Last Time I Saw You



Last Time I Saw You war eine riesige Überraschung. Lynx hatte mich drauf aufmerksam gemacht und ich wusste bis zum Anspielen quasi nichts über das Spiel. Schnell hat es sich zu einem meiner Favoriten des Jahres entwickelt.

Es handelt sich um ein Adventure in Sidescroller-Perspektive im Stil von z.B. A Space for the Unbound. Das Gameplay besteht daraus, mit NPCs zu agieren und die Umgebung zu erkunden. Gelegentlich gibt es Minispiele und sehr seichte Platformer-Einlagen.

Was das Spiel so besonders macht, ist seine Atmosphäre. Es spielt im Japan der 80er in einer ländlichen Kleinstadt und diese Vibes fängt das Spiel einfach wunderbar ein. Sei es der Oden-Stand auf der Straße, das Arcade-Videospiel, das der Protagonist und seine Mutter gerne spielen oder die Abwesenheit von moderner Technologie: Es fühlt sich einfach wie ein sehr heimeliger Ausflug in eine einfachere Zeit an.



Das Spiel glänzt ebenfalls durch die Figuren. Der Protagonist, seine Eltern, Freude und die NPCs in der Stadt haben alle ihr eigenes Leben und eigene Sorgen. Selbst die Figuren, die nur am Rande vorkommen, sind oft nuanciert geschrieben. In Sidequests lernt man gelegentlich neue Seiten von ihnen kennen. Da das Spiel über mehrere Tage spielt, trifft man dieselben Figuren in der Stadt wieder und wieder. Auf diese Weise werden elegant kleine Geschichten daraus, zum Beispiel darüber, wie sich eine Beziehung zwischen einem jungen Pärchen oder zwei Freundinnen entwickelt.

Visuell ist es einfach wunderschön. Der 2D-Pixelstil ist vor allem in Bewegung ein Hingucker, weshalb statische Bilder dem Charme des Spiels eigentlich nicht gerecht werden. Leider finde ich die Wahl des Covers etwas ungünstig – es sieht etwas überladen aus und fängt imo nicht so richtig ein, wie hübsch das Spiel ist.



Ach ja, und es gibt sogar gut animierte Anime-Sequenzen, die viel hermachen.

Und dann wären da die Shinto-Elemente – der ganze übernatürliche Überbau der Handlung, der im Spielverlauf immer wichtiger wird. Wesen aus der japanischen Mythologie werden hier wunderbar facettenreich dargestellt: Sie sind mysteriös, launisch und entziehen sich der menschlichen Logik ein wenig, doch sind zugleich extrem charmant und einnehmend.

In einer humorvollen Quest muss man einem Kappa beispielsweise Essen aus der Menschenwelt bringen, das dieser mit Genuss verzehrt.



Zugleich besitzt das Spiel auch eine ausgeprägte Tragik, denn der Schatten des Zweiten Weltkriegs und seiner Gräuel schwebt über dem Spiel. So hilft man dem Geist eines im Krieg gefallenen Mädchens, eine – erheblich gealterte – Verwandte wiederzufinden und bringt einer koreanischen Göttin bei, was mit ihrem Land in den letzten Jahrhunderten passiert ist.

All diese Elemente sind sehr bittersüß und so schön inszeniert, dass sie noch eine Weile nachhallen.



Und dann gibt’s noch ein Spiel im Spiel, das einfach ein schönes, kleines, spaßiges Arcade-Spiel wie aus den 80ern oder 90ern ist und erstaunlich viel Spaß macht.



tl;dr: Last Time I Saw You ist ein wundervolles Spiel, das mit spürbar viel Liebe entwickelt wurde. Es ist zugleich charmant, lustig, nostalgisch, einnehmend, mystisch, wunderschön, bewegend, bittersüß und einzigartig. Ein absoluter Geheimtipp – unbedingt spielen!

Leider ist es auch völlig untergegangen und die Entwickler sind ziemlich geknickt deswegen. Was ich total verstehe, denn es ist wirklich kein winziges Indie-Projekt, sondern ein Spiel mit extrem viel Polish, das sich bei allem Indie-Charme doch extrem professionell und rund anfühlt.

Spielzeit: 8:25h
Wertung: 8,5/10