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Moderator Diaboli
Shadow Hearts Covenant (PS2)
Ich hatte mir ja vorgenommen, dieses Jahr die Shadow-Hearts-Spiele einmal durchzuspielen, bei denen ich jeweils (bis auf Teil 3) vor dem letzten Gegner gestrandet bin und zuerst musste dafür natürlich 1+2 weg. Teil 3 werde ich dieses Jahr wahrscheinlich nicht mehr spielen, aber den fand ich auch weniger gut als die anderen beiden. Ich hatte bisher jedenfalls in Erinnerung, dass SH2 das deutlich bessere Spiel sei und SH1 „irgendwie ganz gut, aber nicht so gut wie Teil 2“. Keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin, ggf. lag es am zeitlichen Abstand zwischen den Spielen – heute muss ich aber ganz klar sagen, dass SH1 besser ist. Deutlich.
Dabei wurde für SH2 einiges am Spielprinzip verbessert und es ist einige Stunden länger. Aber fangen wir mal vorne an: Während die Handlung von SH1 düster und spannend, mit einer guten Prise schwarzem Humor, ist, passiert in SH2 deutlich mehr – es gibt mehr wichtige Charaktere, die Handlung spielt sich an noch mehr Orten ab und all das wird nun mittels vertonter Sequenzen gezeigt. Ganz schön eigentlich – das Spiel macht es gut, aber leider ist die Horroratmosphäre aus den Vorgängern fast komplett weg. Während die Geschichte an sich gut inszeniert wurde, gibt es deutlich mehr affige oder klischeehafte Szenen. Dass die Charaktere in den Sequenzen relativ steif herumstehen und keine Mimik haben, will ich dabei gar nicht kritisieren, da das Spiel ja ein paar Jahre älter ist. Alles kam jedoch deutlich weniger erwachsenengerecht rüber und ich fand es darüber hinaus schade, dass der Horror, den man in RPGs ja sowieso suchen muss, weg ist.
Auch mit seinen Charakteren geht das Spiel schlechter um als SH1: Die Sequenzen bieten deutlich mehr Raum für Charakterisierung, aber an einigen Stellen geht die ziemlich schief. Der Umgang des Spiels mit weiblichen Charakteren ist z.B. echt grottig; nehmen wir mal Lucia: Sie ist ein Dummchen mit dicken Brüsten, naiven Sprüchen und trägt nichts zur Handlung bei. Anastasia ist ein Kindercharakter – solche mag ich meist nicht, finde sie aber nicht zwingend sofort problematisch, denn es gibt ja auch positive Gegenbeispiele. Problematisch ist dagegen, dass sie ein Großteil des Spiels damit beschäftigt ist, Yuri anzuschmachten, was ein sehr einseitiges Frauenbild zeigt. Die Antagonistin Veronica ist ein Sado-Maso-Klischee mit überzeichneten Brüsten, Ouka dient nur dazu, einem Antagonisten seine vermeintlich tolle Motivation fürs Antagonisten-Sein zu liefern…
… und Karin ist leider eine komplette Vollkatastrophe. Das fängt schon in ihrer ersten Szene an, in der sie einfach nur nutzlos ist und … ja ... doof guckt, während Yuri seinen Auftritt hat und dann in Ohnmacht fällt (alle männlichen NPCs drumherum werden in der Zeit gekillt). Lt. Beschreibung und Darstellung in den ersten Szenen ist sie Leutnant in der deutschen Armee, wozu ein deutlich anderes Auftreten gepasst hätte (= selbstbewusster, toller weiblicher Hauptcharakter). Das passt alles nicht zusammen und im Laufe des Spiels sieht man nur immer mehr, dass Karin total platt charakterisiert, in Szenen nur als doof guckend gezeigt wird und letztendlich auch nur dazu dient, Yuri gutzufinden. Karin hat weder Persönlichkeit, noch irgendeine Stärke, sondern ist wohl ein Abbild davon, wie sich die Entwickler eine Frau vorstellen – gräßlich. Am Ende des Spiels wird es leider noch schlimmer, als sie allen Ernstes in der Zeit zurückreist, um Yuris Vater zu begegnen, damit sie seine Mutter werden kann, weil sie ihn ja unbedingt kriegen will (er will lieber Alice, buhu … wobei deren Charakter in diesem Spiel wohl auch verhunzt worden wäre) Das ist kein Scherz. Ich habe selten so eine abgefahrene und irgendwie auch widerliche Szene in einem Spiel gesehen. Es ist irgendwie auch schade, da man sehr viel aus Karin hätte machen können, also ohne sexistische Rollenklischees und so etwas.
Die Typen sind da eher nur etwas überzeichnet: Yuri ist ein wenig wie der Charakter in SH1, neigt aber zu impulsivem Verhalten und Aggro-Aktionen, was auch nicht gerade sympathisch kommt. Soll wohl männliche Spieler ansprechen. Gepetto ist ein alter Mann, der eine (weibliche) Puppe mit verschiedenen Kleidern nutzt, um Gegner anzugreifen. Na, ja. Joachim ist eine deutlich überzeichnete Version von Keith aus SH1 und hat viele Muskeln, aber wenig Hirn. Richtig dumm fand ich den letzten Antagonisten, der nicht nur eine beschissene Motivation hat, um auf einmal gegen einen zu kämpfen (vorher rennt er komisch in der Gegend herum und erzählt Zeug), sondern bei dem ich auch den Eindruck hatte, dass die Entwickler wollen, dass man ihn sympathisch findet. Wie man einen Typen sympathisch finden soll, der seine eigenen künstlich erschaffenen Sklaven hat (sehr unkritisch betrachtet) und einem anderen Antagonisten mal eben den Hals bricht (Nikolai, der, bis er aus der Geschichte geschrieben wurde, immerhin etwas interessanter war), weil darum, keine Ahnung. Sorry für den Schachtelsatz. Blanca habe ich ganz vergessen, fiel mir gerade auf. Na ja, Tiercharakter eben, wobei er ein paar witzige Szenen hatte, die ihn interessanter machten. Kurando gibt es auch noch, Schwamm drüber.
Das war jetzt sehr viel allein über die Charaktere, aber ich war an vielen Stellen einfach auch enttäuscht, da man viel mehr daraus hätte machen können. Man hätte u.a. die Charakterisierungen runterschrauben können, wie in SH1, und einfach eine gute Geschichte erzählen. Die Geschichte ist an sich nämlich ganz gut: Gerade die Art, wie z.B. in Russland real existierende Personen auf (sehr starke) Fantasy-Art genutzt werden, ist nett und die Geschichte überrascht auch immer wieder mal durch verschiedenene Wendungen. Auch die Bezüge zum Vorgänger sind gut und man kann sogar einen Schauplatz mehr oder weniger noch einmal besuchen, was mir schon in SH1 gefiel. Dazu kommt eben, dass die Entwickler bei der Präsentation der Geschichte Fortschritte gemacht haben; die vertonten Szenen wirken trotz der schlechten Synchronisation recht lebendig. Auch wenn ich nicht finde, dass man zwingend eine Synchronisation braucht, wenn alles stimmt (FFIX ist ein Paradebeispiel dafür), ist es hier gut gelungen. Die Charaktere haben untereinander auch immer wieder mal seichtere, nette Szenen, in denen sie einfach nur mal quatschen.
Spielerisch bietet SH2 eine Menge: Jeder Charakter hat seine eigene Nebenmission, die mal mehr, mal weniger spannend ist. Gut fand ich die, die wirklich mit Handlung verbunden sind und auch Blancas Missionen mochte ich irgendwie, obwohl sie nur mit einzelnen Kämpfen und ein wenig Dialog verbunden waren. Schön fand ich auch die Fülle an Schauplätzen – man reist zwar nicht einmal um die Welt, sieht aber Schauplätze in verschiedenen Ländern, die alle gut aussehen und vereinzelt Dinge zu entdecken und NPCs anzuquatschen bieten. Die meisten davon sehen atmosphärisch aus, wobei ich aber die Schauplätze in Europa schöner fand als die in Japan. Die Dungeons sieht deutlich umfangreicher und bieten mehr zu entdecken, ich fand sie aber schlechter als in SH1, weil sie eintöniger aussehen und häufig aus Schläuchen bestehen. Gegen Ende habe ich mir eine Lösung während des Spielens aufgemacht, weil ich schlichtweg keine Lust mehr hatte, in den Dungeons im Kreis herumzulaufen.
Wieder sehr gut ist das Kampfsystem – besser ist nun, dass die Gegner (das Design ist leider uninteressanter geworden) eine HP-Leiste haben, so dass man nicht mehr das Gefühl hat, ewig auf einem Endgegner herumzuhauen und keine Ahnung zu haben, wann er endlich den Geist aufgibt. Das hatte ich in SH1 gerade am Anfang mal, hier war es besser. Das KS spielt sich insgesamt etwas knackiger als im Vorgänger und auch etwas schneller, wobei ich die Komboangriffe nicht zwingend gebraucht hätte, weil sie später nutzlos werden. Auch Yuris Transformationen fand ich schwächer als in SH1. Zu stark war ich am Ende des Spiels trotzdem – keine Ahnung, wieso ich vor zig Jahren den Endgegner nicht besiegt hatte. Ich brauchte sogar nur normale Angriffe; auf so etwas wie Seraphic Radiance (die Transformation heißt in diesem Spiel anders und ich habe sie nur einmal ausprobiert) brauchte ich schlichtweg nicht. In SH1 war diese Transformation ziemlich nützlich, senkte die Schwierigkeit von Gegnern aber auch sehr. Auch gut gefiel mir, dass alle Charaktere mitleveln (die Nichteingesetzten etwas weniger) und dass alle ihre ganz individuellen Fähigkeiten haben, wie es ja auch schon im Vorgänger war. Gepetto, Lucia und Anastasia haben dabei die etwas ausgefalleneren Fähigkeiten, die aber ggf. mehr aufgefallen wären, wäre der generelle Schwierigkeitsgrad höher. Aber das ist ok, der Schwierigkeitsgrad war ja auch im Vorgänger eher überschaubar.
Letztendlich muss sagen, dass dieses Kampfsystem aber generell Spaß macht – es wäre toll, wenn nochmal ein Spiel, das so etwas versucht, rauskommen würde, denn es ist einfach anders und man kann während der Kämpfe nicht mal eben (geistig) abschalten. Na gut, außer man stellt den Ring auf automatisch, aber das macht hoffentlich niemand.
Das war jetzt vielleicht relativ viel lautes Denken für 39 Stunden Spiel, aber ihr sehr wohl, dass SH2 mich beim Spielen beschäftigt hat, gerade weil ich vorher SH1 gespielt hatte und einige Jahre seit meinem ersten Fast-Durchgang vergangen waren. Würde ich das Ding weiterempfehlen? Ja, wenn man vorher SH1 gespielt hat. Als Beispiel dafür, dass es auf der PS2 gute Rollenspiele gibt, taugt das Spiel trotz all der charakterspezifischen Mankos, allein schon, weil einem während des kompletten Spiels nie langweilig wird und man immer wieder etwas Neues sieht.
Spielzeit: 39 Std.
Insgesamt: 8/10
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