches gilt auch für das Emotionssystem, gerade in der Verbindung mit den Konsequenzen. Es lässt sich sehr schwer beeinflussen, wie die Emotionen sich entwickeln. Weil vieles von außen auf Lina einprasselt und sie dann eine bestimmte Stimmung einnehmen lässt – bis diese sich durch etwas anderes eben wieder ändert. Das Spiel schickt den Disclaimer voraus, dass keine Option wirklich schlecht ist. Aber so fühlt es sich dann doch nicht an. Ständig sind Optionen nicht anwählbar und es heißt sowas wie „I was too angry to reason with them!“ oder so. Das ist, abermals, frustrierend und gefällt mir auch weltanschaulich nicht. Hinter diesem Gameplay-Einfall steckt ein Affektdeterminismus, den ich problematisch finde. „Du bist deinen Emotionen vollends ausgeliefert und kannst sie nicht überwinden.“
In ungefähr diesem Zeichen steht auch das Finale des Spiels – zumindest war es im meinen Durchlauf das Finale. Und während ich bis dahin eigentlich recht positiv gestimmt war, hat es mich dann doch auch etwas verloren. Die hitzige Diskussion mit Savy ist so seltsam formularisch und erzeugt einen ganz komischen Loop. Noch dazu ist Savy eine ganz, ganz schlimme, toxische Person. Das SOLL sie auch sein, aber genau deswegen verstehe ich nicht, warum mir an ihr und dem Klären MIT ihr irgendetwas liegen soll. Vielleicht ist das für Leute, die sich und ihnen bekannte Mechanismen in toxischen Beziehungen darin irgendwie wiedererkennen. Aber für mich ist es nichts. Ich finde es auch undurchsichtig, was am Ende zu dem Ergebnis geführt hat, das daraus resultierte. Und das hat meine Faszination gen Ende schon deutlich gedämmt.
Nichtsdestotrotz werde ich Neo Cab wohl noch mal einen zweiten Anlauf gönnen, um in den möglichen Genuss eines weiteren, vielleicht ja glücklicheren Spielverlaufs zu kommen. Bis dahin drückt sich die finale Ernüchterung aber auch in meiner Bewertung aus.
Ich vergebe 6,5 von 10 Fahrerinnen, die vielleicht Roboter sind.