Und damit habe ich wieder einen weiteren Ableger hinter mich gebracht. Ich tu mir immer schwer, die neuesten Teile der AA Reihe als eigenständige Spiele zu beurteilen, wenn sie doch bloß der Aufguss der originalen Trilogie sind. 2001 haben sie ein wirklich brillantes Spiel entwickelt, welches uns mit wenigen Sprites und Hintergrund und minimalen Effekten mit mehr oder weniger komplexen Gerichtsdramen in den Bann zieht, simple aber ungemein effektiv in seiner Ästhetik. Und die beiden Nachfolger haben es auch noch fantastisch um Gameplay- und Story-Elementen ergänzt und erweitert. Am Ende hat der Bonusfall 1-5 das Werk noch schön zusammengeführt und gekrönt, seitdem wirft jeder neue Ableger die Frage auf: Warum geben wir uns immer noch mit der Reihe ab? Jeder Teil beruft sich auf die Mechaniken und Referenzen der ursprünglichen Trilogie und aufhorchen tut man eigentlich nur, wenn mal gegen die Erwartungen und Formeln gezaubert wird. Die Charaktere und Ereignisse sind nicht halb so spannend ohne Phoenix Werdegang und Aufstieg, Edgeworths Fall, Erlösung und Buße, und ohne das Intrigennetz des Fey-Clan in, um, und um DL6 herum als Referenz und im Hinterkopf zu haben. Apollo Justice? Wen juckt der neue Phoenix-Abklatsch, viel wichtiger ist es doch, zu erfahren, warum zum Teufel Phoenix ein Penner geworden ist. Investigations? Ja, das ist cool, weil wir Miles Werdegang aus der Trilogie kennen. Dual Destinies und Spirit of Justice? Nun, Phoenix und Edgeworth sind da irgendwie drin und das ganze Spirituelle kennen wir dich von der Trilogie! Und solange der letzte Fall dann den mit sich hadernden Staatsanwalt erlöst und dabei ein oder zwei Kindheitstraumas bewältigt werden und der Drahtzieher für alles verantwortlich gemacht wird, haben wir alle unsere alljährliche Ace Attorney Dosis vollständig aufgenommen und können vollnarkotisiert bis zum nächsten Ableger wahlweise mit Freude oder Furcht dösen.
Während also Fanboy Yamazaki das Vermächtnis der Reihe ab Rise of the Ashes/Investigations etwas zu ehrfürchtig weiterführte, hatte Schöpfer Takumi weniger Skrupel. Wahrscheinlich hat es gar nichts mit dem Autor zu tun, sondern die Produzenten haben alles ruiniert, so wie ich das aus den spärlichen Interviews herauslese, aber ganz werden wir es nie erfahren. Jedenfalls hat Takumi schon 2007 mit Apollo Justice sich nicht vor einen radikalen Reboot gescheut, den die Reihe nie ganz verkraftet hatte und dessen Auswirkungen man im Nachfolger teils auch ignoriert und zurückgenommen hat. Jahrelang war es erstmal still und Yamazaki hat sich bemüht, aber 2012 gab es Arbeit mit den Layton Crossover und daraus konnte Takumi schon genug Grundlagen formen, mal wieder ein weiteres pures Ace Attorney zu entwickeln.
Takumis Plan war, ein einzelnes, Spiel zu entwickeln, dass besser als die Trilogie ist.
Zitat
Takumi: When I was working on Dai Gyakuten Saiban 1, I planned to make a game that wouldn’t lose against Gyakuten Saiban 1~3, something that could stand proudly next to them. But now I look back, and see I poured way too much effort into the project (laugh). So I planned a story and setting that included every single idea I had. As a result, I ended up with a very dense story, that in no way could ever fit within one single game. So that is when we as the team had to change our direction. Naturally, the first game had to have a complete story on its own, so all the cases that happen within that first game were solved, but the surrounding mysteries were left as is. Because of that, I decided that the great challenge that lay before me in regards to 2 was to build upon the story of the first game, and to expand the scale even more than ever before, with cases denser and more connected than ever and with me pouring everything I have into the game. But of course, I also wanted the game to be fun to play for those who’d start with this second game. So it was a project with rather high hurdles to clear. But I paid a lot attention to the story and to how the truth is revealed in this second game, for people who start with this game and then want to go back to play the first game (laugh).
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https://gyakutensaibanlibrary.blogsp...-gyakuten.html
Zitat
Takumi: Planning of the main concept of the story started early 2013, when we started working on the first game. The concept behind the previous game was to create a “new, different Gyakuten Saiban.” Now I look back, and I realize I was far too ambitious. I wanted to make something that wouldn’t lose against the original three Gyakuten Saiban games, a game that could stand proud next to them. So the whole thing became bigger and bigger in my head.
Interviewer: You called it pressure, I think.
Takumi: Yes. So the story concept kept on growing. And originally, I wanted to have all of that in one game, but some time into the development process, we were forced to change the direction of the project completely because there was simply too much to cover. So then we decided to make one game that could stand on its own, with all the cases there resolved.
Eshiro: All the cases in the first game did feature a conclusion, but as the scale of the original story concept was so big, it still featured many unsolved mysteries, more than we had expected at first.
Interviewer: Yes, the cases were all solved in the first game, but there were also people who were very surprised it ended the way it did.
Eshiro: Yes, there were also discontent reactions from players, but there were also people who said they were now interested to see how things would unfold and they looked forward to the sequel. Seeing such feedback from both sides, gave me the resolve as the producer to start the project to create the sequel
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https://gyakutensaibanlibrary.blogsp...mantic_10.html
Eigentlich befürworte ich Ehrgeiz, Ambitionen, Ego und Optimismus, jeder Erfolgssuchende kommt ums Riskieren nicht drum herum und ich halte es auch für möglich, ein Spiel zu entwickeln, welches besser als ein einzelnes Spiel der Trilogie ist (vielleicht Investigations 2). Aber das gesamte Fundament zu toppen, welches für den Erfolg der Serie verantwortlich ist und an welchen sich jeder weitere Ableger orientiert? George Lucas bekam für die Prequel Trilogie einiges auf den Deckel, aber nicht mal er hatte den Größenwahn, zu erwarten, jeder Film davon ist besser als alle drei Filme ursprünglichen Trilogie zusammen.
Früher oder später war dann aber allen ersichtlich, dass ein Spiel über den Werdegang eines völlig neuen Hauptcharakters, seine Anfänge, seine ersten Verluste und Niederlagen, seine daraus folgenden Überwindungen, eine umfangreiche Cast inklusive die Einbindung eines parallel wirkenden Helden aus einer ganz anderen Reihe, einen lokalen wie globalen verfochtenen politischen Minikrieg, sowie die Erschaffung einer völlig neuen Welt in einer völlig anderen Ära mit thematisch passenden Fällen wie Droschken, Fenstersteuern und Gasleitungen doch etwas zu viel für ein einzelnes Spiel waren. Somit musste das Spiel in zwei Teile gebrochen werden, womit es folglich das Genick gebrochen wurde.
TGA und TGA2 kann man auf zwei verschiedene Weisen spielen, aber jede Weise hat eigene Nachteile.
Wer noch 2015 bzw. später mit der Fanübersetzung TGA spielte, bekam ein Spiel mit gründlicher Einführung, aber die unzufriedenste und am wenigsten existente Auflösung in der gesamten Reihe. Fall 4 ist noch als Filler zu akzeptieren, Fall 5 gibt einen nur ein paar spärliche Brotkrümel fürs Sequel und ist für das was man gewonnen hat verhältnismäßig zu lang und zäh. Dann darf man ein paar Jahre warten. Selbst die beiden Investigations Teile waren vollständige, voneinander abhängige Spiele.
Zitat
...And then, it was launch day. ‘Ooh, looks like everyone is really loving it! This is great!’ I thought over that first weekend, and by Monday, there was a sea of online stores reviews. Players brought up all sorts of things, but the one that kept coming up was, ‘This game is the worst of the worst because it’s incomplete.’ Even though I wasn’t directly involved in the game’s development, the storm of terrible reviews was heart-breaking.
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https://www.ace-attorney.com/great1-...log/blog6.html
Kein Scheiß, Herlock.
Man könnte meinen, dass TGA2 die Erlösung bietet, aber natürlich muss erstmal zwei Fälle lang zurückgetreten werden und bloß noch mehr Rätsel und Fragen aufgeworfen werden, schließlich kann man nicht mit den ersten Tutorial-und Anfangsfällen eines Spieles nicht mit der Auflösung kommen. Die letzten zwe---ähh ich meine drei Fälle bieten dann eine akzeptable Auflösung, aber der Schaden ist schon da und das Ziel kann noch so toll sein, die Reise dahin muss schon klappen.
Aber dieses Problem scheint im Lauf der Zeit dahingeschmolzen und hinfällig, schließlich sind schon beide Spiele raus und man kann sie nacheinander spielen. Eventuell hat man sogar extra gewartet, bis TGA2 erschienen ist.
In diesem Falle bekommt man es mit einer 10 Fälle Monstrosität zu tun, die auch nicht die übliche Struktur beinhaltet, denn der erste Teil der Mitte muss ja ein Mini-Finale sein und der zweite Teil der Mitte muss ja wieder von vorne anfangen.
Dass die AA Spiele sich von der Struktur gleichen ist gar nicht negativ, es ist ein bewährtes Formular und Erfolgsrezept, dass sich seit tausenden Jahren bewährt. Anfang (Haken), einem Mittelteil (Aufbau von Komplikationen) und einem Ende (Auflösung). Gewöhnlich sind Fall 1-2 der Anfang, Fälle 3 und vielleicht 4 der Mittelteil und Fall 4 und 5 die Auflösung.
Fall 1: Vorstellung des Hauptcharakters, Tutorial
Fall 2: Vorstellung des Widersachers, Assistenten, Detektiv und weitere Nebencharaktere, erste Ermittlung, erster richtiger Prozess
Fall 3: Filler, Alltag, Entspannung, Normalisierung, evtl. Entwicklung des Widersachers
Fall 4: Ruhe vor den Sturm, Hauptbedohung zeigt sich
Fall 5: Widersacher gerät in Bedrängnis, Drahtzieher zeigt sich, alles wird aufgeklärt
Natürlich gibt es von Spiel zu Spiel zig Ausnahmen und Abweichungen. Drei Spiele hatten nicht mal einen fünften Fall und damit Fall 4 als Finale usw.
Bei TGA und TGA 2 sieht das in etwa so aus:
TGA1+2Normales Ace Attorney
Fall 11-1 Vorstellung des Hauptcharakters, Tutorial
Fall 2
1-2 Vorstellung des Widersachers, Assistenten, Detektiv und weitere Nebencharaktere, erste Ermittlung, erster richtiger Prozess
Fall 3
Fall 4
Fall 51-3 Filler, Alltag, Normalisierung, evtl. Entwicklung des Widersachers
Fall 6
Fall 7
Fall 8
1-4 Ruhe vor den Sturm, Hauptbedrohung zeigt sich
Fall 9
1-5 Widersacher in Not, Drahtzieher offenbart, alles wird aufgeklärt
Fall 10
Der Anfang und das Ende der TGA Reihe sind akzeptabel. Aber in der Mitte bekommen wir einen langen 1-5 Fall, der von der Wichtigkeit und von Struktur und Pacing her eigentlich ehr ein mittelmäßiger Fall auf 1-3 Level sein sollte. Ähnlich ist es mit Fall 6 bzw. 2-1: Hier werden wesentliche Ereignisse in ein Tutorial gequetscht, obwohl diese Ereignisse umfassender thematisiert werden müssten. Fälle 1-4 und 2-2 lenken von der Hauptstory bloß noch länger ab. In einen üblichen AA Spiel ist ein einzelner Filler Fall zu ertragen, hier sind es quasi 2 aufeinanderfolgend, mit zwei weiteren Fällen dazwischen.
Die Qualität der Fälle an sich und inwieweit sie der AA Reihe entsprechen und wie qualitativ der Standard dort wiederrum ist, das sei alles mal dahingestellt und kann man diskutieren. Was man aber nicht diskutieren kann, ist, dass TGA ein fatales, nicht zu behebendes strukturelles Problem haben, dessen katastrophales Ausmaß kein anderer Teil der Reihe hat.
Nach den AA Spiel ist vor den AA Spiel, nach kurzer Zeit also gibt niemand mehr einen Juck auf Naruhodo und Herlock, die sowieso nie wieder auftreten werden. Stattdessen wartet man einfach auf den nächsten Teil der Reihe. Produkt konsumieren und aufs nächste Produkt warten. Der Abstecher in ein anderes Setting und das Wegkommen von Phoenix und Konsorten war wahrscheinlich insgesamt gut, auch wenn die neuen Charaktere natürlich nicht zu neu und unvertraut sind, nach 20 Jahren hat man halt alles in der AA Reihe verinnerlicht. Die Struktur dieses entzweiten Spiels ist aber unverzeihlich schlecht.