Wobei das, denke ich, ein anderer Aspekt ist, nämlich erlernte Hilflosigkeit, die durchaus ein Hauptaspekt bei vielen Ausprägungen von Depressionen darstellt. Rumination im Rahmen von Depressionen ist eher ein ständig unabgeschlossener Analyse-Prozess negativer Erfahrung; es kommt in diesem Sinne also nicht einmal zu der letztendlichen Feststellung, man sei hilflos oder unfähig, es kommt (zumindest "bewusst") nicht mal zur Anwendung der negativen Erfahrungen auf aktuelle Situationen. Beim Ruminieren schreitet man die negative Erfahrung immer und immer wieder ab, inklusive der damit verbundenen Emotionen, kommt von Hölzchen auf's Stöckchen, was passierte davor, was danach, wie hing das zusammen, was hat sich ähnlich angefühlt, was hat noch dazu beigetragen, warum ist das passiert. Das (sorry) "Krankhafte" daran ist diese ständige Unabgeschlossenheit: das negative Erlebnis bleibt immer mit derselben negativen Qualität 'erfahrbar', so als wäre es ein aktuelles Erleben. "Normales" Grübeln macht das Erlebnis quasi historisch, es schließt die Erfahrung irgendwie ab. Das kann man vielleicht annähernd veranschaulichen an gedanklicher Streitführung unter der Dusche, wo man also einen mal geführten Streit gedanklich weiterführt oder einen möglichen Streit gedanklich vorbereitet/durchgeht. Im "Normalfall" werden dabei die negativen z.B. emotionalen Qualitäten neutralisiert, der gedankliche Streit wird zu sowas wie einem Ende gebracht oder sozusagen nachträglich korrigiert. Daraus resultiert eine Lernerfahrung etwa für zukünftige Streitsituationen oder die Einsicht, dass man argumentativ unter- oder überlegen ist etc. Selbst ein resignierter Abbruch des gedanklichen Streits stellt eine Art des Schlussprozesses dar, man entscheidet z.B., dass das "Weiterstreiten" keinen Zweck hat.
(Zwanghaftes) Ruminieren im Rahmen von Depressionen (aber nicht nur in diesem Rahmen) würde z.B. eine als sehr belastend erlebte Streitsituation höchstens ansatzweise derart weiterführen, was viel stärker passiert ist das nochmalige Erleben der negativen Empfindungen inklusive von allem, was dazu geführt hat und was daraus folgte etc.pp. Die grübelnde Person ist dann überhaupt nur schwer dazu in der Lage, den Grübelprozess irgendwie abzubrechen, die nacherlebten Emotionen lassen sich nicht neutralisieren, wenn man endlich aus dem Grübelprozess ausgebrochen ist, ist die analysierende Verarbeitung unabgeschlossen, die Erinnerung behält quasi weiterhin den Tag "noch zu bearbeiten". Und so fressen die negativen Erfahrungen eben ein großes Stück geistige Verarbeitungskapazität auf und verselbstständigen sich.
Das hat alles viel mit erlernter Hilflosigkeit zu tun und befördert sie ganz maßgeblich. Das besonders Schlimme an dieser Form der Rumination ist aber, dass ihr keine "echte" Spirale des Scheiterns zugrundeliegt, man scheitert nicht immer wieder an verschiedenen alltäglichen und unalltäglichen Situationen: man scheitert immer wieder an demselben negativen Erlebnis und allem, was mit ihm zusammenhängt. In einer etwas weniger kognitivistischen Perspektive als im Video (Stichworte episodic und working memory) könnte man sagen: Die Erfahrungs- und Empfindungsarmut Depressiver halt viel damit zu tun, dass negative Erlebnisse und Empfindungen nicht abgeschlossen und als geschlossene Episoden in der eigenen mentalen Vorgeschichte eingepflegt werden können, sie bleiben ständig potentiell mental präsent und für das erneute Nacherleben verfügbar.
Oder kurz gesagt: Es wird unmöglich zu sagen "Oh Gott, war das scheiße, ein Glück, dass ich das überstanden habe.", es bleibt bei einem "Oh Gott, ist das scheiße, wie kann ich das nur überstehen?" Ein Großteil der erlernten Hilflosigkeit resultiert daraus: Wie kann ich diese neue Situation meistern, wenn ich noch nicht mal die andere bewältigt habe, die mir zudem immer noch kognitive Energien raubt?
Was dann die Frage der Abgrenzbarkeit bzw. ob erlernte Hilflosigkeit / negatives Denken nicht einfach eine sozusagen "logische" Folge von gehäuften negativen Erfahrungen ist: Die Depression oder Angststörung beginnt vermutlich unter anderem genau dort, wo diese Erfahrungen nicht mehr neutralisiert und quasi in ein Lehrreiches überführt werden können. Die Angststörung unterscheidet sich dabei von der Depression besonders darin (ganz oft geht aber beides mindestens in einem gewissen Maße miteinander einher, mind you), dass die negativen Erfahrungen auf zukünftige Erfahrungen projiziert werden -- das ist eben der Angstaspekt. Eine psychisch (wieder sorry) "gesunde" Person würden die vielen Rückschläge natürlich auch arg belasten und sicherlich missmutig bis depressiv verstimmen. Sie wäre aber nach und nach in der Lage, mit den Erlebnissen abzuschließen, daraus eine Art strategischen Nutzen zu ziehen. "Ich nehme kein Wasserglas mehr in die Hand" wäre genaugenommen auch eine, wenn auch keine sehr "gesunde", da in diesem Sinne "ängstliche" strategische Folgerung aus ständigem Scheitern am Wasserglas. Hier wieder die Scheidung von der Depression (wie gesagt, Angststörung und Depression gehen oftmals miteinander einher): Da fällt nicht die Entscheidung, kein Wasserglas mehr in die Hand zu nehmen, es wird viel eher nur schwer erträglich bis unmöglich zu bewältigen, ein Wasserglas in die Hand zu nehmen.





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