@Cooper: Die Zielgruppe für JRPGs ist nicht jünger geworden als damals, sondern eher älter, vermute ich. Und heute wie damals gibt es meiner Meinung nach sehr wenige Spiele, die sich durch ihre Themen speziell an Erwachsene richten – eher durch Nostalgie und solche Dinge.
Ich teile deine Meinung über die Veränderung des Genres zu einem gewissen Grad. Der Charme, durch den sich viele RPGs früher definiert haben, ist definitiv nicht mehr auf dieselbe Weise präsent wie damals. Das Genre hat sich durchaus gewandelt. Und ja, auch moderne Anime-Tropes sind präsenter und eine ganze Sparte an JRPGs zielt speziell auf eine Otaku-Zielgruppe ab.
Ich weiß nicht, was du für einen Überblick über das Genre hast, aber ich finde, es gibt auch heute noch Titel, die nicht in diese Richtung gehen. Oder ältere Titel, die erst jetzt in den Westen kommen. The Alliance Alive dürfte ziemlich viele Vibes treffen, die auch Spiele aus der SNES- und PS1-Zeit gehabt haben. Octopath Traveler ebenfalls. I am Setsuna., Lost Sphear, Ni no Kuni, Bravely Default – ziemlich ähnliches Kaliber wie damals. Abgesehen von Ni no Kuni eher Titel mit niedrigem Budget, aber das soll ja nicht den Ausschlag geben.
Ein großes Problem für das Genre ist imo, dass mit dem Eintritt in die HD-Zeit der RPG-Mittelstand ziemlich weggebrochen ist (teils schon kurz davor). Zahlreiche Serien sind gestorben, da die Zielgruppe zurückgegangen ist und die Entwicklungskosten zeitgleich gestiegen sind – siehe Wild ARMs, Shadow Hearts, Breath of Fire, Seiken Densetsu, Suikoden, Arc The Lad. In letzter Zeit hat aber eine kleine Gesundungsphase eingesetzt, nicht zuletzt durch die Marktmacht der PS4 und die Switch wird vermutlich auch dazu beitragen. Dadurch waren Spiele wie NieR: Automata, Xenoblade etc. möglich und das wird auch so anhalten, wie man an angekündigten Titeln wie Shin Megami Tensei V, Project Re:Fantasy etc. sieht.
Was die Otaku-Nische – vor allem Compile Heart, zu geringeren Teilen moderne GUST-Spiele, insbesondere abseits von Atelier – angeht, finde ich es recht einfach, das zu ignorieren.
In den letzten Jahren sind es vor allen Dingen zwei Serien gewesen, die mir gezeigt haben, wie sehr ich das Genre lieben kann: Die Trails-in-the-Sky-Spiele und die Yakuza-Serie. Die Trails-in-the-Sky-Spiele sind die einzigen, die für mich in puncto Charme und Charakternähe mit Final Fantasy IX mithalten können. Da kommt auch kein anderes Spiel aus „goldenen Ära“ der JRPGs ran. Die Spiele sind zwar nicht neu, sondern mittlerweile auch 10+ Jahre alt, aber der Westen musste lange warten.
Im Gegensatz zu Trails in the Sky, dasso vieles, was ich an klassischen RPGs liebe, so gut umsetzt, ohne das Rad neu zu erfinden, ist Yakuza 0 Anfang letztes Jahres eine Erfahrung gewesen, die ich mit dem Genre bisher noch nicht gemacht hatte. Hier hat man ein richtiges „Erwachsenen“-RPG, das eine ernste und dramatische Story mit einer filmreifen Präsentation verbindet und zugleich im Nebencontent und der generell überzeichneten Präsentation des Gameplays auch jede Menge ulkigen Charme und Augenzwinker-Momente hat.
Die Persona-Serie hat mich lange Zeit auch sehr begeistert, nach Persona 5 aber doch recht stark enttäuscht und mir gezeigt, dass sowohl die Entwicklung der Serie als auch die meines persönlichen Geschmacks dafür gesorgt hat, dass das Franchise bei mir vermutlich nie wieder einen so hohen Stellenwert erlangen wird. Auch den Weg, den Falcom geht, die sich ja viel länger als andere der Modernisierung verweigert haben, und stärker auf moderne Anime/LN-Tropes setzen, beobachte ich mit Sorge. Aber ich denke noch immer, dass die Trails-Serie mit den Trails-of-Cold-Steel-Spielen das Potenzial hat, mich grundsätzlich zu begeistern, auch wenn ich weiß, dass ich immer die Trails-in-the-Sky-Spiele bevorzugen werde, was Stil, Präsentation und Charme betrifft.
Um auf die anfängliche Frage zurückzukommen: Das Genre hat nach wie vor einen hohen Stellenwert bei mir. Ich finde auch nicht, dass es zig SNES- und PS1-RPGs gibt, die merklich und qualitativ hochwertig Hayao Miyazaki nacheifern oder generell damals alles fantasievoller war. Es gab sehr viel Auswahl, aber auch viele mittelmäßige Spiele und auch damals gab es genug Spiele, die Anime-Klischees bedienten (Tales, Star Ocean) oder eher auf Anime-Fans abzielten (Sakura Wars, neuere Shining-Spiele).
Ich bedauere es natürlich auch enorm, dass viele von mir geliebte Serien heute nicht mehr leben, moderne JRPGs weniger auf Charme und Reise setzen und besonders dass die Final-Fantasy-Serie und Square Enix im Allgemeinen sich so weit von meinem Geschmack (und ihren Wurzeln) wegbewegt hat. Aber es ist nicht so, dass es nicht auch genug moderne Spiele gäbe, die mich noch interessieren würden und potenziell begeistern könnten.
Abgesehen davon habe ich auch noch einen zweiten Blickwinkel: Es gibt noch so viele alte Spiele, die ich spielen will. Nur, weil klassische RPGs im alten Stil nicht mehr zu Hauf erscheinen, heißt es nicht, dass ich keine mir unbekannten mehr spielen kann. Es wird wohl kaum jemand geben, der damals alle interessanten Titel mitgenommen hat. Und durch Initiativen von XSEED kommen auch heute noch richtig charmante Spiele wie die Zwei-Serie in den Westen, an denen sich die Japaner vor einem Jahrzehnt oder mehr erfreuen konnten. Hinzu gesellt sich ein relativ breit gefächerter Indie-Sektor, der zwar nicht vor Releases überschäumt, aber seit einigen Jahren doch recht gut gedeiht.
tl;dr: Auch wenn meine Liebe zu JRPGs der alten Schule (insbesondere ab der PS1-Zeit – SNES-Spiele waren erzählerisch bis auf Ausnahmen noch nicht so ausgearbeitet) größer ist und mir einige moderne Entwicklungen sehr gegen den Strich gehen, finde ich auch an neuen Spielen Freude und bin angesichts der aktuellen Marktlage zuversichtlich, dass die aktuelle Diversifizierung des Genres auch weiterhin anhalten wird.
Auch noch festhalten will ich, dass es halt nicht nur ein Unterhaltungsmedium für mich ist, sondern etwas, an dem ich über die Jahre so ein Interesse entwickelt habe, dass ich es auch aus einer rein historisch-kulturellen Perspektive kennen und verstehen will – auch bei Spielen, die weniger meine Geschmack treffen.
@Ὀρφεύς:
Na ja, Compile Heart würde ich wirklich nicht als die moderne Evolution von Grandia ansehen. Dann eher von so was:Zitat
Aber ist ja auch nicht so, als würde Compile Heart irgendwie das Genre dominieren. Das sind Nischenspiele und sicherlich nicht die Aushängeschilder moderner JRPGs. Das ist so, wie wenn Leute sagen, moderne Animes wären nur noch Harem- und Fanservice-Serien und sich von 250 Titeln im Jahr 20 rausgreifen, auf die das zutrifft.