Zitat Zitat von poetBLUE Beitrag anzeigen
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich 50% der Leute die sich drüber beschweren, es einfach nicht mögen, dass eine nicht-binäre Person im Spiel ist und sich hinter anderen Argumenten verstecken, um nicht zugeben zu müssen, dass man trans Charaktere an sich nervig findet. Ich weiß nicht wie das hier bei dir und anderen im Forum aussieht, das mag ich mir nicht anmaßen, ich kann nur sagen, dass ich den Diskurs absolut ermüdend finde und darauf auch nicht mehr eingehe werde hier. Ich werde lieber was zu meiner tatsächlichen Meinung zum Spiel drüben schreiben, was ja auch insgesamt viel wichtiger ist. Solange das Produkt die Massen unterhalten kann, ist es erfolgreich und das kann es.
Ich würde hier gerne nochmal drauf eingehen, da ich ja gestern auch auf die Frage nach der Agenda bei Überrepresentation von männlichen Begleitern nur kurz antworten konnte.

Folgendes glaube ich: Die meisten Menschen sind Transpersonen oder irgendwelchen anderen Minderheiten erstmal neutral bis wohlwollend gegenüber eingestellt. Gerade daher denke ich, dass die aktuelle Frequenz, in der diese Themen in Unterhaltungsmedien adressiert werden, auf viele neutral eingestellte Menschen ebenso ermüdend wirkt, wie auf Dich der kontroverse Diskurs. Es könnte sein, dass es in Summe bevormundend wirkt und dieser moralische Zeigefinger durchwirkt, der einen immer wieder daran erinnert "denk dran, es gibt solche Menschen, achte bitte darauf, auch mit solchen Menschen respektvoll umzugehen". Das passt auch ein wenig zu dem, was Rusk oder Kelven (ich mag gerade nicht alles nochmal durchlesen, sorry dafür) in Bezug auf den Charakter in Dragon Age (Taash?) formuliert hat: Es wirkt plakativ und aufgesetzt. Ich kann es in diesem speziellen Fall nicht beurteilen, ich gebe nur wider. Es ist für jeden normal denkenden Menschen klar, dass es solche Menschen gibt und dass diese Menschen genau so viel wert sind, genau so fühlen und genau so einen Platz haben, wie die, die der "Norm" entsprechen. Und Personen, die das anders sehen, wirst Du mit Videospielen nicht vom Gegenteil überzeugen. Scheinbar wirkt diese zunehmende Repräsentanz aber konträr, es tut der Akzeptanz von Transpersonen einen Bärendienst.

Kleiner Exkurs: Häufig bekomme ich mit, dass der kontext-sensivite - also unserem Zeitgeist entsprechende - Begriff "woke" diskutiert wird, der nach meinem Dafürhalten heute eher negativ konotiert ist. Anders als die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs. Ich bin per se nicht gegen "Wokeness" wenn es darum geht, dass Gerechtigkeit gelebt und abgebildet wird und habe mal versucht für mich zu eruieren, wann ich ein Produkt "woke" im negativen Sinne sehe. Zu folgendem Schluss bin ich gekommen:
Ein Baldurs Gate 3 wird teilweise als woke bezeichnet, ich empfinde es in dem Fall nicht so, zumindest nicht negativ konotiert.
Woke im negativen Sinne wäre für mich zum Beispiel Rings of Power, da hier ein möglichst diverser Cast über die ursprüngliche Lore von Tolkien gestellt wurde. D.h. es kippt bei mir an dem Punkt ins Negative, wenn eine zwanghafte Inklusion über das Produkt, über das Narrativ gestellt wird. Wenn ich ein Tolkie Werk beworben bekomme, dann erwarte ich eine Tolkien konforme Lore und das betrifft sowohl die Besetzung bestimmter Charaktere mit Personen, die der Vorlage entsprechen als auch World-Building, korrekte historische Eckdaten etc. (Zweites betrifft nicht "woke" Inhalte sondern soll aufzeigen, dass mir eine authentische Umsetzung wichtig ist und ich mich nicht nur daran reibe, dass Elben nun auch schwarz sind). Das Produkt wurde hier nicht sorgsam umgesetzt und die politische Agenda, die ganz klar in Amazons Richtlinien verankert ist, trägt einen Teil dazu bei. Ist also ein Teil dessen, was ich kritisiere.
Und ich glaube hier ist der Punkt, wo viele neutral bis wohlwollend eingestellte Personen, dann saures Aufstoßen bekommen, wenn es um Diversität, Wokeness etc. geht.
Man kann jetzt wieder sagen "stell Dich nicht so an, es ist doch einerlei, ob der Elbe nun weiß oder schwarz ist". Das mag für Person a stimmen aber Person b darf anderer Meinung sein, wenn für diese Person essentiell wichtig ist, dass eine Geschichte der Vorlage möglichst detailgetreu umgesetzt wird.

Jetzt zurück auf Deine Frage, warum manche Menschen bei der Darstellung von Minderheiten eine Agenda sehen, bei herkömmlichen Szenarien aber nicht:
Ich finde es schwierig, von einer gesellschaftlichen Norm zu sprechen, da ich - um beim Beispiel zu bleiben - Transpersonen nicht als unnormal darstellen möchte. Deswegen kurz zur Einordnung, was ich mit "Norm" meine: Sie kommen in der Realität seltener vor als heterosexuelle Männer und Frauen. Daher müssen diese klassischen Rollenbilder auch nicht durch mediale Darstellung supportet oder in das Bewusstsein gerückt werden. Niemandem fällt es auf, wenn wir in einem Action RPG vier Männer spielen, da es eben in unseren Köpfen so verankert ist und sehr wahrscheinlich auch reale Kriege auf dem Schlachtfeld zum Großteil von Männern ausgetragen wurden und werden. Das ist die Norm, die bei den meisten im Kopf ist. Wenn jetzt bestimmte Filmproduktionen und Spieleentwickler immer wieder und sehr prominent mit dieser Norm brechen, dann sehen vermutlich Menschen irgendwann ein Muster. Es fällt auf. Und diese Wiederholung, dieses Muster führt dann zu dem oben beschriebenen Gefühl von Penetranz und dass pedantisch und auf Zwang immer wieder diese Elemente Einzug in bestimmte Medien erhalten und teilweise sogar anti-immersiv wirken können. Und nach meinem Kenntnisstand rühmen sich bestimmte Studios auch explizit damit oder wollen sogar provozieren - als Beispiel Neil Druckman. Das ist für mich z.B. ein Punkt gewesen, der meine Immersion gebrochen hat. Ich fand The last of Us 2 super. Viel besser als den ersten Teil. Ich mochte Abby als Charakter und konnte mich in ihre Geschichte total hineinversetzen. Aber optisch hat sie für mich teilweise die Immersion gebrochen und wir hatten auch damals darüber diskutiert. Als jemand, der seit seiner Jugend sehr viel Sport macht, sehr viel trainiert und sehr viel mit sehr sportbegeisterten Frauen Kontakt hat, weiß ich zu 100% dass die physische Erscheinung von Abby für eine Frau ohne den Konsum von anabolen Steroiden unmöglich erreichbar ist. Es ist nicht möglich. Zusätzlich spielt das Spiel in einer Post-Apokalypse, wo Nahrung nicht gut verfügbar ist und mit Sicherheit kein Luxus besteht, dass man eine rein Bodybuilding orientierte, proteinhaltige Ernährung abbilden kann, die ZUSÄTZLICH zu den PEDs für eine Abby notwendig wären, um solche Arme aufzubauen. Das bricht für mich die Immersion und es ist auch icht im Kontext des "wir sind ja im Videospiel" nachvollziehbar, wo ich es glaubhaft finde, dass eine Ellie im Nahkampf körperlich überlegene Männer der Reihe nach umhaut. Es springt mir so ins Gesicht und sagt, das ist nicht "die Norm" oder das kann nicht sein, das ich diesen Punkt für kritikwürdig halte. Das habe ich damals auch genau so geäußert und wurde dafür von bestimmten Akteuren - unter anderem Dir - angegangen. Dabei habe ich ein Spiel, dass ich in Summe super finde, für diesen einen Punkt kritisiert. (Das ist btw genau das, was Du hier weiter oben kommunizierst, dass man Produkte gut finden kann aber dennoch einzelne Aspekte kritisieren können sollte - mir hast Du das damals nicht so wohlwollend eingeräumt ). Weil mir das auffällt, bin ich aber nicht frauenfeindlich oder gegen weibliche Protagonistinnen und befürworte auch kein Patriarchat.

Es ist jetzt eine persönliche Perspektive, aber ich glaube, wenn von Naughty Dog jetzt jedes Spiel über und über durchzogen wäre mit solchen Immersions-brechenden Entscheidungen, dann würde ich auch sagen "das ist eine Agenda" und dass diese Agenda dem Studio wichtiger ist, als ein stringentes und schlüssiges Produkt abzuliefern. Und diese Schwelle, ab wann Konsumenten eine Agenda sehen, die ist mit Sicherheit bei dem einen erst später erreicht (ob Du es glaubst oder nicht, bei mir ist die Toleranz dafür relativ hoch) und andere reiben sich früh oder sehr stark daran und auch diese intersubjektiv sinkende Grenze, ab wann sowas als störend emfpunden wird, hängt nach meinem Dafürhalten damit zusammen, dass gerade in der Videospielbranche eben sehr viel Platz für minorities eingeräumt wird und diese auch auf Entwickler-Seite vermutlich (ich kenne keine Zahlen, daher Mutmaßung) stark vertreten sind. Und dementsprechend fließen solche Entscheidungen für die Repräsentanz von Diversitäten in den Produkten auch relativ stark ein. Es spiegelt dennoch nicht die Realität der Mehrheit, die dann dadurch eben auch Irritation oder Entfremdung oder verschobene Verhältnisse wahrnehmen.

Ich hoffe, dass meine Worte bei Dir so ankommen, wie ich es meine und wenn Du Dich an bestimmten Positionen reiben solltest, fände ich es richtig gut für unseren und auch den allgemeinen Austausch hier, dass Du die entsprechenden Passagen gerne zitierst und nochmal fragst wie ich das meine. Ich erläutere es Dir gerne und ich glaube, dass wir so am besten vermeiden, dass es zu Missverständnissen kommt. Ich diskutiere gerne mit Dir über solche Themen, solange wir wertschätzend und sachlich miteinander umgehen.