Sie hatten überlebt. Diese Nacht war Niemand von ihnen gegangen.
Doch das traurige war, dass nicht jeder Solches von sich behaupten konnte.
Eerie bot einen erbärmlichen Anblick, die dicke Französin schlurfte mit eingesunkenen Schultern durch die Flure und ihre fleischigen Lippen bebten im Takt ihrer einsamen Schritte.
Jeder der sie erblickte, wusste und konnte erahnen, wie schwer die Schuld auf ihren Schultern lastete, die Bürde, das Wagnis, die Reue.
Was sie getan hatte, das verdiente keine Vergebung und was sie durch ihr Versäumnis, ja, fast schon ihre himmelschreiende Dummheit, der Gruppe angetan hatte, konnte sich in einem Sturm aus Hass und Vorwurf auf sie entladen. Sie konnte nur hoffen und beten, dass man ihr den kleinen Fehler, ihren einzigen Fehlgriff jemals, verzeihen würde.
Denn sie selbst machte sich schon genug Vorwürfe.
Wie konnte sie es nur so weit kommen lassen?
"Warum nur....", fragte sie sich bibbernd und am ganzen Leibe schlotternd, mit Tränen in den Augen und einem faustdicken Kloß in der Kehle, "...habe ich keinen Zaun um den Zitronenbaum Clementine gezogen?"
Es war ihre Schuld, allein die ihre... sie hätte es besser wissen müssen. Den Baum besser schützen müssen!
Was würden ihre Schutzbefohlenen, ihre Kinderchen nur dazu sagen, wenn es plötzlich keine Zitronen mehr gab?
Sie konnte es sich nicht ausdenken. Als Eine der wenigen, noch lebenden Alteingesessenen, wusste sie, dass die Proteinpaste einen erheblichen Mangel an Vitamin C aufwies.
Die Folge wären zerstörte Zähne und Mangelerscheinungen.
Das gute Aussehen von Matt, von der "wilden Rose" und der "sanften Lilie", standen auf dem Spiel.
Doch soweit wollte sie es nicht kommen lassen...
Noch bevor es Frühstück gab und als noch alle Überlebenden in der Mensa versammelt waren, trat sie zu ihnen.
In den Händen die dahingemordeten Überreste des einzigen unschuldigen Wesens hier unten.
Undeutbare Blicke schlugen ihr entgegen. Sie schluckte schwer.
Doch das hatte sie auch schon früher machen müssen als sie noch verheiratet war.
Und auch das Sprechen vor versammeltem Personal.
Sie gab sich jede Mühe, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, vertraute auf ihre Schauspielkünste, die sie durch das Leben mit vier Ehemännern begleitet hatte und als sie ihre gewohnte Maske aus Strenge und Arroganz aufsetzte, der sie wie einen Schutzmantel umgab, fühlte sie sich auch sofort besser. Stärker und unantastbarer.
"Werte Mitinsassen.", sagte sie laut und deutlich hörbar. Sie nickte sich selbst zufrieden zu, als kaum ein Vibrieren ihrer Stimme verriet, wie aufgewühlt ob des Verlustes von Clementine war.
"War Dr. Tod ein Mörder?", stellte sie die rethorische Frage. "Ja, war er. Aber nicht unser gesuchter Mörder. Er war also so unschuldig wie auch ich es bin. Viele von euch wissen was ich vor einer unendlich langen Zeit getan habe. Und vielleicht wieder tun würde für Ummengen an N-Euros, feine Pelze, einen Palast und einen kläffenden Köter. Aber das, Ihr Herzchen...", sie lächelte nachsichtig und arrogant, "...kann mir Niemand von euch bieten. Ergo seid ihr also alles sicher vor mir, das schwöre ich bei dem Einzigen, das mir hier unten noch lieb und teuer ist - mein Garten."
Sie stemmte die Fleischpranken in die speckige Hüfte und lächelte freudlos.
"Warum Dr. Morte also sterben musste? Weil er sich gegen die Gemeinschaft stellte."
Mit einer Theatralik, die auch dem verblichenen Dr. Tod gut zu Gesicht gestanden hätte, legte sie etwas blaue Plane auf einen der Tische in der Mensa und schlug dann einen Umschlag der Plane zur Seite um einen zertretenen Ast Zitronenbaum zu präsentieren.
Das erste Unverständnis ihrer Mitinsassen irriterte sie.
"Dr. Tod hat mein liebstes Kind getötet.", blaffte sie und zeigte auf das traurige Ästlein. "Und nebenbei bemerkt unsere einzige Quelle an Vitamin C.", sprach sie nach einer bedeutungsschwangeren Pause.
"Aber ich kann den Baum retten. Alles was ich brauche, sind ein paar starke Hände." Sie blickte sich um, dann blieb ihr Blick bei Lilie und Rose hängen, sie lächelte ihr gruseliges Haifischlächeln und ergänzte: "Oder ein Paar zu Pflanzen zärtliche Hände."
Und dann winkte sie die Leute herbei, einen Blick auf Clementine zu werfen und "Abschied zu nehmen", wie sie es nannte.
Wer diesem - fast albernen - Aufruf folgte, sah einen Zettel am Boden der Plane, so unter dem Strauch drapiert, dass die Kameras es nur würden sehen können wenn sie direkt über ihnen postiert waren.
Darauf war zu lesen:
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