Der rote Punkt von Galahads Zigarette erleuchtete das Zimmer. Die Fenster waren vernagelt und der Generator war aus. Sie mussten Benzin sparen. Streichhölzer hatte er nur noch wenige, aber er hatte zwanzig Jahre lang geraucht und konnte nicht einfach so damit aufhören.
Das Radio plapperte vor sich hin. Unzusammenhängende Wortfetzen, Geräusche wie Meeresrauschen oder das Gekreisch von Vögeln. Galahads linke Hand drehte am Sendeknopf. Batterien waren selten geworden, aber er musste die Nachrichten reinbekommen, ehe Gawain zurückkam. Das war seine Aufgabe.
„…ben sich nicht bestätigt. In Schutzzone neunzehn beträgt die Prognose für heute also siebenunddreißig zu vier. In Schutzzone…“
Galahad schaltete das Radio aus. Die Zigarette glühte heller auf, als er daran zog. Er atmete den Rauch aus. Über dem Zimmer sah der Qualm aus wie Nebelschwaden.
„Siebenunddreißig zu vier“, murmelte Galahad in die leere Wohnung. „Leck‘ mich am Arsch.“
Er hörte Gawain, bevor er an die Tür klopfte. Seine Schritte waren die einzigen, die er seit Monaten gehört hatte.
„Ho, nobler Galahad!“ Er flüsterte beinahe, klopfte nicht an die Tür.
„Tretet ein, Gawain, und berichtet mir von dem, was Ihr an der grünen Kapelle saht.“ Galahad öffnete die Tür.

Gawain lächelte, als Galahad ihm seine Idee vorschlug. Sein Gesicht war eingesunken, er hatte stark abgenommen. Früher war er Professor für altenglische Geschichte gewesen, jetzt übernahm er die Exkurse. Die Namen aus der Artussage waren seine Idee gewesen.
„Siebenunddreißig zu vier, sagst du. Das ist nicht viel, aber…“
„Kein aber“, unterbrach Galahad ihn. „Das sind die besten Werte seit Wochen! So niedrig wird er wahrscheinlich den Rest des Sommers nicht mehr.“
„Siebenunddreißig Prozent heißt immer noch, dass wir auf dem Weg dort hin einigen begegnen könnten. Wir brauchen fast zwei Stunden bis dahin. Das sind vier Stunden insgesamt. Macht grob fünfundachtzig Prozent, dass man uns erwischt.“
„Wie lange bist du da draußen unterwegs?“
„Fünf Stunden. Manchmal mehr.“ Gawain schnaubte. „Und ich sehe sie oft genug. Darauf kann ich verzichten. Glaub' mir, ich kann wirklich darauf verzichten. Vergiss' es einfach.“ Er griff sich eine von Galahads Zigaretten. Der rotgelbe Schimmer ließ sein unrasiertes Gesicht noch älter aussehen.
„Du kannst darauf verzichten. Das glaub' ich dir. Aber ich kann es nicht. Ich werde hier drinnen verrückt. Ich halte es nicht aus.“
Gawain blickte an die Wand. Er hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger. Sein Blick schien durch die Wand hindurch zu gehen.
„Wenn du es nicht machst, dann gehe ich eben alleine. Ich weiß, wo das Einkaufszentrum liegt. Ich finde den Weg.“ Galahad stand auf. Gawain hob die freie Hand und atmete eine dichte Rauchschwade aus.
„Also gut. Morgen.“ Eine weitere Rauchschwade stieg an die Decke. „Aber es wird dir nicht gefallen, Galahad. Gut möglich, dass wir die Letzten sind.“

Es war Mittag, als sie los gingen. Es war angenehm warm und der Himmel klar. Die Treppe nach unten war eingestürzt, also mussten sie die Feuerleiter nehmen. Gawain trug die Pistole an der Hüfte, Galahad den Rucksack und das Messer. Ein Messer, hatte Gawain behauptet, war besser als nichts hier draußen. Es würde ihnen zumindest gegen Plünderer helfen, wenn diese so dumm waren, sich ihnen zu nähern. Wenn es überhaupt noch Plünderer gab.
Undeutlich am Horizont sahen sie die Mauern. Die Wachtürme waren rund um die Uhr besetzt, aber die Wachposten hatten kein Mitleid. Die Quarantäne war absolut und Hilfslieferungen gab es schon seit Monaten nicht mehr. Gawain glaubte, dass sie die letzten waren. Der Rest war infiziert worden und für Infizierte gab es keine Hilfslieferungen mehr.
„Wie sieht es heute aus?“
„Immer noch siebenunddreißig zu vier. Warum geben sie diese Prognose überhaupt noch durch?“
„Sie wollen es nicht zugeben. Sie können keinen verlorenen Posten brauchen. Gut möglich, dass die anderen Zonen auch leer sind.“ Gawain trat nach einer Brennnessel, die aus einem Schutthaufen wuchs. „Für sie ist das hier ein Krieg. Und sie verlieren ihn, jedenfalls hier.“
„In den anderen Zonen sind die Werte deutlich höher. Achtundachtzig zu neun in Schutzzone siebzehn, zum Beispiel.“
„Schlechtes Beispiel. In Schutzzone siebzehn war der Bahnhof. Da müssen tausende von Menschen gewesen sein. Solche Werte sagen da nichts aus.“
Sie schwiegen, als sie weitergingen. Über die alte Schnellstraße, durch rostige Autowracks. Gawain sah in jedes einzelne Auto, an dem sie vorbei gingen. Bei einigen war der Kofferraum noch ungeöffnet, in einem fanden sie ein Erste-Hilfe-Set und ein wenig haltbare Nahrung.

Das alte Einkaufszentrum lag auf der Seite. Seine tragenden Pfeiler hatten nach einer Explosion nicht mehr stand gehalten. Gawain nannte es „Das Grab des Helden“. Auch hier mussten sie die Feuerleiter nehmen, aber schon nach ein paar Sprossen konnten sie über das Laufen, was früher die Brüstung der Balkons gewesen war. Von Staub blinde Fensterscheiben zogen an ihnen vorbei wie Teiche.
„Hier?“ Gawain hielt an. Galahad nickte. Er setzte den Rucksack ab und holte das Tuch daraus hervor. Sorgfältig breitete er es aus, über dem hellen Beton, wo früher einmal ein Schild gewesen war. Gawain sah zu, wie Galahad Teller, Besteck und das Essen auf das Tuch legte.
Sie setzten sich und aßen. Das Fleisch schmeckte gut, es war das Letzte, was sie hatten. Auch der Wein schmeckte. Von ihm hatten sie noch mehr, aber dieser war der Beste, den sie hatten. Gawain hatte ihn von einem Studenten bekommen, als dieser promoviert hatte.
„Morgen sollten wir aufbrechen.“
Gawain nickte. „Ja.“
„Werden wir es schaffen?“
Gawain zuckte mit den Schultern und schnippte die angebrochene Zigarette in eines der Fenster. Sie blieb daran kleben, ein weißer Finger, der durch die Oberfläche eines stillen Teichs brach.