Kapitel 4

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Wer das Gamescript überfliegt, bemerkt, dass es ständig Variationen hat, wenn Charaktere gestorben sind
Dieser Trend wird fortgeführt. Shinon kommentiert Ike zu Beginn des Kampfes, je nach Schwierigkeitsmodus gibt Soren Hinweise, Rhys ODER Titania finden Elincia und nach den Kampf kann um die gestorbenen bzw. lediglich verwundeten (Titania, Soren) Einheiten lamentiert werden. Für meine Beobachtungen hier ist es aber müheselig, auf jede Veränderung hinzuweisen und jeden Effekt daraus herzuleiten, um das Spiel wiederholt zu loben, weshalb ich mich künftig da zurückhalten will. Ich meine, dass es im Laufe des Spiels ohnehin abnimmt.

Dieses Kapitel beginnt die Handlung, stellt uns Soren vor und gibt uns ein kleines Gefecht. Letzteres ist erstaunlich trivial und belanglos. Die Soldaten Daeins greifen aus geringen Grund an und die Söldner verteidigen sich. Rein zahlenmäßig stellen die Soldaten eine größere Bedrohung dar, als die bisherigen Banditen, aber Ike ist von den drei besten Söldnern unter Greil flankiert und obendrein sind noch Rhys und Soren in der hinteren Reihe, weshalb es schlüssig ist, dass seine Truppe siegreich hervorgeht. Beiläufig wird erwähnt, dass Ike erstmalig das Kommando über die anderen Söldner hat, weshalb wir gewissermaßen ihn spielen, wenn wir per Cursor ihn und die anderen Einheiten kontrollieren. Das ist in Fire Emblem oft ungeklärtund manchmal gibt es extra Strategen, die diese Aufgabe übernehmen. Hier wird es später auch durch Sorens Berichte bestätigt, dass jede Handlung innerhalb der Kapitel auf Ikes Befehlen fußen. Jill greift nicht ihren Vater an oder redet mit ihn, Ike gibt ihr den Befehl dazu. Keine Einheit ist eigenständig und handelt selbstständig. Das ergibt zwar in der Handlung wenig Sinn (wie kann Ike meilenweit entfernte Einheiten Anweisungen geben), ist eben überwiegend eine Gameplaysache, die es zu akzeptieren gilt. Das Spiel funktioniert sonst nicht.


Soren

Ich habe nicht viel für ihn übrig, was als Reaktion auf seine übermäßige Beliebtheit im Fandom begründet ist, die sowohl seinen Charakter in den Himmel loben als auch seinen Nutzen im Gameplay weit überschätzen (letzteres kratzt mich besonders). Als ich 2006 in Pokeforen im Netz war, waren dort Emos und Sasuke unter uns Teenies ganz große Nummern und Soren reitet auf dieser Welle mit. Mädchen (also jedes einzelne) lieben seine Boyslove mit Ike und genügend männliche Außenseiter haben sich mit ihn identifiziert. Aber das ist nur meine Wahrhnehmung, wie sieht es im Spiel aus? Sein einziger Support trägt viel zu dick auf und versucht zu sehr auf die Tränendüse zu drücken. Er hat keine Eltern, seine Pflegemutter liebt ihn nicht, sein Mentor nutzt ihn aus, er kann nicht kommunizieren, er ist gebrandmarkt, er hat keine Freunde, Ike wird ihn verraten, niemand liebt ihn. Die Grenze des zumutbaren Mitleids zu jemanden zwischen der unaustehlichen Selbstmitleidung wird schnell überschritten und ein Teil seines Lebens ist bei weitem nicht so dramatisch oder tragisch, wie er sich ausmalt. Ike, Greil, Titania, Mist, Rhys, Oscar, Boyd, Rolf halten seit Jahren zu ihn und geben ihn ein Zuhause und Arbeit, da gibt es weitaus ärmere Schweine auf der Welt, ob in dieser oder in Tellius. Und für eine so bestialisch schreckliche Kindheit hat er sich ziemlich gut entwickelt. Weniger Melodrama hätte Sorens Charakter gut getan. Falls Ike schon an andere Partner vergeben ist, gibt es noch die Spar-Variante mit Stefan, der uns am Ende ebenfalls mitteilt, dass Soren Branded ist. Neu ist, dass er auf die hervorstehendste Art des Anderssein hinweist, das langsamere Altern. Aber selbst hier bietet er sofort die Lösung: Sobald Soren einen neuen Lebensabschnitt beginnen will, kann er das in Stefans Dorf tun. Man kann also nicht mal mit der Aussichtslosigkeit argumentieren, die Soren später angeblich erwartet.

Mit Soren reiße ich zum ersten mal den Rassismus in Telius an, der in der Handlung nicht gut umgesetzt wird, weil er zu schwarz-weiß und einfach beschrieben wird. Sorens Problematik, die am Ende auch keine Problematik mehr ist, ist ein Beispiel dafür, aber ich greife wieder sehr voraus.

Wisch ich meine Vorbehalte beiseite, zeichnet sich in diesem Kapitel aber ein ganz anderes Bild. Soren verhält sich vollkommen normal und wird von jeden normal behandelt. Er agiert sachlich, besonnen und unauffällig, lediglich zwei seiner Bemerkungen fallen aus den Rahmen, woraus aber niemand ein Drama entwickelt. In diesen Kapitel und wahrscheinlich auch in den weiteren ist er ein weitgehend normaler Charakter, den mich weder ermuntert noch nervt. Vielleicht ruiniert ihn erst FE10, wahrscheinlich ist Soren aber ein passabel gestalteter Charakter, gut funktionierender Gegenpart für Titania und Berater für Ike, dessen Hintergrund zwar verflochten und melodramatisch ist, aber auch nur ein bisschen. Wirklich verzerrt haben ihn eine lautstarke Minderheit von Fans.


Kommen wir zuletzt zur Handlung. Erst im übernächsten Kapitel wird ein allwissender Erzähler eingeführt, der mittels Landkarte den Spieler (nicht Ike) die Ereignisse beschreibt. Hier erfolgt dies durch Soren, der direkt zu Ike, Greil und den anderen spricht. Er klärt die anderen über den eingetretenen Krieg auf und dann tut Greil etwas, das Mr. Plinkett erst kürzlich hervorgehoben hat (wem es interessiert: 23:10 bis 24:24): Er entscheidet nicht oder denkt off-screen darüber nach, sondern er fragt erst nach Meinungen. Das gleiche passiert auf ähnliche Weise in Kapitel 5, wo er alle Mitglieder fragt und nicht nur Soren und Titania. Titania antwortet ethisch, Soren pragmatisch. Keiner der beiden liegt per se richtig oder falsch. Die "richtige" Antwort ist noch nicht bekannt, da man weder weiß, ob Crimea Daein zurückschlagen kann, noch wie Daein mit sich neutral verhaltenen Söldnern umgeht. Greil entscheidet immer noch nicht, legt sich nicht fest und beauftragt alle, mehr Informationen zu sammeln.
In anderen Teilen wird nach Einfall der Katastrophe meistens direkt zu den Entscheidungen gesprungen und die Verhandlungen fanden oder finden off-screen statt, weshalb diese Lagebesprechung vergleichsweise ungeheuer seriös wirkt und Greil wie der kompetenteste Anführer der Serie aussieht. Ist nicht so, ist aber das Ergebnis von zeigen, nicht erzählen.


Oh und wir finden Elincia, aber das und die Fortsetzung der Lagebesprechung findet am Anfang des nächsten Kapitels statt, weshalb ich es dort hin schiebe.



Kapitel 5


Das letzte Kapitel endete mit der Auflesung Elincias. Dabei nannte Soren die andere seiner zwei Äußerungen, auf die ich hinwies. Die erste bezog sich auf den künftigen Umgang der Söldner mit Daein und Crimea und ob man sich am Krieg beteiligen soll oder nicht. Diese Entscheidung ist von enormer Bedeutsamkeit für das Leben der Söldner. Im Kontrast dazu wird hier die Frage gestellt, wie man mit der ohnmächtigen Elincia verfährt (ausgehend davon, dass sie eine Gemeine ist). Diese Entscheidung ist langfristig unwichtig und betrifft ein einzelnes unbedeutendes Leben. Es festigt den Charakter von Soren und den anderen, da sie ihre Ansichten nicht nur in großen, sondern auch kleinen Belängen vertreten und dass ihre Ansichten und Wertesysteme überhaupt existieren und gezeigt werden.

Vergessen habe ich den Umstand, dass Shinon von den Toten klaut, denn die Szene kommt aus den nichts und hat mit den restlichen Kapitel wenig zu tun. Man möge mich über Kriegsethik aufklären, ich finde das nämlich völlig akzeptabel und sehr sinnvoll und verstehe nicht, warum andere, selbst Soren, dass verteufeln. Die Hinterlassenschaften würden verkommen oder vom Feind aufgelesen werden, eigene Ressourcen sind knapp. In Fire Emblem kann man Gegner beklauen, sie hinterlassen Items (soll man jetzt sämtliche Drops wegwerfen, weil es unehrenhaft ist?), man kann Schatzkammern plündern. In Kapitel 19 bereichert sich Ikes Armee und warum soll sie es auch nicht tun? Das einzige schlüssige Argument in dieser Situation ist, dass sie es eilig und keine Zeit dafür haben, aber ein Heilmittel mitgehen zu lassen, scheint mir nicht so lange zu dauern. Die Szene soll Shinons Rücksichtslosikeit und Pragmatik demonstrieren, aber für mich kommen stattdessen die anderen Söldner, die wohl nobel und gut sein sollen, blöd vor.


Jedenfalls wird Elincia gerettet und zufällig ist sie Prinzessin Crimeas. Ich hätte es besser gefunden, dass Elincia gezielt die Söldner aufsucht und um Hilfe bittet, weil die gesamte Handlung nur wegen diesen glücklichen Zufall zustande kommt.
Elincia entspricht den Rollen früherer entmachteter Prinzessinen wie Nyna und Guinevere, aber kurioserweise auch den Lord. Ike entspricht dieser Lord-Rolle nicht, er hat im Moment nichts verloren. Es ist Elincia, die ihr Königreich verloren hat und im Laufe des Spieles eine Armee aufbaut, um es am Ende des Spieles als Thronfolgerin zurückzuerobern. Es wäre etwa so, als hätten Ogma, Dieck oder Gerik die Hauptrolle und sind im Fokus der Handlung, während Marth, Roy und Ephraim Nebencharaktere sind. FE9 verschiebt so den Fokus der adeligen Regenten, die darum hadern, wie sie zu regieren haben, und legt ihn auf die Gemeinen und einfachen Menschen des Volkes und wie sie auf die von Adeligen erzeugten Kriege reagieren und leben. Diese andere Perspektive bereichert das Spiel ungemein, da der Kontakt Ike zu Gemeinen, Dörflern, Händlern, Soldaten viel direkter und offener ist als bei einen Lord, der immer auf Abstand und Etikette angewiesen ist und sich nicht mit den Problemen des Großteils der Bevölkerung identifizieren kann. Den Lord als Nebencharakter zu delegieren, ermöglicht immer noch, seine Sicht-und Lebensweise und die politischen Intrigen mitzubekommen, gleichzeitig ist man viel effektiver darin, die Welt der Gemeinen zu beleuchten. FE9 ist auch deshalb so gut, weil es mehr und besser die unterschiedlichen Sicht-und Lebensweisen zu zeigen und vermitteln weiß. Dass fängt mit den Greil-Söldnern an, die nicht moralisch alle auf der selben Wellenlänge sind, geht über die politischen Ränkespiele über, wie die Konfrontationen Elincia mit anderen Regenten wie Caineghis oder Sanaki zeigen, und umfasst durch die vielfältige Cast, bestärkt durch Supports und Lagergespräche auch über die Kapitel-Intro und -Outro hinausgehende Konfrontationen zwischen Armen und Reichen, Gebildeten und Ungebildeten, Personen unterschiedlicher Nationen, Personen unterschiedlicher Rassen.

Jedenfalls wird Elincias Identität geheim gehalten, weil ein Erbstreit befürchtet wird. Zurecht? Und Elincia will nach Gallia fliehen, um Verstärkung oder Asyl zu fordern. Was von den beiden? Und sie flieht nach Gallia, wegen den guten Beziehungen zwischen ihren Vater und Caineghis. Warum nicht nach Begnion? Und ständen die Überlegenschancen der Söldner gut, wenn sie Elincia ausliefern und sich bei Daein einen guten Ruf verschaffen? Die Fragen stelle ich nicht, weil ich sie beantwortet haben will, sondern um zu zeigen, dass das Spiel eine passable politische Welt gebaut hat, wo es mehr als nur eine politische Handlungsmöglichkeit und jede Aktion Domino-oder Schneeballeffekte verursacht, die den einzelnen Charakter, sein Umfeld, seine Nation und die anderen Nationen betreffen können.

Die Daein Soldaten haben Elincia und die Söldner aufgespürt (gab es in Kapitel 4 etwa Überlebene? Hat Ena hellseherische Fähigkeiten?) und Greil fragt erneut nach der Meinung anderer und dieses mal wird jedes einzelne Mitglied gefragt, also gleichermaßen die Meinungen wichtiger und unwichtiger.
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“The blame for this war rests on Daein. If we ally ourselves with them,the company’s reputation will surely suffer. Conversely, if we deliver Princess Crimea safely, our stock will rise in the eyes of our primary employers. Our road is clear.”

“There’s nothing to think about. We must deliver the princess to Daein immediately.We are mercenaries. Our actions are dictated only by self-interest. If we want to ensure our future, we need Daein in our debt. They will win this war, after all, and nothing else serves us better.”

“Soren’s a pompous, superior whelp, but he’s got the right idea. Besides, the destination’s Gallia, so it’s a moot question. I don’t care how much we get paid; there’s no way under the sun I’m going to stinking beast country.”

“Princess Elincia…She does possess a certain regal beauty… There’s a lot to be said for that, you know. However I do prefer country girls…A bit cuter, and not quite so standoffish…Oh! Forget I said that.Whatever you decide is good for me, Commander. Yep, uh-huh, yep…”

“I agree with Captain Titania. If we turn the princess over to the Daein army, we’re essentially giving them permission to kill her.”

“I’m in favor of helping her. That’s what heroes are supposed to do.”

“I believe…that none of this hinges on whether she’s a princess or not. Refusing to aid someone in need is not something we should ever do. That’s what I think.”

“That’s right! Let’s help her!”

“Please! We have to help her!”

“I agree with Titania. I say we help her and take her to Gallia.”
Die Wirkung der Diskussion wird etwas dadurch entwertet, dass Daein ihnen sowieso keine Wahl stellt. Ansonsten gibt sie jeden Charakter die Chance, sich zu zeigen, verdeutlicht das Verhältnis innerhalb der Gruppe, welches auf Respekt basiert (jeder wird angehört, jedem wird zugehört), vermittelt unterschiedliche ethische, rassistische und politische Sichtweisen und wie in Kapitel 4 wirkt Greil damit einfach kompetent und vorbildlich. In vielen Handlungen werden sich solche Szenen gespart, Greil würde nicht fragen, sondern einfach bestimmen.


Ich bin schon in Kapitel 4 nicht auf das Militär Daeins eingegangen und ich tu mir dabei Mühe. Sie sind rücksichtslos und eindimensional bis zur Schwelle der Lächerlichkeit. In einen aggressiven Eroberungskrieg macht das zwar Sinn, nur gibt es halt handlungstechnisch nicht viel her. Man kann nicht die Moral und Werte des Gegners hinterfragen und mit denen der Helden vergleichen. Später gibt es ein paar mehr Momente und Gelegenheiten und die gegnerischen Kommandanten werden ein wenig mehr vermenschlicht und herausgearbeitet (in Kapitel 11 etwa), aber ich tu mir schwer, die guten Leute und Opfer in Daein in FE10 ernst zu nehmen, so wie es hier präsentiert wird. Eine Erklärung wäre, dass Ashnard seine Kommandanten entsprechend drillt und sie sich entsprechend erziehen und nach Kriegsende sind die meisten von ihnen tot oder verhalten sich still und in FE10 sieht man nur die einfachen Soldaten und Bürger, von denen keiner zu den eindimensional bösen Kommandanten in FE9 gehört.

Das Kapitel ist das erste Verteidigungskapitel und das erste von zwei(mehr nicht...) Kapiteln mit Nebel. Es erfüllt seinen Job, man kann sich recht einfach verkriechen und muss sich nur anstrengen, wenn man den Bossdrop haben will oder viel EXP sammeln will. Aufgrund der schlechten AI kann man das Kapitel leicht überstehen. Im Prinzip ködert man Schützen vor seinen Tanks, indem man fragile Einheiten hinter den Tanks stellt. Platzieren sich andere Soldaten hinter den Schützen, zieht man seine fragilen Köder im nächsten Zug zurück. Jetzt bewegen sich die Schützen nicht, weil sie die Tanks vor ihnen nicht anvisieren können und die Soldaten hinter den Schützen können wegen eben jenen auch nicht angreifen. Sie versperren sich gegenseitig den Weg! In späteren Teilen feilt man an der AI und solche Patzer werden seltener. Ich kann Awakening und Fates loben, wenn ich nur will.


Am Kapitelende organisiert Greil den Aufbruch. Alle teilen sich auf. Titania, Shinon und Gatrie sichern den Weg, Mistu, Rolf und Elincia verpacken Verpflegung, Greil und Rhys sichern Dokumente und verbrennen den Rest. Gerade, wenn so ein Detail wie letzteres erwähnt wird, vergesse ich für einen Bruchteil einer Sekunde, dass die Greil-Söldner nichts mit einer realen Söldner-Bande in der wirklichen Welt gemein haben und bin so sehr in der Welt Tellius eingetaucht, dass sie mich überzeugt. Es ist weniger so, dass FE9 realistisch ist, denn dass es versucht, realistisch zu wirken. Überall verstreut es Einzelheiten und eigentlich triviale Details des mittelalterlichen und militärischen Lebens. Ob darüber, dass Shinon eine Leiche plündert oder dass Greil Unterlagen verbrennt. In solchen Momenten nehme ich FE9 ernst, was ich in Fates keine Sekunde tun konnte.