Kapitel 2 - Schwert des Geistes


Bevor Lyn ihre Reise nach Lycia antritt, wird bei einem Schrein Halt gemacht.

Teil der Identitäsfindung Lyns ist ihre Verbundenheit mit ihrer Kindheit in ihren Geburtsort Sacae. Im Vergleich zu Lycia ist der Einklang mit der Natur verbundener, statt pompöse und komplexe Etikette, hinter der man seine eigenen Absichten verschleiert und intrigiert, sind es einfachere Bräuche. Es herrschen durchaus Konflikte und Feindschaften zwischen dem Stammen, wie FE6 verdeutlicht, aber sie sind direkter und offener.

Bevor sie also in diese fremde, neue Welt zieht, besinnt sie sich ihrer alten, ihr vertrauten und macht ihre Aufwartung bei einem Tempel. Lyns Wurzeln sind zentraler Bestandteil ihres Charakters. Ihre Herkunft wird kontroverses Thema, sobald sie das erste lycianische Reich besucht. Auch bei ihren vorzeitigen Verbleib in Caelin entscheiden die Supports, wie ihr Leben nach dem Spiel weitergeht: Sie kann zu Sacae zurückkehren, sich aber auch andernortens niederlassen. Das macht Lyns Charakter und Reise weniger festgefahren, sondern eben offen, es gibt keinen einzigen, richtigen, prädestinierten Lebensweg. Auch ein Grund, weshalb ich gerne Charaktere verkuppele und weshalb ein Supportsystem für die Handlung und Charaktere so gut sein kann.

Lyns Respekt vor ihrer Herkunft definiert und festigt ihren Charakter. Sie bettelt nicht, steht zu ihren Überzeugungen, heuchelt und intrigiert nicht. Würde sie das tun, wäre es gut möglich, dass sie die Unterstützung vieler Verbündete nie erhalten würde. Im Gegenzug erpresst und bedroht Lundgren seine Verbündeten, verliert sie dadurch und steht am Ende alleine da.

Kontrastiert wird Lyn in diesen Kapitel vom Boss, Glass. Auch er ist ein Sacae auf Reisen, der ein typisches Ziel der Schwertkämpfer hat, die Welt nach würdigen Gegnern zu bereisen und diese zu schlagen. Wäre er ein wenig talentierter, würde er eben zu jener blutdurstigen Tötungsmaschiene wie Karel herangewachsen worden sein. Aber weniger sein fehlendes Talent denn seine fehlende Demut und Ehrerbietung vor den Göttern, seinen Vorfahren und der allgegenwärtigen Kultur ist sein Untergang. Glass schlägt denselben Pfad ein, den Nergal und viele anderen Schüler der Dunkelmagie bestreiten. Er sieht die Waffen als Mittel zum Zweck, opfert und zerstört alles auf seinen Weg, bis sein Werkzeug ihn, der sämtliche Ziele und jeden möglichen Lebenssinn verloren hat, fortan beherrscht. Er würde nur noch für das Schwert leben, alles töten. Karel wäre wie gesagt das Resultat und dieser kam nur sehr schwer aus diesen Pfad durch externe Faktoren raus, die an seine Vergangenheit und einstige Menschlichkeit appellierten.

Glass schert sich nicht um sein Land. Den Tempel würde er zerstören, das Schwert würde er nicht zurücklegen um es für spätere Generationen aufzubewahren, die es nur bei passenden Anlässen zur Not anwenden würden. Wer seine Herkunft und Vergangenheit nicht respektiert und aus ihr keine Schlüsse und Lehren gezogen hat, der ist nicht gewappnet, in den gegenwärtigen und künftigen Prüfungen zu bestehen, hat man doch nichts vorzuweisen. Lyn hat ihren Stolz und die Werte ihrer Eltern und ihres Stammes nie abgelegt und nutzt sie, wenn sie mit den lycianischen Nobeln und anderen Antagonisten konfrontiert wird. Glass kommt von nichts und hat daher auch nichts.

Wer die Macht der Götter bzw. Drachen nutzen will, muss zunächst verstehen, dass diese Macht für den einzelnen Menschen zu viel ist, die Erlangung der Macht also kein Selbstzweck ist. Werden die Götter und Drachen geehrt und respektiert, erst dann fangen sie an, ihr Wissen zu teilen. Sie taten dies mit Athos und Nergal. Das Manni Katti erkennt Lyns Ziele und erlaubt ihr, es zu nutzen, ohne dass Lyn dies verlangte und forderte. Wie Athos die Macht der legendären Waffen nur kurzzeitig nutzt, leiht Lyn sich die Waffe nur aus und geht behutsam damit um. Glass und Nergal wollen die Macht zum Selbstzweck nutzen, erheben sich über die Götter und Drachen und wollen sie zerstören, opfern ihre Verbündeten und zerstören all ihre Gegner auf ihren Weg nach Macht, ein Weg, der keinen tiefergehenden Sinn hat.

Das Manni Katti ist eine Waffe, die von „Geistern“ gesegnet ist. Es wird erwähnt, dass andere Waffen existieren und sich ihre Träger aussuchen, aber das Thema wird nie wieder vertieft, was dies alles viel zu vage und unausgegoren stehen lässt. Sind die Waffen ähnlich gesegnet wie die 8 legendären Waffen? Kommen sie von der Kriegerin Hanon, die neben ihren Bogen eben auch die beiden Schwerter hinterlässt? Aber das wird beim Manni Katti nicht erklärt, es ist nicht viel anders als das Rapier oder Wolfsbeil, die wohl einfach persönliche Waffen von Eliwood und Hector sind.

Den Helden ein Schwert mit Mythos zu geben mag mehr hergeben als zuvor bei dem Rapier des Lords, wo es keine genaue Erklärung gibt, weshalb nur dieser es führen kann. Aber der Mythos wird nicht erläutert und bleibt die Ausnahme. Schade, denn das geistliche Konzept in diesem Kapitel und die schlichte Parabel zwischen Lyn und Glass allein machen dieses Kapitel spielenswert, thematisiert es doch einen Aspekt, der in der Reihe viel zu selten beleuchtet wird, angesichts dessen, dass heilige Waffen und die Macht der Drachen oder Götter in der Handlung entscheidend sind.