"Dann soll es so sein. 1500 Leute. Techniker. Stadtbewohner. Latino-Kids..."
"...und ihre Eltern! Ich schicke da nicht 500 Kinder nach unten, ohne einen richtigen Schutz."

KILA seufzte hörbar.

"1750 Menschen also, inklusive der 6 Überlebenden der Düsterburg und den Überlaufern aus der Administration."
"Nicht so schnell, meine Damen. Denkt ihr wirklich, ich als Präsident erlaube es einfach so, dass ein paar Verbrecher über den staatseigenen Bunker entscheiden?"
"Präsident, es ist ja nicht so, als würden wir Ihnen eine Wahl lassen."

Amira lächelte siegesgewiss.

"Ihre Agenten haben sich ergeben, presidente. Wir werden sie einsperren - und sie haben keine Möglichkeit, ihren Einfluss hier auszspielen."

Es war kurz ruhig.

"Das ist jetzt unser Bunker. Und es wird Zeit, ihn zu erobern."

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Noch während Amira Ramirez sprach, schlitterten die ersten Neuankömmlinge durch das Lüftungsystem in den Versorgungsschacht. Es waren tatsächlich Kinder, die verängstigt und verheult waren, aber tatsächlich den Weg hier runter allein angetreten waren. Hin und wieder war eine junge Mutter dabei, die sich an dem Seil festklammerte, dass die Freiheitskämpfer immer wieder herunterließen und hinaufzerrten. Während die anderen in den Versorgungsgängen warteten, quetschte sich Erie, begleitet von ihrem treuen Freund Robert Silver, durch den engen Gang, der zu dem zentralen Belüftungssystem führte. Vorgeblich, um hier hier Ströme der Latinos zu kontrollieren, und die Neuankömmlinge in den Hauptteil des Bunkers zu leiten.

Es bedurfte nur eines Kopfnickens zwischen den beiden alten Freunden, eine letzte Berührung an der Schulter - und dann griff Erie das Seil, als es gerade im Begriff war, nach oben gezogen zu werden und nutzte den improvierten Fahrstuhl durch die Lüftungsrohre, um an die Oberfläche zu kommen. Als sie gerade hinter der Metallblende verschwand, hörte sie noch die letzten Worte des Pyromanen, der ihr Leben gerettet hatte.

"Leb wohl, alte Freundin."

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Unter den ersten Gruppen der Ankömmlinge waren nicht nur Kinder. Ein paar junge Mädchen, vielleicht 15, führten die kleineren Kinder an den Händen in Richtung der Bunkeranlagen. Aber zwei kräftige Teenager - eigentlich fast schon junge Männer - schälten sich aus dem Strom der Flüchtlinge und bewegten sich auf die kleine Gruppe der Überlebenden zu, die in den breiten Gängen warteten und versuchten, den Latinos den Weg zu weisen. Zielsicher steuerten sie auf Leigh zu, die am Arm von Leona festgehalten wurde.

"Ustedes son los asesinos?"
"...Ähm?"
"Amira se ha descrito. Debemos conseguir que encarcelarlos."
"Bitte?"
"Festhalten. Bis Amira ist hier."

Der eine ergriff Boyle am Arm - durchaus sanfter, als der ehemalige Anführer es vielleicht gedacht hätte - und der andere entriss Leighs Arm aus Leona Umklammerung und kümmerte sich auch kaum um Leonas gewimmertes "Nein!". Die beiden Latinos nickten sich zu und unterhielten sich kurz auf Spanisch. Und dann blieben sie einfach stehen, flankierten das kleine Grüppchen an Überlebenden.

"Wollt ihr uns nicht einsperren?"
"...No. Senora Ramirez wird sich kümmern."

Matt verschränkte die Arme vor der Brust, während die beiden Wachen - etwas verloren - darauf Acht gaben, dass weder Boyle noch Leigh weg konnten und keine Chance hatten, ihren Auftrag zuende zu bringen - nicht, dass sie beiden das gewollt hätten.

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"MANUELLER OVERRIDE AKTIV. FAHRSTUHLSTEUERUNG ÜBERTRAGEN."
"Na bitte! Geht doch!"

Kiara, die bis gerade eben noch bis zur Hüfte in einem Elektropanel steckte, tauchte erfolgreich wieder daraus hervor und grinste Amira an, die mit verschränkten Armen neben ihr vor den verschlossenen Türen des Fahrstuhls stand.

"Es kann losgehen!"
"Und du bist dir sicher, dass diese... Amerikaner... die richtigen für unseren Aufenthalt da unten sind?"
"Sie sind ausgebildete Techniker, Amira. Und jetzt diskutiere nicht, du hättest auch aus deinen Männern die besten Techniker und Ärzte heraussuchen können...
"Ich werde keine meiner Menschen nach ihrem Wert bewerten. Das ist vielleicht etwas, was ihr macht. Aber nicht ich."

Mit einem leisen Ping kam der Hauptfahrstuhl an und öffnete seine Türen. Die jungen Techniker drängelten sich an Kiara und Amira vorbei - die erste Fuhre bestand aus den Kräften, die in der Lage waren, den unteren Teil des Bunkers zu öffnen und die sich mit dem Grundriss der Gebäude auskannten. Aber auch die beiden Anführerinnen des Aufstands würden dabei sein. Nachdem die ersten hundert Techniker den Platz im Fahrstuhl komplett ausgefüllt hatten, traten Amira und die ehemalige KILA in den Aufzug. Kiara aktivierte ihr mobiles Funkgerät.

"Es kann losgehen, Matt."

Ein paar Stockwerke tiefer legte der junge Mann den Schalter im kleinen Wärterhäuschen um, zeitgleich mit Kiara, den den Aufzug oben bediente. Die Türen schlossen sich, und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Es war Zeit, der Oberwelt Lebewohl zu sagen.

Die Fahrt nach unten war kurz. Erst öffneten sich die Stahltüren des Fahrstuhls, dann die inneren Türen des Bunkers. Im Gang vor dem Fahrstuhl warteten bereits die ehemaligen Bewohner der Düsterburg.

Boyle und Leigh, immernoch bewacht von den beiden jungen Männern.
Robert Silver, der wieder zurückgekommen war - ohne Erie - und sich die Manschettenknöpfe richtete.
Leona, die immer wieder Seitenblicke zu Leigh warf.
Und Matt, der die Menge etwas fragend absuchte und dann an dem Gesicht der blonden, jungen Frau hängen blieb. Ihr Blick traf seinen, und sie lächelte.

"Hey."

"Ich hab dich ja zu 'nem Picknick hier unten eingeladen. Aber irgendwie hab ich mir das... privater vorgestellt..."
"Tja, man kann nicht alles haben. Rettung der Menschheit ist ein ganz guter Anfang.

Während sich die ersten Techniker ihren unmittelbaren Aufgaben widmeten - die zweite Fuhre an Menschen herunterbringen, die Türen zum unten Bunker öffnen, die Luftreinigung wieder gangbar machen - schritt Amira an ihnen vorbei, bedachte sie alle eines kurzen Blickes und blieb dann vor Boyle und Leigh stehen - den letzten beiden verbliebenen Mördern. Sie blickte beiden kurz ins Gesicht und nickte den jungen Wachen einmal kurz zu, die daraufhin sofort die Arme der Mörder losließen..

"Mitkommen. Wir haben viel zu besprechen."

Gerade als die mit den beiden verwirrten Schuldigen in Richtung der eigentlichen Bunkeranlagen gehen wollte, drehte sich Kiara um.

"Hey! Was soll das werden?"
"Ohne diese beiden wären wir jetzt nicht hier. Wir werden sie bestrafen, ja. Aber vielleicht nicht so, wie es dir passt. Sie sind nicht schuldiger als Du."

Die Rebellenanführerin nickte der empörten KILA zu und war schon bald in den sich vermischenden Flüchtlingsströmen verschwunden. Es gab viel zu planen für die nächsten Jahre.

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Der Weg nach oben war erstaunlich kurz. Erie klammerte sich an dem Seil fest, welches sie erstaunlich schnell nach oben trug, vorbei an rauschenden Maschinen. Und schon bald war sie oben und blickte in das erschrockene Gesicht eines jungen Latinos, der sich gerade daran machte, sich abzuseilen. Es war nur noch ein letzter Ruck, und die alte Dame hiefte sich auf den festen Betonboden im Erdgeschoss der Düsterburg. Während sich weinende Kinder von ihren Eltern verabschiedeten, bevor sie den Weg durch die Lüftungsschächte antreten würden, huschte Erie in den Schatten an ihnen vorbei. Sie wurde nicht beachtet. Hinter ein paar verschlossenen, verrammelten Türen hörte sie wütendes Klopfen und Schreien. Es waren die reichen Bewohner der Stadt, die sich einen Platz in der Düsterburg gesichert hatten, und die von den mexikanischen Rebellen im Gebäude eingesperrt wurden - einfach, um die Operation nicht zu stören. Auch ein paar versprengte Bewohner von Las Vegas drängten sich hier noch an Erie vorbei, bevor die Lüftungsanlagen wieder versiegelt wurden und somit die letzte Chance orbei war, in den rettenden Bunker zu kommen.

Die Glastüren nach draußen waren gesplittert und hingen eher schlecht als recht in ihren Angeln. Die Abgewiesenen schienen sich immer noch im Hauptflügel zu befinden, denn als Erie, zum ersten Mal seit Jahrzehnten, die saftige, grüne Wiese betrat, fand sie eine menschenleere Ebene vor sich. Im Tal schimmerten die Lichter der Stadt, aber hier oben, direkt am Hoover Damm, war es ruhig. Friedlich. Kaum zu glauben, dass sich unter diesem Berg zwei Bunkeranlagen befanden, in denen sie die letzten Jahre verbracht hatte. Kaum zu glauben, dass sich da drin gerade Eltern von ihren Kindern verabschiedeten, um sich in eine ungewisse Zukunft zu begeben.

Die Sonne ging gerade unter und war nur noch als kleine Punkt hinter dem Horizont auszumachen. Fast genauso hell leuchteten de Geschosse am Abendhimmel, die sich aus Westen ihren Weg bahnten und schon bald auf die Erde treffen würden. Für Erie aber zählte nur eines.

Sie war frei.