√Letter


√Letter ist ein Spiel, das mich schon zur Ankündigung damals sehr interessiert hat. Das lag vor allem an dem Cover-Artwork (siehe oben), das mich extrem angesprochen hat.
Als es dann erschien, kam es eher mäßig an – aber es bleib ein paar Jahre in meinem Hinterkopf, bis ich es mir dann neulich in einem Sale gekauft habe.

Die Prämisse: Der Protagonist hatte vor 15 Jahren eine Brieffreundin, die er nie getroffen hatte. In der Gegenwart entdeckt er einen bisher ungelesen Brief von ihr in seinen Sachen, in der sie schrieb, dass sie einen Menschen umgebracht habe und dafür nun büßen müsse. Darauf beschließt er, in ihre Heimat zu reisen und herauszufinden, was passiert war.

Dort erfährt er, dass sie angeblich schon 25 Jahre tot ist – also 10 Jahre länger, als sich die beiden kannten. Vor Ort muss er eine Gruppe von Freunden identifizieren und aufsuchen, die in ihren Briefen mit Spitznamen erwähnt wurden.

Die positiven Sachen vorweg: Visuell ist das Spiel ein Hingucker. Die Hintergründe sind ansehnlich, die Charakterdesigns hübsch und angenehm bodenständig und die UI wirkt stimmig.
Auch die Musik ist nett und die ganze Grundstimmung hat mir wirklich gut gefallen. Auch dass es quasi zur Hälfte Werbung für eine Stadt in der Präfektur Shimane ist und lauter echte Locations und Tourismus-Trivia enthält, war für mich eher ein Bonus.

Damit hört es leider schon auf. Zeit für einen Rant!


Das komplette Gameplay ist unnötig
Das Spiel ist streng linear, es gibt immer nur eine Lösung für ein aktuelles Problem. Trotzdem gibt es eine Map mit vielen Orten, die man besuchen kann, und eine Such-Funktion innerhalb der Maps.
Auch wenn man Wahlmöglichkeiten hat, führt in der Regel nur eine zum Ziel, und wenn man ein Item auswählen kann, ist fast immer nur eines richtig.
Das Spiels scheint sich der Problematik bewusst zu sein, sodass es über einen Menüpunkt „Denken“ quasi die Lösung vorgibt, damit man nicht dumm rumprobieren muss.
Meistens ist es aber ohnehin offensichtlich.
Wenn überhaupt, dann ist das Gameplay nur darin gut, das Spiel in „Einheiten“ zu unterteilen. Es erfüllt narrativ aber keinen Zweck.

Noch schlimmer ist der „Max Mode“, bei dem man in einer Art Minispiel zwischen einer von vier Intensitäten bei einer Antwort entscheiden muss. Welche davon richtig ist, ist aber völlig random und sehr selten intuitiv absehbar.

Auch die fünf Endings werden rein durch Antworten getriggert, die man (in Erinnerung) auf die Briefe der Brieffreundin gibt. Diese sind aber nur belangloses Geplänkel und haben kaum bis keinen Bezug zur Handlung. Im Endeffekt ist es also, wenn man nichts von der Mechanik weiß, komplett random, welches Ende man bekommt.


Das Protagonist ist ein Arsch
Im Spiel sucht man die Freunde der Brieffreundin auf, einem jedoch nicht viel verraten wollen.
Was macht der Protagonist also?
Richtig, er setzt alles daran, mit Gewalt an die Wahrheit zukommen, nur um seine eigene Neugier zu befriedigen.
Dabei schnüffelt er so lange herum, bis er an Infos kommt, mit denen er die Freunde erpressen kann.
Er nutzt aktiv deren Traumata aus, bohrt bewusst in deren Wunden und tritt noch nach, wenn er sieht, wie sehr sie das aufwühlt.

Beispiel siehe weiter unten.

Das Spiel ist ein Arsch
Schlimm genug, dass so was überhaupt passiert, aber das Spiel stellt es auch noch so dar, als wäre es das Normalste der Welt und absolut nicht verwerflich.
Offenbar ist nicht nur der Protagonist ein Arsch, sondern auch die Schreiber der Geschichte vollkommen unsensibel.



Die Präsentation ist derbe inkonsistent
Das zunächst aufgebaute mysteriös-bodenständige Atmosphäre wird in den „Konfrontationen“ mit den Freunden vollkommen zerstört. Diese würde ich spielerisch und der Art, wie überzeichnet sie sind, eher in einem Ace Attorney oder Danganronpa verorten. Charaktere reagieren mit übertriebenen Anime-Gesichtsausdrücken und die absurdeste Logik überhaupt wird bedient – diese Szenen fühlen sich absolut fehl am Platz an, sind aber leider ausgerechnet die Höhepunkte jedes Kapitels.

Die Übersetzung ist ein Graus
Es ist eine stumpfe 1:1-Übersetzung aus dem Japanischen ohne das geringste Fingerspitzengefühl. Sie fühlt sich oft unnatürlich an und ist vor allem an vielen Stellen schlichtweg falsch, weil sie offenbar ohne Kontext übersetzt wurde und keine Qualitätssicherung stattgefunden hat. Der Bezug von Sätzen ist oft völlig falsch und in vielen Fällen wurde er einfach (wie im Japanischen) weggelassen, was zu völlig weirden Formulierungen führt. Die Sprache im Original gewinnt schon keinen Preis, aber alles, was dort schon stumpf ist, wird durch die Übersetzung noch erheblich verschlimmert.



Das Writing ist dumm
Und zwar ständig – definitiv aber in jeder der Konfronationen.
Bei mindestens einer war es so schlimm, dass ich nicht wusste, ob ich mich ekeln oder über diese Dummheit lachen sollte.

Es geht um einen der Freunde mit dem Spitznamen Fatty (ja, ernsthaft) , der früher übergewichtig war, mittlerweile aber muskulös ist und bestreitet, Fatty zu sein.
Der Protagonist nutzt – neben diversen Traumata – allen Ernstes Snacks, mit denen er ihn lockt, um angeblich zu beweisen, dass er wirklich Fatty ist.
Nach zwei, drei versuchen kann Fatty den angebotenen Schokochips nicht mehr wiederstehen und greift zu – was der Protagonist als unbestreitlichen Beweis dessen wahrer Identität sieht.
Fatty ist daraufhin am Boden zerstört und kommt zur Überzeugung, dass all seine Mühen umsonst waren und er sich gar nicht verändert habe.

Jetzt kommt der Hammer: Der Protagonist weist Fatty darauf hin, dass dieser die Schokolade vorm Essen der Schokochips unterbewusst abgepult und auf den Boden fallen lassen hat – und das wird als dramatischer, herzerwärmender Höhepunkt inszeniert, dass Fatty sich doch verändert hat. (???????)
Und das Spiel nimmt sich dabei vollkommen ernst – meint es offensichtlich auch vollkommen ernst.
ALTER! Mal abgesehen von Erpressung, Fatshaming, Ausnutzung von Traumata und allen anderen problematischen Handlungen ist diese Szene einfach nur DUMM. Ich dachte, ich les nicht richig, ey

Und das ist nur eine von vielen dummen Szenen (wenn auch die schlimmste). Spätestens da war das Spiel für mich vollkommen gestorben.

Die Szene übrigens in der übraus trashigen Fassung mit echten Schauspielern (die ich nicht gespielt habe):


Das bereue ich ein wenig. Die nimmt sich nämlich offenbar nicht ernst.

Ich habe nur eines der Enden erspielt und mich am „True Ending“ (wenn man es so nennen will) nicht mal mehr versucht. Die Auflösung in meiner Route war eine Mischung aus cool, unglaubwürdig und antiklimaktisch.

Also ja. Ein unheimlich unsensibles und schlichtweg dummes Spiel. Was schade ist, den Prämisse, Schauplatz und Atmosphäre haben mir abgesehen davon ziemlich gut gefallen.

Spielzeit: 7:00
Wertung: 3/10