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Waldläufer
Nach einiger Zeit geht es nun weiter im Text. 
Kapitel 3 - Alcandor's Blut
Schon seit Stunden wußte Thavir nicht mehr, wo er und Aaron sich gerade befanden. Zügig folgte er dem Drachenstiefel durch Irrwege aus Gassen und Straßen, immer tiefer in die Stadt Krildje hinein. Die Sonne war bereits völlig untergegangen und nur die sparsam aufgestellten Laternen beleuchteten ihren Weg. Eine Mischung aus Aufregung und Ungewissheit kochte in Thavir's innerem und die Tatsache, dass Aaron nach ihrem Gespräch kein einziges Wort mehr von sich gegeben hatte, verstärkte sein Gefühlschaos nur noch mehr. Was würde nun mit ihm geschehen? Würden die Drachenstiefel ihn überhaupt akzeptieren? Wie würde es seiner Mutter ohne ihn ergehen? Tausend Fragen rasten durch seinen kleinen Schädel, während er sich bemühte, mit dem Drachenstiefel Schritt zu halten. Aaron legte ein Tempo vor, dass Thavir immer wieder zwang kurze Strecken zu rennen, um wieder zu ihm aufzuschließen. Entschlossen, seine Erschöpfung zu verbergen, biss Thavir die Zähne zusammen und folgte dem Beispiel seines schweigenden Begleiters. An einem unscheinbaren Haus, dass aussah wie alle anderen in dieser Gasse, blieb Aaron plötzlich stehen und richtete seinen Blick auf Thavir. "Hier ist es." Aaron klopfte an die alte Holztür und ein robust gebauter Zwerg öffnete ihnen. Als der Mann vom kleinen Volk den Drachenstiefel erkannte, baute er sich zu seiner vollen Größe auf. Aaron trat einen Schritt näher und die beiden Männer packten sich gegenseitig fest am Unterarm, während sie die noch freie Hand zur Faust ballten und diese hörbar gegen die Brust ihres Gegenübers schlugen. Obwohl er den tieferen Sinn der Begrüßung nicht verstand, konnte Thavir erkennen, dass dieses Ritual den beiden Männern sehr wichtig war und sie ihm viel Bedeutung beimaßen. "Bei Alcandor, es tut immer gut dich in einem Stück wiederzusehen, Aaron. Wie ich sehe bringst du einen Gast mit. Tretet ein." Der Innenraum wurde nur durch Kerzenlicht beleuchtet, doch war es heller, als die wenigen Laternen auf den Straßen. Nie zuvor hatte Thavir ein so sauberes und ordentliches Haus gesehen. Der dunkle Holzboden glänzte, keines der fein gearbeiteten Möbelstücke wies Spuren von Staub auf und selbst am Kamin war kein Ruß zu erkennen. "Alcandor zum Gruß, Xaglosh. Das ist Thavir. Er ist hier, um den Meister zu treffen." Langsam trat Thavir einen Schritt nach vorn, um dem Zwerg die Hand zu reichen. Seine winzige Hand verschwand in der des graubärtigen und erstaunt stellte er fest, dass sogar ein Muskelberg imstande war sanft zu sein und seine Kraft kontrollieren konnte. "Du willst also ein Drachenstiefel werden. Wie alt bist du, Junge?" Xaglosh grinste in sich hinein. "Ich bin Zehn Jahre alt, Meister Xaglosh." "Ich bin nicht dein Meister, Jungchen, aber lass mich dir eines sagen. Stinken tust du jetzt schon wie ein echter Drachenstiefel!" Beide Männer brachen augenblicklich in schallendes Gelächter aus und klopften sich ernergisch auf die Schenkel. Als sie sich etwas beruhigt hatten, legte Aaron seine Hand auf Thavir's Schulter. "Wenn der Meister dich aufnehmen sollte, wirst du den früher oder später verstehen. Ich werde jetzt gehen und ihn herholen. Das wird ein Paar Stunden dauern. Warte hier mit Xaglosh, bis ich wieder da bin. Ich muss dich bitten kurz diese Augenbinde anzulegen, damit du nicht sehen kannst wohin ich gehe. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme unseres Ordens, um uns dagegen zu schützen infiltriert zu werden." Aaron wickelte Thavir ein schwarzes Tuch um den Kopf, sodass er nichts mehr sah. Plötzlich hörte er auch nichts mehr und spürte die mächtigen Hände des Zwerges auf seinen Ohren.
Nach wenigen Sekunden wurde er von der Augenbinde befreit. Aaron war verschwunden und Xaglosh drückte Thavir ein schlichtes blaues Hemd, eine weiße Hose aus leichtem Stoff sowie ein Paar schwarze Sandalen in die Hand. Dazu gab er ihm ein großes Tuch, dass weicher war als alles was er jemals zuvor berührt hatte. "Komm' mit. So wie du stinkst solltest du dem Meister besser nicht unter die Augen treten." Als der Zwerg die Tür zu einem Nebenzimmer öffnete, stockte Thavir der Atem und er musste blinzeln, um sicherzugehen, dass er nicht träumte. Der Raum war riesig, mindestens doppelt so groß wie die Wohnstube und um ein vielfaches prunkvoller als diese. Boden, Wände und Decke waren aus einem Thavir völlig unbekannten Gestein gefertigt. Es war hell, fast weiß und reflektierte das Licht, dass von unzähligen blauen Kerzen ausging, die in aufwändig verzierten Halterungen an den Wänden steckten, durch den ganzen Raum. Im Zentrum des Zimmers befand sich ein gewaltiges, im Boden eingelassenes Wasserbecken. Im Gegensatz zum hellen Rest des Bades, bestand dieses aus einer schwarzen Steinart und schien sämtliches Licht, dass darauf fiel vollständig zu verschlucken. Xaglosh lachte voller Stolz. "Nicht schlecht, was? Lass' dir Zeit, Bursche. Ich mach' uns was zu Essen, damit du später nicht vor dem Meister zusammenklappst. Du fällst ja fast vom Fleisch." Thavir, der noch viel zu erstaunt war, um ein Wort zu sagen, nickte nur, zog sein Hemd aus und entblößte seinen grün und blau geschlagenen Körper. "Na sieh' mal einer an! Einstecken kannst du auch schon wie ein Drachenstiefel! Wenn du im Wasser bist, zieh' am Hebel bei der Alcandorstatue. Ich rufe dich wenn das Essen fertig ist." Der Zwerg verließ das Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Als Thavir auch seine Hose ausgezogen hatte, stieg er langsam ins Wasser. Das Becken war in Zwei Bereiche aufgeteilt. In der einen, etwa knietiefen Hälfte gab es viele steinerne Sitzmöglichkeiten und fein geschliffene Mulden, die sich perfekt an den Körper anschmiegten. Die andere Hälfte des Beckens war tiefer, sodass man darin schwimmen konnte. Zum ersten mal in seinem Leben spürte Thavir die entspannende Wirkung warmen Wassers. In seinem Elternhaus bedeutete baden, sich mit dem Hintern in einen Holzeimer voll kaltem Putzwasser zu setzen oder in einen mit Regenwasser gefüllten Futtertrog für Tiere zu springen. Solche Mengen an Wasser waren für Thavir eine völlig neue Erfahrung, die er sehr genoss. Als der junge Karadonier am Rand des seichten Bereichs eine Drachenstatue sah, zog er am Hebel neben dieser und eine rote Flüssigkeit floss aus dem geöffneten Maul der kleinen Statue ins Wasser. Thavir schreckte kurz auf, doch sobald er bemerkte, dass es sich nicht um Blut handelte, sah er gespannt zu wie sich die dicke Masse langsam im Wasser verteilte und es rot färbte. Ein exotischer und würziger Geruch stieg ihm in die Nase und vernebelte seine Sinne. Thavir's Atem verlangsamte sich und bald darauf verließen ihn seine Aufregung und Zweifel ebenso wie seine Schmerzen. Was immer dieses wundersame Gebräu auch gewesen sein mochte, Thavir hielt es für wertvoller als Gold. Frei von Gedanken und ohne Gefühl für die Zeit, glitt er durch das blutrote Nass und tauchte darin umher, bis er versehentlich etwas von dem Wasser schluckte. Thavir hustete und zappelte wild mit Armen und Beinen, da der scharfe Geschmack ihm die Kehle zuschnürte und seinen Puls in die Höhe trieb. Wellen aus Hitze durchfluteten seinen gesamten Körper. Es fühlte sich an als würde das Blut in seinen Adern brodeln und kochen, doch war es kein unangenehmes Gefühl. Nachdem er sich etwas daran gewöhnt hatte, stellte er fest, dass sein eben noch vernebelter Geist einer Klarheit gewichen war, die ihn sofort noch einmal überwältigte. Er sah und hörte besser und nahm seinen Körper viel intensiver wahr. Thavir war gerade im Begriff einen weiteren Schluck zu trinken, doch plötzlich erreichte ihn die raue und vor lachen verzerrte Stimme des Zwerges aus dem Nebenraum. "Trink' nicht zu viel vom Wasser, Kleiner! Du würdest es bitter bereuen! Glaub' mir, ich weiß wovon ich rede! Das Essen ist jeden Moment fertig. Trockne dich mit dem Tuch ab und zieh' die Sachen an, die ich dir gegeben habe!"
Sauber, trocken und in frische Kleidung gehüllt, ging Thavir zurück in den Wohnraum des Hauses. Beim Anblick, der sich ihm darbot, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Der Tisch war großzügig gedeckt. In einem Korb lagen unzählige Sorten Brot und mehrere silberne Platten, bepackt mit Wurst, Käse und Bergen von duftendem Fleisch, reihten sich entlang des Tisches auf. Thavir lächelte über das ganze Gesicht und klatschte vor Freude in die Hände, noch immer angeregt von der Wirkung des roten Badezusatzes. "Das sieht köstlich aus! Vielen, vielen Dank!" Xaglosh deutete auf einen der Stühle um den Tisch herum und legte den Kopf etwas schief. "Keine Ursache, aber ob es auch köstlich schmeckt, findest du nicht heraus, wenn du es nur anglotzt." Auf dieses Stichwort hin saß Thavir blitzschnell auf einem Stuhl und fing an Unmengen der in Butter gebratenen Fleischbrocken in sich hineinzuschaufeln. Der Zwerg tat es ihm gleich und eine Zeit lang genossen sie schweigend das stärkende Mahl. Nachdem er so viel gegessen hatte wie er konnte, brach Thavir das Schweigen, indem er Xaglosh eine Frage stellte, die ihn sehr beschäftigte. "Was war dieses rote Zeug?" Der graubärtige lachte, erhob sich von seinem Stuhl und holte eine bauchige Flasche aus einem Schrank hervor, die mit roter Flüssigkeit gefüllt war. "Das ist Alcandorblut. Eine Mixtur aus Alkohol und verschiedenen Kräutern, die Alcandor sich in Turinnia's kleinem Garten zusammengebraut hat, damit dieses stinkende Grünzeug auch für Männer einen Zweck erfüllt. Die Zusammensetzung darf ich dir natürlich nicht verraten." Xaglosh zwinkerte Thavir zu, dann wurde seine Stimme etwas ernster. "Du hast seine Wirkung selbst gespürt. Auf der Haut wirkt es schmerzlindernd und beruhigend. Es lässt Wunden schneller heilen und zieht dir die Angst aus den Knochen. Getrunken entfacht es dein inneres Feuer, macht dich wach und lenkt deinen Blick auf das wesentliche." "Seine Wirkung ist unglaublich! Es ist sicher sehr wertvoll, nicht wahr?" Nickend lachte Xaglosh erneut und schnell stellte er Zwei Trinkgefäße auf den Tisch. Einen großen Becher auf Thavir's Seite und ein winizges Glas auf seine. "Das fandest du unglaublich? Na dann pass' mal gut auf." Der Zwerg füllte Thavir's Becher mit Wasser und gab einige Tropfen der Mixtur hinzu. Obwohl die Menge verschwindend gering war, färbte sich das Wasser noch dunkler als im riesigen Becken. Ohne es zu verdünnen, goss Xaglosh das Alcandorblut in sein eigenes Glas, dass in etwa so hoch war wie ein Daumen, bis es zur Hälfte gefüllt war. Ehe Thavir wirklich bewußt wurde, dass der anregende und heilende Saft diesmal viel höher konzentriert war, hob Xaglosh sein Glas in die Luft. "Auf einen Zug, Junge!"
Geändert von Gisulf91 (16.06.2018 um 17:08 Uhr)
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