Unterwegs in Düsterburg

Oh my. Was für ein Name!
Ein guter Name für ein Videospiel sollte nicht nur passen, sondern es auch in seiner Ganzheit einfangen und – zumindest meiner Meinung nach – gleich mehrere Dinge darüber aussagen.
Zumindest in dieser Hinsicht ist "Unterwegs in Düsterburg" ein absoluter Triumph.

Bevor ich UiD also anhand des Namens auseinandernehme, ein Minimum an Kontext: Es handelt sich um ein kostenloses RPGMaker-Rollenspiel aus dem Jahr 2003 und um einen Meilenstein des deutschsprachigen Mediums. Ich habe das damals alles überhaupt nicht mitbekommen und hole es jetzt erst aus "professionellem" (amateurhaftem?) Interesse nach. Also keine Nostalgie von mir; Entschuldigung vielmals!


1. UiD ist goofy Shit.



Um den offensichtlichen Disney-Köter direkt aus dem Weg zu räumen: Dieses Spiel ist, genau wie sein Name, unglaublich goofy. Teilweise ist das gewollt, durch offensichtlich-stumpfe Klischees und noch stumpfere Anspielungen an Gott und die Welt, durch alberne Surprise-Tode und durch ständige Quips, die den durchschnittlichen Marvel-Film wie ein Indie-Charakterdrama wirken lassen. Teilweise ist es nicht so eindeutig: Sollen die Artworks und die wild zusammengekleisterten Zwischensequenzen nur goofy oder tatsächlich auch cool sein? (Sie sind es wirklich nicht.) Beansprucht dieses Spiel überhaupt irgendeine Art von Coolness oder künstlerischen Anspruch für sich? Oder ist man wirklich nur mal "unterwegs" in der Nachbarschaft? (Man weiß es nicht.) Der Humor ist allgegenwärtig und pendelt die meiste Zeit irgendwo zwischen "Hintergrundrauschen" und "schon ein bisschen anstrengend", aber manchmal hat er mich auch auf dem falschen Fuß erwischt und mir ein überraschtes Kichern entlockt. Und nach hinten hin weiß UiD dann auch etwas genauer, wo sein Tonfall liegen soll.


2. UiD ist eigen.

Ein derartiges Spiel wird wohl kaum jemals im Laden liegen ... und ehrlich gesagt ist es ein Wunder, dass man es früher auf den Screenfun-CDs bekommen hat? Klar, das liegt einmal an der fragwürdigen Herkunft vieler Ressourcen, aber es liegt auch daran, dass es komplett amateurhaft ist. Oft ist das objektiv schlecht, etwa durch ein völlig unstetes Grafik-Design (wenn man es überhaupt so nennen will), zahlreiche Bugs oder eine weirde konzeptuelle Unklarheit und Schwankungen von Kapitel zu Kapitel: Im ersten lernt man, alles schön methodisch abzutasten und jedes Feld mitzunehmen, während einen diese Herangehensweise im zweiten nicht nur zu Tode langweilen, sondern in ein paar späteren Situationen auch noch ordentlich ficken wird, weil plötzlich ein Timer oder irgendwelche Events an der Erkundung hängen. Darüber hinaus gerät man im Laufe des Spiels in gleich mehrere Detektivszenarien (qualitativ pendelnd zwischen "What the fuck?", *gähn* und "Verdammt clever!"), zahlreiche aufwändige Minispiele und einen klassischen Todesfallen-Dungeon. Und zu allem Überfluss wird das Gameplay stetig besser, zumindest manchmal. Manchmal stolpert es auch in eine Grube. Und falls das bisher nicht klargeworden ist: All dieses Chaos ist total abwechslungsreich, "mutig" (sofern es so geplant war?!) und eine absolut einzigartige Spielerfahrung. Es gibt SO viel zu entdecken und ich will gar nicht wissen, was ich alles übersehen habe! Das Genre von UiD ist wohl am ehesten eine "Immersive Sim", aber eigentlich auch überhaupt nicht, oder zumindest nicht die ganze Zeit. Um dieses weirde Mischding eines Spiels voll auszukosten, gilt es absolut offen zu bleiben, und ob es das wert ist, muss jeder selbst entscheiden.



Nur als Beispiel: Ich kann mich nicht erinnern, wann mich ein Videospiel das letzte Mal so AUFGEREGT hat wie UiD auf Burg Rabenstein, mit einem ganzen Ökosystem aus verschachtelten Bugs und grässlich-schlechter Spielerkommunikation. Andererseits habe ich NIE zuvor einen "Level" wie Burg Rabenstein gespielt, und jedes weitere Wort wäre ein Spoiler. o_o


3. UiD ist sehr, sehr deutsch (und trotzdem ein halbes JRPG).

In der Pen-and-Paper-Szene nennen wir ein gewisses Spielgefühl "hotzenplotzig", und wer schon einmal Das Schwarze Auge gespielt hat, weiß wahrscheinlich sofort, was damit gemeint ist: Ulkig-deutsche Namen, Märchen-Spielereien und ein tendenziell niedriger Fantasy- und Power-Level. Man rettet nicht die Welt, sondern das Kind des Zuckerbäckers vor einem tollwütigen Hund. Und ja, UiD ist hotzenplotzig as fuck. Wichtige Figuren in dieser Geschichte heißen "Dankwart" und "Wahnfriend", es gibt die "Ostmarken" und die schon erwähnte "Burg Rabenstein" ... Alles klar. Generell hat man beizeiten das Gefühl, man würde eine Fan Fiction (Parodie?) des Schwarzen Auges lesen, nicht zuletzt durch tatsächliche DSA-Bezüge ("Anspielungen" trifft es hier wirklich nicht mehr). Dann jedoch ... sind hier auch noch eindeutige JRPG-Einflüsse drin? Einmal natürlich durch das Standard-Kampfsystem des RPGMakers und die oftmals weird editierten Japano-Assets, zum anderen aber auch durch World-Building-Aspekte wie die Magie, durch Versatzstücke aus dem Steampunk und andere unerwartete Genre-Konventionen. Ulkige Mischung.




4. UiD will nicht nur "Unterwegs in Düsterburg" sein.

In vereinzelten Momenten versucht UiD, eine richtige Geschichte zu erzählen, Vampires-Dawn-mäßig ein bisschen Edge in den Raum zu werfen und vielleicht (?) sogar ein bisschen ernst (!) zu sein; und das passt ebenso wenig zum Namen wie zum Spiel selbst. Ich gebe zwar sehr gern zu, dass es ein, zwei Momente gab, die mich in ihrer Inszenierung erwischt haben – Dankwarts große Szene bspw. sticht hervor –, aber letztlich wäre das Ganze als klare Parodie runder gewesen. Weder das Writing noch die Figuren können hier irgendetwas tragen, und wann immer es einen längeren Exposition Dump oder ein herumliegendes Buch mit Lesetext gab, musste ich unwillkürlich mit den Augen rollen. Auf der anderen Seite enthält das Spiel ein paar Details, die mich überraschen konnten, etwa den Fakt, dass man in UiD zu großen Teilen eine Familie inkls. einer funktionierenden Beziehung spielt, was noch immer extrem selten für das Rollenspielgenre ist. Aber: Obwohl es mit der Zeit besser wird, kommt das Writing auch hier nicht hinterher, und gerade die Beziehung der Hauptfiguren ist ein bisschen schrecklich, selbst als Witz.




Fazit

Am Ende des Tages ist UiD eben doch "Unterwegs in Düsterburg", im Guten wie im Schlechten: Als ulkiger, eigener Maker-Meilenstein und sogar als Indie-Rollenspiel ziemlich faszinierend und einen akademischen Blick wert, aber als "richtiges" Videospiel eine durchweg holprige Erfahrung, die mühelos von "anstrengend" über "spaßig" zu "eingängig" und wieder zurück springen kann.