Mit einer Portion Mut, die für sie völlig untypisch war, die sie aber auch irgendwie genoss, ließ Leona sich in das Fass gleiten. Sie konnte darin bequem stehen. Auch, wenn es für zwei Personen definitiv zu eng war - für die zierliche Frau reichte der Bootsersatz erstaunlich gut aus. Aber wie - und ob - sie Senor Estaga hier hineinbekommen würde - das war ein Problem der Leona in 10 Minuten. Zunächst stand das Übersetzen auf dem Plan. Vorsichtig tastete sie mit dem langen Stock nach dem Boden des Behälters. Mit einem leisen Klonk kam sie auf den Metall auf. Das war ja schon einmal gut.
Eigentlich fast zu gut, um wahr zu sein, denn der Stock kam so in der idealen Länge zum stehen, sodass sie ihn bequem greifen und damit staken konnte. Aber beim Herausziehen des Metallstabes aus der Masse - da überkam es sie wie eine Welle aus reinen, braunen Exkrementen. Anscheinend bedeckte die relativ feste Schleimschicht nur die oberste Ebene des Behälters, und alles darunter war alles andere als wohlriechend und neutral. Die wenigen Überreste des chemischen Mittels, welches die Hinterlassenschaften austrocknete, kam nicht mehr so tief. Mit jedem einzelnen Stich in den Boden riss sie ein Loch in die Decke, die den Geruch bisher aufgehalten hatte. Nach 5 Metern stank es bestialisch, nach 10 Metern war es fast unerträglich - aber Leona hielt durch. atmete bewusst und langsam durch den Mund. Es war auch nicht schlimmer als das eine Mal im Krankenhaus, als sie in die überfüllte Leichenkammer geschickt wurde, wo die Opfer des letzten Aufstands auf die Verbrennung warteten.
Nach guten 15 Minuten schließlich hatte Leona die andere Seite des matschigen Tümpels erreicht und die Oberfläche gut aufgestochen. Der Dft musste mittlerweile auch den gang nach oben ziehen, aber der jungen Frau war das herzlich egal. Sie war angekommen.
Wenigstens hielt Senor Estaga keine größeren Überraschungen für sie bereit. Mit ein bisschen mentaler Überzeugungsarbeit konnte sie sich einreden, dass das hier auch nichts anderes war als das Schulskelett aus dem Biologieunterricht. Die Knochen waren mittlerweile sauber freigelegt und glänzten förmlich im fahlen Licht der Notbeleuchtung. Das Skelett war völlig intakt, auch wenn die Gefängniskleidung des Mannes mittlerweile in Fetzen von den Knochen hing. Daneben lag eine geschlossene, knallrote Sporttasche auf der Masse.
Noch während Leona überlegte, wie sie den Leichnam am besten transportieren konnte, rumorte es in dem braunen Tümpel. Die oberste Schicht der braunen Masse rumorte, einer ihrer Einstiche in den Morast blubberte kurz, und ein fürchterliches Geräusch erschütterte den Raum. Anscheiennd war nach Jahrzehnten der Untätigkeit der Abfluss plötzlich frei geworden und würde nun alles einsaugen, was sich in seinem Weg befand!
Gerade, als Leigh um die letzte Ecke bog, konnte sie sehen und hören, wie Leona mit einem spitzen Schrei locker einen halben Meter absackte. Der Morast war plötzlich und schwallartig flüssig geworden, und der blonden Frau würden nur wenige Sekunden bleiben, eine Entscheidung zu treffen. Leigh warf ihr mit all ihrer Kraft den rettenden Gartenschlauch entgegen, mit dem sie dem schwallenden See aus Hinterlassenschaften entkommen konnte. Aber um ihn zu ergreifen, würde Leona eine Hand brauchen - sie konnte also nur eine Sache mitnehmen.
Entweder sie griff nach dem Skelettkörper, um dessen fragilen Hals eine goldene Kette mit einem glänzenden Ring hing.
ODER sie griff nach er großen Reisetasche, die daneben in der Scheisse schwamm, von der sie aber nicht sehen konnte, was sich darin befand.
Das jeweils Übrige würde in den Abfluss fließen und wäre wohl nicht mehr zu bergen...
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Matt legte das zerknüllte Papier stolz auf den Pergament von Mr. Silver und begann zu schraffieren. So sah das doch aus, wenn man Abdrücke von alten Dokumenten abpausen wollte, oder?
"Sind Sie sicher, dass das mit einem Computerausdruck klappen wird?"
"Ist 'n Versuch wert, oder, Mr. Silver?"
Aber leider erschien nichts neues auf dem Papier. Die zerknüllten Linien des alten Briefs an den Mörder wurden auf dem Papier sichtbar, aber sehr viel mehr auch leider nicht.
Das einzige, was sie erkennen konnten, war die Tatsache, dass der Mörder wohl imemr wieder über die Worte "freier Mann" gestrichen hatte, als würde er sie zärtlich streicheln wollen.
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"Hauptmann Boyle! Schön, dass Sie hier sind. Die Tür müsste sich öffnen!"
Und tatsächlich - als Boyle mit der Hand vor dem Sensor wedelte, öffnete sich die Tür mit einem Rauschen. Die Luft in den Gängen hier hinten roch etwas abgestanden, schließlich war hier niemand mehr seit den letzten paar Wahlen gewesen. Die meisten Hauptmänner vor ihm waren der Überzeugung, dass es Pech bringen würde, sich in die Privatzelle zurückzuziehen. Ein besonders paranoider Zeitgenosse war unmittelbar nach seiner Wahl in die Zelle verschwunden und wurde erst drei Tage später tot aufgefunden, weil er sich schlicht und ergreifend darin verbarrikadiert hatte. Geholfen hat das allerdings nichts.
Er ging den engen Gang entlang, bis er an der hintersten Zelle angekommen war. Und was er da sah, verschlug ihm den Atem...
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Theo und Linn quetschten sich zusammen in den engen Schacht, der den Hauptteil der Wasseranlage ausmachte. Dr. Tod stand etwas hinter ihnen, und die beiden Jüngeren waren ganz froh, dass in dem engen Schachtsystem unter den Rohren nicht mehr genug Platz für den Wunderling war. Dankenswerterweise funktionierte das Fehlermeldesystem noch.
"Linn, ich glaube, da hinten leuchtet was rot.... Kannst du... vielleicht...ich könnte eventuell feststecken..."
"Alles klar."
Leicht geduckt bewegte sich Linn zu den tatsächlich wild blinkenden Wasserrohr. Hier hinten, an der Filteranlage, splitteten sich die riesigen Wasserrohre und unendlich viele kleine Röhrchen auf, die einzeln durch Filter flossen und das Wasser so reinigten. Jedes einzelne Rohr endete in einem separaten Filter. Und genau so ein Filter leuchtete jetzt Rot. Filter A-29 war anscheinend der Übeltäter, der das komplette System lahm legte. Linn blickte kurz durch das wilde Rohrgewusel. Von hier aus könnte sie den Filter nicht aufschrauben, um ihn zu reinigen. Das ging nur von der anderen Seite. Von der Seite, auf der gerade noch Dr. Tod stand.
"Doktor... köntten Sie... vielleicht... nach Filter A-29 sehen? Ich glaube er ist verstopft."
"So verstopft, wie ich hier den Gang verstopfe?"
Es stimmt. Theo hing immernoch in dem Rohrgeflecht fest. Sein Schuh hatte sich unter einem kleinen Rohr verfangen. Es würde die Hilfe von Linn brauchen, um hier wieder freizukommen.
Dr. Tod hingegen huschte zu dem benannten Filter und schaute ihn sich an. Leider war eine Abdeckung im Weg, und er konnte leider nicht sehen, was das Problem war. Allerdings klang das fahle, metallische Scheppern gar nicht gut.
Er hatte jetzt zwei Optionen - entweder, er würde nach Werkzeug Ausschau halten und die Abdeckung abschrauben - oder er nahm sich die Brechstange, die an einem anderen Rohr lehnte, und ging mit Gewalt an die Sache heran. Das würde erheblich schneller gehen - aber barg auch die Möglichkeit, das zu zerstören, was sich im Inneren des Filters befand...