Ai – The Somnium Files ist ein Experiment: Wie schnell lassen sich Leute darauf konditionieren, auf Dinge zu klicken um schlechte Wortspiele zu lesen, bis sie sie lustig finden? Es ist auch Running Gags – the Game. Das Spiel ist ein halber Shitpost, und halb eine ernstgemeinte Geschichte mit viel Herz (und Brust) – und ein Zeugnis davon, dass Uchikoshi (Schreiber von Zero Escape und Infinity Reihe) immer noch nicht erwachsen geworden ist – da sind wir zumindest auf einer Wellenlänge!
Das Spiel ist over the top und bodenständig zugleich, es bietet so viele Gegensätze, die es eigentlich zerreissen müssten aber am Ende irgendwie funktionieren, wenn man den inneren Zwölfjährigen nur rauslassen möchte. Hier wurde wirklich guter Schlock abgeliefert, welcher wahlweise actionreich, absurd, dramatisch, pervers und emotional werden kann – meist in schneller Abfolge. Darauf steht nicht jeder, bei mir hats funktioniert.
Beworben wurde das Spiel vor Release mit einer Reihe von Youtube Videos, welche Iris (aka Tesa, aka A-Set) mit übelst cringigem Acting zeigen und einige der Locations vom Spiel vorstellen. Das sollte einen schon in das richtige Mindset bringen. Alles von der Firma, für die Iris auch im Spiel arbeitet: Lemniscate. Ehrlich gesagt finde ich solche Internet / Youtube Promotions immer sehr spaßig und zu diesem Game passt es perfekt. Gerade bei dem Vtuber Boom wirkt Iris steifes Acting wirklich so, als wäre sie einer. Und es ist echt witzig, dass sie sogar ne Runde Zanki Zero spielt! Ich glaube ihre Videos sind fast schon die Definition von "taking the piss"
Wer einen kleinen Vorgeschmack auf den Cringe kriegen möchte, kann sich zum Beispiel Uchikoshis Vorstellung von Tesa anschauen.
Worum gehts hier überhaupt? In Somnium Files übernimmt man die Rolle von Date, einem Detektiv mit Amnesie (!) auf der Spur eines Massenmörders. Als Unterstützung hat er Aiba, eine AI welche er anstelle seines fehlenden Augapfels trägt. AI-ba(ll), ne? Kleiner Vorgeschmack auf die Wortspiele. Zuhause passt er auf die Tochter seiner Freunde, Mizuki, auf, weil diese... keinen Bock haben. Mit Hilfe eines speziellen Gerätes, der Psync Machine, kann Date in die Gedankenwelten (Somnia) von Personen eintauchen und dort neue Informationen aufdecken. Sein momentaner Fall beginnt in einem verlassenen Freizeitpark, wo die Leiche einer Frau gefunden wurde, der ein Auge fehlt. Und so beginnt die Reise durch Minecraft-Welten, tanzende Idols, Pornoheftchen, zersägte Menschen, Schulmädchen mit übernatürlichen Kräften und ganz, ganz vielen Wortspielen.
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Das Gameplay von den Somnium Files besteht aus zwei Teilen. Einmal hat man die Investigation-Abschnitte, bei denen man die Umgebung untersucht und sich mit Charakteren unterhält. Gelegentlich muss man Spezialfunktionen von Aiba verwenden, wie ihre Infrarotsicht, Röntenstrahlen, etc. Ist aber wenig interaktiv, weil man vom Spiel aufgefordert wird wenn man diese Funktionen benutzen kann. Dann gibt es manchmal noch QTEs, vor allem in den (gar nicht maßlos übertriebenen) Actionszenen und gelegentlich muss man noch Verhöre machen, bei denen Beweise vorzulegen sind. Gerade dieses Element wird recht selten benutzt und ist in der Regel auch äußerst einfach.
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Im anderen Gameplay Segment taucht man in das Unterbewusstsein von Charakteren ein, um zu verhindern, dass das Spiel abstürzt. Diese. Abschnitte. Sind. So. Fucking. Broken. Wenn das Spiel hier zur Abwechslung mal nicht crashed, dann steuert man Aiba durch eine abstrakte Traumwelt der jeweiligen Person. Dort muss man unter einer Zeitbeschränkung kleinere Rätsel lösen um die Memory Locks der Person zu durchbrechen. Man bekommt vage Tipps, worum es sich handelt ("Strangle it."), aber zu einem Großteil besteht das Vorgehen hier aus Trial & Error. Häufig ist hier auch wenig Kombinationsgabe gefragt, weil man nicht absehen kann, was als nächstes passiert . Es ist ja das Unterbewußtsein! Wegen der teilweise echt bekloppten Skits zwischen Aiba und Date lohnt es sich aber durchaus sinnlose Aktionen zu machen.
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Rätselelemente kommen durch Bonusitems dazu, mit der man die Zeitkosten von Ereignissen verändern (z.B. halbieren) kann. Gerade später muss man so schon ein wenig planen, in welcher Reihenfolge man die Ereignisse auslöst, um möglichst niedrige Zeitkosten zu haben. Im wesentlichen probiert man also verschiedenste Aktionen aus, findet heraus, wo man die Bonusitems für die Zeitmanipulation bekommt und welche Ereignisse überhaupt wichtig sind, und lädt dann neu, um das Zeitlimit einzuhalten. OK, ganz so schlimm ist es nicht, denn die Abstürze sorgen ja glücklicherweise dafür, dass man zwischendurch immer mal wieder einen alten Speicherstand wiederherstellen muss!
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Insgesamt sind die Somnia "in Ordnung". Meist sind sie recht einfach zu lösen, wenn man auch öfter mal laden muss. Es sind ein paar wirklich coole dabei, beispielsweise der Vergügunspark am Anfang, Otas Somnium war spaßig und die Minecraft-Dinger sind abwechslungsreich, wenn sie (hab ich das eigentlich schon erwähnt?!) nicht immer abstürzen würden. Gibt auch ein Somnium, was ich ziemlich emotional fand. Seltsamerweise sind die meisten Somnia eher uninteressante Lagerhallen, Docks oder Wohnzimmer. Sogar in einem der finalen Gebiete fährt man da nicht viel mehr auf. Aus dem Konzept hätte man durchaus mehr rausholen können, selbst bei realen Locations wäre kreativer Freiraum drin gewesen. Hui, ein Wohnzimmer ist ja total spannend, in dem ein Gelatineblob den Weg versperrt, den man dann zum Schrumpfen bringt! In dem Somium im Wald wär ich fast durchgedreht, weil ich immer die Objekte nicht gefunden habe und die Zeit ausging.
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Zu erwähnen ist noch, dass diese Abschnitte häufig zwei Lösungswege haben, und so zu verschiedenen Zeitsträngen führen. Wer die Zero Escape Reihe gespielt hat kennt sicher den Entscheidungsbaum. Im wesentlichen gibt es zwei Hauptrouten, zwischen denen man sich sehr früh "entscheidet". Es gibt auch, wie in der ZE Reihe, Schlösser in den Routen, welche man erst durch Fortschritt in einer anderen freischalten kann – was aber meiner Meinung nach bis auf Dramaturgie hier keinen Sinn hat. Die Routen sind von dem, was in ihnen passiert, stark unterschiedlich und andere Charaktere stehen dort im Mittelpunkt. Im Prinzip sehr ähnlich, wie es ZE macht und damit ist dem Team leider kein großer Wurf von ihrer alten Reihe weg gelungen. Aber das war offensichtlich auch nicht das Ziel.
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Die Story ist sehr charaktergetrieben und das Team hat es nicht verlernt, interessante und starke Persönlichkeiten aufzubauen. Und was ich damit meine: die weiblichen Charaktere zeigen viel Dekolleté, tragen so knappe Röcke, dass man mit nur minimaler Bewegung der Kamera drunterschauen kann (FOR ACADEMIC PURPOSES!) und sind natürlich teilweise minderjährig. Alles, was man sich also als Anime Fan wünscht. Mit Punchline und den teilweise recht anzüglichen Kommentaren aus der Zero Escape Reihe ist Uchikoshi kein unbeschriebenes Blatt wenn es um Fanservice geht, und hier lässt das Team volle Kanne ab. Irgendwie passt das alles sehr zu dem trashigen Gesamtbild, kann aber verstehen wenn manchen das zu viel ist.
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Abgesehen von diesen tieferliegenden Eigenschaften ist der Cast voll von exzentrischen Charakteren. Hier ist einiges dabei, von dem Poppsternchen Iris, die Date auf einer Route begleitet, über den ganz sicher volljährigen Fanboy von ihr, Ota, bis hin zu der stämmigen Mama, welche des öfteren von Date mit einem Kühlschrank verglichen wird. Am besten haben mir Aiba und Mizuki gefallen, welche zufälligerweise (sicherlich kein Zusammenhang) beides Tsundere sind. So wie Date selber auch, wie er von beiden zu hören bekommt. Also hat Somnium Files gleich drei Tsundere, automatischer Win! Tatsächlich fand ich Mizukis Arc am effektivsten und den Handlungsstrang, wo sie weniger Relevanz hat, nicht so interessant. Liegt auch daran, dass sich Mizuki und Date fast permanent in den Haaren liegen und da echt guter Banter bei rauskommt. Aiba besticht durch ihre Interaktionen mit Date sowie ihre teilweise absolut dementen Auftritte in den Somnia, wo sie sich beispielsweise einen Kuchen ins Gesicht knallt, wenn man ihr das "befiehlt". Boss ist auch ziemlich cool und hat echt viel zu dem Krimskrams zu sagen, den sie bei sich hängen hat. Date selber ist ein notgeiler Sack, bekommt aber auch immer Breitseite – fast, als würde man hier einen japanischen Al Bundy spielen. Tittybar wird halt durch Kabarett ersetzt.
Wie anfangs erwähnt ist Somnium Files einfach puntastisch. Einige Wortspiele hier sind sogar so komplex, dass weder die Übersetzer und vermutlich nicht mal die Schreiber genau wussten, was gemeint ist.![]()
Das Schöne daran: die meisten "Witze" kommen häufig mehrmals in leicht abgewandelter Form vor und ziehen sich auf jede Ebene vom Spiel durch. Und irgendwann habe ich sogar schon mit denen gerechnet und war gespannt auf sie: man klickt bei jedem Besuch einer Location die gleichen Items an, die nicht sonderlich lustige Kommentare von Date (oder Begleiter) mit sich bringen und freut sich darauf, wieder einen unlustigen Spruch zu bekommen, der einem dann vielleicht doch mal ein Grinsen aufs Gesicht bringt. Wie viele Kühlschrankwitze kann Date noch auf Mamas Kosten machen? Wie oft kann man noch "High Stool" zu "High School" machen? Wird sich Date jemals den Namen des einen Polizisten merken können (den ich leider schon wieder vergessen habe)? Das Spiel konditioniert einen quasi, wie der pawlowsche Hund vor sich hin zu sabbern, sobald man einen hohen Stuhl sieht... oder vielleicht war das nur bei mir so? Das Übersetzerteam hatte sich keinen einfachen Job, aber ich denke, sie haben ihn sehr gut gemacht und viel vom Charme der kaputten Wortspiele rübergebracht (würde aber dennoch vermuten, dass einige auf Japanisch besser funktionieren).
Lediglich die "speziellen" Elemente in den Actionszenen haben bei mir nicht gepunktet. Da wäre etwas mehr Zurückhaltung vielleicht gut gewesen, auch wenn ich den Trashfaktor zumindest würdigen möchte. Und auch hier hab ich irgendwann angefangen am Anfang der Szene die Frage zu stellen, wo denn diesmal das Pornoheftchen vorkommen könnte.
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Aber das Reportoire an subtilem Humor ist durch Wortspiele und Popkulturreferenzen nicht erschöpft, nein, es gibt auch unheimlich viele sexuelle Innuendos. Auf jeden Fall war ich überrascht, dass man hier in der Sprache nicht mehr zensiert hat, weil hier Minderjährige doch teilweise krassen Scheiß sagen. Ob Date nun eine Iris dazu bringen möchte, "Penis" zu sagen, er mit einem paar Brüsten an der Rezeption redet (und potentiell durchbrennt) oder sogar im Soundsystem ein... ok, helft mir mal auf die Sprünge. Bild ist oben zu sehen, Achievement heißt "I Wish Mine Were That Glorious" und ich hab keinen Schimmer, was das soll. Auf jeden Fall klingt das wie eine sexuelle Anspielung auf einer höheren (niederen?) Existenzebene, auf die ich keinen Zugang habe... kannst Du mich bitte einladen, Uchikoshi? Ist es eigentlich ein Zufall, dass das Spiel sogar dem inneren Zwölfjährige einen eigenen Charakter in Form von Ota gewidmet hat (der eigentlich 24 ist)? Wie meta ist das bitte?!
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Es passieren einige recht grausame Morde, aber das kann man bei einem Spiel von den ZE Machern wohl erwarten. Die meisten relevanten Charaktere bekommen einen eigenen Arc, quasi einen der Äste vom Entscheidungsbaum, der sich mit ihrer Hintergrundgeschichte beschäftigt – da sind einige gute Geschichten bei. Insgesamt gibt der Cast nen sehr freundlichen und familiären Eindruck ab, und die Story in einer Stadt anzusiedeln ist eine schöne Abwechslung zu den Schauplätzen der ZE Reihe. Wie hätte man sonst so tolle Orte wie das Mermaid Cafe unterbringen können, wo die Männer, die viel bezahlen, wie Könige behandelt werden und Ota natürlich einen Stammplatz hat?!
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Besonders gefallen hat mir, wie mit Erwartungen gespielt wird, insbesondere auf die ZE Reihe bezogen. Gerade in einem der Storystränge wird ordentlich auf den Putz gehauen. Trotz der teilweise irrsinnigen Szenarien bleibt die Gesamtgeschichte erstaunlich bodenständig, selbst wenn man das Somnium mit einbezieht. Am Ende ist sie auch gut verständlich – inklusive Motivationen der Akteure. Etwas negativer könnte man auslegen, dass dies eine der herkömmlicheren Stories von Uchikoshi ist. Meiner Meinung nach harmoniert hier aber am Ende von dem weirden Kram schon viel miteinander - mehr Weirdness hätte vielleicht den Rahmen gesprengt und das ganze Ding wär explodiert
Neben Aiba ist Iris das andere Covergirl, und sie besticht definitiv durch ihre positive Einstellung und ihr Song (auf englisch: Invincible Rainbow Arrow) ging mir erst tierisch auf den Sack. Seltsamerweise habe ich ihn dann im Abspann sogar so sehr liebgewonnen, dass er jetzt in meiner Playlist ist! Die englische Version vom Song hat absolut bekloppte Lyrics – diese sind zwar auf Englisch und die einzelnen Sätze ergeben auch Sinn, aber ich hab trotzdem keine Ahnung, was der Inhalt sein soll. Selbst wenn man mit japanischer Synchro spielt kommt übrigens am Ende der englische Song (interessanterweise war das auch bei Zanki Zero so – Lizenzprobleme?).![]()
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Eins muss ich zugeben: die Kameraeinstellungen und Cuts von dem Musikvideo sind ziemlich gut gemacht und die Charaktere scheinen über ein einheitliches Skelett zu verfügen, was jedem die gleichen Bewegungen erlaubt. Auf jeden Fall ist der Tanz sehr synchron und macht insgesamt einfach Spaß. Definitiv ein gebührender Abschluss für das Game!
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Um noch mal auf die Grafik zu sprechen zu kommen. Die Modelle sehen gut aus und bewegen sich größtenteils auch so. Insgesamt haben mir die Gestiken und Mimiken gefallen, auch wenn es einige seltsam steife Bewegungen gibt (manchmal kann Aiba echt creepy aussehen!). Ein paar Charaktere fallen da raus, denen man einen speziellen Artstyle gegeben hat (Otas Vater, Taxifahrer). Seltsamerweise alles Männer, die Frauen sehen alle top aus - aber das ist bestimmt nur ein Zufall! Hintergründe sind recht detailiert mit vielen Sachen, die man anklicken kann. Es gibt aber auch nur wenige Locations im Spiel, von denen ein paar auch nur die oben erwähnten Lagerhallen oder Docks sind. Im Somnium hätte ich mir ehrlich gesagt mehr abgespaceten Kram gewünscht. Insgesamt ist das Spiel kein Augenschmaus, aber bis auf ein paar Ausnahmen hat es mich auch nicht groß gestört.
Der OST hat mir ganz gut gefallen und hat ein paar sehr schöne Stücke. Shrine sticht da hervor oder das Main Theme. Auch ein paar der Somnium Stücke sind gut, z.B. das hier. Über den Ending Song muss ich ja nicht mehr sprechen, so cringe aber irgendwie doch so gut *g*
Vielleicht ein kleiner Shoutout zur englischen Synchro, die, soweit ich das gehört habe, recht brauchbar zu sein scheint (habs selber auf Japanisch gespielt).
Fazit: Insgesamt denke ich wirklich gerne an das Spiel zurück. Es hat im Prinzip alles, aber allen vorran ist es ziemlich trashig mit sehr charmanten Charakteren und gut geschriebenen Dialogen. Der Banter zwischen Date und den anderen Leuten hier im Spiel ist toll, gerade wenn Mizuki dabei ist. Das Spiel ist auch sehr lustig, wobei der Humor öfter schon Fremdschämcharakter hat. Hier muss das Übersetzerteam absolut gelobt werden, denn es war sicher nicht einfach, das zu lokalisieren! Die Story ist verständlich und macht zu einem Großteil Sinn. Uchikoshi hat hier ein Gesamtwerk abgeliefert, was funktioniert hat, obwohl es das vielleicht nicht sollte. Der viele Schlock, sexuelle Anspielungen und häufige Stimmungswechsel könnten es für einige zu einer Geduldsprobe machen. Wenn man damit keine Probleme hat ist das Spiel gerade Fans der ZE Reihe zu empfehlen, weil es in gewisser Weise ein "safes" (aber NSFW!) Projekt ist.
Letzteres ist vielleicht auch mein abschließender, indirekter Kritikpunkt: es ist irgendwie mehr vom gleichen. Die Danganronpa-Macher haben mit Zanki Zero gezeigt, dass sie echt was ganz anderes können, da wirkt das Spiel schon fast kleinspurig gegen. Ist aber viel einfacher zu empfehlen. Und man merkt beiden Spielen an, dass die Entwickler Spaß daran hatten, sie zu entwickeln, und viel Herz drinnen ist!
Ein paar spoilerige Ideen: