Was für ein Herumgehampel. Boyle hatte sich so beeilt, die Kresse zu zupfen, um Eerie noch alles im Speisesaal zu zeigen - er wusste ja nicht, dass dort bereits etwas geschehen war und Leroy längst einen Rekruten gefunden hatte -, es war ein Wunder, dass er die Wurzeln wirklich nicht beschädigt hatte. Eerie war dann aber sowieso kurz in der Küche verschwunden, und er selbst hatte gesehen, dass in der Zwischenzeit tatsächlich etwas geschehen war und er wirklich nicht so herumjammern hätte müssen. Und dann hatte er auch noch vergessen, die Hälfte von dem Kressezeug mitzunehmen und musste noch einmal zurück. Selbst Schuld, aber es nervte trotzdem.
"Mr. Boyle... Lionel... ich weiß, es ist nicht leicht, aber der Tag neigt sich dem Ende zu und ich verzeichne noch nicht eine einzige Stimme. Ich... also... wenn sich alle Insassen weigern, abzustimmen, dann stirbt an dem Abend niemand, aber wir haben ja schon einmal berechnet, dass das nur den Mördern hilft. Ich kann euch heute Nacht nicht noch einmal beschützen, ich... ich... muss euch leider auch drängen, jemanden zu wählen. Es ist auch nur mein Job."
Erst verzog er nur das Gesicht und schwieg, als würde er gar nicht richtig hinhören. Er hasste es, an diese dämliche Abstimmung zu denken und merkte, wie gut ihm dieser eine Abend ohne diese eigentlich getan hatte.
Auch wenn es durchaus nicht spurlos an ihm vorbei ging, wie anderes KILA nun wieder klang im Vergleich zu vorhin in seiner Privatzelle. Irgendetwas in ihrer Stimme hörte sich gar nicht gut an, aber er wischte die Gedanken zur Seite. Es war nur KILA. Eine Funktion, die ihnen manchmal vorgaukelte, sie alle persönlich zu kennen und sich für sie zu interessieren.
Als nach einer kurzen Pause ein verzweifeltes "Bitte?" aus dem Lautsprecher klang, war sein Widerstand jedoch schon gebrochen. "Bitte" war ein Wort, das Boyle selbst kaum verwendete wenn er etwas haben oder erreichen wollte, und er überlegte sich immer gut, wann er es einsetzte.
"Ich kümmere mich schon darum.", murmelte Boyle also genervt, während ihm ein leises Rauschen deutete, dass der Lautsprecher weiter eingeschalten zu sein schien, ohne dass KILA ihm antwortete. "Versprochen.", fügte er hinzu, und nun war es endlich wieder vollkommen ruhig. Trotzdem fuhr er in der Stille fort: "Aber ich benutze Boyles Methoden. Wenn das nicht passt, kann ich auch nichts machen."
Noch schlechter gelaunt als ohnehin schon durch sein Herumgerenne, ging Lionel schließlich in den Speisesaal, wo Matt sofort mit offenen Armen auf ihn zuschritt, um ihm die verdammte Kresse abzunehmen. Da war ja doch jemand noch voller Tatendrang. Da Leroy und Erie sich gerade in einem Gespräch zu befinden schienen, verschob er den offiziellen Teil bei ihnen auf später.
Boyle machte also gleich wieder kehrt, trat auf den Gang hinaus und sah in beide Richtungen. Wo waren eigentlich die ganzen anderen Leute inzwischen? Als erstes erspähte er Tod und Theo, die offenbar auch auf der Suche waren, aber sich in irgendeinem Gespräch festgesetzt hatten. Tod war schon dabei, seinen Mund zu öffnen als er ihn sah, aber Lionel unterbrach ihn rüde und sagte laut: "Passt auf, Anführer-Ansage. Wir sind mit dem Gegengift beinahe fertig und es wird spät. Ihr wisst ja, dass wir heute wieder abstimmen müssen und wir sind nicht besonders gut im Zeitplan. Also gilt ab jetzt Folgendes: Wer keine Stimme abgibt, hat keinerlei Anspruch auf das Gegengift." "Aber-" "Boyle out." Er machte eine Handbewegung, die irgendwie deutete, dass er keine Zeit hatte, darüber zu diskutieren und schnell weitermusste. Nach sowas einfach abzutauchen war offensichtlich einfacher, wenn man wie KILA nur durch einen Lautsprecher sprach, aber er wollte es einfach auch mal gesagt haben.
"Aber wir müssen über etwas spre-", fuhr Tod Boyle nun aufgebracht an. "Kommt gleich in den Speisesaal, wenn es etwas zu besprechen gibt." Und dann war er wirklich weg, um in die anderen Räume und Gänge zu eilen.
Genau dieselbe Ansage musste Lionel noch zwei, drei Mal machen, um die verstreuten Leute zu informieren, und er war sich nicht einmal sicher, alle erwischt zu haben. Zwischendurch lauschte er auch immer wieder, ob KILA sich einschaltete, aber bis jetzt hatte sie noch nichts gegen "seine Methode" gesagt. Er wusste aber, dass das immer noch folgen konnte. "Lionel redet Schwachsinn, natürlich haben alle eine Chance, das Gegengift zu erhalten.", hörte er schon ihre Stimme, die in seiner Vorstellung gerade vermutlich ein bisschen ulkiger klang als sie war. Aber so lange das nicht passierte, funktionierte es vielleicht, ein paar schon mal zum Wählen zu bringen.