Spoiler für LiS 1+2! Sollte inzwischen klar sein, oder? xD'
Ich denke auch schon darüber nach, die ganzen Posts in den LiS-Thread zu schieben ... Was sagt ihr? Zu speziell?
Hmmm, beim "Distanzieren" gehe ich nicht mit. Für mich waren die Superkräfte immer a) cool und Verkaufsargumente, klar, aber vor allem auch b) metaphorisch, und ich finde eigentlich, dass zumindest diese beiden Aspekte in LiS2 genauso stark und präsent sind wie in LiS1. Okay, die Kräfte sorgen vielleicht nicht mehr für eine ganze zerstörte Stadt, aber das sind für mich auch eher "Optics", die nichts Relevantes an der Geschichte oder ihrer Bodenständigkeit ändern. Ein netter Eskapismus waren die Kräfte auch im ersten Teil auf keinen Fall. Ich glaaaaube, ich sehe aber auch, warum man das anders sehen kann, zumindest auf dieser "Optics-Ebene"; die Metaphorik gibt es in meinen Augen nicht her.
Ich würde es allerdings so oder so nicht mit dem Begriff der Power Fantasy vermischen. Der bedeutet für mich noch mal was ganz anderes.
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Okay, ich glaube, ich muss auf jeden Fall mal noch die Superpower-Metaphern der Reihe aufdröseln, für mich selbst. Sorry für die Endlosigkeit des Threads ... ^^
Ganz kurz zu Life is Strange 1.
Hatten wir ja schon öfter, die Kräfte stehen für Max' Bedürfnis – und in der Realität des Spiels für ihre Möglichkeit! –, sich gegen eine triste Realität zu stellen, sie nicht zu akzeptieren. Und deswegen muss man sich am Ende auch entscheiden, ob man stur bei den Kräften bleibt und die potenziell fatalen Konsequenzen einer solchen Einstellung in Kauf nimmt, oder ob man auf die Vorteile der Kräfte verzichtet und die Realität akzeptiert. Ich bleibe auch dabei, dass LiS1 hier eine ganz klare Position fasst, ohne aber allzu sehr zu werten: Ja, gerade als Teenager will man manchmal durchpowern, auch wenn alles gegen einen steht, aber man sollte sich bewusst sein, dass sowas extrem schrecklich für einen selbst und andere werden kann. Die Frage ist, ob es einem das wert ist, und diese Frage kann auch keiner für einen beantworten. (Deshalb gibt es genau zwei Endings, und beide sind richtig und notwendig, ihr Pharisäer!1)
Das Ganze ist auch nicht ungewöhnlich, Zeitreisen und Zeitmanipulation drehen sich ja meistens irgendwie um (falsche) Entscheidungen, Reue, Akzeptanz und all den Schmarrn. Deswegen haben sie auch so gut zu einem Spiel gepasst, in dem Entscheidungen der dominante Gameplay-Mechanismus sind.
So.
Jetzt zu Life is Strange 2.
Telekinese ist immer das Go-to-Ding, wenn es um Macht und Machtmissbrauch geht, von Akira bis zu Jean Grey & Dark Phoenix. Stark vereinfacht ausgedrückt: Wenn man mit Magie oder Science-Fiction oder Superkräften darstellen will, dass jemand wirklich fucking mächtig – und vielleicht sogar ZU mächtig ...? – wird, dann stehen ihm die Haare zu Berge und Dinge in seiner Umgebung fliegen um seinen Körper!Die Symbolik wird inzwischen ja sogar benutzt, wenn Superman zum Flug ansetzt.
Das Spiel reiht sich da also schon symbolisch in eine starke Tradition ein. Und tatsächlich ist es nicht die einzige, denn es gibt definitiv noch diese "Untertradition" der bisher machtlose Person, die plötzlich doch Macht hat. Das merken wir ganz grundlegend schon beim "common Man" Clark Kent, hinter dem sich wortwörtlich der "Superman" verbirgt – oh hey, jetzt sollte er vielleicht gegen die Nazis kämpfen ...! –, in den letzten 70 Jahren waren es aber eher Personengruppen, die gesellschaftlich wenig Macht hatten: Frauen mit Macht bspw. müssen bekanntlich kontrolliert werden (siehe Dark Phoenix ... =.=), aber für uns am wichtigsten sind die Teenager, die da plötzlich aufgetaucht sind. Das ist die dominante X-Men-Metapher, und deshalb werden da manchmal auch die Civil Rights mit reingeworfen: Oh, diese Person wird erwachsen, also gesellschaftlich relevant, und das heißt, sie hat plötzlich Macht, sie hat Einfluss, sie darf Entscheidungen treffen! Und damit gehen viele Fragen einher, allem voran natürlich: Wie nutzt der Aufwachsende seine Macht? Und was hält die Gesellschaft davon? Sentinels sind also konservative Politiker! 8D
Und ich finde: Auch das passt zu einer Reihe wie LiS! Eben weil die Frage, was man mit der Macht tut, gut zu diesem zentralen Gameplay-Mechanismus der Entscheidung passt.
Sooooo.
Das war bis jetzt übrigens noch kein Argument oder sowas! Aber ich glaube, es ist wichtig, das einmal deutlich zu machen, damit man nicht aneinander vorbeiredet.
Denn jetzt kommt die Frage, was LiS2 mit seiner Metapher anstellt.
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Und ich denke, wie gesagt, dass wir ein sehr direktes Mission Statement direkt im Spiel haben:
Sean nehmen wir erstmal raus, denn der ist ja "nur" der Erzieher. Interessanter ist für alle Endings, wie Daniel reagiert und sich entscheidet.
Also, in LiS2 geht es nicht nur um die Frage, was man mit den Kräften anstellt, sondern diese Frage wird offensichtlich entlang der "Rules of Society" beantwortet, und diese Regeln werden interessanterweise gegen die Interessen der Brüder gestellt. Das Spiel macht hier also grundlegend zwei Möglichkeiten auf: Entweder bleibt man bei der Gesellschaft (was heißt, dass die Brüder nicht mehr an erster Stelle stehen) oder man stellt sich gegen sie (was heißt, dass die Brüder an erster Stelle stehen). Beides hat Konsequenzen.
Und ich bin mir zieeemlich sicher, dass genau das auch die Überlegung der Entwickler war!
Was ich daran schwierig finde, hab ich ja schon viel zu fucking ausgiebig erzählt. 8D
Die momentan spannende Frage ist: Wie passen die Kräfte da mit rein? Wenn wir sie als Metapher für die aufkeimende Kraft oder Macht von Jugendlichen sehen (und vielleicht auch als die relevanter werdende Macht von marginalisierten Gruppen wie Latinos?), scheint das Spiel zu sagen, dass man sich prinzipiell entscheiden muss, im Rahmen der Gesellschaft zu wirken oder irgendwie am Rand zu bleiben. Und um Sean wieder zurückzuholen: Es geht sicherlich auch um die Frage, welchen Einfluss wir auf andere haben, die sich dann wiederum positionieren. Hatten wir ja auch alles schon.
Aber ich muss ehrlich sagen: Ich finde die Verbindung mit der Superpower-Metapher ein wenig, hm, dünn? Oder wieder schwammig? Ich kann es nicht genau sagen, und ich weiß nicht, ob ich nur noch nicht den Finger darauf legen kann, oder ob die Verbindung wirklich weniger klar, weniger direkt als in LiS1 ist. Welche Rolle genau nehmen die Kräfte ein? Was sagen sie im Rahmen der Story über die Realität aus? Dass die Konservativen Angst vor der steigenden Macht der Marginalisierten haben und sie deshalb durch die Gesellschaft kleinhalten? Dass sich Jugendliche selbst entscheiden können, ob sie in unserer Gesellschaft leben wollen? kA. Die Superkräfte hier scheinen mir manchmal wirklich mehr wie "Cool Powerz" und weniger deutlich wie eine klare Metapher.
Narcissu, vielleicht kommt daher auch dein Gefühl, dass die Kräfte ein wenig in den Hintergrund treten? Weil sie zwar da sind, aber nicht so wirklich entscheidend für die Dinge, die das Spiel sagen will? Wenn man ganz zynisch ist, könnte man wahrscheinlich anbringen, dass die Story auch ohne die Kräfte funktionieren würde, mit nur wenig Veränderung, was in LiS1 definitiv nicht der Fall ist.
Das wäre für mich persönlich aber eine eindeutige Schwäche (sofern ich die Verbindung nicht nur übersehe – was definitiv auch sein kann) ... Verwirrend! xD'
Ich erwähne jetzt einmal, zur Sicherheit, dass ich vielleicht auch zu viel darüber nachdenke. Aber nur, um das Argument direkt zu begraben!
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Generell gibt es denk ich tausend Möglichkeiten, aber ob das persönliche Umfeld ausreicht, ist eine gute Frage! Ich sage mal so: Ich glaube, das wäre ein bisschen ... weaksauce? In demselben Sinne, den ich im letzten Post ausgeführt habe: Das Spiel ist so massiv politisch, legt so viel Wert auf persönliche Macht und persönliche Entscheidungen, dass eine solche Beschränkung auf das persönliche Umfeld automatisch ein starkes politisches Statement abgibt. (Man denke an Hitler 1942 und die Pistole in der Hand!)Zitat von Narcissu
Es muss aber definitiv auch nichts "Krasses" sein. Die Stelle mit Seans Busrettung in dem einen Ending ist bspw. ein Anfang, aber sie ist halt auch vorrangig ein Standard-Superhelden-Tropus. Warum rettet er nicht wenigstens irgendwelche Leute vor random Rassisten? Von mir aus können sie auch zeigen, wie er Wahlhelfer wird und telekinetisch die republikanischen Votes veruntreut. 8D Es geht halt wirklich darum, ganz generell die Möglichkeit zu zeigen und sie nicht komplett zu "verschweigen", in einem Spiel, das so viel Wert auf freie Entscheidungen legt. Ob das funktioniert und wie es aussieht, ist dann wieder eine andere – ehrlich gesagt interessantere! – Frage.
Ich denke, ein Film, ein Roman oder auch ein Lied haben es da prinzipiell einfacher, weil eine komplette Bedeutungsebene wegfällt, die durch die Interaktivität und die "Vorentscheidung" an Wahlmöglichkeiten entsteht, die einem die Entwickler erlauben. Eine eindeutige Geschichte mit einem einzigen "Ending" zu erzählen, kann aber natürlich anders schiefgehen, bspw. wenn der Film dann nur noch impliziert, dass ein Aufbegehren gegen die Gesellschaft unwillkürlich zu einem kriminellen Leben führt ... ^_~
All das liegt aber nicht nur vorrangig am Medium, sondern an den Ansprüchen, die LiS2 an sich selbst stellt und (imho) nicht erfüllt! Es will halt offensichtlich nicht nur eine persönliche Geschichte um zwei Jungs sein, sondern auch entschieden politisch und gesellschaftlich tiefgründig, und es will die Spielenden relativ frei entscheiden lassen. Und da wird es dann schwierig.
An der Stelle noch kurz zu dem Argument, dass Superkräfte sonst als irgendwie notwending herüberkommen könnten, um die Gesellschaft zu ändern: Das wäre natürlich fatal! Aber ich denke auch, dass es ganz vom Framing im Spiel abhängt. Wenn die Jungs bspw. auf ihrer Reise lernen, dass selbst normale Leute erfolgreich gegen Ungerechtigkeit vorgehen (und sei es nur: Die Großeltern helfen ein paar Obdachlosen in der Kirche. Die reisenden Slacker verteidigen die Brüder gegen Nazis. Officer Campell am Ende zeigt Flüchtenden Menschlichkeit.), und wenn das im Spiel auch wirklich deutlich thematisiert wird, könnte man dieser Gefahr leicht begegnen. Es ist ja am Ende "nur" eine Metapher – was stimmen muss, ist die Realität, die Weltsicht dahinter, und die ist mein größeres Problem bei LiS2.