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Thema: Von Drachen und Verliesen: MMX-Helden versammelt euch! (und nehmt eure Würfel mit)

Baum-Darstellung

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  1. #28
    Solasta: Crown of the Magister


    Ich hätte nie gedacht, dass ich dem Spiel eine zweite Chance gebe und es sogar durchspielen werde. Nun ist es doch passiert und ich möchte hier gerne meinen Gesamteindruck mit euch teilen. Solasta stammt von einem kleinen französischen Indie-Studio (15-20 MA) und ist seit Mai 2021 aus dem EA heraußen. Es gab einige Inhaltsupdates, darunter zusätzliche Unterklassen, als auch einen Story-DLC (den ich nicht gespielt habe) und den frisch hinzugekommen Koop-Modus. Das Spiel basiert auf dem offiziellen D&D 5.1 Regelwerk.

    Positiv hervorheben möchte ich gleich die erste Sache, mit der man in Solasta in Berührung kommt, und zwar der Charakter-Erstellung. Diese ist nicht zu kompliziert und aufgebläht, aber beinhaltet genug Facetten, die man aus der Branche so kennt. Auch ist sie visuell ansprechend mit ihren Grafiken zu den Klassen, Rassen etc. und wird nicht mit öden Textboxen präsentiert. Für Einsteiger ist also ein optimaler Einstieg garantiert. Das Besondere an Solasta: Man erstellt gleich seine eigene Party aus vier Helden, die sich über das gesamte Spiel nicht ändert. Klingt auf dem Papier recht spannend, ist es auch zu Beginn, aber leider merkt man schnell, dass die Idee nicht so gut umgesetzt worden ist, wie man gerne hätte. Obwohl man bei der Erstellung gewisse Persönlichkeitsmerkmale den Helden zuordnen kann, wie z. B. Egoismus, Gier, Rechtschaffen usw. präsentieren sich alle vier in den Dialogen ähnlich und blass. Hier und da sagt dann einer vielleicht einen zynischen Satz, aber das wars. Es hat nie eine Auswirkung auf Story, Kämpfe oder anderen Dingen. Hier merkt man einfach stark das Baukasten-Prinzip hinter dem System an und leider auch die schwache KI, welche die Persönlichkeiten simulieren soll. Ich habe nie zu meinen Helden eine Bindung aufbauen oder gar ihnen meine eigenen Stempel draufdrücken können. Auch untereinander quatschen die vier nicht wirklich, hier und da sagt einer wie z.B. "Mir gefällt die Stille hier nicht". Jaaaa so viel dazu, immerhin sind alle Dialoge vertont. An Persönlichkeiten wie Amiri aus Pathfinder kann ich mich noch heute erinnern, vorgeschriebene Charaktere sind für solche Geschichten besser geeignet.

    Überhaupt fehlt dem Spiel viel an Dynamik, vor allem in der Spielwelt. Diese ist wortwörtlich leer und langweilig, es gibt kaum was zu erkundigen. Besser gesagt gibt es schon versteckte Kisten, aber deren Loot ist nie der Rede wert. Es passieren keine Ereignisse, es laufen keine Tiere herum, man findet keine verzweigten Geheimpfade oder gar Nebengeschichten abseits des Pfades. Lediglich die Vertikalität ist hier positiv zu erwähnen, man klettert viel herum, stürzt Baumstämme für neue Wege um und auch in den Kämpfen kommt diese Mechanik zum Tragen. Im gesamten Spiel gibt es zwei echte "Städte", die ohne Leben sind. Die paar NPCs stehen nur rum da und tun nix. Keine Personen, die ihrem Tagwerk nachgehen, kein geschäftiges Treiben in der Taverne, alles steht still. Es gibt kaum Nebenquests und wenn, dann sind die sehr generisch und uninspiriert. Auch die allgemeine Inszenierung präsentiert sich sehr bieder, Zwischensequenzen gibt es keine. Alles spielt sich in Dialogen ab, wo die Helden nur starr in einer Linie stehen und ihre, und das betone ich hier ganz stark, peinliche und zum Fremdschämen gesprochenen Dialoge abspulen. Auswahlmöglichkeiten gibt es keine, nur bei optionalen Fragen. Jeder Dialog endet also mit einem Ziel. Zu Ende gibts hier und da eine Wahl, aber das wars. Von Fähigkeiten wie Überzeugen, Einschüchtern fange ich gar nicht erst na. Es gibt sie zwar, aber die kommen fast nie zu Einsatz. Und auch nicht im Umfang wie man es von anderen Genrevertretern kennt, wo bspw. ein Divinity 2 mit Tierfreund (um mit Tieren zu sprechen) ganz neue Aspekte für den Spieler eröffnet. Im Großen und Ganzen gehen allein bei den Dialogen und der Spielwelt sehr viel P&P-Atmosphäre verloren, was sehr schade ist.

    Technisch ist Solasta solide, die Unity Engine zeigt besonders bei den Beleuchtungen und den Zaubereffekten ihre Stärken. Die Spielwelt ist durchschnittlich, das Leveldesign eher langweilig und nicht förderlich für Entdecker. Ich hatte nie Bugs, Abstürze oder Performanceprobleme, hier haben die Devs ein sauberes Spiel abgeliefert. Was die Devs aber unbedingt für ihr nächstes Spiel brauchen: Leute mit Expertise in Animationen. Ohne zu übertreiben, und da sah selbst Mass Effect Andromeda besser aus: Die Mimik und Gesten der Personen sind grauenhaft, stellenweise schrecklich. Warum man das nicht besser hinbekommen hat, ist mir ein Rätsel, wo kleinere Spiele es doch auch können. Mir bluten noch heute manchmal die Augen. . Und auch für das nächste Mal liebe Devs: Niemand rennt mit herausgezogenem Schwert, Bogen, und was weiß ich frei herum. Ein kleines Detail, das aber viel ausmacht. Und um gleich bei den Waffen bzw. der Ausrüstung zu bleiben. Solasta ist leider ein Spiel, das den Spieler kaum mit besonderen Waffen, Rüstungen usw. belohnt. Erstens gibt es kaum Händler (ich habe bis zum Ende nur drei Allgemein-Händler gezählt, die Ausrüstung verkaufen, abgesehen von den Fraktionshändler) und zweitens verkaufen, die immer nur das generische Zeug was man zu Beginn hat (z. B. Langschwert, Lederrüstung). Einzigartige Items findet man extrem selten im Spiel, als Loot in Truhen oder als Beute praktisch gar nicht. Das wirklich gute Zeug muss man sich craften, und die Zutaten sind leider sehr rar und schwer zu finden. Warum können Händler nach Levelaufstiegen nicht ihr Angebot wie z. B. in Divinity aktualisieren? Wieso kann ich nicht nach einem Bossfight oder am Ende eines Dungeons eine Truhe mit besonderem Loot finden? Wieso werden die Leistung und der Entdeckerdrang des Spielers nicht belohnt? Meine Magierin hat bis zum Schluss ihre Robe getragen, die sie bei der Erstellung (!) erhalten hat. Am Ende vom Spiel habe ich ein Rezept für was Besseres gefunden, wofür ich aber die Materialen nicht hatte. Wer also in Solasta ein RPG sucht, dass mit viel Loot aufwartet und wo man seine Truppe um immer bessere Ausrüstung ausrüsten kann, wird hier definitiv nicht fündig.

    Das Kampfsystem funktioniert rundenbasiert und finde ich durchaus gelungen. Leider können die Kämpfe teilweise lang ausfallen und besonders zu Beginn auch ein bisschen schwer, weil man kaum Skills hat, aber ansonsten passt es. Man darf sich aber nicht viel erwarten, trotzdem hat es hier und da kleine Feinheiten wie z. B. die Auswirkung von Licht. Gut ergänzt wird es von einem Bestiarium, dass sich je öfter man den Feind besiegt hat, erweitert. Eine Biografie wäre zusätzlich noch gut gewesen, so beschränkt sich das ingame-Lexikon nur auf Zahlen und Werte. Das größte Manko ist aber die Gengnervielfalt. Viele Feinde wiederholen sich, man bekommt abgesehen von humanoiden Kreaturen kaum etwas anderes zu Gesicht. Na ja, es gibt Spinnen.

    Tja und das Ende? Also Solasta ist ein kurzes RPG, im Vergleich zu anderen P&P-Videospielen. Da es kaum optionale Maps gibt, sehr wenige Sidequests und die Story auch sehr kurz ist, ist man relativ schnell durch. Wiederspielwert hat es faktisch keinen, da es keine unterschiedlichen Handlungsstränge gibt. Der Epilog fällt dementsprechend kurz aus, das bekannte "Was wurde aus der Party?" fällt komplett weg. Man bekommt eine ca. 1-minütigen Sequenz präsentiert und das wars. Spiel vorbei. Was aus der Spielwelt, den Fraktionen, den wichtigsten NPCs und den Helden wurde, erfährt man nicht. Ich tue mich schwer für das Spiel eine Empfehlung auszusprechen, weil es andere Spiele einfach besser machen. Ihr wollt in dieses Genre einsteigen und erste Erfahrung mit Oldschool-RPGs machen? Dann spielt Divinity OS, Pathfinder, PoE oder Tyranny - nur um ein paar zu nennen. Ihr seid Experte in diesem Fach und euch lechzt nach eurem dritten Pathfinder-Durchlauf nach mehr? Dann spielt es ein viertes Mal durch. Solasta ist beileibe kein wirklich schlechtes Spiel, aber das, was dieses Genre ausmacht, wird hier teilweise so spöttisch und langweilig umgesetzt, dass es mir das Herz bricht. Einzig die vier eigens erstellten Helden sind ein Aushängeschild des Spiels, aber nicht mal das funktioniert gut. Wichtig ist eben die Erwartungshaltung. Als Indie-RPG taugt es allemal, als gutes D&D-Videospiel in meinen Augen eher nicht. Nicht bei dieser Konkurrenz.

    Geändert von Rusk (17.09.2022 um 15:24 Uhr)

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