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Thema: Frühstück im Freien

  1. #1

    Frühstück im Freien

    Der rote Punkt von Galahads Zigarette erleuchtete das Zimmer. Die Fenster waren vernagelt und der Generator war aus. Sie mussten Benzin sparen. Streichhölzer hatte er nur noch wenige, aber er hatte zwanzig Jahre lang geraucht und konnte nicht einfach so damit aufhören.
    Das Radio plapperte vor sich hin. Unzusammenhängende Wortfetzen, Geräusche wie Meeresrauschen oder das Gekreisch von Vögeln. Galahads linke Hand drehte am Sendeknopf. Batterien waren selten geworden, aber er musste die Nachrichten reinbekommen, ehe Gawain zurückkam. Das war seine Aufgabe.
    „…ben sich nicht bestätigt. In Schutzzone neunzehn beträgt die Prognose für heute also siebenunddreißig zu vier. In Schutzzone…“
    Galahad schaltete das Radio aus. Die Zigarette glühte heller auf, als er daran zog. Er atmete den Rauch aus. Über dem Zimmer sah der Qualm aus wie Nebelschwaden.
    „Siebenunddreißig zu vier“, murmelte Galahad in die leere Wohnung. „Leck‘ mich am Arsch.“
    Er hörte Gawain, bevor er an die Tür klopfte. Seine Schritte waren die einzigen, die er seit Monaten gehört hatte.
    „Ho, nobler Galahad!“ Er flüsterte beinahe, klopfte nicht an die Tür.
    „Tretet ein, Gawain, und berichtet mir von dem, was Ihr an der grünen Kapelle saht.“ Galahad öffnete die Tür.

    Gawain lächelte, als Galahad ihm seine Idee vorschlug. Sein Gesicht war eingesunken, er hatte stark abgenommen. Früher war er Professor für altenglische Geschichte gewesen, jetzt übernahm er die Exkurse. Die Namen aus der Artussage waren seine Idee gewesen.
    „Siebenunddreißig zu vier, sagst du. Das ist nicht viel, aber…“
    „Kein aber“, unterbrach Galahad ihn. „Das sind die besten Werte seit Wochen! So niedrig wird er wahrscheinlich den Rest des Sommers nicht mehr.“
    „Siebenunddreißig Prozent heißt immer noch, dass wir auf dem Weg dort hin einigen begegnen könnten. Wir brauchen fast zwei Stunden bis dahin. Das sind vier Stunden insgesamt. Macht grob fünfundachtzig Prozent, dass man uns erwischt.“
    „Wie lange bist du da draußen unterwegs?“
    „Fünf Stunden. Manchmal mehr.“ Gawain schnaubte. „Und ich sehe sie oft genug. Darauf kann ich verzichten. Glaub' mir, ich kann wirklich darauf verzichten. Vergiss' es einfach.“ Er griff sich eine von Galahads Zigaretten. Der rotgelbe Schimmer ließ sein unrasiertes Gesicht noch älter aussehen.
    „Du kannst darauf verzichten. Das glaub' ich dir. Aber ich kann es nicht. Ich werde hier drinnen verrückt. Ich halte es nicht aus.“
    Gawain blickte an die Wand. Er hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger. Sein Blick schien durch die Wand hindurch zu gehen.
    „Wenn du es nicht machst, dann gehe ich eben alleine. Ich weiß, wo das Einkaufszentrum liegt. Ich finde den Weg.“ Galahad stand auf. Gawain hob die freie Hand und atmete eine dichte Rauchschwade aus.
    „Also gut. Morgen.“ Eine weitere Rauchschwade stieg an die Decke. „Aber es wird dir nicht gefallen, Galahad. Gut möglich, dass wir die Letzten sind.“

    Es war Mittag, als sie los gingen. Es war angenehm warm und der Himmel klar. Die Treppe nach unten war eingestürzt, also mussten sie die Feuerleiter nehmen. Gawain trug die Pistole an der Hüfte, Galahad den Rucksack und das Messer. Ein Messer, hatte Gawain behauptet, war besser als nichts hier draußen. Es würde ihnen zumindest gegen Plünderer helfen, wenn diese so dumm waren, sich ihnen zu nähern. Wenn es überhaupt noch Plünderer gab.
    Undeutlich am Horizont sahen sie die Mauern. Die Wachtürme waren rund um die Uhr besetzt, aber die Wachposten hatten kein Mitleid. Die Quarantäne war absolut und Hilfslieferungen gab es schon seit Monaten nicht mehr. Gawain glaubte, dass sie die letzten waren. Der Rest war infiziert worden und für Infizierte gab es keine Hilfslieferungen mehr.
    „Wie sieht es heute aus?“
    „Immer noch siebenunddreißig zu vier. Warum geben sie diese Prognose überhaupt noch durch?“
    „Sie wollen es nicht zugeben. Sie können keinen verlorenen Posten brauchen. Gut möglich, dass die anderen Zonen auch leer sind.“ Gawain trat nach einer Brennnessel, die aus einem Schutthaufen wuchs. „Für sie ist das hier ein Krieg. Und sie verlieren ihn, jedenfalls hier.“
    „In den anderen Zonen sind die Werte deutlich höher. Achtundachtzig zu neun in Schutzzone siebzehn, zum Beispiel.“
    „Schlechtes Beispiel. In Schutzzone siebzehn war der Bahnhof. Da müssen tausende von Menschen gewesen sein. Solche Werte sagen da nichts aus.“
    Sie schwiegen, als sie weitergingen. Über die alte Schnellstraße, durch rostige Autowracks. Gawain sah in jedes einzelne Auto, an dem sie vorbei gingen. Bei einigen war der Kofferraum noch ungeöffnet, in einem fanden sie ein Erste-Hilfe-Set und ein wenig haltbare Nahrung.

    Das alte Einkaufszentrum lag auf der Seite. Seine tragenden Pfeiler hatten nach einer Explosion nicht mehr stand gehalten. Gawain nannte es „Das Grab des Helden“. Auch hier mussten sie die Feuerleiter nehmen, aber schon nach ein paar Sprossen konnten sie über das Laufen, was früher die Brüstung der Balkons gewesen war. Von Staub blinde Fensterscheiben zogen an ihnen vorbei wie Teiche.
    „Hier?“ Gawain hielt an. Galahad nickte. Er setzte den Rucksack ab und holte das Tuch daraus hervor. Sorgfältig breitete er es aus, über dem hellen Beton, wo früher einmal ein Schild gewesen war. Gawain sah zu, wie Galahad Teller, Besteck und das Essen auf das Tuch legte.
    Sie setzten sich und aßen. Das Fleisch schmeckte gut, es war das Letzte, was sie hatten. Auch der Wein schmeckte. Von ihm hatten sie noch mehr, aber dieser war der Beste, den sie hatten. Gawain hatte ihn von einem Studenten bekommen, als dieser promoviert hatte.
    „Morgen sollten wir aufbrechen.“
    Gawain nickte. „Ja.“
    „Werden wir es schaffen?“
    Gawain zuckte mit den Schultern und schnippte die angebrochene Zigarette in eines der Fenster. Sie blieb daran kleben, ein weißer Finger, der durch die Oberfläche eines stillen Teichs brach.

  2. #2
    Hm. Liest sich flüssig und gut, aber ich bin ein wenig ratlos mit meinen Eindrücken. Wenn jetzt nicht noch was kommt, kann ich zu wenig mit dem anfangen, was da ist. ^^

    Teilweise habe ich Sätze auch zweimal gelesen, weil ich die beiden Figuren nicht auseinanderhalten konnte und gucken musste, wer was gesagt hat.

  3. #3
    Die Geschichte ist tatsächlich in sich abgeschlossen - allerdings existieren zahlreiche Teile, die ich eventuell noch reinstelle, die aber imo. nicht wirklich zu ihr beigetragen haben. Dinge wie die Erklärung für das "Grab des Helden" oder was die Quoten bedeuten. Es ist einfach schwierig, so etwas flüssig unter zu bringen, ohne dass es gestelzt klingt. Oder zumindest erkläre ich Leuten auch nicht, wenn ich ihnen sage dass es morgen regnen könnte, haarklein den Wetterbericht.

    Die Dialogstruktur ist tatsächlich etwas unübersichtlich, daher vielleicht zur Erläuterung: Galahad ist der "jüngere" der Beiden und daher ein wenig weltfremd/unreflektiert. Derjenige mit mehr Ahnung und Hintergrundwissen ist Gawain, weshalb er auch die Exkursionen macht.

    Danke für die Rückmeldung, wenn es interessant ist, kann ich gerne ein wenig die Welt dieser Kurzgeschichte erläutern.

  4. #4
    Immer doch!

    Man spürt auch durchaus einen roten Faden, nicht im Sinne einer Handlung, sondern im Sinne eines Konzepts. Aber ich habe das Gefühl, er geht ein wenig in den verschiedenen (durchaus interessanten) Facetten unter, die auf relativ wenig Raum angeschnitten werden, oder zumindest kann ich persönlich ihn nicht ganz greifen.

    Macht das Sinn? ^^

  5. #5
    Ja, ich verstehe was du meinst. Das ist allerdings auch tatsächlich die Absicht gewesen. Das selbstgesetzte Ziel war es, eine Facette aus einer anderen Welt an zu reißen, ohne diese im Detail zu erläutern. Man denke an Yokohama Kaidashi Kikō oder andere Werke von Ashinano.


    Die genauen Stellen poste ich, wenn ich zuhause bin, aber hier mal ein grober Überblick:
    Die Welt von "Frühstück im Freien" ist von Zombies überrannt worden. Dabei spricht man innerhalb dieser Welt von "Infizierten", da es sich um eine Art Krankheit zu handeln scheint, die lange Zeit schlummert. Daher kamen die Ausbrüche relativ plötzlich (siehe z.B. Gawains Kommentar zu Schutzzone siebzehn - sie muss recht schnell abgeriegelt worden sein, um einen Rückschluss von einem Ort mit vielen Menschen auf deren Infiziertenlevel schließen zu können).
    Die Schutzzonen sind durchnummeriert und entsprechen im wesentlichen Stadtvierteln. Um die Zonen herum existieren Aufnahmelager, die Nichtinfizierten einen gewissen Schutz bieten, auch wenn man davon ausgeht, dass nach einer gewissen Zeitspanne jeder innerhalb einer Schutzzone infiziert ist. Ein verlässlicher Nachweis existiert nicht, da gegen diese Infektion keine Antikörper ausgebildet werden (können?). Aus diesem Grund beschließen Gawain und Galahad, in der Zone zu bleiben, da man sie vermutlich eh nicht aufnehmen würde.

    Die Quoten der einzelnen Schutzzonen folgen einem relativ einfachen System. X:Y gibt die Chance an, mit welcher prozentualen Wahrscheinlichkeit (X) eine Person, die sich eine Stunde lang in einer Schutzzone aufhält einer Gruppe Infizierter begegnet und aus wie vielen Personen diese Gruppe im Durchschnitt besteht (Y). Die Infizierten neigen zu rudelähnlichem "Jagd"verhalten, was in Anlehnung an klassische Zombiefilme wohl vorwiegend dem Ziel dient, andere Leute zu infizieren.

    Das "Grab des Helden" heißt deswegen so, weil Schutzzone neunzehn eine der sichereren ist, was auch der Grund ist, aus dem die beiden "Ritter" so lange überleben konnten. Als ein Großteil der Zone bereits infiziert war, präparierte ein anderer Überlebender das Gebäude mit Sprengstoff und lockte möglichst viele Infizierte dort hin, ehe er das ganze Gelände in die Luft jagte. Da er sich selbst als Köder nutzte starb er bei der Explosion. Gawain nennt das Gebäude also in Anlehnung an den "Helden" so, der ihnen indirekt das Überleben ermöglicht hat.

    Weitere Fragen beantworte ich gerne.

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