Es gibt Ästhetik, die Nazis (und andere) anzieht oder fasziniert, die muss nicht einmal gezielt den Nationalsozialismus verherrlichen. Wenn man das Klischee bedient könnten schon Darstellungen eines Uniform-Fetischs oder idealisierte Kriegs- bzw- Soldatendarstellungen ein entsprechendes Klientel ansprechen.

Meese hat keinen politischen sondern einen künstlerischen Anspruch. Es gehört sicher auch zu einer Selbstinszenierungsgeste des Rebellen, wenn es um sein Konzept der Diktatur der Kunst geht, allerdings ist das eher die Persiflage von Politik und Ideologie bzw. Politik und Ideologie als Popkultur. Ich würde da nicht viel hinein interpretieren, was über den Kunstraum hinausgeht und selbst da ist fragwürdig, ob tatsächlich mehr als eine Geiste das Entscheidende ist.

Zu der eigentlichen Frage, hab ich das bereits im Gender-Thread angesprochen. Kunst bzw. die Rolle des Künstlers hat in den Ansprüchen, die die Gesellschaft oder die Avantgarde an den Künstler stellt, sich stetig gewandelt. Man könnte in der heutigen Zeit zwar sagen, dass verschiedene Konzeptionen von Kunst neben einander existieren könnten, weil wir ja so aufgeklärt sind usw. aber was wir bei einem zeitgenössischen Werkschaffenden heutzutage hauptsächlich nur noch anerkennen - zumindest wenn wir wirklich von einem Künstler im idealistischen Sinn reden - ist der Gesellschaftskommentar.

Seitdem das Private politisch ist, ist es das Öffentliche erst Recht. Die Kunst formt die öffentliche Meinung, formt wie alle Medien das Sein und damit das Denken der Menschen. Und das Denken die verschiedenen Künste oder Medien zu instrumentalisieren ist mitnichten mit der Systempropaganda des Kalten Krieges gestorben. Man reiht sich nicht mehr konkret einem System ein und verherrlicht ist, aber man hat den Anspruch verinnerlicht, dass man einen geistreichen und auch appellierenden oder bloßstellenden Kommentar auf die Gesellschaft abgeben sollte, mit dem Ziel etwas zu bewegen und das dies der moralisch richtige und notwendige Impetus wäre. Selbst Kunst, die sich selbst als unpolitisch qualifizieren würde, wird dadruch zum Politikum, dass sie das Volk entpolitisiert, der alte vorwurf an die Massenmedien und die Popkultur.

Und die Ansprüche von denen BDraw spricht, die verantwortung, die einem von verschiedenen Seiten übertragen werden kann, sind mannigfaltig: Geschlechtergerechtigkeit, Menschenwürde, Tierrechte, Umweltschutz, nationale Agenda, Sittlichkeit und Anstand, religiöse Gefühle oder religiöse Leitung, die Wahrheit oder alles vermeiden, dass bei einem Menschen Anstoß erregen könnte, natürlich nicht alles. Wo es Opfer geben könnte, da möge man bitte alles verhüten oder mit Trigger-Warnungen versehen, wo es notwendig ist etwas böses Überkommenes zu bekämpfen, ist hingegen soviel Anstoß gestattet wie nur möglich, aber bitte auch vom richtigen Standpunkt aus, ansonsten gibt es schlechte Haltungsnoten. Mannigfaltig also und widersprüchlich. Und sie alle wollen eine bevorzugte Darstellung, natürlich keine Propaganda, aber die Moral legt doch nahe, was das Richtige ist, nicht wahr? Und wenn nicht, dann gibt es ja noch die Forderung nach Verboten, Zensur oder Aufrufe zum Boykott, wenn nicht gar Fahnen verbrannt und Straßenschlachten entzündet werden.
Kurz um: All diese Leute dürfen sich gepflegt ins Knie ficken. Denn all dies ist nichts, worauf sich Kunst zu verpflichten hat.

Wenn jemand mit Verantwortung an dich herantritt, dann ist selten gemeint, dass du es vor dir selbst verantworten sollst, sondern um dir zu sagen, wie verantwortungslos du dich aus seiner Sicht verhälst und das du doch bitte seine Verantwortung zu übernehmen hast. Menschen haben das Recht deine Werke für sich zu interpretieren bzw. Sachen daraus mitzunehmen, auch wenn es nicht deine Intention war, diesen Gedanken vielleicht anzuregen. Sie haben dir gegenüber und auch du ihnen gegenüber keine Verantwortung. Deine Verantwortung besteht darin, deutlich zu machen, was dein eigener Anspruch war und dich gegen eine Vereinnahmung zu wehren, wenn es dazu kommen sollte.

Der Rest jedoch ist das, was deinem Gewissen entspringt. Wenn du eine Darstellung vor dir selbst verantworten kannst, du selbst, nicht unter der schuldaufgeladenen Beeinflussung anderer, dann ist das deine Freiheit als Autor. Wenn du dich durch eine fremdbestimmte Moral zu einem Unterlassen oder Handeln veranlasst siehst, weil es von dir erwartet, nicht gewünscht, sondern erwartet wird, obwohl du diesen Impuls nicht selbst verspürst, dann gehst du von der Kunst über zum politischen Instrument.

Die Frage nach der Fremdverantwortung stellt sich jedoch, wenn du deutlich den Bereich der Kunst selbst hinter dir lässt und dich bzw. dein Werk zum politischen Instrument machst, dann ist auch der Fremdanspruch von Vernantwortung gegenüber der Gesellschaft, die du direkt bearbeiten möchtest, legitim.

Als Beispiel ist es nicht verwerflich, wenn in einem Kinder- oder Jugendbuch traditionelle Familienmodelle oder klassische Geschlechterrollen-Verteilung auftauchen, gemäß der Kritik daran normalisiert dargestellt werden, wenn offenkundig da eine Geschichte erzählt wird, in der das ein Detail des Welthintergrundes ist. Das können manch progressive rückständige oder unrealistisch finden, aber das ist wie beschrieben kein Anspruch den Kunst zu erfüllen hat.
Ist das Werk allerdings eindeutig als eine Art Bildungsroman, also als ein politisch gesellschaftlicher Kommentar angelegt, der die politische Handlungsoptionen oder bestimmte gesellschaftsmodelle gezielt propagiert, also eine politische Agenda betreibt, muss es sich auch einer entsprechenden Kritik unterziehen lassen. Der Punkt hierbei ist allerdings: Wenn man das tut, dann ist man ohnehin von der Richtigkeit seiner Überzeugungen nunja überzeugt. Der Appell an die Verantwortung ist dann eigentlich völlig witzlos, weil er an ein Verantwortungsgefühl appelliert, dass offenkundig ganz anders funktioniert. Es wird ein Fehler vorgeworfen, der nicht als Fehler wahrgenommen wird, im Gegenteil. Aber ich schweife ab.

Im Endeffekt, du grübelst womöglich tatsächlich zuviel. Wichtig ist, wenn du einfach nur deine Comics zeichnest, deine Geschichten schreibst, Filme drehst, Spiele entwirfst, dass du es für dich tust und die Leute, die Gefallen an deinen Werken finden wollen oder sollen. Moral oder eine moralische Verantwortung spielen in dieser Beziehung keine zentrale Rolle. Verpflichtet bist du deiner vision und deinen Rezipienten gegenüber.