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  1. #18
    Diesmal ein leicht interaktiver Ansatz und zwei Musikstücke integriert. Viel Spaß



    System: PC
    Entwickler: Freebird
    Spielzeit: 5h

    Warum dieses Spiel?
    To the Moon lag bereits vier Jahre auf meinem Steamaccount und irgendwie hab ichs nie hingekriegt es mal zu spielen. Weil man eigentlich nur Gutes darüber hört entschloss ich mich, es für diese Challenge zu nehmen, um mich endlich mal zum Spielen zu bringen

    Kontext:

    To the Moon erschien im November 2011 für den PC. Zwei DLC Minisodes wurden 2013 und 2015 dafür rausgebracht. Das Spiel wurde in der RPG Maker XP Engine entwickelt.

    Story/Charaktere:
    Die Sigmund-Mitarbeiter Dr. Eva Rosalene und Dr. Neil Watts wurden zu einem Anwesen nahe eines Leuchtturms gerufen, dessen Besitzer John im Sterben liegt. Ihre Aufgabe ist es, die Erinnerungen von Menschen zu verändern um ihnen so - zumindest in ihren Gedanken - einen letzten Wunsch vor dem Tod zu erfüllen. Johns Wunsch ist es, zum Mond zu fliegen - auch wenn er nicht genau weiß, wieso eigentlich.
    Die beiden müssen sich nach und nach in den Erinnerungen von John zurückhangeln, bis sie in seiner Kindheit ankommen. Dort wollen sie dann schließlich den Drang in ihm wecken, den Mond zu besuchen. Dafür müssen sie in jedem Zeitabschnitt, den sie bereisen, Objekte von größerer Bedeutung für ihn (so genannte Mementos) aufspüren, welche die verschiedenen Zeiten miteinander verbinden. Große zeitliche Sprünge sind nämlich nur schwer möglich.


    Diese nichtlineare Erzählweise nutzt den selben Effekt, der auch im Film Memento Verwendung gefunden hat: Spieler erleben das Resultat eines Ereignisses, bevor sie erfahren, wie es dazu gekommen ist. Diese Struktur nutzt To the Moon sehr effektiv, um emotionale Momente vorzubereiten - insbesondere durch die Streuung von Szenen, welche enorme Relevanz für John und seine Ehefrau River haben, man ohne Kontext aber schwer einordnen kann. Szenen sind so doppelt effektiv: sie wirken, wenn man sie das erste Mal sieht, und werden stärker oder ändern ihre Bedeutung, wenn man den Kontext kennt.

    Obwohl Eva und Neil die Spielercharaktere sind, so dreht sich die Geschichte um John und River. Man sieht, wie sich ihr Verhältnis entwickelt hat, was für Menschen die beiden eigentlich sind und welche Probleme sowie glückliche Momente sie auf ihrem Weg hatten. Die Tatsache, dass man von Anfang an den Ausgang ihrer Geschichte kennt, sorgt dafür, dass jede neue Erinnerung ein weiteres Puzzleteil zur Charakterisierung der beiden wird.
    Bei der Darstellung der Beziehung des Paares ist interessant, dass man vieles nicht sieht. Das Spiel lässt einige Dinge unausgesprochen und nimmt an, dass Spieler es sich erschließen können. Generell sind die Dialoge sehr kompakt geschrieben und es wird nie lange um den heißen Brei geredet. Auch wenn man als Spieler vielleicht noch mehr über die beiden erfahren möchte, so sind die gezeigten Szenen ausreichend, um ein gutes Bild von dem speziellen Verhältnis von John und River zu bekommen. Am Ende geht es ja darum, dass Eva und Neil ihren Job erledigen wollen. Die Hintergründe, die sie erfahren, sind eher ein Beiwerk.


    Ein starker Aspekt des Spiels ist die Behandlung des Themas Autismus (genauer Asperger-Syndrom), welches sehr behutsam angegangen wird. Außer einer Expositionsszene gibt es wenige Erklärungen. Das Spiel ist auch nicht belehrend. Das Zentrale ist eher, wie sich solche Störungen auf die Charaktere und deren Beziehungen auswirken. In dem Sinne ist es eine Geschichte mit Autismus als wesentliches Element, nicht darüber. Die Umsetzung ist nicht immer subtil, aber am Ende müssen ja auch Leute erreicht werden, welche wenig Erfahrung mit dem Thema haben.

    An ein paar Stellen rutscht das Spiel etwas ins Melodramatische ab. Der Eindruck entsteht vor allem durch den Zeitraffer der Ereignisse: man erlebt Sachen, welche sich über bestimmt 70 Jahre abgespielt haben, innerhalb von etwa vier Stunden. Bei manchen Spielern könnte so das Gefühl aufkommen, dass die Handlung rückblickend etwas dick aufgetragen oder kitschig ist. Es werden auch viele Symbole verwendet, welche für John und River von großer persönlicher Bedeutung sind. Diese sind häufig wenig subtil und treten in vielen Szenen auf - was einerseits sicherlich wegen der komplexen Thematik, andererseits wegen der nichtlinearen Struktur so gemacht wurde. Manchmal wird meiner Meinung nach die Bedeutung von Symbolen auch überstrapaziert - zum Beispiel vom Leuchtturm.

    Obwohl die Geschichte einen tragischen Unterton hat gibt es viele positive und auch lustige Momente. Gerade Eva und Neil sorgen mit ihrer Scully - Mulder - Dynamik immer wieder für sehr unterhaltsame Szenen. Die humorvollen Einlagen sind selten deplaziert und kommen manchmal direkt vor oder nach einem emotionalen Gutpunch. So wird dafür gesorgt, dass die Atmosphäre nicht schon früh zu deprimierend wird. Lediglich eine Szene kurz vorm Ende empfand ich als unpassend - ich sage nur mal "Pflanzen". Was umso überraschender ist, weil ein paar der effektivsten Szenen des Spiels direkt davor und danach sind.


    Die späteren Ereignisse und das Ende lassen einen mit einer Vielzahl emotionaler Eindrücken zurück. Eine der Stärken des Spiel sind die Implikationen, die man aus der Handlung ziehen kann, wenn man sich an Johns Geschichte zurückerinnert und den vollen Kontext hat. Auch die Frage, ob die Manipulation von Erinnerungen es wirklich wert ist, ist hier zentral. So ist das Ende meiner Meinung nach ziemlich gelungen und abhängig von der Perspektive kann man es als mehr oder weniger positiv deuten.

    Während der Geschichte hätte ich gern mehr Informationen zu Eva und Neil bekommen. Beide haben im späterem Spielverlauf gute Szenen für den Charakteraufbau, aber erst in den beiden DLC Minisodes erfährt man mehr. Diese spielen beide im Sigmund Office und man bekommt einen besseren Eindruck von der Spielwelt und von den Mitarbeitern der beiden. Man erhält auch einen kleinen Einblick in das Familienleben von Eva. Beide Episoden sind gesondert zur Handlung des Spiels und dienen eher dazu, die Welt auszubauen und für eine Katharsis für Eva und Neil nach Johns Geschichte zu sorgen.

    Gameplay:
    Man läuft rum und liest Texte. Wahlweise kann man dies mit Tastatur und Maus oder Gamepad machen. Keine der Steuerungsmöglichkeiten empfand ich als optimal. Die Maus ist etwas ungenau, was vermutlich auf die RPG Maker Engine zurückzuführen ist. Beim Gamepad fehlt einem aber das Hervorheben der Interaktionsmöglichkeiten.

    In Johns Vergangenheit ist das Ziel in der Regel, fünf spezielle Erinnerungen zu finden und die Schutzbarriere um das Memento zu zerstören. Hat man dies getan, darf man ein kleines Puzzle lösen und gelangt dann in den nächsten Zeitabschnitt. Es gibt kleinere Minispiele, z.B. Reiten von Pferden oder Whack-a-Mole, deren Implementierung manchmal zu wünschen übrig lässt. Man sammelt auch ein paar Notizen im Spielverlauf, welche Zusatzinformationen über Personen und Ereignisse enthalten.
    Auch wenn das Gameplay größtenteils minimalistisch ist, wäre weniger vielleicht sogar besser gewesen. Das Sammeln der fünf Erinnerungen geschieht öfter automatisch, das Memento Puzzle trägt nicht wirklich zum Spiel bei und die Steuerung mancher Minispiele ist nicht gut.


    In den Minisodes gibt es dann noch ein etwas langwierigeres Minispiel, welches komplexer als die anderen ist. Man manövriert durch ein Labyrinth, das thematisch an die Erinnerungen aus dem Hauptspiel angelehnt ist. Es ist ok, aber - ironischerweise - nicht besonders erinnerungswürdig.

    Präsentation:
    Das Spiel ist in der RPG Maker Engine entwickelt und das sieht man auch. Es ist grafisch sicherlich nicht das anspruchvollste Game, aber die Entwickler haben auf viele Details geachtet, welche sicherlich bei Produktionen mit höherem Budget unter den Tisch fallen würden.
    So gibt es zwar nicht viele Umgebungen, aber die, die da sind, sind detailiert und liebevoll gestaltet. Das ist besonders beeindruckend wenn man bedenkt, dass manche dieser Orte für vielleicht fünf Minuten genutzt werden. Auch die zeitliche Veränderung von Locations wurde mit viel Aufmerksamkeit umgesetzt. Besonders hervorzuheben sind die Character Sprites bzw. deren Animationen. Viele spezielle Bewegungen wurden einzeln animiert, selbst wenn diese nur wenig Verwendung finden (z.B. Liegestütze, Papierfalten). Gestik und Mimik, z.B. Animationen der Augen, wurden auch eingebaut. Gerade die Augenbewegungen sind thematisch relevant, denn ein Problem von Leuten mit Asperger kann sein, dass sie Blickkontakt nur schwer halten können.


    Das Highlight des Spiels ist aber sicherlich die musikalische Untermalung. Direkt beim Titelbildschirm wird man begrüßt von einem wunderschönen Piano-Track. Der Song To the Moon wird während des Spielverlaufs in mehreren Variationen sehr effektiv genutzt. Die Entwickler wissen definitiv, dass man durch die Bindung an Melodien emotionale Momente noch viel effektiver gestalten kann. Der OST hat aber noch mehr drauf und bietet auch düstere Tracks wie Lament of a Stranger und Uncharted Realms oder nostalgische wie Having Lived. Und wer könnte das Battle Theme, Teddy, je vergessen?

    Der Song Everything's Alright sticht besonders hervor. Nicht nur besitzt er Vocals, welche die Beziehung von John und River in wenigen Worten komplett auf den Punkt bringen. Er wird auch in genau dem richtigen Kontext gespielt, um ordentlich reinzuhauen. Das Lied ist auch für sich genommen großartig.


    Fazit:
    Wenn man über ein Spiel noch Tage nach dem Durchspielen nachdenkt, so ist das häufig ein sehr gutes Zeichen. Wenn einem dann beim Anhören der Musik noch die Tränen kommen ist das exzellent. Ich glaube nicht, dass meine Beschreibungen oben nur ansatzweise wiedergeben können, wie stark das Spiel ist. To the Moon ist eines der bewegendsten Spiele, das ich gespielt habe.

    Es ist beeindruckend, was Freebird hier auf die Beine gestellt hat. Das Spiel zeigt ohne Zweifel, dass es keiner komplexen Grafik bedarf, um eine extrem bewegende Geschichte zu erzählen. Und wie viel man mit Details und einem großartigen Soundtrack in den passenden Situationen erreichen kann. Der OST des Spiels hat es schon in meine Favoriten geschafft. Auch wenn ich Everything's Alright wohl besser nur höre, wenn ich alleine bin.

    Autismus als Thema findet nicht oft den Weg in Spiele. Das Schöne an der Darstellung hier ist, dass sicher viele Menschen irgendwelche ihrer eigenen Probleme wiederfinden können (wenn wohl auch in einer schwächeren Form), was die Thematik so viel nachvollziehbarer macht. Als jemand, der selber häufig Kommunikationsprobleme hat (nicht so hart wie hier dargestellt, natürlich), hat mich das Spiel auf einer persönlichen Ebene angesprochen.
    Auch wird hier niemand als Supergenie dargestellt, wie es bei den bekannteren Filmen (oder Serien) mit dem Thema häufig der Fall ist.

    Wertung: 10/10

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