Vorsicht, Gedankenchaos.Und natürlich auch Spoiler.
Wahrscheinlich habe ich einen etwas weniger kritischen Blick auf Storys generell und auch keinen so ausgeprägten Sinn, in bestimmten Dingen gleich (oder auch im Nachhinein) etwas hineinzuinterpretieren. Aber für mich persönlich hatte sich nie die Frage gestellt, was das Spiel mir sagen möchte, welches die im Spiel angesprochenen Thematiken sein sollen und welche politische Stellung die Entwickler einnehmen. Ich hatte das Spiel mehr als eine Vermittlung von Eindrücken wahrgenommen und das hat für mich auf die Weise wirklich gut funktioniert.
Natürlich waren viele Szenen, insbesondere in Episode 4 und 5, schon sehr holzhammermäßig in Sachen Religion und Rassismus unterwegs, das will ich absolut nicht abstreiten (auch trotz der vielen Szenen, in denen die Menschen sich ihnen gegenüber sehr offen und hilfsbereit verhalten haben). Ich muss aber auch sagen, dass ich (und viele andere wohl auch) als Teenager eine sehr dichotome Weltsicht innehatte, in der vieles in "Find ich super!" oder "Voll der Käse" eingeteilt wurde. Dementsprechend konnte ich die Motivationen und Zielsetzungen der Charaktere in den entsprechenden Situationen gut nachvollziehen. Ich stecke selber in einer christlichen Familie fest, die darüber hinaus aus Methodisten besteht, deren Praktiken mit vergleichbaren Gemeinden aus den USA sehr ähnlich sind. Die Erfahrungen und Eindrücke, die sowohl Sean (ich mit ca. 16 Jahren) als auch Daniel (mein eigener kleiner Bruder mit ca. 9 Jahren) gemacht haben, haben sich teils haargenau mit dem gedeckt, was wir selbst erlebt hatten. Natürlich hatte mein kleiner Bruder keine Superkräfte, und ich habe ihn auch nicht aus einem großen Kirchenbrand von den Klauen unserer Gemeinde befreit. Da diesem Spiel allerdings eben nun mal diese Ebene mit Daniels Superkräften unterliegt und dadurch sehr spezielle Umstände entstehen, hat mich die Abwesenheit einer darauffolgenden ambivalenten Sicht der Dinge auch nicht weiter gestört.
Die Szene in Kapitel 2, in der man Daniel dazu bringen kann, mit der Großmutter zu beten, was dann quasi die Option "follow the rules of society" darstellte, konnte ich ebenfalls sehr gut nachvollziehen. Ich folge selber nicht dem Glauben meiner Familie, aber ich wollte auch nicht, dass meine kleinen Brüder sich die Bindung zu ihrer Familie verscherzen und sie daher immer dazu ermutigt, erstmal den Wünschen Folge zu leisten, die unsere Eltern in Sachen Religion an sie hatten. Infolgedessen waren sie auch mehr oder weniger anfällig für gottesfürchtige Lehren, aber ich bin auch davon ausgegangen, dass sie in ihrem Alter sowieso nicht mit der Intensität des Glaubens unserer Familie mithalten können und sich ihre eigene Gedanken machen können, sobald sie ein bestimmtes Alter erreicht haben. Diese Handhabung hatte ich dementsprechend auch auf Seans Handlungen interpretiert und auch erfolgreich anwenden können, daher fand ich den Aspekt "Religion" so, wie er im Spiel umgesetzt wurde, auch nicht weiter schwierig.
Wie Sylverthas schon erwähnt hatte, empfand ich den Aspekt der Dynamik zwischen den beiden Brüdern als viel ausschlaggebender als alles andere, was mir das Spiel vorsetzen wollte. Diese war genau so vielschichtig und glaubwürdig umgesetzt, wie ich es von den zwei Brüdern in ihrem Alter erwartet hätte, und natürlich auch dem Dilemma entsprechend, in dem die beiden stecken. Wahrscheinlich sag ich das auch vor allem deswegen, weil ich selber mit drei Brüdern zuhause festsitze (die ich ebenfalls ohne meiner eigenen Mutter großziehen musste) und ich all die Konflikte hautnah miterlebt habe, die im Spiel dargestellt worden sind. Letztendlich hatte ich die Thematik rundum Religion und Politik eher als Randerscheinungen wahrgenommen, die der Herkunft und vor allem den sehr ungewöhnlichen Umständen der beiden Brüder geschuldet sind, und ich fand die Situationen, in die sie deshalb geraten sind, zwar zugegebenermaßen sehr vom Pech verfolgt (und vielleicht auch etwas erzwungen), aber auch nicht unglaubwürdig. Es hat mir dabei geholfen, mich auf das Wesentliche der Story zu konzentrieren, und ich hatte es auch so interpretiert, dass die Charaktere es ähnlich empfunden hatten und auch nicht wirklich die Zeit oder Reife gehabt hätten, über solche gesellschaftskritischen Themen ordentlich zu reflektieren.