Nicht mein bestes Werk, aber es war nett, mal wieder zu schreiben. Ich hoffe, es gefällt. Coyolxauhqui NINA zu downloaden war eine schlechte Idee gewesen. Wenn mal etwas ernstes passiert, bin ich bestimmt gerne gewarnt, aber es funktioniert nicht. Der Bund hat keine Ahnung, was er tut. Ständig gibt es Testwarnungen, nachdem wieder einmal ein grober Fehler im Programm beseitigt wurde. Dass die App sich nicht stumm stellen lässt, ist eine ihrer besseren Funktionen. Das Summen des Handys reißt mich aus dem Schlaf. Ich spüre es an meiner Wange, obwohl ich es zum Schlafen weit von mir weggelegt habe. Der Schein seines Displays blendet mich in der Dunkelheit meines Zimmers. Die Worte darauf ergeben keinen Sinn für mich. Vier Symbole sind am unteren Teil der Leiste, auf der der Name meiner Stadt steht. Auch unter der Stadt in der meine Eltern leben und der, wo meine Universität steht. Dasselbe Warnsymbol ist bei allen orange unterlegt, rechts neben dem Symbol für Überschwemmungsgefahr. „Sehen Sie nicht in den Nachthimmel. Meiden Sie jeglichen Blickkontakt mit dem Mond. Weitere Anweisungen folgen.“ Ich kneife die Augen zusammen. Lege mich auf die andere Seite und schließe sie. Ich muss weniger arbeiten. Vielleicht habe ich mich mit den Modulen dieses Semester übernommen. Eine Warnung vor dem Mond bei NINA. Was für ein Blödsinn. Erneut summt das Handy. Dieses Mal bin ich definitiv wach. Ich spüre, wie das Blut durch meinen Kopf fließt, das Stechen des Scheins meiner Nachtti•••••••• in den Augen. Ich rieche den leichten Muff meines Zimmers und schmecke ein klein wenig Blut im Mund – nächtliches Zähneknirschen. Mein Arzt sagt, dass das ein Ausdruck von Nervosität ist, aber ich bin kein nervöser Mensch. 200 ungelesene Nachrichten. Spätestens jetzt bin ich wach. Whatsapp zeigt mir Namen und Gesichter meiner Familie, meiner Freundin. Da sind Leute, mit denen ich seit Ewigkeiten nicht geschrieben habe und einige neue Kontakte, fremde Gesichter und gesichtslose Nummern. Ein Text pro Nummer, egal ob fremd oder bekannt. „Hey. Schau' nach oben zum Mond. :)“ Jede Nachricht. Manche auf Deutsch, manche auf Englisch, einige wenige auf anderen Sprachen. Aber immer dieser Smiley. Und vermutlich derselbe Inhalt. Hunderte Male. Direkt gegenüber von meinem Bett ist ein Fenster. Ich könnte es auf machen. Sehen, was da los ist. Was würde ich sehen? Hunderte von Menschen auf den Straßen, gebannt auf den Mond oder ihr Handy starrend? Eine Invasion, ausgehend vom Mond, die die Menschheit übernehmen soll? Wer hat diese Warnnachricht abgesetzt? Ohne mir zu viele Hoffnungen zu machen, schreibe ich zurück. Meine Freundin ist um diese Zeit sonst nie auf, aber heute um 3:15 hat sie an mich gedacht. „Hey. Schau' nach oben zum Mond. :)“ „Warum?“ Ich bin kein Mann vieler Worte. „Es ist einfach eine schöne Nacht. :)“ „...wat? Bist du high oder sowas?“ „:)“ „Das reicht jetzt.“ Ich rufe an. Es klingelt. Einmal. Zweimal. Dreimal. Sie nimmt nicht ab. Ihre Mailbox springt an, sie klingt wie immer. Fröhlich, ein klein wenig gehetzt. Ich war dabei, als sie diese Mailboxnachricht aufgenommen hat. Ganz leise hört man mich im Hintergrund. Ich lasse die Mailbox nicht ausreden. Versuche, andere Leute an zu schreiben. Kein Ergebnis. Sie sind ähnlich kommunikativ. Egal ob Deutsch, Englisch, das bisschen Französisch was ich kann oder Copy and Paste einzelner Wörter mit Fragezeichen dahinter. Alle antworten per Text in wenigen Sekunden, immer mit diesem Smiley dahinter. Der Sprache nach zu urteilen ist es bei einigen nicht einmal Nacht. Die Nachrichtenseiten sind tot. Kein Wunder, wahrscheinlich schauen sämtliche Journalisten zum Mond. Die Verwirrung in Internetforen ist groß, aber keiner, der ankündigt zum Mond zu schauen, meldet sich wieder. Jemand auf 4Chan hat die geniale Idee gehabt, eine Drohne rausfliegen zu lassen. Er streamt seine Vorbereitungen live, wie er eine Kamera auf das Gerüst montiert, eine kurze Flugprobe macht. Der Twitchchat rastet förmlich aus. Ich gehe kein Risiko ein und klebe den Videofeed selbst mit Folie ab, bis ich sicher bin, dass Bits und Bytes vor diesem Effekt schützen. Dass mir keiner ein Foto vom Mond geschickt hat, überzeugt mich nicht. Tips und Subs prasseln auf den anonymen Streamer ein. Wenn das hier vorbei ist, ist er ein reicher Mann. Einer, der den Mond ebenso wenig sieht wie wir anderen. Die Mondunsüchtigen. Die Drohne fliegt los. Ihre Rotoren surren leise, der Chat amüsiert sich. „We're getting mooned.“ Das Geräusch von neuen Abos. Das Surren von Rotoren. Wind, der auf ein nicht gerade hochqualitatives Mikrofon trifft. Der Chat verstummt, aber nicht lange. „What the fuck is that?“ Kein Twitchkommentar, sondern die entgeisterten Worte des Drohnenpiloten, der über Mikrofon mit seiner Konstuktion verbunden ist. Der Chat rastet aus. Keine Smileys. Die Folie ab zu reißen ist kein Problem. Das Bild der Drohnenkamera ist undeutlich, verwackelt, aber ich erkenne es trotzdem. Da ist kein Mond mehr. Es ist ein Kopf. Der abgeschlagene Kopf einer Frau schwebt übergroß am Himmel. Behangen mit Federschmuck, die Zunge herausgestreckt wie ein totes Tier auf der Schlachtbank. Doch ihr Blick ist lebendig. Sie sieht auf uns herab. Aber was sieht sie? Ameisen oder Kinder? Lebende Wesen oder Spielzeug? Ich öffne das Fenster. Kalte Nachtluft strömt mir entgegen. Meine Augen sind geschlossen, aber ich sehe trotzdem alles ganz deutlich. Da unten steht mein Auto, der alte Peugeot, in der Garagenauffahrt. Daneben die anderen Garagen. Der kleine Garten. Sieht sie all das? Wird sie mich sehen? Ich öffne die Augen. Die Welt sieht anders aus. Nicht in silbernes, sondern in dunkel-hautfarbenes Licht getaucht. Es ist ein Anblick, an den ich mich gewöhnen könnte. Tlein pano, tlein pano? Tlein pano, macamo xiquiza, nimitztlatlauhtia, ma xinechtlapohpolhui Nonantziné! Es. Es ist. Nimitztlazohtla. Es ist einfach eine schöne Nacht. Sieh' nach draußen. :) Nachtrag: Rückmeldung ist mir natürlich immer willkommen.
--酒は百薬の長。
Geändert von Asmael (04.11.2018 um 18:44 Uhr)
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