Der Morgen in der Privatzelle des Anführers war definitiv erheblich angenehmer als jeder einzelne Tag, den er bisher erlebt hatte. Das Bett war zwar deutlich durchgelegen, und über die langen, schwarzen, blonden und roten Haare auf der anderen Seite des Doppelbettes machte er sich auch lieber keine weiterführenden Gedanken, aber für seine Begriffe hatte Boyle ganz hervorragend geschlafen. Er ließ die Füße vom Bett baumeln, lief die ersten paar Schritte durch seinen Raum und stellte voller Freude fest, dass er einen privaten Wasch- und Toilettenraum hatte. Don Leone hatte hier sogar noch ein paar unbenutzte Rasierklingen liegen! Er kannte bisher nur die billigen Elektrorasierer, die im Männerwaschsaal an der Wand montiert waren, und von denen die Hälfte nicht mehr funktionierte.
Als den Waschraum wieder verlassen wollte, fiel ihm im Müllkorb des kleinen, aber feinen Badezimmers etwas auf. Es glänzte leicht im Licht der morgendlichen, warmen Beleuchtung. Es war... eine Rasierklinge. Und sie war blutverschmiert. Ein gruseliger Anblick, aber hey, es konnte ja durchaus sein, dass der Don sich bei seiner letzten Rasur vor dem Tod geschnitten hatte, oder?
Boyle verdrängte den Gedanken schnell wieder und ging zu dem Schreibtisch. Dieser war makellos aufgeräumt - merkwürdig, da der Don als unordentlicher Mensch bekannt war, der seine weiblichen Bediensteten hinter sich herräumen ließ. Auf dem Schreibtisch war kaum ein Staubkorn, keine Dokumente, gar nichts. Nur das Telefon stand hier unter einer altmodischen Bürolampe mit grünem Schirm. Boyle zog eine der Schubladen auf, und darin war - nichts. Ein paar saubere Stapel leeres Papier, ein paar angespitzte Bleistifte, ein Locher. Aber nichts von Interesse.
Er nahm den Hörer vom Telefon und hielt ihn sich ans Ohr. Stille. Zumindest aus dem Hörer.
"Boyle, das Telefon funktioniert nicht."
"Warum steht es dann hier, KILA?"
Sie war kurz ruhig. Und dann atmete sie durch.
"Das ist heute nicht mehr wichtig. Das Aufgabengebiet des Anführers ist mittlerweile ein ganz anderes als es damals war."
"KILA, warum hatte der Don ein Telefon?"
"..."
"KILA!"
Aber KILA antwortete nicht mehr. Und das Telefon blieb stumm.
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So schnell ihn seine Beine tragen konnten, war Dr.Tod durch die Industriestation gestürzt. Vielleicht auch, um von Matt und seinen komischen Fragen wegzukommen. Das Handy fest umkrallt und ein wenig außer Puste war er dann an der Tür angekommen, die ihn von der Außenwelt trennte.
Die Tür war breit, viel breiter als alle anderen Türen in der Düsterburg. Und als der Doc nach unten blickte, konnte er Schienen sehen, die aus der Industriestation durch die Tür nach draußen führten. Aber Das Handy war immernoch stumm und hatte keinen Empfang. Er erinnerte sich an die Zeit vor seiner Festnahme - wie war das, man musste an einen hohen Ort gehen, um besseren Empfang zu haben, oder? Gut, "hoch" war in einem Bunker unter der Erde relativ, aber je weniger Erdreich sich zwischen ihm und der Freiheit befand, desto besser, oder?Zitat
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Mit dem Finger fuhr Leona über die großen Metalltische, die im Zentrum der Industriehalle aufgebaut waren.
Sie sahen nicht so aus, als wären sie eilig verlassen worden. Es schien nur so, als hätte sich mit der Zeit niemand mehr die Mühe gemacht, hier aufzuräumen. Leona hatte vier Möglichkeiten. Sie konnte sich einen einzelnen Tisch genauer anschauen.Zitat
- Sie konnte sich den Tisch oben links anschauen, wo zahlreiche kleine Metallteile lagen, und auch ein paar kleine Lötkolben. Es sah so aus, als wären hier die hauseigenen Reperaturen durchgeführt worden - sie erkannte ihre alte Lieblingsgießkanne aus Metall, die geflickt werden musste und nun hier auf dem Tisch stand und auf ihren nächsten Einsatz wartete.
- An dem Tisch oben rechts lagen an jedem einzelnen Arbeitsplatz kleine Papierstapel, Mappen und Akten. Und in der Mitte war ein Becher mit... perfekt erhaltenen Bleistiften. Es war unheimlich schwer, in der Düsterburg an neue Bleistifte zu kommen, aber irgendwie schafften es immer wieder Industriearbeiter, welche herbeizuzaubern - jetzt wusste Leona, woher sie kamen.
- Der Tisch unten links war fast komplett leer, und hier waren auch signifikant weniger Stühle zu finden als an den anderen Tischen.
- Der Tisch unten rechts war extrem dreckig, und auch hier waren Tischgeräte und -maschinen rund um die Sitzplätze verteilt. Aber die wenigen Gegenstände, die hier noch herumstanden, kamen Leona so gar nicht bekannt vor - sie wirkten, als würden sie nicht zur Düsterburg gehören.
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Mr. Silver schnaufte ein bisschen von der Anstrengung, aber gleichzeitig wollte er es auch so gut wie möglich vermeiden, in der Medizinstation zu atmen. Die Luft hier war schwer und süßlich, und es wurde mehr als Zeit, die Leiche von Thatcher zur Verbrennungsanlage zu bringen. Er wickelte die schwere Leiche in das Betttuch von Alek und wollte so die wenigen Meter zu der Klappe zurücklegen. Als er Thatcher so über den Boden zog, und ihn schließlich in den schweren, bleiernen Sarg einschloss, der seine Leiche in Flammen würde aufgehen lassen, fiel ihm etwas auf.
Thatcher war ehemaliger Industriearbeiter. Diese verschwiegene, eingeschworene Gruppe unter der Fuchtel dieser fürchterlichen Furie Smithee, die es immer wieder schafften, Kleinode aus der Außenwelt aufzutreiben. Diese Leute konnten alles reparieren. Warum lief dieser Mann also in so einem Fetzenanzug herum? Und was hing da aus seinem Ärmel?
Robert war es zuwider, die kalte Leiche zu berühren, aber zwischen der Außenhaut seiner Jacke und dem Futter schien ein Zettel eingenäht zu sein. Mit spitzen Fingern zog er das Schriftstück heraus, bevor er die Klappe zu der Verbrennungsanalge schloss und den Knopf drückte, der die Flammen aktivierte. Im Schein des Feuers, das durch das Bullauge schien, klappte Robert den Zettel auf.
Der Rest ergab für Robert nicht wirklich viel Sinn, es waren Computerbefehle und eine gekritzelte Notiz.Zitat
"Ich habe keine Ahnung, was ich am PC machen soll, Karl. Ich kenn nichtmal dein Passwort. Ich weiß nur, dass es Denarii schon einmal nicht ist."