Wo du das gerade erwähnst, kommt mir eine Idee dazu, die mir bei einigen Genrevertretern manchmal durch den Kopf geht, aber nur extrem selten in vollem Umfang anzutreffen ist: Was wäre, wenn man beides vorfinden kann? Dazu müsste das Spiel entweder mit unterschiedlichen, zeitlich voneinander getrennten Handlungssträngen erzählt werden, oder ein Element von Zeitreisen beinhalten. Chrono Trigger hat sich ansatzweise an dem probiert, was ich meine, und ich glaube das hat für viele bewusst oder unbewusst zur dichten Atmosphäre darin beigetragen. Aber die Orte waren mir dafür, dass es die selbe Welt sein sollte, manchmal etwas zu unähnlich. Und da ich mich oft mit Zeitreisen im engeren Sinne schwer tue (ich sag nur Logiklücken), würde ich es eher ohne bevorzugen, wenn ich die Wahl hätte.
Man stelle sich vor, eine mächtige und blühende Hochkultur, einer der Story-Orte ist ein riesiger Tempel. In dieser Welt findet Handlung A statt. Handlung B dagegen ist post-apokalyptisch (was ich generell sowieso immer ganz spannend finde) und spielt 500 Jahre oder so später, in einer Zeit, in der sich die Welt gerade wieder erholt, aber all die Narben noch sichtbar sind und Gefahren überall lauern. Oben erwähnter Tempel ist natürlich zu einer Ruine geworden, mit Ranken und Dornen überwuchert.
Handlung A und B wechseln sich ab. Aber erstere hat direkten und indirekten Einfluss auf das Geschehen der letzteren. So ließe sich die Handlung so gestalten, dass man in der Vergangenheit erfährt, was genau zur Katastrophe führte (bzw. führen wird, ihr wisst schon ^^) oder wie der Bösewicht das bewerkstelligen konnte. Die Apokalypse lässt sich nicht mehr aufhalten, aber die Charaktere dieses Teils der Geschichte, die an einer Lösung arbeiteten, kämpfen darum, Informationen irgendwie sicher für die Nachwelt festzuhalten, um zu verhindern, dass es sich eines Tages wiederholt und dem Planeten den Rest gibt. Diese Daten sind aber gleichzeitig auch gefährlich, weshalb sie nicht jedem in die Hände fallen dürfen. Die Brotkrumen, die man selbst mit den A-Leuten auslegt, sammelt man später mit den B-Leuten ein.
Und das Ganze in einer Umgebung, die zwar verändert ist, aber die man ständig wiedererkennen kann. So ein "Hey, hier bin ich vor drei Spielstunden noch langgelaufen", aber eben unter völlig anderen Voraussetzungen. Die beeindruckende Stadt, in der sich früher noch so bemerkenswerte Szenen abspielten, ist nur noch ein Monster-infiziertes Trümmerfeld, während das beschauliche Dorf der Zukunft damals bloß Wildnis oder Wiese war. So ließe sich das variieren. Es ist eindeutig noch die selbe Welt, aber fühlt sich trotzdem frisch an. Orte, die in der einen Zeit sicher sind, sind in der anderen unsicher und umgekehrt.
Dass das Spiel nicht chronologisch in zwei simple, aufeinanderfolgende Hälften geteilt ist, sondern die Handlung ständig hin und her springt, hält es spannend. So ließen sich dramatische Enthüllungen der Vergangenheit bis kurz vorm Finale der Zukunft aufsparen, was dieser eine völlig neue Bedeutung geben oder ein anderes Licht darauf werfen, eine neue Perspektive eröffnen kann. Wer war wirklich verantwortlich? Hat man dem Schurken nicht vielleicht sogar unwissentlich geholfen, das Werk des Schreckens zu vollenden? Kann man im letzten Moment noch das Richtige tun?
Auch vorher schon lässt sich wunderbar mit diesen Elementen spielen. Selbst in Bezug auf das Gameplay, das besonders aufmerksame Spieler belohnen würde. Mal sieht man in einem Dungeon der Zukunft eine zerstörte, ausgelöste Falle oder die Reste eines mechanischen Monsters; in der Vergangenheit kann man in diese Falle stolpern oder muss den sehr lebendigen Gegner besiegen, wenn man den entsprechenden Raum betritt. Wenn man die Falle nicht mit der Vergangenheits-Party auslöst, wäre das kein Widerspruch, kann ja in den tausend Jahren danach noch irgendwann passiert sein (Grabräuber etc. ^^).
Vielleicht gibt es über die Spielwelt verteilt Schatztruhen mit unglaublich sicheren Schlössern. Den Schlüssel hinterlassen die A-Leute, der wird später (aber noch gegen Anfang des Spiels) von den B-Menschen entdeckt - oder es handelt sich von vornherein um Zeitschlösser, die nach tausend Jahren gelockert werden. So könnte man jedenfalls hilfreiche Items und Ausrüstung, die man in der Vergangenheit findet, für das Team in der Zukunft hinterlassen, um brenzlige Stellen dort etwas zu entschärfen oder einen sonstigen Vorteil zu bekommen. Aber Vorsicht, einmal den Gegenstand für die Party nach der Apokalypse aus der Truhe genommen, ist das in der Zeitlinie wirklich so passiert und in der Zeit der Hochkultur kann man es nicht wieder zurücknehmen. Und wer weiß, wie gut erreichbar die Truhe in der Zukunft überhaupt sein wird?
Auch "Brücken", um an besondere Schätze zu gelangen, müsste man hin und wieder in der Vergangenheit bauen, um die optionalen Rätsel in der Zukunft lösen zu können. Da das aber nicht frustig sein soll, hätte man in jedem Zeitabschnitt Zugang zu allen darin vorangegangenen Orten. Vor dem letzten Abschnitt in der Vergangenheit würde man gewarnt werden oder die Situation wäre zumindest deutlich genug, um zu wissen, dass es danach kein Zurück mehr gibt. So hätte man auch an diesem späten Punkt noch die Chance, alles zu erledigen, was einem bis dahin entgangen ist. Ansonsten würden sich Notizen während dem Abenteuer anbieten, um sich die entsprechenden Stellen zu merken, die man bei der nächsten Gelegenheit nochmal im zerstörten oder intakten Zustand abchecken möchte -_^
Wenn wir doch lieber einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen beiden Teilen hätten, so könnte es ein oder zwei Charaktere geben, die in eine Art Kälteschlaf versetzt werden und erst in der Zeit nach der Katastrophe wieder auftauen. Allerdings müssten dann einige Dinge angepasst werden, denn dieser wüsste ja mehr oder weniger noch, was passiert ist. Wobei, vielleicht ist seine oder ihre Birne zu Matsch geworden und er oder sie erinnert sich nur noch an Bruchstücke, oder ein Wissenschaftler der Hochkultur hat mit der Kryostase bloß seine Frau oder sein Kind gerettet, welche zwar in der Handlung der Vergangenheit vorkommen, aber noch keine zentrale Rolle spielten und dann quasi ausschieden, somit auch nicht in der Lage sind, zu viel über die Geschehnisse zu verraten.
Aber es wäre schon faszinierend, so eine alternative Stimme dabei zu haben, die einem zumindest etwas Aufschluss geben und darüber sinnieren kann, wie sich die Welt verändert hat. Ich meine, stellt euch nur mal vor, wie ergreifend solche Szenen sein könnten, wenn eine junge Figur dieser Hochkultur, plötzlich und unfreiwillig aus ihrem gewohnten Leben gerissen, in der postapokalyptischen Zukunft zu ihrem Haus zurückkehrt, von dem nur noch die Grundmauern stehen, und sie in einer geheimen Kellertür vielleicht noch ein Überbleibsel, ein Andenken, ein heiteres Familienfoto mit den Eltern (= der Party aus der A-Handlung) entdeckt. Oder, da wir hier schließlich von Fantasy sprechen, wie wäre es mit Szenen, in denen die Bevölkerung aus der Zeit vor dem Untergang durch umherstreifende Geister repräsentiert wird? Die könnten sowohl mächtige Gegner darstellen, als auch für die Story von Bedeutung sein. Man trifft die Gespenster seiner eigenen Vorfahren, melancholisch-traurige Momente vor düsteren Aussichten spielen sich vor den Augen der Gruppe noch einmal ab...
Das Spannende an diesem Ansatz ist insgesamt, dass sie den Spieler als stummen Zeugen mit einbezieht und daraus Atmosphäre schöpft. Ich denke, es würde die Dramatik immens erhöhen, wenn man als Spieler genau wüsste, dass die Truppe in der Zukunft geradewegs in eine ganz üble Gefahr hineinläuft, und es logisch nur dort mit der Geschichte weitergehen kann. Vielleicht werden es nicht alle überleben. Man möchte den Bildschirm anschreien, um sie zu warnen, aber vergeblich. Der Spieler weiß mehr, weil er den Informationshorizont beider Erzählebenen überblicken kann. Das Puzzle setzt sich aus zwei großen aber facettenreichen Teilen erst in seinem Kopf zu einem vollständigen Ganzen zusammen. Eventuell werden die Helden egal aus welcher der beiden Epochen nie alles erfahren, der Spieler aber schon. Das kann auch ein wohliges Gefühl von Kontrolle erzeugen, vermute ich, oder auch trösten, wenn sich Charaktere schlimme Sorgen machen und verzweifelt sind, aber man weiß, dass in diesen Fällen ggf. doch noch alles gut gehen wird. Oder dass große Opfer nicht umsonst gewesen sind, weil genau die einem in der Zeit nach der Katastrophe das Überleben ermöglicht haben.
Ein anderes Beispiel, das sich ein wenig an diesem Ansatz versuchte, war Zelda: A Link to the Past. Ich liebe Lorule, und das nicht nur wegen dem ohrwurmigen musikalischen Thema. Dort bezieht sich das Feature aber viel deutlicher aufs Gameplay und man kann und muss ständig wechseln, das Setting spricht dabei nur relativ selten für sich (dafür hat man aber einen direkten Vergleich). Und dann wäre da natürlich noch Final Fantasy VI mit dem Kontrast zwischen World of Ruin und World of Balance, das meiner Vorstellung vielleicht sogar mit am nächsten kommt, aber die beiden Hälften nicht genug miteinander verwebt. Auch optisch sind da an vielen Stellen die Unterschiede zu klein (Städte), an ein paar anderen zu groß (Geographie mit komplett verschobenen Kontinenten usw.).
Okay, das hier ist mal wieder länger geworden als ich eigentlich geplant hatte. Aber denke, dass der Vorschlag ein weiteres Beispiel dafür ist, wie sehr das Setting in gut gemachten RPGs mit Handlung und Gameplay verwoben sein kann und wohl auch sein sollte. Mehr als bloße Kulisse.
Dito. Hängt aber immer auch stark von der Umsetzung ab.
Genau von dieser Art von Originalität würde ich zu gerne häufiger etwas sehen![]()