Heidi (Alps no Shoujo Heidi アルプスの少女ハイジ, 1974)
Heute habe ich die letzten Folgen von Heidi geguckt. Die Serie ist zwar nicht die erste Anime-Adaption eines westlichen Kinderbuchs (Andersen Monogatari (1971) und Yama Nezumi Rocky Chuck (1973) kamen z.B. früher), hatte aber im Gegensatz zu den anderen Menschen und keine Fabelwesen als Hauptfigur und hat diese Art von Geschichten für viele Jahre popularisiert hat.
Heidi zählt zu den eher unbeschwerten und fröhlichen Werken des World Masterpiece Theater. Viele der Geschichten sind ja teils heftige Tragödien, Heidi hingegen hat bestenfalls ein paar betrübliche oder schwermütige Momente, aber die Grundstimmung ist fast immer positiv. Entsprechend ist auch das Drama sehr bodenständig und es geht um sehr alltägliche Dinge. Das bescheide und ländliche Leben in den Alpen steht im Mittelpunkt und neben der Kinderperspektive (ausgelassenes Spielen in den Almwiesen zu allen Jahreszeiten, Erkundung der Natur etc.) werden auch Dinge wie die Käseherstellung oder Schreinerarbeiten relativ detailliert dargestellt.
Man merkt, wie sich Hayao Miyazaki und Isao Takahata viel Mühe gegeben haben, das Setting und die Kultur authentisch herüberzubringen. Moderne Anime-Serien stellen das Ausland ja gerne als besonders exotisch da – eine japanische Hauptfigur reist beispielsweise nach Italien (bzw. Faux-Italien), wo dann viele Länderklischees ausgepackt werden und die japanische Vertonung wird mit zufälligen italienischen Wörtern angereichert, was mich immer zum Schaudern bringt. In Heidi verhalten sich die Figuren durchaus europäisch und nicht japanisch: Beispielsweise verbeugen sich nicht, sondern schütteln einander die Hand. Die japanische Vertonung setzt zwar gelegentlich auf Namenssuffixe, davon wird aber hauptsächlich in Frankfurt Gebrauch gemacht, wie die Menschen vornehm klingen sollen.
Die Serie hat den Stil von Isao Takahata sehr stark geprägt. Nach Taiyou no Ouji (1968) (alias Horus, Prince of the Sin bzw. Hols, wie es in dem nordischen Setting eher heißen sollte), einer klassischen Heldenreise mit Märchenelementen und politischer Botschaft, und Pando Kopanda (1972-1973), einem sorglosen und ausgelassenen Kinder-Abenteuer mit magischen Elementen, ist Heidi die erste TV-Serie unter der Regie von Takahata. In späteren Werken ist auf jeden Fall der Fokus auf einfache, alltägliche Handlungen und Momente wiederzufinden. Das habe ich an Takahatas Werken immer sehr geschätzt und in Heidi sieht man, wie das alles begonnen hat.
Überraschenderweise fand ich die Serie trotz der Länge und des langsamen Erzähltempos nie langwierig oder langweilig. Die Handlung verzeichnet eine kontinuierliche Entwicklung, auch wenn sie größtenteils immer noch episodisch genossen werden kann, d.h. wenn man mal im Fernsehen eine oder ein paar Folgen verpasst hat, kommt man trotzdem schnell wieder rein. Obwohl das Quallmaterial sicherlich sehr frei adaptiert und um viele Szenen erweitert wurde, fühlt sich keine Folge überflüssig an. Es ist sehr schön, mit welchen Detailgrad die Beziehungen zwischen den Figuren beschrieben werden. Beispielsweise statt die Großmutter von Klara der Großmutter von Peter einen Besuch ab, obwohl beide Figuren eine untergeordnete Rolle für die Handlung spielen. Solche simplen Interaktionen machen die Figuren sehr greifbar und die Darstellung sehr authentisch.
Animationstechnisch ist Heidi relativ simpel, wie quasi alle TV-Serien aus dieser Zeit. Es gibt zwar durchaus viele sehr ausdrucksstarke Sequenzen und gerade rennende und spielende Kinder werden sehr überzeugend dargestellt, aber im Vergleich zu Toeis Kinoproduktionen zu der Zeit ist die Animation natürlich sehr limitiert. Im Gegensatz zur heutigen Zeit, wo die Episoden parallel produziert werden und jede Episode einen einen Episode Director (演出) hat, war es damals noch üblich, dass eine Person bei der ganzen Serie Regie führt. Ich weiß nicht genau, wie viele Prozesse parallelisiert stattfanden, aber es ist auf jeden Fall weniger als heute, wo der Animationsprozess einer einzelnen Folge etwa 4-6 Wochen beträgt, wenn ich mich nicht irre. In einem Interview hat Hayao Miyazaki mal gesagt, dass bei Future Boy Conan die Produktion einer Folge 10-14 Tage gedauert hat. Da die Serie nur 26 Folgen hatte und trotz des großzügigen Vorlaufs im späteren Verlauf in Verzug geriet, nehme ich an, dass die Produktion einer Episode bei einer 52-teiligen Serie insgesamt noch schneller ging, zumal Heidi ein relativ kleines Setting hat (die Alpen und Frankfurt) und keine Weltreise darstellt.
Wo wir beim Setting sind: Die Serie hat viele beeindruckende Hintergründe, sowohl in den Alpen als auch in Frankfurt.
Ich habe keine großen Kritikpunkte an der Serie. Wie bei Future Boy Conan fand ich aber, dass die Hauptfigur etwas zu stark idealisiert wurde. Heidi ist in jeder Situation wirklich ein Musterkind und das, obwohl sie zu Beginn der Handlung erst fünf Jahre alt ist. Aus diesem Grund wirkt Heidi weniger glaubwürdig als andere Figuren, die über eindeutige Makel verfügen, wie etwa Peter, der schnell beleidigt ist, oder ihr Großvater, der kein gutes Verhältnis zu den Dorfbewohnern pflegt. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ein Bett aus Stroh nicht so gemütlich und elastisch ist, wie es manchmal in der Serie dargestellt wird.
Die Serie wurde sehr gut in HD remastert, der Ton wirkt natürlich trotzdem recht altbacken. Ich habe die Serie außerdem größtenteils auf Japanisch mit Japanischen Untertiteln geguckt, was auch sehr interessant war. Die existierende deutsche Version und auch andere europäische Versionen nehmen sich wie damals üblich so einige Freiheiten. Zwar wurde an der Handlung im Großen und Ganzen nichts verändert, aber die Dialoge unterscheiden sich im Details teils schon sehr deutlich.
Unterm Strich kann ich nur sagen, dass ich erfreulich viel Spaß an Heidi hatte (mehr als mit vielen modernen Animes) und mich trotz des Alters sehr schnell eingewöhnt habe. Durch den geringen Fokus auf Action und die weitestgehende Abwesenheit von typischen/ikonischen Dramatik- und Storyklischees ist die Serie auch recht gut gealtert. Bin schon gespannt auf die anderen Werke des World Masterpiece Theater, insbesondere die, die stärker von einer Hauptgeschichte getrieben werden und sich mit dem Thema Reise beschäftigen (z.B. .Haha o Tazunete Sanzenri aka 3000 Leagues in Search of My Mother aka Marco).