Ich bin sicher nicht der Einzige, der sich nach dem grandiosen 'Portrait einer Frau in Flammen' sowohl in Adele Haenel (als Schauspielerin) als auch in Regisseurin Celine Sciamma Hals über Kopf verliebt hat. Es lag also nahe, mich dem Debütfilm der jungen Regisseurin zu widmen, in dem sie ebenfalls mit Haenel zusammengearbeitet hatte.
Water Lilies ist dabei ein schmerzhaft-ehrliches, aufwühlend-treffendes Coming of Age respektive lesbian teenage love-drama, das in vielen Momenten so nah an unseren eigenen, Jugendlichen Gedanken und Erfahrungen ist wie kaum ein anderer Film. Indess ist der Film sehr ruhig und vieles ist nur impliziert.
Die fünfzehnjährige Marie ist Zuschauerin bei einer Show ihres Synchronschwimmen-Schulteams. Dabei tut es ihr nicht nur der Sport selbst, sondern vor allem die Capitänin Floriane an, für die sie sehr schnell intensive Gefühle entwickelt. Floriane hingegen hat an der Schule den Ruf einer Vollzeit-Beischläferin, die mit jedem verfügbaren Jungen ins Bett geht, am liebsten aber mit dem grobschnitzigen François, wobei ihr auch Marie von Nutzen ist. In Francois wiederum ist auch Anne verliebt, Maries etwas plumpe und unbedarfte KindheitsFreundin, die sich nach dem ersten Mal sehnt.
Ah ja, das sexuelle Erwachen im Schwimmunterricht - eine Erfahrung, die sicherlich für nicht wenige von uns unvermeidbare Lebensrealität war, zum Besseren oder Schlechteren. Bei Marie passiert es nun eben bei einer Vorführung, aber genau darum geht es im Film. Das Entdecken und Finden der sexuellen Identität, aber auch den unsicheren Umgang mit den ersten, romantischen Gefühlen, die irgendwie, aber nicht so richtig erwidert werden.
Water Lilies gelingt es dabei allen voran, universell weh zu tun. Man muss kein lesbisches Mädchen sein, um von Anfang an mit Marie mitzufühlen, weil die Regisseurin geschickt Momente und Situationen bebildert, die wir selbst vielleicht beinahe schon vergessen hatten. Mit einer Brillanz spielt Pauline Aquart als Marie nur mit Gesichtsausdrücken und einfachen Bewegungen die nur allzu bekannte Tragödie nach, wenn wir das erste Mal wirklich von jemandem fasziniert sind, unseren ganzen Mut zusammen Nehmen, versuchen diese Person zu beeindrucken und fühlen wie es ist, wenn es nicht funktioniert. Wir erinnern uns an uns selbst, wenn Marie sich, um cooler zu werden, von ihrer kindischen Freundin lossagt, nur um sich Tage später mit ihr zusammenzuraufen als wäre nichts gewesen.
Die Beziehung von Floriane und Marie vor allem ist dabei sehr komplex und vieles liegt im Rahmen von Implikationen, Interpretation und eigenen Erinnerungen. Zwar wird schnell klar, dass Floriane genau weiß, was Marie von ihr möchte, immerhin kennt sie die begehrenden Blicke, und sie dahingehend ausnutzt, doch gerade gegen Ende ist sehr ambivalent, ob sie das bewusst tut und was noch dahinter steckt. Annes Arc als Marie's typische Außenseiterfreundin die unbedingt Sex möchte ist dabei als andere Perspektive nicht unwichtig, insgesamt aber der weniger interessante Aspekt der Geschichte.
Das Finale, wenn man es so nennen kann, denn der Film hört eigentlich nur auf, konzentriert in seiner Wirkung nochmals gekonnt die Quintessenz von Wasserlilien:
Man projiziert möglicherweise so viele seiner eigenen (schmerzlichen) Jugendliebe-Erinnerungen in diesen Film und in die letzten 15 Minuten, dass insbesondere die vletzte Szene auf einem zermürbenden Level weh tut, dass man beim Anlaufen der Credits vor dem Bildschirm sitzt und eigentlich sehr laut schreien möchte vor Frustration. Rührt der Frust von dem eher trostlosen Ausgang Maries' erster Liebe her, oder doch eher von dem trostlosen Ausgang unserer eigenen ersten Liebe, die damals möglicherweise ähnlich verlief und hier aufs Unangenehmste gespiegelt wird? Dabei hinterlässt Regisseurin Celine Sciamma weder Marie noch uns mit reiner Hoffnungslosigkeit - Denn untermalt von
dem träumerisch-hypnotischen Soundtrack, den ich an der Stelle auch unabhängig vom Film sehr empfehle und der Jugendmelancholie in Perfektion zusammenfasst, haben wir vielleicht irgendwann festgestellt, dass es die Beziehungen sind die wir für selbstverständlich erachten, die am Ende des Tages noch da sind, um uns die Hand zu reichen, wenn wir in einen Pool springen und nie wieder auftauchen möchten. Keine wirklich neue Erkenntnis, aber eine so Wichtige.
Water Lilies ist frustrierend und bis zum Erbrechen effektiv darin, Jugendmelancholie widerhallen zu lassen.
Und darin ist es vermutlich der beste Film, den ich bisher gesehen habe.
8 von 10 Bananen