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Niemand, wirklich niemand will einen moralisch rechtschaffen handelnden Geralt. Er ist mir an vielen Stellen noch viel zu rechtschaffen, so sehr nämlich, dass es seine Charakterisierung bricht, nur um den zivilisierten Mitteleuropäer abbilden zu können. (Das Spiel versucht mich beispielsweise dazu zu zwingen, den Bloody Baron ganz abscheulich und abstoßend zu finden, weil er seine Frau misshandelt hat, indem es Geralt die Moralkeule auspacken lässt. Kalter-Kriegs-Schreibweise und so.
Vorab ich hab Witcher 3 nicht gespielt, aber die Blutiger Baron Story wurde mir schon derart unfassbar viele Male (ungefragt) gespoilert, dass ich mir an der Stelle erdreiste ein paar Worte dazu zu verlieren, dass der blutige Baron wohl einhellig von allen Kommentatoren als eine der besten Figuren und die Quests als eine der besten des Spiels hochgehalten wird, weil der Baron an sich als Doppelnatur angelegt ist, die erstens menschlich hauptsächlich als ein roher, gewalttätiger Trukenbold charakterisiert wird, der aber gleichermaßen in der Lage ist Verantwortung udn auch Zuneigung für das verunstaltete Etwas zu empfinden, um das in der quest geht. Er wird nie ein guter Mensch, das entspricht nicht seinem Naturell, aber er ist kein Faktotum des Bösen.

Ansonsten ist, was auch mit der Rolle des Hexers zusammenhängt, Geralt einerseits nicht darauf angelegt unbedingt das Gute und rechtschaffende zu verkörpern, andererseits macht einem CD Projekt das auch mit der Gestaltung der Questen schon sehr schwierig. im ersten Teil war häufig auch ne ganze andere pragmatische Entscheidungsweise an der Tagesordnung: Weiviel Zeit wendet Geralt für einen Fall auf. Ermitteln wir die Hintergründe, suchen weitere Informationen oder schlägt Geralt der bestie, wie es sein Job ist, den Kopf runter.
Hexer sind Monsterjäger als Mutanten geschaffen, um Menschen gegen ein traditionelles Entgelt, das kaum mehr als die Spesen decken muss und soll, vor den Schwernissen übernatürlicher Mächte und gefährlicher Kreaturen zu schützen. Sie sind also Jäger, entschieden auch keine Söldner, denn Hexer lernen das töten für diese Arbeit und ihr Kodex verbietet es auch sich, bspw. als Söldner, in die Politik der Menschen einzumischen. Der wirkliche Hexer-Weg ist eigentlich ein neutraler, ihr eigentliches Ziel das Böse, in einem ursprünglichen handfesten Sinn zu erlegen.

Die Bücher (Zeit des Sturms legt da auch noch einmal ein besonderes Augenmerk drauf) und ebenso die Spiele treiben ein bisschen die Frage um, zugespitzt bspw. in der Wahl der Waffe, mit der Geralt zum Ende des ersten Teils bspw. den Hauptwidersacher tötet, die Frage um, ob sich in einer Welt, in der die Monster faktisch zunehmend weniger werden und Hexer auch als rührselige Relikte einer alten Zeit gelten, nicht auch das verschoben hat, was zumindest in dieser Welt als das Böse angesehen werden muss. Für Geralt stellt sich diese frage mehrmals und eigentlich zwingt und das spiel ein Grau-in-Grau der Betrachtung im Endeffekt auch auf.

In der Regel wird Geralt immer wieder gezwungenermaßen in diese Geschichten persönlich involviert oder hinein gezogen ohne jedoch, dass er die treibende Kraft wäre. Seine Motive sind eigentlich immer sehr persönlicher Natur. Wie der Sog der Geschichte allerdings ist, stolpern er und seine Kameraden damit in der Regel immer in irgendwelche größeren historischen Prozesse hinein. Im Endeffekt ist Geralt zwar ein Übermensch, aber jemand der zwar dutzende Bauern mit in den Tod nehmen kann und dann doch die Eingeweide von einer Mistgabel zerfetzt bekommt (und "stirbt"). Eine moralisch treibende Kraft ist er im Endeffekt nie.