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#01: Momotarou: Sacred Sailors (Momotarou: Umi no Shinpei 桃太郎 海の神兵, 1945) // Regie: Mitsuyo Seo // 72 Minuten

Hintergrund
Dieser Film hat eine ganz besondere historische Rolle und ist sowohl für das Medium Anime als auch für die japanische Geschichte im Allgemeinen sehr interessant. Es handelt sich hierbei nämlich um den ersten japanischen abendfüllenden Anime-Film (China war etwas schneller) und einen Propaganda-Film, der im Auftrag der japanischen Marine produziert und zum Ende des zweiten Weltkriegs veröffentlicht wurde. Nach Japans Niederlage wurde der Film auf Anweisung des Regisseurs verbrannt und galt einige Jahrzehnte als verschollen, bis ein Exemplar in den 80er Jahren in einem Lagerhaus wiederentdeckt und mittlerweile sogar remastert wurde. Mittlerweile wurde er unter anderem in den USA und Großbritannien veröffentlicht.
Erwartungen
Ich habe einen aufwändig animierten, historisch interessanten Kinderfilm, der Japan glorifiziert und die Amerikaner als dumm und böse darstellt, erwartet. Weltkriegs-Propaganda halt.

Eindrücke
Beim Thema Weltkriegs-Propaganda denke ich zunächst an hetzerisch-rassistische Plakate, wie sie in Deutschland damals aufgehängt wurden. Momotarou ist aber zunächst tatsächlich ein relativ klassischer Kinderfilm, der das friedliche Zusammenleben anthropomorpher Tiere darstellt, die die Japaner verkörpern sollen. Lustigerweise auch solche, die nicht in Japan beheimatet sind, wie Elefanten und Nashörner. Zwar wird das Thema Krieg durchaus auch in der ersten Hälfte angesprochen, doch eher beiläufig.
Der ganze Film wirkt eher wie ein verspieltes Abenteuer. Die Tiere spielen zusammen, gehen zur Schule, eins fällt mal in einen Fluss und muss gerettet werden, danach wird das (japanische) Alphabet gelernt. Zwischendurch immer wieder Musical-Einlagen. Sehr klassisch. Schön flüssig animiert mit schönen Hintergründen, die auf Glas entstanden sind. Ein konventionell wirkender und recht aufwändig umgesetzter Zeichentrickfilm. Wären da nicht die Kriegsflugzeuge, Pistolen und Kanonen. Als Momotarou – übrigens der einzige Mensch auf Seiten der Japaner – dann mit seinen tierischen Gefährten zum Angriff übergeht und die Amerikaner quasi spielend einfach zur Kapitulation bewegt, wirkt das schon ein wenig grotesk. Aber der Film stellt es wie einen ganz natürlichen Handlungverlauf dar.

Die Darstellung der Amerikaner ist freilich wenig schmeichelhaft. Hässlich und mit großen Nasen, stotternd, dumm und feige – so werden sie hier dargestellt. Lustigerweise sprechen sie aber besseres Englisch als die englischen Figuren in modernen Animes. Historisch gesehen stellt der Film eine reale Schlacht nach: die „Befreiung“ Niederländisch-Indiens (mehr dazu hier). In echt war die Schlacht für die Japaner sehr verlustreich, wird aber im Land durchaus als Propaganda für einen erfolgreichen Einsatz genutzt. Freilich merkt man die Propaganda auch an vielen anderen Stellen. Momotarou wird als Held gefeiert, der Film ist voll von Marine-Zeichen und japanischen Flaggen und Japan wird als harmonisches und rechtschaffenes Land gefeiert. Mit dem klassischen Momotarou-Märchen hat die Handlung wenig zu tun, allerdings wird die Insel, die Momotarou und die anderen angreifen, Onigashima (Insel der Dämonen) genannt, was dem Hort des Bösen im Märchen entspricht.
Hat mir der Film gefallen? Erstaunlicherweise war er tatsächlich ganz unterhaltsam. Es passiert immer was, die gesungenen Lieder muten sehr klassisch Japanisch an und sind durchaus schön. Der Film ist voll von flüssigen Bewegungen und wurde mit mehr Frames animiert als moderne Animes. Natürlich ist die Handlung unfokussiert und offensichtlich hanebüchenes Propagandamaterial. Zweifelsohne also kein erzählerisches Meisterwerk. Doch rein handwerklich handelt es sich um einen beachtlichen Animationfilm, der von der Größe der Produktion her alles übertroffen hat, was bis dato aus Japan kam.
Ich habe mir den Film in der Collector's Edition von Anime Limited / AllTheAnime aus UK importiert, der ein über 100-seitiges Büchlein von Jonathan Clemens beiliegt, der detailliert auf das Leben und Schaffen des Regisseurs Mitsuyo Seo eingeht, der übrigens keineswegs ein ultranationalistischer Kriegstreiber war. Das werde ich mir auf jeden Fall noch genauer ansehen.

Unterhaltungswert: ★★★☆☆
Gesamtwertung: ★★★☆☆
Geändert von Narcissu (03.05.2018 um 09:21 Uhr)
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