@maniglo93:
Genres konventionalisieren sich nicht über Gefühle, die sie vermitteln oder vermitteln wollen. Sondern über ihre Struktur, über Themen, Stoffe, Motive, über Perspektiven. Deshalb gibt es so viele Krimis ohne Kriminalfälle. Die Angst, die ich bei Horrorfilmen nicht empfinde, sollte kein Beweis sein. Ich wollte lediglich bezeugen, dass ein Horrorfilm nicht ängstigen muss, um als Horrorfilm unterhalten zu können.
Angst ist ein ganz gut erforschter Mechanismus. Man kann ihn von Ekel, morbider Neugier und anderen düsteren Gefühlen abgrenzen - all diese Gefühle kann Horror auslösen und ja, was mich ekelt oder entsetzt, kann andere ängstigen. Aber dadurch und weil Angst provoziert werden muss, kann sie kein Definitionskriterium von Horror sein. Sie kann sein Ziel sein, daran lassen sich Wirkung und Qualität eines Werks bewerten.
Sucht man nach den Wurzeln des Horrors, wird man vielerorts fündig. Alpträume, Religion und Mythen - alles kann Angst machen. Aber konkretere Wurzeln des Horrors liegen bei Horace Walpole, der mit "Das Schloss von Otranto" den ersten Schauerroman geschrieben hat. Ähnlich wie später Edgar Allen Poe, stand der in einer anderen Denktradition als seine Nachfolger. Auf Walpole folgten die dunklen Romantiker, "Dracula", "Frankenstein", "Jekyll and Hyde". Mit ihnen hat sich die Schauerliteratur zu einem Genre konventionalisiert. Angst ist in all diesen Werken ein Thema, aber Angst als Thema und Angst als Ziel beim Leser, das ist zu unterscheiden. Da bin ich bei PeteS. Insbesondere, wenn es um zeitgenössische Ängste geht, die heute nicht mehr akut sind. Filmemacher, Spieleentwickler und Autoren modernisieren deshalb Mythen, um das Phantastische wieder zeitgenössisch zu machen. Das klassische Monster Frankensteins ängstigt nicht mehr viele Erwachsene, weil die Fragen, die es ursprünglich aufgeworfen hat, weitestgehend beantwortet sind. Abgestoßen fühlt man sich von dieser Kreatur trotzdem und Abscheu ist ein ähnlich wirksames/wirkendes Mittel wie Angst.
Ich glaube nicht, dass wir weit auseinanderliegen. Während du sagst, dass Angst Teil der Struktur von Horror ist, sage ich, dass die Struktur von Horror das ist, was ihren Inhalt beängstigend machen kann.
@Pacebook:
Halloween wäre wahrscheinlich ein Thriller, wenn Michael Myers nicht übermenschlich stark und unkaputtbar wäre und sich nicht praktisch teleportieren könnte. Diese phantastischen Elemente machen es zu Horror. Wenn die Figuren sich nicht wundern würden, warum er all das kann, dann wäre es wohl ein Fantasy-Thriller.
Aber stimmt, das Beispiel ist nicht so gelungen, weil es sich, glaube ich, in der Natur des Phantastischen von deiner Idee unterscheidet. "An Occurence at Owl Creek Bridge" (stellvertretend für "Silent Hill" und Co.) ist passgenauer, weil das Phantastische darin den Alltag transformiert. Bleiben wir mal bei "Silent Hill" - Teil 4 hat die Transformation am konsequentesten gezeigt. Der titelgebende Raum scheint ganz normal - die Hauptfigur kann ihn anfangs nur nicht verlassen. Graduell transformiert der Raum sich in die phantastische Parallelwelt. Aus dem Restspiel herausgetrennt, könnte ein Werbefachmann das als ein Drama verkaufen, vielleicht als Neuinterpretation von Hitchcocks "Das Fenster zum Hof".
"Silent Hill" wird häufig mit den Werken David Lynchs verglichen. Die haben alle eine horrorähnliche Stimmung, weil sie sich an den Surrealismus anlehnen, der in maniristischen Alptraumbildern einen Vorläufer hat. Bei David Lynch ist es schwierig, den Alltag vom Phantastischen zu trennen. Horrorfilme sind das trotzdem nicht, sondern Kunstfilme, weil sie keinen Konventionen folgen.
Man müsste, wie Kelven andeutete, tatsächlich fragen, ob dein Spiel noch Horror wäre. Als Genre muss Horror Konventionen einhalten, sonst wäre er kein Genre mehr. Jedes Genre ist eine Schablone und wenn Cineasten oder Literaturliebhaber auf die Überlegenheit nicht-trivialer Werke hinweisen, dann eigentlich immer mit dem Anspruch, dass sie unkonventionell sind. Nur dadurch unterscheiden sie sich von Genrewerken. Dein Spiel wäre wahrscheinlich eher ein Kunstspiel mit Horrormotiven.